“sven23“ hat geschrieben:Aber die saubere Anwendung der historisch-kritischen Methode ist Garant für wissenschaftliche Qualität.
Das gilt
nur für den Bereich der Textzusammenhänge,
nicht für das Verhältnis „Text zu Realität“.
“sven23“ hat geschrieben:Das sehe ich anders. So wie Sagen, Mythen und Legenden einen historischen Kern haben können, mal mehr, mal weniger, so haben wir es bei der Bibel mit der Vermischung von historischem mit unhistorischem zu tun. Nicht alles, was in der Bibel berichtet wird, ist historisch und nicht alles, was historisch ist, hat Eingang in die Bibel gefunden.
Hier ist Differenzierung angesagt und dabei spielt auch die Entwicklung der Texte eine wichtige Rolle. Wenn später enstandene Texte neue Wunder und Geburtslegenden enthalten, die der älteste Evangelist nicht erwähnt, dann kann man davon ausgehen, dass er diese selbst erfunden hat, usw.
Für die Versionsentwicklung von vorliegenden Textvariationen kann man wissenschaftlich nachvollziehbare Zusammenhänge aufstellen und damit eine gewisse Wahrscheinlichkeit in der Korrektheit erreichen – kein Problem.
Springt man aber vom Reden über den Text zu einem Theaterspiel, bei dem man Textanteile in die Realität verlagert, dann ist dies wissenschaftlich schlicht
nicht möglich. Es gibt kein Verfahren, mit dem man hierzu irgendwelche Treffer sicherstellen könnte.
Textzusammenhänge bilden einen virtuellen Raum, der
nicht aus dem Text heraus verlassen werden kann.
Virtualität ist quasi ein Hochsicherheitsgefängnis. Stehen nur Möglichkeiten aus dem „Innenraum“ zur Verfügung, dann gibt es kein „Aussen“ und auch keinen Übergang nach „Aussen“.
“sven23“ hat geschrieben:Natürlich haben Paulus und die Evangelisten (und zahlreiche spätere Redaktoren) geflunkert, dass sich die Balken biegen.
Der irdische Jesus der Überlieferung wollte nun so gar nicht zu einer Messiasgestalt oder gar einem Gott passen, das wurde sehr bald in den Gemeinden deutlich.
Es ist ein Märchen an dem du da gerade herumdokterst.
Tatsache ist, dass die Messias-Idee unter Einsatz aller möglichen Kräfte auf die Ereignisspitze getrieben wurde (beispiellose Martyrien haben sie auf sich genommen, unsere Zeloten) und dennoch ist es vollständig gescheitert.
Das ist ein historisches Religions-Grossereignis, das definitiv Spuren hinterlassen haben muss – eine neue Religion ist quasi das Mindeste, was sich bei den Überlebenden mit gescheitertem Messias-Fanatismus gebildet haben muss.
Läst du einen „Jesus“ auf die Art des Neuen Testamentes vor dem Krieg herumspazieren, dann soll das historische Grossereignis keinerlei Auswirkung gehabt haben, die Anhänger haben es quasi nicht wirklich mitbekommen und staunen immer noch über „den zerrissenen Vorhang“ – so etwas kann man nicht ernsthaft Wissenschaft nennen.
“sven23“ hat geschrieben:Eine jenseitige Gottesreichvorstellung ist nicht jüdisch, sondern spätere, christliche Umdeutung
Wenn du unter „christliche Umdeutung“ die auf Desillusionierung basierende Ideen-Umformulierung der besiegten und vertriebenen Zelotenfanatiker (immerhin Messias-Anhänger!) verstehst, dann sind wir nicht weit auseinander.
Soll diese Umdeutung allerdings von einer unsichtbaren Gruppierung ohne ersichtliche Gründungsmotivation (ausser „folget mir, ich mach euch zu Menschenfischern“) stammen, dann sind wir weit auseinander, denn mit Wissenschaft hat dies nichts zu tun.
“sven23“ hat geschrieben:Die Bibel ist kein Geschichtsbuch, trotzdem können die darin vorkommenden Personen historisch exitistiert haben. Bei römischen Kaisern, Pontius Pilatus, Herodes usw. besteht da ja auch kein Zweifel. Trotzdem muss das, was sie angeblich gesagt oder getan haben, nicht historisch sein.
