“sven23“ hat geschrieben:Verstehe ich nicht. Die Zelotenbewegung soll gegen die Historizität von Jesus sprechen?
Ja, und zwar in einem ganz enormen Umfang.
Mir scheint es ein wichtiger Punkt zu sein, dass die Möglichkeit „einer Extraktion von historischen Daten“ aus den Bibel-Texten nicht wirklich von „den Forschern“ geklärt ist. Sie starten quasi mit dieser Möglichkeit, aber sie klären sie nicht ab.
Ich sehe die „Zelotenbewegung“ als die beste Möglichkeit an, die historische Tauglichkeit der „Neue Testament“-Texte zu prüfen.
Die Details zur Bewegung werden von „Flavius Josephus“ geliefert, in den Bibel-Texten erfahren diese Details grobmotorische Erwähnung, was man immerhin als „Bestätigung“ ansehen kann.
Laut „Flavius Josephus“ liegt die Gründung der Zelotenbewegung ca. im Jahre 6 n.Chr. und geht auf Konflikte/Spannungen mit dem Herodes-Clan und die römische Volkszählung/Ausbeutung zurück. „Judas der Galiläer“ ist die Gründungsfigur, der rund um die Konflikte zum ersten Mal eine Art religiöser Anführer-Dynastie errichten kann (Söhne, Enkel mit messianischen Ansprüchen, römischen Kreuzigungen, bis hin zu „Menachem“ und seinem Einzug in Jerusalem, samt Verrat durch die Tempelprister, dem Abwenden des Volkes und seinem Untergang).
Da die Bibel diese Daten (zumindest manche) grob enthält, kann man hierbei von einer Art „Bestätigung“ ausgehen.
Der Text von „Flavius Josephus“ ist kein Wundertext und der Propagandaverdacht geht nicht in Richtung „Verklärung des jüdischen Glaubens“. Die Motivationslage zu den Details kann somit als relativ „normal“ angesehen werden => die Daten von „Flavius Josephus“ (was die Zelotenbewegung betrifft) können durchaus als Geschichtsdaten eingestuft werden.
Nun die entscheidenden Punkte:
1.
Die Zelotenbewegung ist eine Messias-Bewegung. Die Reinheit des jüdischen Volkes (im Sinne von „Befolgen des Gesetzes“) und die Hoffnung auf das Religionsthema „Unterstützung durch Gott in Form eines Messias“ ist die einigende Kraft, so dass sich die Zelotenbewegung mit Erfolg in ganz Palästina ausbreiten und zwei Generationen lang halten konnte.
2.
Anhänger der Zelotenbewegung wurden von den Römern verfolgt, gejagt, gefoltert und hingerichtet -> gekreuzigt, geköpft, verbrannt, in der Arena für das Publikum umgebracht (vermutlich gemartert und wilden Tieren vorgeworfen), wobei sie das Martyrium bis zur Bewunderung durch „Josephus“ auf die Spitze getrieben haben.
3.
Nach dem ersten jüdischen Krieg, geht das Messias-Thema noch 70 Jahre weiter und es brechen immer wieder neue Aufstände (Kriege) aus, d.h. die Gewaltausrichtung der Messias-Anhänger setzt sich fort.
Für das Neue Testament gilt:
1.
Es ist dasselbe religiöse Messias-Thema.
2.
Die Erzählung soll sich in genau derselben Zeit und derselben Umgebung abspielen, wie die Zelotenbewegung.
3.
Die Geburt des Helden „Jesus“ soll exakt auf dem Gründungszeitpunkt der Zelotenbewegung liegen, angegeben über einen Konflikt mit dem Herodes-Clan und einer gewissen „römischen Volkszählung“. Diese Daten spielen im Grunde für die „Jesus“-Figur keine grosse Rolle, sind aber dennoch angegeben.
4.
Die Zelotenbewegung wird im neuen Testament nur an wenigen Stellen über den Namen angegeben. Es gibt dort
keinen Hinweis darauf, dass dies eine Messias-Bewegung (ja sogar die dominanteste und erfolgreichste Messias-Bewegung) ist.
5.
Die Gewaltausrichtung der Zeloten-Messias-Bewegung wird nie thematisiert. Es wird stattdessen so getan, als ob Messias-Anhänger nur mit Liebe- und Harmlosigkeit unterwegs sind.
6.
Geschehnisse in der „Jesus“-Legende liegen eigenartig nahe an Geschehnissen rund um Zeloten-Anführer (-> z.B. „Menachem“).
Für die christliche Literatur (der ersten Jahrhunderte) gilt:
1.
Die Zeloten werden nie als Messias-Bewegung thematisiert (im Grunde werden sie überhaupt nicht thematisiert).
Es erfolgt nie eine Abgrenzung zu den Zeloten auch nicht zu deren Gewalt, obwohl dies der wesentliche Unterschied zur „Jesus“-Messias-Idee ist.
Für die Christen gab es nur diesen einen Messias („Jesus“), der in einer Messias-neutralen Umwelt herumspazierte und von Rom (bzw. wahlweise auch „durch die Juden“) ungerechterweise hingerichtet wurde.
2.
