Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

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SilverBullet
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#1371 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Fr 12. Jun 2020, 17:43

sven23 hat geschrieben:Das hat es doch. Die Kirche will nur nicht die Ergebnisse ihrer eigenen Forschung zur Kenntnis nehmen. Der Graben zwischen Forschung und Lehre ist unüberbrücklich geworden.
Wir reden eigentlich vorrangig über die "Forschung" - die Welt der Kirche gehört zur Wunderlegende.
Ich sage, in der "religiösen Forschung" muss der Unterschied zwischen Wunder-Text und normalem Text Konsequenzen nach sich ziehen, damit man überhaupt von Forschung sprechen kann.
Die Kirche "schwebt im Märchenwald", aber ihre jeweilige "Forschung" ist leider auch noch "schwebend" unterwegs und nutzt die Bibel als Geschichtsbuch.

sven23 hat geschrieben:Und woher will man wissen, ob Flavius Josephus das Thema "voll und ganz abgedeckt" hat? Er hat sicher die bekanntesten aufgelistet, aber es gab derer sicher dutzende. Hat er alle erfaßt und aufgelistet? Eher unwahrscheinlich. Man darf auch nicht vergessen, dass die Jesusbewegung immer noch eine kleine, unbeutende Sekte unter vielen war.
Das Problem (neben zahlreichen anderen!) mit dieser "kleinen unbedeuteten Sekte" ist doch, dass es in der Sekte selbst keinerlei Kenntnis ihrer damaligen Lage gibt - das Schweigen ist so laut, dass man nicht wirklich weghören kann.
Man muss schon das Phänomen beachten, dass diese "kleine unbedeutende Sekte" nicht wusste bzw. (nach dem Krieg) nicht wissen wollte, in welchem Umfeld ihre Legende spielt.
Man kann die Bibel lesen, man kann die "Kirchenväter" lesen und wird in keiner Weise die von dir beschriebene "kleine unbedeutende Sekte zwischen anderen kleinen aber auch dominant sichtbaren grösseren Sekten"-Situation kennen lernen.

Sorry, das ist doch kein normaler Zustand - hier fehlt etwas Wesentliches.

Lies die Bibel und du weisst nicht wer die Zeloten waren.
Die auffälligste Zelotenstelle ist der Name "Simon der Zelot", ansonsten ist das aber ein reiner Statist, der dazu dient, die Zahl 12 voll zubekommen.

Die "Paulus"-Figur soll ursprünglich ein "Eiferer" gewesen sein - dass dies aber auf die Zeloten zurückfällt, wird aus dem Text nicht deutlich.
Der Wechsel vom Zeloten zum "Jesus"-Anhänger wird hier grossartig mit einer Wundervision ausgeschmückt.
Dass aber bei "Simon der Zelot" im Grunde genau derselbe Wechsel vorliegen muss, wird nirgendwo erwähnt.
Die "Jesus"-Legende spielt genau in der Zeit und der Region der anderen (gewaltbereiten) Sekten, nur halt ohne die anderen Sekten und stattdessen in einer Sandalen-Flower-Power-Idylle mit "ungerechter" jüdisch/römischer Verfolgung.

Eigentlich drängt sich hierzu eindeutig ein Fragezeichen auf - nur nicht bei unseren "Forschern".

sven23 hat geschrieben:Es spricht ja prinzipiell nichts dagegen, dass eine Legende trotzdem einen kleinen historischen Kern haben kann.
Der entscheidende Hinweis hierfür sollte aber schon aus (von der Legende) unabhängigen Geschichtsdaten kommen und nicht einfach eine "So war es"-Behauptung sein.
Schau dir dein "Gerd Theißen"-Zitat an -> Motto erster Satz: "so war es"

sven23 hat geschrieben:Gerd Theißen schreibt dazu:

Der politische Rahmen bei seiner Verkündigung ist ziemlich deutlich!
...
Bereits im ersten Satz ist es quasi schon zu spät für ein wissenschaftlich fundiertes Ergebnis, denn "seine Verkündigung hat dort stattgefunden" - "Basta!"
Das ist reinster Glaube, mehr nicht.

Genau hierin liegt das Problem: die Vergangenheit hat sich (laut dieser "Wissenschaftler") an der Legende auszurichten - die Legende soll das eigentliche Geschichtsbuch sein.

In einem wirklichen Vergleich müssten neutral die Überschneidungen der Sekten analysiert werden und dann versucht werden, die Gleichheiten und Unterschiede in die Geschichtsdaten einzusortieren, ohne dass die Legende die zeitliche Position vorgibt.
Im Ergebnis würde dann herauskommen, dass die "Jesus"-Legende enorm die zelotischen Ansichten (samt Geschehnissen) wiedergibt und quasi nur dort abweicht, wo sich die Situation aus dem Nachkriegsblickwinkel als ungünstig für eine "Messias-Bewegung unter Fremdherrschaft" herausgestellt hat.
Und schon sind wir im Dunstkreis einer rückdatierten Legende.
Eine Beschäftigung/Abgrenzung mit/von den Zeloten kann auf Basis des Kriegsschocks (samt bedrohlicher Verfolgungslage) durchaus wegfallen, denn man redet lieber nicht direkt darüber, sondern man legt die "Jesus"-Legende drüber.
Die "christliche Gnosis" ist dann einfach ein Alternativweg in der Ausrichtung im Nachkriegs-Schockzustand - wobei es diese Gnosis-Ansätze durchaus auch schon bei den Zeloten gegeben haben könnte, genaues wissen wir ja nicht.
Die ständige Gewalt innerhalb des "Christentums" ist dann auch nicht mehr verwunderlich, denn sie steckt von Anfang an drin.
Das geschichtlich erst späte Auftauchen von "Christentum"-Symbolen ist nicht weiter verwunderlich - es gab das unsichtbare "Jesus"-Urchirstentum ja gar nicht - es gibt nur eine Dynamik, die zu Messias-Bewegungen geführt hat und die läuft über die Aufreger "Herodes-Clan" und Volkszählung (Ausbeutung).
Das sich "ausbreitende" "Jesus"-Christentum ist durch die römische Nachkriegs-Vertreibung im Mittelmeerraum vorhanden - es ginge nur noch um eine Abstimmung auf die "Jesus"-Legende (die "Paulus"-Figur könnte hierfür eine Symbolik darstellen - Wechsel von zelotischer Gewalteinstellung hin zu einer Friedensfassade)

Die "Jesus-Verkündigung" aber wissenschaftlich vor den Krieg zu suggerieren, ist nicht wissenschaftlich, denn es liegt ein "Jesus-Spektrum" von "reinem Himmelswesen (ohne Geburt und Tod)" bis hin zu "menschlicher Märchengestalt" vor - für die Schnittmenge kommt da kein "historischer Jesus" heraus.

