Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

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JackSparrow
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#1421 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von JackSparrow » So 9. Aug 2020, 09:05

sven23 hat geschrieben:
Sa 8. Aug 2020, 20:06
Die Forschung ist sich aber ziemlich einig, dass es keine echte Prophezeiung ist, sondern wie so oft eine Rückprojektion, eine Vaticinium ex eventu
Selbstverständlich ist eine Rückprojektion. Das gleiche Muster zieht sich durchs gesamte Alte Testament. Ausgesuchte historische Ereignisse werden von Propheten vorhergesagt, um sie dann zum göttlichen Plan für Israel umzudeuten.
 
Es gab ja scheinbar zu dieser Zeit viele religiöse Spinner. Die Bibel selbst nimmt ja Bezug darauf, indem die Evangelisten Jesus vor falschen Propheten warnen lassen.
Der Prophet, der bei Josephus die Zerstörung des Tempels prophezeit und vom römischen Präfekten verhört wird, trägt den Namen Jesus.

Betreibt hier Josephus als jemand, der römisches Bürgerrecht genießt, nicht auch ein wenig pro Domo Geschichtsschreibung?
Ja, genau wie die Evangelien. Das Neue Testament ist die Fortsetzung des Alten Testaments aus der Sicht des Flavius Josephus, Jesus ist der neue Prophet, der den römischen Kaiser als Messias propagiert, und ein paar eingestreute historische Ereignisse dienen als Rahmenhandlung.

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sven23
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#1422 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » So 9. Aug 2020, 10:25

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 8. Aug 2020, 12:28
“sven23“ hat geschrieben: Verstehe ich nicht. Die Zelotenbewegung soll gegen die Historizität von Jesus sprechen?
Die Zeloten werden nie als Messias-Bewegung thematisiert (im Grunde werden sie überhaupt nicht thematisiert).
So wie es kein einheitliches Judentum gab, gab es auch keinen einheitlichen Messiasbegriff. Das Zelotentum, also der Weg der Gewalt, war ja gescheitert. Damit wollte man sich nicht mehr beschäftigen. Mag sein, dass in Bezug auf Jesus eine Umorientierung in Richtung Gewaltlosigkeit stattgefunden hat. Manche haben ja auch versucht, Jesus in Richtung der Essener anzusiedeln.

https://www.welt.de/geschichte/article168007967/Der-Wahnsinn-der-Fanatiker-vernichtete-Jerusalem.html


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 8. Aug 2020, 12:28
In Bittschreiben an den römischen Kaiser „die Messias-Anhänger nicht zu verfolgen auch wenn sie den Kaiser nicht anbeten“ wird nicht auf zwei Gruppen von Messais-Anhängern hingewiesen (Motto: das eine sind Zeloten, das andere „Jesus“-Anhänger).
Die Jesusbewegung zu Lebzeiten Jesu war eine rein innerjüdische Sekte. Nach seinem Tod wurde daraus eine neue Bewegung, vor allem geprägt durch Paulus. Die Abgrenzung zum Judentum und Hinwendung zu heidnischer Missionierung war logisch und folgerichtig, wenn man auf Expansion aus war. Denn für gläubige Juden war ein als Verbrecher Hingerichteter kein Messias und die Vergottung war reinste Blasphemie.
Aber in der Wahrnehmung der Römer war auch die neue, christliche Sekte eine jüdische. So hat man nicht nur Christen aus Rom ausgewiesen, sondern alle Juden.

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 8. Aug 2020, 12:28
Das Ignorieren der Zeloten-Bewegung, bei gleichem Messias-Thema, ist bereits eine enorme Auffälligkeit in den Bibel-Texten, die jeden Historizitätsanspruch in Gefahr bringt.
2.
Die eigenartigen Überschneidungen des Zeitpunktes (um das Jahr 0) und der Rahmenumstände (Herodes-Clan / römische Volkszählung) legen nahe, dass Historizität „absichtlich verbogen“ wird.
3.
Die christliche Einstufung der römischen Verfolgung zu einer „Verfolgung von harmlosen Christen“ zeigt auf, dass keinerlei Interesse an einer korrekten Darstellung der Vergangenheit besteht.
Wir waren uns doch darin einig, dass die Bibel kein Geschichtsbuch ist. Dann darf man aber auch nicht die mangelnde historische Korrektheit beklagen.
Weder wollten die Schreiber historisches Geschehen korrekt wiedergeben noch eine Biografie von Jesus abliefern. So sagte Paulus schon: der Jesus im Fleische geht uns nichts an.
Erst posthum verlangte man in den Urgemeinden nach mehr Informationen über den Protagonisten der neuen Bewegung. Die Evangelisten und spätere Redaktoren und erst recht die Verfasser der Apokryphen bemühten sich nach Leibeskräften, diese Lücken zu füllen.