Nirgendwo geht es bei diesen Figuren um Religionsliteratur als einzige „Quelle“.
Bei den Hinweisen auf diese Leute muss man nicht durch „Wunder“, „Dämonen“, „Engel“ und sonstige Luft- und Hauchnummern „hindurch“ schauen. Zu diesen Leuten mögen hin und wieder auch derartige Texte auftauchen, aber es gibt dennoch Alternativen mit normaler Motivation.
Es gibt Querverweise aus unterschiedlichen Motivationen heraus, es gibt Hinterlassenschaften.
Das ist ein ganz anderes Umfeld, als es durch eine religiöse Fanliteratur geliefert werden kann.
“sven23“ hat geschrieben:Wäre es dir lieber, wenn der Wanderprediger eine rein literarische Erfindung wäre? Was würde sich ändern?
Beim Einnehmen einer wissenschaftlichen Position geht es nicht darum, was einem lieber wäre, sondern was man wissenschaftlich als Lösungspotential vertreten kann. Einen Glaubenssprung einzubauen ist ein NoGo.
Was würde sich ändern, wenn ein erwachsener Gläubiger sich mit dem Märchencharakter seines Glaubens beschäftigen müsste?
Was würde sich ändern, wenn sich die Jesus-Christen zum ersten Mal mit der eigenartigen auffälligen Ähnlichkeit der Zeloten, samt Fehlen der „Urchristen“ beschäftigen müssten?
Was würde sich ändern, wenn man auf Tisch legen muss, dass aus der Messias-Idee automatisch Gewallt hervorgeht?
Es kann sein, dass dies alles an den Glaubensvereinen nichts ändern würde, aber an dem Schmierentheater, dass diese Vereine ein Glaubens-Bein im Wissenschaftsbetrieb haben und auch dort ihren Glaubenssport fortsetzen, würde sich enorm etwas ändern.
“sven23“ hat geschrieben:Was er angeglich gesagt oder getan hat, ist eine ganz andere Geschichte.
Die Quintessenz des Ganzen ist doch folgende: egal, ob er historisch existiert hat oder nicht: der Jesus der Evangelien hat nie existiert, so daß man mit Fug und Recht sagen kann: das Christentum basiert auf einer unhistorischen, literarischen Fiktion.
Tatsache ist, die Jesus-Christen beschäftigen sich
nicht mit den Zeloten, nicht mit den Gewaltakten vor dem Krieg, nicht mit Gewaltakten im Krieg, nicht mit dem Scheitern des Messiaskonzeptes.
Sie gehen von einem versteckten „Urchristentum“ aus und vermeiden es, sich mit dem Gewaltpotential ihrer Religion auseinanderzusetzen.
Was ändert sich für einen Jesus-Gläubigen, wenn seine Friedens- und Liebesillusion zerplatzt?
“sven23“ hat geschrieben:Früher wurde manchmal die Ansicht geäußtert, Jesus könnte Teil der Zelotenbewegung gewesen sein. Zwei seiner Jünger waren ja Zeloten.
Dagegen spricht, dass Zeloten Gewalt als legitimes Mittel zum Widerstand gegen die römische Besatzung ansahen. Der Jesus der Evangelien lehnt Gewalt ab.
Schon vergessen: Die Bibel ist kein Geschichtsbuch => wir gehen also nicht davon aus, dass der „Jesus“-Messias zwischen Zeloten herumspaziert ist.
Es kann wissenschaftlich nur darum gehen, warum die Evangelien-Texte
nach dem Krieg,
nach den zelotischen Unruhen, samt Totalverlust und Untergang mit einer Friedenshaltung auftauchen.
Den Bezug zwischen Krieg und Auftauchen dieser Texte gar nicht herzustellen (Motto: „die Texte gab es davor schon mündlich“), kann nicht Aufgabe einer Wissenschaft sein – dummerweise haben wir aber von unseren „Forschern“ genau diese Glaubensbehauptung vorliegen.