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sven23
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#1372 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » Sa 13. Jun 2020, 10:04

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 12. Jun 2020, 17:43
sven23 hat geschrieben: Das hat es doch. Die Kirche will nur nicht die Ergebnisse ihrer eigenen Forschung zur Kenntnis nehmen. Der Graben zwischen Forschung und Lehre ist unüberbrücklich geworden.
Wir reden eigentlich vorrangig über die "Forschung" - die Welt der Kirche gehört zur Wunderlegende.
Ich sage, in der "religiösen Forschung" muss der Unterschied zwischen Wunder-Text und normalem Text Konsequenzen nach sich ziehen, damit man überhaupt von Forschung sprechen kann.
Richtig, weil die Welt der Kirche auf Glaubensbekenntnissen aufgebaut ist.
In der Forschung hingegen sind Glaubensbekenntnisse ein Ausschlusskriterium für wissenschaftliches Arbeiten. Man untersucht die Texte deshalb wie jeden anderen antiken Text mit den gleichen Methoden.
Glaubensideologen wie Berger paßt das natürlich nicht, sie schwadronieren deshalb von Bibelfälschern, Bibel- und Glaubenszerstörern usw, wenn sie über die historisch-kritische Forschung sprechen.

 
SilverBullet hat geschrieben:
Fr 12. Jun 2020, 17:43
sven23 hat geschrieben: Und woher will man wissen, ob Flavius Josephus das Thema "voll und ganz abgedeckt" hat? Er hat sicher die bekanntesten aufgelistet, aber es gab derer sicher dutzende. Hat er alle erfaßt und aufgelistet? Eher unwahrscheinlich. Man darf auch nicht vergessen, dass die Jesusbewegung immer noch eine kleine, unbeutende Sekte unter vielen war.
Das Problem (neben zahlreichen anderen!) mit dieser "kleinen unbedeuteten Sekte" ist doch, dass es in der Sekte selbst keinerlei Kenntnis ihrer damaligen Lage gibt - das Schweigen ist so laut, dass man nicht wirklich weghören kann.
Man muss schon das Phänomen beachten, dass diese "kleine unbedeutende Sekte" nicht wusste bzw. (nach dem Krieg) nicht wissen wollte, in welchem Umfeld ihre Legende spielt.
Man darf ja nicht vergessen, dass die Evangelien allesamt nach der Zerstörung Jerusalems entstanden sind. Die Zeloten waren eine radikale Widerstandsbewegung, die nicht identisch mit dem gesamten Judentum war. Trotzdem hat der Widerstand dieser radikalen Gruppe zum Untergang geführt, d. h. die Zelotenbewegung und ihre Gewaltbereitschaft hat sich als Irrweg, bzw. als Weg in den Untergang erwiesen und Gott hatte eben nicht helfend eingegriffen.

Wenn dieser Wanderprediger wirklich gelebt hat, dann gäbe es prinzipiell 2 Möglichkeiten.
1. Jesus hat mit der Zelotenbewegung symphatisiert, möglicherweise nur verbal, aber das hätte für die Römer als Hinrichtungsgrund gereicht.
2. Jesus war zwar von antirömischer Gesinnung, hat aber Gewalt abgelehnt, wie es die Evangelien beschreiben. Damit würde er sich von den Zeloten deutlich unterscheiden. Gemeinsam mit den Zeloten hätte er dann die Reich-Gottes-Naherwartung und die Nähe zu den Randgruppen der Gesellschaft.

Beides halte ich für möglich. Dass die Bibelautoren nicht zimperlich in der kreativen Umgestaltung von historischer Wahrheit waren, dafür haben sie genügend Beispiele abgeliefert.

 
SilverBullet hat geschrieben:
Fr 12. Jun 2020, 17:43
Lies die Bibel und du weisst nicht wer die Zeloten waren.
Genau, weil der Weg der Gewalt sich als fataler Irrtum erwiesen hat, hatte man kein Interesse daran, diesen Weg weiter zu verfolgen. Vielleicht hat man dann als Gegenkonzept die Gewaltlosigkeit propagiert und auf Jesus zurückprojiziert. Rückprojektionen sind ein häufig in der Bibel verwendetes Stilmittel.
Und gewaltlose Konzepte, wie die Feindesliebe, kannten die Schreiber z. B. aus dem Dionysoskult.
 
SilverBullet hat geschrieben:
Fr 12. Jun 2020, 17:43
Die "Paulus"-Figur soll ursprünglich ein "Eiferer" gewesen sein - dass dies aber auf die Zeloten zurückfällt, wird aus dem Text nicht deutlich.
Aber eifrig war er laut den Quellen ja zunächst nur im Verfolgen der Christen.

Als griechisch gebildeter Jude und gesetzestreuer Pharisäer mit römischem Bürgerrecht verfolgte Paulus zunächst die Anhänger Jesu Christi, dem er, abgesehen von dessen Erscheinung bei seiner Bekehrung, nie begegnet war.
Quelle: Wikipedia
 
SilverBullet hat geschrieben:
Fr 12. Jun 2020, 17:43
Schau dir dein "Gerd Theißen"-Zitat an -> Motto erster Satz: "so war es"
Man muss dazu sagen, dass das Zitat aus einem Interview stammt.
Im Vorwort seines Jesusbuches schreibt Theißen, dass Wissenschaft nie sagen kann, so war es, sondern, so könnte es gewesen sein, immer auf Basis der zur Verfügung stehenden Quellen.
 