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 8. Aug 2020, 12:28
“sven23“ hat geschrieben: Die Paulusbriefe (zumindest die "echten") und das Markusevanglium sind aber vor der "Geschichte des jüdischen Krieges" entstanden.
Damit diese Aussage möglich wird, musst du eine enorme Geschichtsbuch-Verlässlichkeit voraussetzen.
Vorausgesetzt wird, dass die Vergangenheitswiedergabe derart akkurat ist, dass bereits das Fehlen von historischen Angaben zur Datierung verwendet werden kann.
Fehlt im Markus-Evangelium ein Hinweis auf Geschehnisse, dann wird das Evangelium von den „Forschern“ kurzerhand vor diese Ereignisse datiert.

=> Die inhaltsbezogene Datierung geschieht ausschliesslich über die Ansicht, dass es sich bei den Texten um ein Geschichtsbuch handelt und zwar um ein aussergewöhnlich gutes.
(hier eine kleine Aufstellung der Datierungszusammenhänge)
Bei den Datierungen der Evangelien ist ja eine Tendenz ziemlich eindeutig: wer glaubensideologisch unterwegs ist, der ist an einer möglichst frühen Datierung interessiert, damit Prophezeiungen als echte Prophezeiungen erscheinen sollen. Die heutigen Mehrheitsdatierungen der historisch-kritischen Forschung machen durchaus Sinn, denn vom ältesten Evangelium, dem Markusevangelium, bis hin zu jüngsten, dem Johannesevangelium ist eine klare Tendenz ablesbar: Der Mensch Jesus wird immer mehr verklärt und vergottet, unterliegt also einem geschichtlich gewachsenen Prozess.

https://de.wikipedia.org/wiki/Evangelium_(Buch)


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 8. Aug 2020, 12:28
Nun sind wir uns aber ja einig, dass die Bibel kein Geschichtsbuch ist, was natürlich niemals dazu führen darf, dass man die Texte wie ein Geschichtsbuch einsetzt.
Richtig.

Mit Elan und Optimismus ging man an die Aufgabe heran herauszufinden, wer dieser
Jesus wirklich gewesen ist. Man wollte ihn sehen, wie er wirklich war, aus den Fesseln
der Dogmatik befreit. Und die Aufgabe schien lösbar. Indem man Schicht für Schicht der
Überlieferung abtrug, müsste man doch, so glaubte man, zum historischen Kern
vordringen, würde Jesus selbst als der erscheinen, der er gewesen war. Und die Quellen,
das war klar, konnten nur die drei synoptischen Evangelien sein. Hier musste der
historische Jesus sich zeigen. So schildert der spätere Lambarene-Arzt und Theologe
Albert Schweitzer in seiner Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (1913) viele Versuche
von Theologen, des historischen Jesus habhaft zu werden, und muss am Ende doch das
Scheitern dieser Versuche konstatieren. Der historische Jesus lässt sich nicht mehr
freilegen, und die Versuche der Theologen spiegeln nur zu sehr deren eigene
Erwartungen wider.
Die Evangelien werfen, wenn überhaupt, nur ein arg getrübtes Licht auf das, was dort
vor 2000 Jahren wirklich vor sich ging. Schon die synoptischen Evangelien erwiesen sich
als so durchsetzt mit Glaubenszeugnissen der Gemeinde, dass der historische Jesus
bestenfalls am Rande noch sichtbar wurde. Das historische Bewusstsein, bei
zeitgenössischen römischen Historikern durchaus vorhanden, geht den Evangelisten
noch völlig ab, auch Lukas ist da keine Ausnahme. Und an eine Zeit wie die unsrige, wo
man einmal derart faktenversessen sein würde, dachte damals niemand. Die frühen
Christen hatten ihre Gemeinden im Blick und waren auf Verkündigung ausgerichtet. Und
dem Zweck der Verkündigung ordnete man die historische Wahrheit unter, wie man an
Hunderten von Stellen noch nachweisen kann. Die Evangelien galten eben noch nicht als
heilige Texte und man ging freimütig mit ihnen um.
Wenn die neutestamentliche Forschung aber dennoch in den 1960er-Jahren die Frage
nach dem historischen Jesus neu gestellt hat, dann sicherlich auch deswegen, weil ihr
nichts anders übrig blieb. Es gibt nun mal keine anderen Quellen über Jesus als die
neutestamentlichen Schriften. Man muss sich auf die morsche Brücke wagen, wenn sie
auch noch so wackelt, vielleicht in der Hoffnung, nur einzelne vorsichtige Schritte
machen zu können, und ohne wirklich damit zu rechnen, dass man die andere Seite je
erreichen wird. Und wenn sich die Aufgabe auch schwerer darstellt als ursprünglichvermutet,
wenn auch die Geschichte der Überlieferung vielfältiger, das Legendenwerk
reichhaltiger, eine Gesamtschau des Lebens Jesu unmöglich bleiben wird, so bestreitet
heute kein neutestamentlicher Forscher mehr, dass sich im Gestrüpp der Überlieferung
zuweilen echte Worte Jesu zeigen und sich historische Geschehnisse widerspiegeln. Und
auch negative Ergebnisse tragen ja in gewissem Sinne zur Erkenntnis bei, so wenn
Überlieferungsgut ausgeschieden werden kann, das eindeutig nicht auf den historischen
Jesus zurückgeht. Es sind auch neue Untersuchungsmethoden, eine verbesserte
Textkritik, die Berücksichtigung der Ergebnisse der religionsgeschichtlichen Schule und
der Formgeschichte, die bei der erneuten Frage nach dem historischen Jesus Halt
gegeben haben.
So soll in den folgenden Kapiteln versucht werden, auf der Grundlage
wissenschaftlicher Forschungsergebnisse zu beschreiben, wer dieser Jesus von Nazareth,
auf den sich die Kirchen berufen und den sie als Herrn und als Gottessohn verkündigen,
vermutlich gewesen und vermutlich nicht gewesen ist, was er geglaubt und was er
vermutlich nicht geglaubt hat. Es versteht sich von selbst, dass dabei nicht auf die
Dogmatiken und Glaubensinhalte der Kirchen oder christlicher Gruppen Rücksicht
genommen werden kann und darf. Allerdings kann man umgekehrt im Nachhinein
fragen, inwiefern der Glaube der Kirchen und christlichen Gruppen denn in
Übereinstimmung zu bringen ist mit den wissenschaftlichen Ergebnissen und den
Quellen. Können sich die Kirchen mit Recht auf Jesus von Nazareth berufen? Lassen sich
ihre Lehren tatsächlich mit ihm in Verbindung bringen? Was kann ehrlicherweise gesagt
werden und was nicht?

