Pluto hat geschrieben:
Zum Glück war das Christentum in Europa bereits früh etabliert, sodass die vielen Mönche in den Klöstern Europas, mehr aus Langeweile als aus Absicht, fast alle damals verfügbaren Schriften ins Latein übersetzt hatten. So waren die Folgen des Brandes von Alexandrien weit weniger Schlimm als erwartet: Das Wesentliche an Wissen war, dank der Akribie der Mönche, vor den Flammen gerettet, auch wenn das Wissen Anfangs streng gehütetes Geheimnis der Kirche war (vgl. "Der Name der Rose") so wurde es zur Grundlage der europäischen Vorherrschaft ausgebaut.
Zu diesem Thema sehe ich das Christentum allerdings wesentlich kritischer als du (oder Umberto Eco, den ich ansonsten sehr schätze).
Es ist kaum jemandem bekannt, aber das frühe Christentum war zu einem wesentlichen Anteil an einem gewaltigen, katastrophalen Bücherverlust in der Antike mitverantwortlich und an einem grandiosen Verlust von antikem Technikwissen und Kultur.
Ich enthalte mich normalerweise jedem Christen-Bashing, wie es unter den Neuen Atheisten sehr verbreitet ist, aber diese Kulturkatastrophe verzeihe ich dem Christentum nicht.
Von manchen Historikern und christlichen Vertretern unserer Zeit, wird das positive Bild vermittelt, in den christlichen Klöstern sei durch das Kopieren von Schriften die antike Kultur sozusagen von den Mönchen gerettet worden. Das Gegenteil ist aber der Fall.
In Wiki gibt es hierzu einen hervorragenden Artikel über den
Bücherverlust in der Spät-Antike. Dieser Artikel ist nicht zuletzt deshalb so gut, weil er sehr sehr kompetent und differenziert ist, denn es gibt natürlich viele Gründe, warum Bücher und Wissen im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen sind. Sie reichen vom Zerfall der Schriften, über christliche Bücherverbrennungen bis zur Völkerwanderung.
Tatsache ist, dass es in der Antike eine Vielzahl an Bibliotheken gab, öffentliche wie sehr umfangreiche private. Allein der Bestand der Bibliothek von Alexandria umfasste zu ihrer Hochzeit 47 v.Chr. etwa 700 000 Schriftrollen. Insgesamt wird der antike Schriftrollen- bzw. Papyri- und Pergamentenbestand auf etwa 1 Million Schriften geschätzt!
Wenn dagegen ein mittelalterliches Kloster einige Hundert Handschriften besaß, dann galt es bereits als sehr reich.
Ein wesentlicher Grund für den unglaublichen Bücherverlust in der Spätantike war ein fanatisierter christlicher Mob, der alles verbrannte, was z.B. irgendwie nach Zauberliteratur aussah oder eben nicht-christlich war. Da dieser christliche Mob in der Regel eben nicht lesen und schreiben konnte, wurden auch Bücher über Mathematik, Physik und Naturphilosophie einfach verbrannt bzw. die Bibliotheken zerstört. Zahllose Tragödien und Komödien der antiken Autoren sowieso, denn sie waren ja unchristlich und nur zur Unterhaltung gedacht, also nicht zur geistlichen Belehrung.
Die privaten Besitzer großer Handschriftenbestände wurden mit dem Tode bedroht, weil sie heidnische Literatur besaßen, was dazu führte, dass die meisten von ihnen ihre Schriftbestände selbst vernichteten.
Die 2. Poetik des Aristoteles, zahllose naturphilosophische und wissenschaftliche Werke zur Mathematik, Medizin, Astronomie, Physik, Biologie, Grammatik, Erdkunde, Historie etc. und zahllose Tragödien und Komödien des Sophokles, des Euripides und manchmal sogar das gesamte Schriftgut anderer, nur dem Namen nach bekannter Autoren, ging so verloren. Ach, ich darf gar nicht daran denken, weil mich diese kulturelle Tragödie so fürchterlich deprimiert und aufgregt.
Die wenigen antiken Schriften, die schließlich doch noch in den Klostern landeteten, wurden oftmals von den Mönchen getilgt und die wertvollen Pergamente dann neu, mit irgendwelchen banalen Bestandslisten der klösterlichen Eigentümer oder den Elaboraten der Kirchenväter überschrieben (so genannte
Palimpseste). Heute wird der ursprüngliche antike Text dieser überschriebenden Pergamente durch aufwändige Verfahren wieder lesbar gemacht, weil der Ursprungstext viel kostbarer ist, als der Unsinn, mit dem er überschrieben wurde!
Auch fast das gesamte technische Wissen der Antike, welches erheblich war, ging nicht zuletzt aus diesem Grund verloren. Wie ich an anderer Stelle schon schrieb, verfügte der
Mechanismus von Antikythera über ein Planetengetriebe, welches erst 1000 Jahre später weit weniger komplex neu erfunden werden musste. Unglaublich viel mathematisches, physikalisches, technisches und astronomisches Wissen ging wegen eines fanatischen Christentums verloren. Man vermutet, dass alles, was mechanisch realisierbar war, in der Antike tatsächlich technisch realisiert worden ist, in vielfältigen Maschinen und Konstruktionen.
Nein: das Christentum hat wesentlich mehr Kultur vernichtet, als es neu geschaffen hat. Im Gegenteil hat das Christentum den Fortgang der Naturwissenschaften, der Philosophie und der Literatur sogar auf vielfältige Weise aktiv blockiert. Hätte es das frühe Christentum nicht gegeben, könnten wir wissenschaftlich und medizinisch ca. 1000 Jahre weiter sein.