SilverBullet hat geschrieben:
Fr 12. Jun 2020, 17:43
Die "Jesus-Verkündigung" aber wissenschaftlich vor den Krieg zu suggerieren, ist nicht wissenschaftlich, denn es liegt ein "Jesus-Spektrum" von "reinem Himmelswesen (ohne Geburt und Tod)" bis hin zu "menschlicher Märchengestalt" vor - für die Schnittmenge kommt da kein "historischer Jesus" heraus.
Aber ein historischer Jesus ergibt sich nicht aus der Schnittmenge, sondern aus dem, was außerhalb der Schnittmenge liegt. Man muss die Evangelien also "gegen den Strich" lesen, wie es so schön heißt.
Einerseits eignete sich dieser Jesus hervorragend für eine Legendenbildung, andererseits stand seine Biografie einer messianischen Bestimmung im Weg.
Nur ein kleines Beispiel:

Wenn Jesus eine rein literarische Erfindung wäre, dann hätten ihn die Schreiber von Anfang an aus Bethlehem kommen lassen können und nicht aus dem unbedeutenden Nazareth. So mußten sie umständliche Geburtslegenden erfinden mit unhistorischen Steuerschätzungen und Kindermorden, um alttestamentarische Prophezeiungen in Erfüllung gehen zu lassen.
Vom Irrtum der Naherwartung der unmittelbar bevorstehenden Gottesherrschaft ganz zu schweigen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#1373 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » Sa 13. Jun 2020, 18:28

SilverBullet hat geschrieben:
Fr 12. Jun 2020, 17:43
Im Ergebnis würde dann herauskommen, dass die "Jesus"-Legende enorm die zelotischen Ansichten (samt Geschehnissen) wiedergibt und quasi nur dort abweicht, wo sich die Situation aus dem Nachkriegsblickwinkel als ungünstig für eine "Messias-Bewegung unter Fremdherrschaft" herausgestellt hat.
Und schon sind wir im Dunstkreis einer rückdatierten Legende.
Da könnte man mitgehen, wenn es nicht die Paulusbriefe (oder die seines Ghostwriters) gäbe, die allesamt vor der Zerstörung Jerusalems geschrieben worden sind, zumindest die echten.

https://de.wikipedia.org/wiki/Paulusbriefe

Auch Paulus glaubte, dass er die Wiederkunft Jesu noch zu seinen Lebzeiten erleben würde. Als es zeitlich eng wurde, kam er auf die Idee der Pausieverzögerung.
Die ausbleibende Parusie brachte die Schreiber also in große Erklärungsnöte (siehe auch 2. Petrusbrief, der nicht von Petrus stammt)

Eines ist aber auch klar: unabhänige Forschung wäre gerade hier wünschenswert, denn es gibt einen natürlichen Interessenkonflikt zwischen kirchlicher Verkündigung und Forschungsergebnissen, die dieser Verkündigung im Wege stehen.

Problematisch sind in der Regel weniger die historischen Disziplinen AT, NT und
Kirchengeschichte. Denn hier unterscheiden sich die Arbeitsmethoden nicht von denen der
Profanhistoriker. Neutestamentler und Kirchengeschichtler können sich durchaus als Historiker
verstehen, die sich wie andere Historiker eben einem besonderen Forschungsgegenstand zuwenden
(also z. B. der Evangelienforschung oder z. B. der Geschichte des christlichen Mönchtums).
Forschung hat vorurteilsfrei zu erfolgen, und um z. B. über Paulus zu forschen, muss man kein
Mitglied der Kirche sein.
Jedenfalls in der Theorie. In der Praxis ist jedoch schon der Zugang zum Lehrstuhl problematisch.
Denn Theologen können meist nur mit ausdrücklichem Einverständnis der Kirchen an Universitäten
lehren, die Kirchen haben sich ein Mitbestimmungsrecht (auf diese vom Staat bezahlten Lehrstühle!)
sichern können. Die zu Berufenden wissen das und nehmen darauf natürlich Rücksicht, wenn sie
beruflich vorwärts kommen wollen. Ohne ein gewisses Maß an Opportunismus bekommt man als
Wissenschaftler keinen Fuß in die theologische Fakultät. Und auch wer schon drin ist, tut gut daran,
sich ruhig zu verhalten und solche die Institution Kirche hinterfragende Ergebnisse der Forschung
(etwa dass sich Jesus mit ziemlicher Sicherheit nicht für den Messias gehalten hat und dass er mit
ziemlicher Sicherheit keine Kirche gründen wollte) nicht allzu laut kund zutun. In neutestamentlichen
Kommentaren sind diese Positionen erlaubt, denn sie werden ohnehin nicht von einfachen Gläubigen
gelesen. Theologen an Universitäten wissen also, was von ihnen verlangt wird, und verhalten sich
entsprechend. Für Atheisten oder auch nur aus der Kirche Ausgetretene gilt: Sie müssen draußen
bleiben, selbst wenn sie ein noch so genialer Forscher und Historiker wären.
Neben den Opportunisten (die man nicht nur in der Theologie findet) gibt es natürlich auch solche,
die sich selbst als gläubige Christen verstehen. Viele Professoren an theologischen Fakultäten waren
ehemals Pfarrer oder haben zumindest ein kirchliches Vikariat absolviert. Je mehr sie aber gläubig
sind, desto mehr darf man ihre wissenschaftliche Vorurteilsfreiheit in Frage stellen. Egal ob
Opportunismus oder persönliche Gläubigkeit: Beides verwässert die von Theologen reklamierte
Wissenschaftlichkeit ihres Fachbereichs.

Kubitza, Der Dogmenwahn
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1374 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » So 14. Jun 2020, 13:42

“sven23“ hat geschrieben: Da könnte man mitgehen, wenn es nicht die Paulusbriefe (oder die seines Ghostwriters) gäbe, die allesamt vor der Zerstörung Jerusalems geschrieben worden sind, zumindest die echten
Aja, die „Paulusbrief“-Texte, dieser eigenartig aggressive kompromisslose zweite Religionsteil, der so wenig zum anderen Legendenteil der Liebes- und Friedensbotschaft passt.

Die Idee ist schon klasse, da soll über eine „Jesus“-Figur der Start einer neuen Glaubensrichtung literarisch vermittelt werden, was den Textsammlern aber irgendwie nicht ausgereicht hat und so wurden noch andere Text aufaddiert, deren Verbindung das behauptete „Haben einer Vision“ eines „normalen“ Menschen sein soll, wodurch dieser Mensch fast noch mehr Recht zum Spenden von Religionsauflagen haben soll, als der eigentlich „göttliche Held“.
Hut ab, den „Gläubigen“ scheint dies nicht wirklich aufzufallen.

Neben den grundsätzlichen Verrücktheiten zu den „Paulusbrief“-Texten ist deren Datierung als „älteste Texte des Neuen Testamentes“ natürlich auch enorm sehenswert.

Habe ich das richtig verstanden, die Datierung erfolgt über die „Apostelgeschichte“, die hauptsächlich der „Paulus“-Figur den eigentlichen „Lebenslauf“ verleiht, wobei es in dieser Geschichte nirgendwo um „Paulus als Schreiberling“ geht?

