sven23 hat geschrieben:Münek hat geschrieben:In der Hiobsdichtung kommt Gott ganz, ganz schlecht weg. Ich frage mich,
aus welchem Grund dieses Buch mit diesem negativen Gottesbild von den
Juden in den alttestamentlichen (hebräischen) Kanon (etwa im Jahr 100 n.
Chr.) aufgenommen wurde?
So ist es. Mir ist auch schleierhaft, wie man einen Gott mit so einer negativen PR überhaupt erschaffen konnte. Hiob ist ja kein Einzelfall. Sintflut, Abrahams Kindesmord und viele ungezählte Graumsamkeiten und Gewaltaufrufe sind Zeugnis für ein sehr bizarres Gottesbild.
Virginia Wolf empfand es ähnlich:
Ich habe gestern abend das Buch Hiob gelesen – Gott kommt darin nicht sonderlich gut weg.
(Virginia Woolf, brit. Schriftstellerin, 1882-1941)
Trotzdem verteidigen heutige Gläubige oft dieses Gottesbild. Der einzige Grund dafür ist wohl,
weil es so in der Bibel steht, da verbietet sich von selbst jeder Zweifel und jedes Nachdenken.
Ich befürchte, dass das Buch Hiob noch stärker akzentuiert, als Virginia Woolf. In der Rahmengeschichte (Märchen) wird ganz klar Gott als Urheber des Elends dargestellt.
So ein Vers wie 2, 3 "Der Herr sprach zum Satan: Hast du auf meinen Knecht Ijob geachtet? Seinesgleichen gibt es nicht auf der Erde, so untadelig und rechtschaffen; er fürchtet Gott und meidet das Böse. Noch immer hält er fest an seiner Frömmigkeit, obwohl du mich gegen ihn aufgereizt hast, ihn ohne Grund zu verderben." nimmt zumindest jede Schuldzuweisung von Hiob hinweg.
Ich bin sogar leidenschaftlicher Fan von diesem Gottesbild. Das ist doch gerade das Tolle an der Hiobgeschichte, dass nicht mehr der Mensch zum Letztverantwortlicher des Elends gemacht wird, sondern dass hier ganz klar geschrieben wird: Das Elend kommt von Gott - und zwar nicht als Strafe. Es gibt an Hiob nichts, was was dieses Elend rechtfertigen würde. Seinesgleichen gibt es nicht auf Erden. Wollte Gott strafen, müsste er bei allen anderen ansetzen, aber bitteschön doch nicht bei Hiob.
Es findet hier keine Verteufelung des Menschen statt - nicht einmal in dem abstrusen Rahmenmärchen.
Gott steht in der Hiobsgeschichte nicht als der da, dessen Liebe und Gerechtigkeit man einfach so aus dem Text ablesen könnte.
Im Gegenteil: Hiobs Vorwürfe an Gott, dass er ungerecht sei, dass er ihn im Stich lasse - diese Vorwürfe werden explizit aufgegriffen und durchgearbeitet.
Die Liebe und Gerechtigkeit Gottes kommen erst am Ende des Hauptteils - und auch dort nicht als etwas, was man augenscheinlich ablesen könnte.
Sondern: Auch die Liebe und Gerechtigkeit Gottes können von Hiob nur als geheimnisvolle Ahnung verstanden werden. Dass Gott - und zwar trotz allen sinnenfälligen Augenscheins - dennoch Grundlage der Heilshoffnung sein könnte.
Und so ist es doch auch im wahren Leben. Auf die Frage: "Warum mutet Gott diesem braven Manne / dieser braven Frau so ein Elend zu?" gibt es keine griffige Antwort. Auch hier, im wahren Leben, bleibt die Frage offen, ob das noch irgendwas mit Gerechtigkeit oder Liebe Gottes zu tun habe.
Es steht einem nichtgläubigen Leser total offen, Hiob für naivgläubig zu halten. Jeder kann sagen: "Hiob, vertrau Du mal auf Deinen Gott. Ich glaube: Da gibt es überhaupt nichts. Keinen Gott, keine Liebe und keine Gerechtigkeit."
Die Geschichte antwortet darauf: Aber der Hiob lässt sich durch all diese berechtigten Einwürfe nicht irre machen. Er glaubt trotzdem und zwar blind. Zumindest was die äußeren Fakten angeht. Nicht blind allerdings, was seine Hoffnung angeht. "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!" ist nämlich auch so ein gigantischer Satz. Gesprochen mitten im tiefsten Elend.