Die Zerstörung des Tempels und die apokalyptische Verhaltenweise der zelotischen Gruppen beim Untergang Jerusalems spielte nie eine Rolle (z.B. als „Gefahrenpotential in der Messias-Idee“).
Für die Christen ist „der Vorhang im Tempel zerissen“, ein Vorgang, den es historisch nie gab.
3.
In Bittschreiben an den römischen Kaiser „die Messias-Anhänger nicht zu verfolgen auch wenn sie den Kaiser nicht anbeten“ wird
nicht auf zwei Gruppen von Messais-Anhängern hingewiesen (Motto: das eine sind Zeloten, das andere „Jesus“-Anhänger).
Für die „Jesus“-Christen wurden durch Rom nur „Jesus“-Christen verfolgt, reine Liebes- und Friedensanhänger.
4.
Das Martyrium wird zu einer Art „christlichem Argument“ für die Korrektheit des Glaubens.
5.
Es tauchen von Christen abgeschriebene Texte auf, in denen Passagen hinzugefügt bzw. umgeformt wurden, um eine Art „Historizität“ vorzutäuschen.
FAZIT:
1.
Das Ignorieren der Zeloten-Bewegung, bei gleichem Messias-Thema, ist bereits eine enorme Auffälligkeit in den Bibel-Texten, die jeden Historizitätsanspruch in Gefahr bringt.
2.
Die eigenartigen Überschneidungen des Zeitpunktes (um das Jahr 0) und der Rahmenumstände (Herodes-Clan / römische Volkszählung) legen nahe, dass Historizität „absichtlich verbogen“ wird.
3.
Die christliche Einstufung der römischen Verfolgung zu einer „Verfolgung von harmlosen Christen“ zeigt auf, dass keinerlei Interesse an einer korrekten Darstellung der Vergangenheit besteht.
4.
Die christlichen Textänderungen zeugen von der Absicht einer „künstlichen Verankerung in der Vergangenheit“.
In Kombination mit dem Untergang des Messias-Aufstandes, der Verfolgung, der Vertreibung und des Schockzustandes, der in den überlebenden Flüchtlingen (der jüdischen Kriege) geherrscht haben muss, sind diese Wundertexte
nicht über ihren Inhalt historisch verwertbar.
Diese Texte sind eher Verklärungen mit Multimotivationshintergründen.
“sven23“ hat geschrieben:Die Paulusbriefe (zumindest die "echten") und das Markusevanglium sind aber vor der "Geschichte des jüdischen Krieges" entstanden.
Damit diese Aussage möglich wird, musst du eine enorme Geschichtsbuch-Verlässlichkeit voraussetzen.
Vorausgesetzt wird, dass die Vergangenheitswiedergabe derart akkurat ist, dass bereits das Fehlen von historischen Angaben zur Datierung verwendet werden kann.
Fehlt im Markus-Evangelium ein Hinweis auf Geschehnisse, dann wird das Evangelium von den „Forschern“ kurzerhand vor diese Ereignisse datiert.
=> Die inhaltsbezogene Datierung geschieht ausschliesslich über die Ansicht, dass es sich bei den Texten um ein Geschichtsbuch handelt und zwar um ein aussergewöhnlich gutes.
(
hier eine kleine Aufstellung der Datierungszusammenhänge)
Nun sind wir uns aber ja einig, dass die Bibel kein Geschichtsbuch ist, was natürlich niemals dazu führen darf, dass man die Texte wie ein Geschichtsbuch einsetzt.
Hier zeigt sich
das Märchenland der „Forscher“.
Wenn man das Wort „Wissenschaft“ und die dortigen Qualitätsauflagen ausser Acht lässt, dann ist dieses Theater schon irgendwie verständlich, denn der Hauptkundenkreis für das Verkaufen von solchen „Erkenntnissen“ besteht nun einmal aus „Gläubigen“ (egal ob der „Forscher“ in einer kirchlichen Organisation ist oder nicht).
Interessant ist ja auch, dass dieses „Geschichtsbuch-Theater“ nicht konsequent durchgezogen wird, denn wenn die Zeloten nicht erwähnt sind, oder es so aussieht, als wüsste der Schreiber nicht, wer die Zeloten sind, dann müssten unsere „Forscher“ (auf Basis des Fehlens dieser Inhalte) die „Geschichtsbuch-Texte“ vor die Zelotenzeit katapultieren. Natürlich ist es dabei „maximal ungünstig“, dass der Geburtszeitpunkt, der Zelotenbewegung genau auf den behaupteten Geburtszeitpunkt der „Jesus“-Figur fällt
-> sagen wir also einfach „das Markus-Evangelium ist
vor Jesus entstanden“, denn es kennt keine Zeloten
Natürlich ist das Nicht-Vorkommen der Zelotenbewegung in der „Jesus“-Legende ein klares Zeichen für eine viel spätere „Ausgestaltung“, so spät dass die „christlichen Schreiber“ sich entweder nicht mehr an ihre Wurzeln erinnern konnten oder nicht mehr erinnern wollten.
Flucht, Verfolgung und Kriegs-Niederlagen-Schock sind vermutlich die Motivationsgewürze in dieser (Text-)Suppe.