Wieso sollte es ein Problem für den Umgang mit historischen Daten darstellen, dass sich eine Wundergeschichte aus Visionen, Dämonen und sonstigem Übernatürlichen irgendwo zwischen erwähnten oder nicht-erwähnten historischen Ereignissen einreihen möchte, zumal diese Geschichte bereits in historischer Zeit (und natürlich zusätzlich auch in moderner Zeit) durch reichlich Verklärung und Falschbehauptungen aufgefallen ist?

Durch keine einzige Leistung hat es dieses Wundergeschreibsel verdient, als Geschichtsbuch eingesetzt zu werden. Man kann keine Auflagen für Geschichtsdaten ableiten, nur weil irgendwelche Behauptungen in einem alten Verrücktheits-Text enthalten sind.

Die Textteile, zumal sie so derart auffällig nicht zusammenpassen, wie die „Paulusbrief“-Texte gehören entlang der Geschichtsdaten einsortiert und nicht umgekehrt.
=> die „Paulusbrief“-Texte sind hierbei zum ersten Mal in Verbindung mit „Marcion“ aufgetaucht, der eine eher gnostische Jesus-Messias-Religion verbreitet haben soll (wohl sogar mit grossem Erfolg – was wiederum die Motivation für die katholische Vereinnahmung dieser Texte sein könnte).
=> Schaut man genau hin, dann fallen die „Paulusbrief“-Texte auch nicht dadurch auf, dass „Jesus“ als besonders menschliche Gestalt dargestellt wird – „Jesus“ handelt darin nicht allzuviel.

Der aggressive dominante Auflagenton der „Paulusbrief“-Texte würde sehr gut in die Zelotenzeit passen. So könnte man sich diese „harten Bruschis“ vorstellen, wie sie mit (wenig Verstand) macht- und gewaltorientiert mit „ihren Beinchen aufgestampft“ haben, um eine Unterstützung „Gottes“ zu erhaschen.

Die Texte könnten aber natürlich auch nach dem Krieg von den zelotischen Flüchtlingen aufgesetzt worden sein, als sie krampfhaft versuchten, sich ihren Totalverlust durch Glaubensanpassungen schön zu phantasieren. Wie ich schon gesagt habe, kann hierbei durchaus die christliche Gnosis der eigentliche Ursprung gewesen sein, der später von einer machtorientierten Strömung mit Vermenschlichungstendenzen („katholische Bewegung“) bekämpft wurde. Die hierbei vorliegende Nachkriegssituation der Auseinandersetzung und Bekämpfung in Bezug auf den „rechten Glauben“ ist aber nichts weiteres als das gleiche Vorgehen wie bei den Zeloten – das Üble steckt also insgesamt in dieser Messias-Betonung drin.

Durch dieses Gerangel gibt es natürlich ein Motiv, durch Aufstellen von Lebenslauf-Behauptungen und möglichst frühes Einsortieren der Legende eine „Rechtfertigung des eigenen Weges“ zu suggerieren – Motto: „Wir sind das Original, ihr nur die Fälschung“.

Die „Datierung“ der „Paulusbrief“-Texte auf Basis der „Apostelgeschichte“ ist quasi ein Ignorieren der umfassenden Eigenartigkeit dieser Märchen-Auflagentexte und ihrer Auftauch- und Rangeleiumstände.
“sven23“ hat geschrieben: Auch Paulus glaubte, dass er die Wiederkunft Jesu noch zu seinen Lebzeiten erleben würde. Als es zeitlich eng wurde, kam er auf die Idee der Pausieverzögerung.
Ich kann hier nur sagen, dass es nicht wissenschaftlich ist, die Legendenfiguren „handeln“ zu lassen.

Es handelt sich um ein derart eigenartiges Umfeld, um derart viele Fragezeichen zu den Texten, dass man nicht auf „die Einstellung“ der Märchengestalten schliessen sollte.

Man darf ohne Probleme davon ausgehen, dass die Zeloten eine zeitnahe Unterstützung ihres „Gottes“ (was auch immer das sein soll) erwartet haben. Falls nun einige dieser „Paulusbrief“-Textabschnitte (es ist ja immerhin ein sehr seltsames „Brief“-Konstrukt) ganz einfach alte Zelotentexte sind, dann ist die Naherwartung selbstverständlich.

Die Nachkriegsanpassungen, die zwecks ausbleibender „göttlicher“ Unterstützung, fast zwangsläufig erfolgen mussten, tragen dann natürlich zum Durcheinander bei.

Das „Unter einen Hut bringen“ der Vor- und Nachkriegszeit in einer Lehre (und zwar unter Bewahrung der alten, liebgewonnen Gewaltausrichtung) ist vom Komplexitätsgrad her nicht ohne peinliche Fehler machbar. Genau diese Situation bietet sich einem, wenn man das Durcheinander der Messias-Bewegung „Christentum“ anschaut.

Wenn man den Schreibern und Textsammlern etwas Freundliches zukommen lassen möchte, dann könnte man sagen „die Jesus- und Paulus-Legende“ sind symbolische Aufbereitungen der Vor- und Nachkriegsausrichtungen einer Religionsidee, die schlicht nicht funktioniert.
“sven23“ hat geschrieben: Eines ist aber auch klar: unabhänige Forschung wäre gerade hier wünschenswert, denn es gibt einen natürlichen Interessenkonflikt zwischen kirchlicher Verkündigung und Forschungsergebnissen, die dieser Verkündigung im Wege stehen.
Dein „Kubiza“-Zitat verdeutlicht ja in klarer Weise, wie wenig Wissenschaft in diesem theologischen Treiben rund um „historischer Jesus“ enthalten sein kann.
Diese Leute wollen ihr Märchen irgendwie in die Realität hereinziehen.
“sven23“ hat geschrieben: Und gewaltlose Konzepte, wie die Feindesliebe, kannten die Schreiber z. B. aus dem Dionysoskult.
Man kommt leicht in Versuchung die „Liebes- und Friedenausrichtung“ der „Jesus“-Legende als „die neue Botschaft im Judentum“ darzustellen.

Tja, da bin ich neulich doch über den Namen „Hillel“ gestolpert (siehe Wiki). Man glaubt es kaum, aber das war ein (jüdischer) Rabbi, der unmittelbar (!) vor der platzierten „Jesus“-Legende die Nächstenliebe unter seine Schüler gebracht hat. Ach ja, ein im Juden sehr populärer Rabbi mit vielen klugen Sprüchen und einem „weitherzigen, geduldigen Lehrauftreten“ – bin ich in diesem Moment der Einzige, der hierin einen Teil der „Jesus“-Legende entdeckt?

Das bedeutet, auch die „Nächstenliebe“-Ausrichtung, die sich vermutlich erst nach dem Krieg unter den Messias-Anhängern durchgesetzt hat, ist lediglich eine Neubetonung von Anteilen im Judentum.
“sven23“ hat geschrieben: Aber ein historischer Jesus ergibt sich nicht aus der Schnittmenge, sondern aus dem, was außerhalb der Schnittmenge liegt. Man muss die Evangelien also "gegen den Strich" lesen, wie es so schön heißt.
Du redest hier über das Entstehen/Ausbauen von Legenden und nicht über ein wissenschaftliches Vorgehen, denn es wird ja immer noch das Märchen als Geschichtsbuch gelesen (auch wenn die Geschichtsdaten indirekt vermittelt werden sollen).
 

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#1375 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von AlTheKingBundy » So 14. Jun 2020, 14:38

SilverBullet hat geschrieben:
So 14. Jun 2020, 13:42
“sven23“ hat geschrieben: Auch Paulus glaubte, dass er die Wiederkunft Jesu noch zu seinen Lebzeiten erleben würde. Als es zeitlich eng wurde, kam er auf die Idee der Pausieverzögerung.
Ich kann hier nur sagen, dass es nicht wissenschaftlich ist, die Legendenfiguren „handeln“ zu lassen.

Es handelt sich um ein derart eigenartiges Umfeld, um derart viele Fragezeichen zu den Texten, dass man nicht auf „die Einstellung“ der Märchengestalten schliessen sollte.

Tatsache ist aber, dass nicht nur aus den Paulusbriefen (ob nun von ihm persönlich oder nicht) sondern auch aus den Evangelien/Apostelgeschichten und den Johannesbriefen eine klare Naherwartung hervorgeht - ohne jeden Interpretationsspielraum.
Beste Grüße, Al

Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.
(Albert Einstein, 1879-1955)

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#1376 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » So 14. Jun 2020, 17:41

SilverBullet hat geschrieben:
So 14. Jun 2020, 13:42
=> Schaut man genau hin, dann fallen die „Paulusbrief“-Texte auch nicht dadurch auf, dass „Jesus“ als besonders menschliche Gestalt dargestellt wird – „Jesus“ handelt darin nicht allzuviel.
Genau so ist es. Paulus hat kein Interesse am weltlichen Jesus, obwohl er zeitlich am nächsten dran ist. Ihm geht es nur um den "erhöhten Herrn", der sich natürlich ideal für seine eigenen theologischen Ziele eignete, weil der tot war und sich nicht mehr wehren konnte.
Was für jeden gläubigen Juden der Beweis war, dass der Wanderprediger nicht der Messias gewesen sein konnte, nämlich der schändliche Tod eines gewöhnlichen Verbrechers, deutete Paulus in einen Sieg um, nämlich in einen heilsgeschichtlich notwendigen und von Gott gewollten Opfertod. Paulus kann damit als der eigentliche Begründer des Christentums gelten.

Wir wüssten mehr über den irdischen Jesus, hätte Paulus nicht so standhaft über ihn
geschwiegen. Denn die ältesten Schriften des Neuen Testaments sind gar nicht die
Evangelien, sondern die Paulusbriefe, jedenfalls die, die die Forschung als echte
Paulusbriefe erkannt hat. In seinen Briefen finden sich aber kaum Fakten über den
historischen Jesus. Denn Paulus war, wie er selbst schreibt, am Christus nach dem
Fleische, also dem irdischen Jesus, gar nicht interessiert, ihm ging es allein um denerhöhten Herrn.
Zwar war Paulus selbst kein Augenzeuge der Geschehnisse und kommt
vielleicht erst im Jahre 35 zum ersten Mal nach Jerusalem. Und doch, man versteht den
Unmut der Neutestamentler. Hätte er sich doch nicht so desinteressiert gezeigt, hätte er
seine Kontakte zur Urgemeinde und zu Jüngern Jesu doch nur genutzt, um etwas mehr
über das Leben Jesu in Erfahrung zu bringen, oder hätte er nur, was er darüber wusste, in
einem seiner Briefe festgehalten. Wir wüssten heute sicher besser Bescheid über den
Menschen Jesus, seine Absichten und Worte. Paulus hätte zum besten Zeugen für den
historischen Jesus werden können, denn immerhin liegen zwischen seinen Briefen und
dem Tod Jesu gerade einmal 20–25 Jahre. Wäre nicht zu erwarten gewesen, dass seine
Briefe ständig auf das irdische Wandeln seines Herrn zu sprechen gekommen wären?
Doch Paulus schweigt und verweist stattdessen auf den erhöhten Herrn. Man wird
annehmen müssen, dass sein Bild vom irdischen Jesus noch weit nüchterner war als das,
welches uns in den neutestamentlichen Evangelien geboten wird. Denn zieht man die
Linie zurück von den Evangelienprodukten glühender christlicher Fantasie des zweiten
und dritten Jahrhunderts zu diesen noch deutlich nüchterneren Evangelien, dann wird
das, was Paulus über den irdischen Jesus zu sagen gehabt hätte, noch deutlich ärmer an
Wundertaten und Herrlichkeiten gewesen sein. Ist es deshalb vielleicht nicht nur ein
theologisches Argument des Paulus, wenn er betont, ihm komme es nur auf den erhöhten
Herrn an? Hat er aus der Not eine Tugend gemacht, weil das Leben des historischen
Jesus so berichtenswert gar nicht gewesen ist?
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#1377 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » So 14. Jun 2020, 17:44

AlTheKingBundy hat geschrieben:
So 14. Jun 2020, 14:38
SilverBullet hat geschrieben:
So 14. Jun 2020, 13:42
“sven23“ hat geschrieben: Auch Paulus glaubte, dass er die Wiederkunft Jesu noch zu seinen Lebzeiten erleben würde. Als es zeitlich eng wurde, kam er auf die Idee der Pausieverzögerung.
Ich kann hier nur sagen, dass es nicht wissenschaftlich ist, die Legendenfiguren „handeln“ zu lassen.

Es handelt sich um ein derart eigenartiges Umfeld, um derart viele Fragezeichen zu den Texten, dass man nicht auf „die Einstellung“ der Märchengestalten schliessen sollte.

Tatsache ist aber, dass nicht nur aus den Paulusbriefen (ob nun von ihm persönlich oder nicht) sondern auch aus den Evangelien/Apostelgeschichten und den Johannesbriefen eine klare Naherwartung hervorgeht - ohne jeden Interpretationsspielraum.
So ist es. Wobei die Naherwartung des Paulus ja bereits eine Umdeutung auf Jesus hin ist, der ja selbst an die nahe Königsherrschaft Gottes glaubte. Der Verkünder wurde zum Verkündeten.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1378 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Mo 15. Jun 2020, 14:08

“AlTheKingBundy“ hat geschrieben:Tatsache ist aber, dass nicht nur aus den Paulusbriefen (ob nun von ihm persönlich oder nicht) sondern auch aus den Evangelien/Apostelgeschichten und den Johannesbriefen eine klare Naherwartung hervorgeht - ohne jeden Interpretationsspielraum.
Aus meiner Sicht nicht weiter erstaunlich, denn die Zeloten hatten definitiv eine Naherwartung. Ich könnte mir (wie gesagt) auch gut vorstellen, dass dort andere Aussagen enthalten sind, weil der verlorene Krieg (samt Verlust des Allerheiligsten) bestimmt zu einer „Dehnung“ der Behauptungen geführt hat.

Das „Neue Testament“ ist aber nicht dafür geeignet, um auf historische Personen zu schliessen.

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“sven23“ hat geschrieben:Genau so ist es. Paulus hat kein Interesse am weltlichen Jesus, obwohl er zeitlich am nächsten dran ist. Ihm geht es nur um den "erhöhten Herrn", der sich natürlich ideal für seine eigenen theologischen Ziele eignete, weil der tot war und sich nicht
Mit „Paulus wollte dies“ und „Paulus wollte das“ tu ich mir sehr schwer, denn „Paulus“ ist nur eine literarische Figur.

Wenn man die einzelnen Textabschnitte (bereits die „Brief“-Behauptung ist schon eigenartig) betrachtet, dann kann man schlicht nicht sagen, dass sich eine Verbindung zur „Jesus“-Mensch-Legende aufdrängt. Es gibt wohl eine handvoll Stellen, die man als „Nanoverbindungen“ deuten könnte, wenn man die christliche Eigenart „überall Mini-Verbindungen hineinzuschreiben“ komplett ausser Acht lässt. Wie ich schon gesagt habe, ist die Zweiteilung des „Neuen Testamentes“ bereits komisch, zumal der eigentliche Religionsheld die Religion gar nicht so richtig startet, sondern „Der mit der Vision tanzt“.

Auf jeden Fall kann man sagen, dass diese Texte vom Aggressions-/Dominanzgrad her nichts mit einer Flower-Power-Idylle zu tun haben.
Für eine Analyse reicht dies bereits aus, dass man die Märchengestalt „Paulus“ ganz hinten anstellt.

“sven23“ hat geschrieben:Was für jeden gläubigen Juden der Beweis war, dass der Wanderprediger nicht der Messias gewesen sein konnte, nämlich der schändliche Tod eines gewöhnlichen Verbrechers, deutete Paulus in einen Sieg um, nämlich in einen heilsgeschichtlich notwendigen und von Gott gewollten Opfertod. Paulus kann damit als der eigentliche Begründer des Christentums gelten.
Vom Prinzip her ist es schon richtig, was du hier anführst, aber das Scheitern der Messias-Führergestalten (samt Kreuzigung) und fanatische Anhänger im Schockzustand, war eine flächendeckende Situation, die durch Vertreibung vermutlich im gesamten Mittelmeerraum verteilt wurde. Zwischen diesen kleinen Grüppchen wird sich wohl nach und nach wieder ein Kontakt aufgebaut haben und eine Art „Bewältigung der Niederlage“ herausgebildet haben – sprich: „Jesus-Liebes-Friedens-Legende“. Hier geht es bestimmt nicht um Tage sondern um Jahrzehnte, um ein bis zwei Generationen.

Dass die Katastrophe vor dem Krieg anzusiedeln war und dass es auf die Auslöser „Herodes-Clan und Volkszählung“ ankam, hat sich bestimmt gut erhalten, aber ansonsten erfolgte eine Distanzierung zu den Zeloten (vermutlich vor allem durch Verschwiegenheit wegen Verfolgung).

In der Folgezeit (also über mehrere Jahrzehnte) schwenkten diese Messias-Anhänger mehr und mehr auf die „Liebes- und Friedensüberzeugung“ ein - wieder kann die Verfolgung eine enorme Antriebskraft hierzu sein.

Ich halte es nicht für sinnvoll einer Märchengestalt („Paulus“) eine ausgewiefte Strategie zu unterstellen – auch die Kraft zu einer derartigen Religionsgründung, trotz Verfolgung im römischen Reich, kann nicht auf das Geschwätz und Geschreibsel von einem Einzelnen zurückgeführt werden – zumal sich das „Jesus“-Christentum (danach) eigentlich nirgendwo durch friedliche Überzeugung ausgebreitet hat.

Gerade „die Ausbreitung“ ist ein Aspekt, den unsere „Forscher“ völlig ignorieren. Da soll es in den Vorkriegswirren zu einer Überzeugung per Mundpropaganda gekommen sein (trotz flächendeckend anders ausgerichteter Bevölkerung!), die sich nach dem Krieg dann explosionsartig verstärkt haben müsste, aber bei der späteren Verbrüderung mit der römischen Macht (Staatsreligion) und der gewalttätigen Durchsetzung haben diese Friedens-Christen irgendwie nichts gegen Gewalt und auch die Christianisierungen von Europa („Karl der Grosse“) und anderen Kontinenten wurden machtorientiert (mit Gewalt) durchgeführt.
=> Die Idee einer kleinen unsichtbaren Friedensbewegung, die schlagartig das Zepter in die Hand bekommt und fortan die Friedenseinstellung „vergisst“, gehört in den Märchenwald.

Grundsätzlich (also ohne Bibel) zeigen die Geschichtsdaten über den Verlauf in Judäa, dass das Messias-Konzept, also die Idee einer göttlichen Erlösungsunterstützung durch das Einhalten von religiösen Auflagen, innerhalb einer unterdrückten, ärmlichen, perspektivlosen Bevölkerung verbreitet werden konnte (zumal die Idee ja schon im Judentum mehr oder wenger vorhanden war) – aber nicht unter dem Liebes-/Friedensaspekt, sondern unter dem „Sich-Wehren“-Slogan. Wenn man genau hinschaut, ist dieses „Sich-Wehren“ auch in den Bibeltexten enthalten, denn den Unterdrückern, den „Abtrünnigen vom Gesetz“, wird ein gewisser „Schaden“ zugeordnet – die „Gläubigen“ retten/verteidigen sich quasi selbst, indem sie ein religiös „gutes Leben“ führen und entfernen sich damit von den „schlechten Menschen“, was auch eine Art „Sieg“ darstellt.

“sven23“ hat geschrieben:Wir wüssten mehr über den irdischen Jesus, hätte Paulus nicht so standhaft über ihn
geschwiegen.
Das ist keine vernünftige Aussage, weil sie Märchengestalten in die Realität verlagert. Die Bibel ist kein Geschichtsbuch.

Es ist schon zu viel, wenn man die Märchenfiguren als historische Personen vermitteln möchte, dass aber noch Spekulationen über ihr mögliches Verhalten und die daraus entstehenden anderen Realitätsstränge angestellt werden, ist „völlig über die Grenze getreten“.
Ich kann nicht ganz nachvollziehen warum man sich so schwer tut, die „Paulusbrief“-Texte als vollkommen andere Messias-Texte anzusehen. Die wichtigste Hintergrundinformation ist doch, dass es in der damaligen Zeit viele Messias-Ansichten und Messias-Führer gab. Warum sollten davon nicht einige Texte nach dem Krieg unter einem neuen Gesichtspunkt zusammengefasst worden sein?

Man muss sich die Reaktionen nach dem Krieg ja so vorstellen, dass es eine Suche war, kleine Fehler und Korrekturen zu „entdecken“, so dass der Messias-Fanatismus weiter bestehen konnte. Wenn da alte Texte vorhanden waren, dann versucht man diese unter einer neuen Betonung einzuordnen. Hier und da eine kleine Änderung, so dass die neue Betonung klar herausgestellt wird und schon passt es wieder – dabei übersieht man aber vieles und es entstehen Widersprüche, an die man zuvor nicht gedacht hat.

=> Dass die Texte zueinander gehören sollen, ist Teil der Legende.

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sven23
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#1379 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » Sa 20. Jun 2020, 08:16

SilverBullet hat geschrieben:
Mo 15. Jun 2020, 14:08
“AlTheKingBundy“ hat geschrieben: Tatsache ist aber, dass nicht nur aus den Paulusbriefen (ob nun von ihm persönlich oder nicht) sondern auch aus den Evangelien/Apostelgeschichten und den Johannesbriefen eine klare Naherwartung hervorgeht - ohne jeden Interpretationsspielraum.
Aus meiner Sicht nicht weiter erstaunlich, denn die Zeloten hatten definitiv eine Naherwartung.
Ja, aber keine auf Jesus und Jesus hatte keine Naherwartung auf sich selbst.
Jesus und die Zeloten erwarteten die unmittelbar bevorstehende Königsherrschaft Jahwes auf Erden, die sog. Zeitenwende, mit der dann auch die römische Fremdherrschaft zu Ende gehen sollte. Jesus stellte seinen unterpriviligierten Anhängern eine besonder Rolle in der neuen Ordnung in Aussicht. (die Letzten werden die Ersten sein...), woraus man ihm gewisse Vollmachten zusprach, wenn er solche Versprechen abgeben konnte. (in den Augen seiner Anhänger)


SilverBullet hat geschrieben:
Mo 15. Jun 2020, 14:08
Genau so ist es. Paulus hat kein Interesse am weltlichen Jesus, obwohl er zeitlich am nächsten dran ist. Ihm geht es nur um den "erhöhten Herrn", der sich natürlich ideal für seine eigenen theologischen Ziele eignete, weil der tot war und sich nicht
Mit „Paulus wollte dies“ und „Paulus wollte das“ tu ich mir sehr schwer, denn „Paulus“ ist nur eine literarische Figur.[/quote]
Er kann eine literarische Figur sein. Vieles spricht dafür, aber letztendlich bewiesen ist es nicht.

SilverBullet hat geschrieben:
Mo 15. Jun 2020, 14:08
Wenn man die einzelnen Textabschnitte (bereits die „Brief“-Behauptung ist schon eigenartig) betrachtet, dann kann man schlicht nicht sagen, dass sich eine Verbindung zur „Jesus“-Mensch-Legende aufdrängt. Es gibt wohl eine handvoll Stellen, die man als „Nanoverbindungen“ deuten könnte, wenn man die christliche Eigenart „überall Mini-Verbindungen hineinzuschreiben“ komplett ausser Acht lässt. Wie ich schon gesagt habe, ist die Zweiteilung des „Neuen Testamentes“ bereits komisch, zumal der eigentliche Religionsheld die Religion gar nicht so richtig startet, sondern „Der mit der Vision tanzt“.
Auch Paulus glaubt, die Wiederkunft Jesu noch zu seinen Lebzeiten zu erleben. Als sich auch das als Irrtum erweist, behauptet der Schreiber eines unechten Paulusbriefes, der echte Paulusbrief sei ein Fälschung, um diesen Irrtum zu kaschieren.

SilverBullet hat geschrieben:
Mo 15. Jun 2020, 14:08
Auf jeden Fall kann man sagen, dass diese Texte vom Aggressions-/Dominanzgrad her nichts mit einer Flower-Power-Idylle zu tun haben.
Die Flower-Power-Idylle kommt ja sicher nicht von den Paulusbriefen, sondern von den Evangelien, besonder von Matthäus.
Die Bergpredigt-Idylle, das Loslösen von beruflichen und familiären Banden, sexuelle Freizügigkeit?, die überflüssig gewordene Notwendigkeit persönlicher Daseinsvorsorge (die Vögel des Himmels säen nicht und ernten doch), all das machte die Jesusfigur so attraktiv für die Hippi-Bewegung.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1380 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Sa 27. Jun 2020, 08:45

“sven23“ hat geschrieben:Ja, aber keine auf Jesus …
Das wäre mir zu pauschal, denn es ist wohl eher keine Analyse möglich, in welchen Variationen die damaligen Messias-Vorstellungen vorlagen.
Auf Basis der (späteren?) „christlichen Gnosis“, also eines komplett anderen Messias-Entwurfes, wird die Bandbreite der Erwartungen wohl sehr umfangreich gewesen sein – am Ende des Tages konnten vermutlich die wenigsten genau sagen, was sie erwarten, ausser dass die Römer durch „Gottes-Hilfe“ weg sollen.

Der Name „Jesus“ („Yehoshua“) alias „Gott rettet“ ist enorm verdächtig für einen Messias, was vermutlich auch zu der Engelsgeschichte mit Namensverkündung als Rechtfertigung führte, weil sich bestimmt einige Leute darüber lustig gemacht haben dürften.

Auf der anderen Seite hat „Flavius Josephus“ im „Jüdischen Krieg“ drei Hohepriester mit Namen „Jesus“ beschrieben, wobei anscheinend zukünftige Hohepriester (laut der Analyse der Qumran-Schriftrollen) durchaus als „Messias“ bezeichnet wurden.
Ich könnte mir vorstellen, dass sich so eine Art „Name=Produkt“-Idee/Tradition herausgebildet hat, so dass „ein Jesus“ von den meisten Leuten unmittelbar als „ein Messias“ verstanden wurde – vielleicht kommt daher auch die Formulierung „Jesus Christus“, was ja letztlich nur „Jesus Messias“ bedeutet, also quasi „der Gott-Rettet-Retter/Gesalbte“.

“sven23“ hat geschrieben:Jesus und die Zeloten erwarteten die unmittelbar bevorstehende Königsherrschaft Jahwes auf Erden, die sog. Zeitenwende, mit der dann auch die römische Fremdherrschaft zu Ende gehen sollte. Jesus stellte seinen unterpriviligierten Anhängern eine besonder Rolle in der neuen Ordnung in Aussicht.
Für die Zeloten kann man wohl davon ausgehen, dass sich bereits ihre Gründung auf eine direkt erwartete „neue Zeit“ bzw. deren Herbeiführung richtete.

„Jesus“ ist eine literarische Wunder-Figur, die mitten in den Zeloten-Aktionen herumspaziert sein müsste, aber es wird (auffällig!) nichts über Zeloten transportiert (nur winzige Andeutungen).

Man muss sich hierzu die Frage stellen, wie es sein kann, dass so eine komische Darstellung der damaligen Verhältnisse verbreitet werden konnte. Zeitzeugen müssten reagiert haben und die Fragestellung müsste aufgekommen sein, wieso die Zeloten, eine dominante Gruppierung mit analogen Ansichten und Erwartungen, so eigenartig „nicht vorhanden“ dargestellt werden.
=> Fehlanzeige, es scheint so eine Art „Zufriedenheit“ mit der „Jesus“-Legende als Beschreibung der damaligen Zeit zu geben.

Ich denke, genau hier muss man ansetzen, denn es muss eine Motivation dafür geben. Vor dem Krieg ist keinerlei Motivation sichtbar, nach dem Krieg ist sie schier unübersehbar gross.

“sven23“ hat geschrieben:Er kann eine literarische Figur sein. Vieles spricht dafür, aber letztendlich bewiesen ist es nicht.
„Paulus“ ist eine literarische Figur (und zwar ausschliesslich Fan-Literatur!)
Sogar eine sehr komische:
• „gerechtfertigt“ nur durch eine Vision (aber seine Stellung ist fast noch wichtiger als die des Helden bzw. seiner „Menschenfischer“),
• ohne wirkliche Verbindung zum eigentlichen Helden,
• mit aggressiven Auflagen (zumal auch noch viel umfangreicher als die des Helden) und
• zusammengestöpselten Textabschnitte, die nicht wirklich aus demselben Hirn stammen können

Wir sind hier Lichtjahre von Geschichtsdaten entfernt – es ist sogar eher der Punkt, der am weitesten davon entfernt ist.

Der literarische Status ist bewiesen, denn nur so liegt diese Figur vor.
Der Übergang zu „beachtenswerten Geschichtsdaten“ ist nirgendwo erkennbar – auch wenn die Anhänger seit langer Zeit dieses Theater aufführen.

Die Bibeltexte sind religiöse Auflagen, die entlang von angedeuteten historischen Zusammenhängen vermittelt werden sollen. Die Korrektheit dieser Andeutungen ist aber höchst fraglich, denn z.B. führen sie in Bezug auf die Zeloten und die damalige Zeit zu einer kompletten Verklärung (es gab keine Sandalen-Flower-Power-Zeit mit Auftreten genau eines Messias, sondern einen fanatisch gewalttätigen Multi-Messais-Aufruhr) – das ist nicht nur die Abwesenheit von Leistung, sondern es ist regelrecht schlecht, weil es ein falsches Bild vermittelt.

“sven23“ hat geschrieben:Auch Paulus glaubt, die Wiederkunft Jesu noch zu seinen Lebzeiten zu erleben.
Die „Paulus“-Texte sehen für mich sehr „zelotisch“ aus.
Man darf auch nicht vergessen, dass es nach dem jüdischen Krieg noch 60 Jahre (bis 135 n.Chr.) zu weiteren Aufständen gekommen ist. Das zelotische Messias-Denken war somit mit dem Krieg (in der Mitte des ersten Jhds) nicht einfach weg, wodurch es eine lange Zeit zu irgendwelchen Texten gekommen sein konnte, die mit der Jesus-Idylle nichts als den Namen (-> Name=Produkt) gemeinsam hatten. (Selbst nach 135 n.Chr. könnten solche Texte noch entstanden sein, denn die Messias-Idee selbst führt zu Aggression und Dominanz)

Die späteren Messias-Begeisterten haben all dies zu einer Suppe zusammengerührt, was man bereits daran erkennt, dass jede römische Verfolgung als „Christenverfolgung“ eingestuft wird, ohne auch nur den leisesten Versuch einer Analyse, was denn hier für Messias-Anhänger verfolgt wurden.

Ich denke, wir stehen vor einem Verklärungskunstwerk, an dem viele fleissige Händchen mitgearbeitet haben.
Mit „Paulus wollte…“ und „Paulus dachte…“ springt man quasi auf deren „Karussell“ auf.

“sven23“ hat geschrieben:Die Flower-Power-Idylle kommt ja sicher nicht von den Paulusbriefen, sondern von den Evangelien, besonder von Matthäus
Die „Gläubigen“ versuchen aber zwanghaft die Liebes-Idee über die offensichtliche Aggression zu stülpen. So erklärt sich auch das Auftauchen des „Hohe Lieds der Liebe“, das nie und nimmer aus demselben Ohrenzwischenraum wie die Kapitel davor und danach stammen kann.

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