Kubitza, Der Jesuswahn

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 8. Aug 2020, 12:28
Natürlich ist es dabei „maximal ungünstig“, dass der Geburtszeitpunkt, der Zelotenbewegung genau auf den behaupteten Geburtszeitpunkt der „Jesus“-Figur fällt
Das genaue Geburtsjahr von Jesus kennt man ja gar nicht. Es gibt da einen Unsicherheitspielraum von einigen Jahren.



 
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1423 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Di 11. Aug 2020, 10:16

“sven23“ hat geschrieben:So wie es kein einheitliches Judentum gab, gab es auch keinen einheitlichen Messiasbegriff. Das Zelotentum, also der Weg der Gewalt, war ja gescheitert.
Die Messias-.Idee ist im Grunde schon einheitlich: „Unterstützung durch Gott, indem ein Anführer erlöst, wobei man dem Anführer folgen muss, bevor er erlöst“.

Die Reduktion der Zeloten auf „Weg der Gewalt“ ist eine „Jesus“-christliche Verklärung.
Die Zeloten waren die Messias-Bewegung schlecht hin.
Es ist ein reines Märchen, dass es daneben die unsichtbare „Jesus“-Bewegung gegeben hat.

Die Bibeltexte enthalten keine Abgrenzung zur Zelotenbewegung, die Frühchristliche Literatur enthält keine Abgrenzung zur Zelotenbewegung.

Warum sollte dies nicht in gewissem Sinne „korrekt“ sein?
Eine Abgrenzung „zu sich selbst“ ist schwerlich möglich.

All diese antiken Dichter und Denker wussten nichts von „zwei Bewegungen“ – warum wollen es die heutigen „Forscher“ besser wissen können?

“sven23“ hat geschrieben:Die Jesusbewegung zu Lebzeiten Jesu war eine rein innerjüdische Sekte. Nach seinem Tod wurde daraus eine neue Bewegung, vor allem geprägt durch Paulus.
Die Frage ist, wo wird für einen historischen „Jesus“-Wanderprediger eine Verklärung aufgebaut?

Gerade die Texte zur literarischen „Paulus“-Figur sind eine Festlegung der Religionsansichten, die nicht auf einen historischen „Jesus“-Wanderprediger zurückgreift. Eigentlich ein komplett schräger Vorgang:
1. Eifer und eine gewalttätige Ausrichtung
2. „zu Boden gehen“
3. „religiöse Idee“ („Vision“)
4. Neuausrichtung -> Messias-Anhängerschaft -> neue Religion
All diese Schritte gehören nicht zum eigentlichen Religionshelden, sondern werden, literarisch, von einer „normalen Menschenfigur“ ausgeführt.

Wenn ich hier einen Schritt zurück mache und mal versuche, den Wald vor lauter Bäumen zu sehen, dann erkenne ich nichts weniger als die zelotische Vergangenheit rund um den/die jüdischen Krieg(e).

Hier wird kein historischer „Jesus“-Wanderprediger überhöht, sondern hier wird legendenhaft ein Vorgang innerhalb der umfassend sichtbaren Messias-Bewegung der Zeloten beschrieben.
Ein Vorgang, den man als „Erbe des Christentums“ bezeichnen kann – hier liegt der Ursprung.

Die „Paulus“-Texte sind von der Qualität her anders, als die „Jesus“-Lebensgeschichten (und wohl auch die „Apostelgeschichte“). Sie sind eigenartig ultimativ und aggressiv, eine Tonlage, die man sich exakt bei den Zeloten vorstellen kann.

Die „Vision“, also „die Eingebung aus der Unsichtbarkeit“, ist erstaunlicherweise ein Merkmal der Gnosis. Dort wird behauptet, dass kein Mensch von alleine auf die tatsächlichen Verhältnisse schliessen könne und es deshalb zu einem Anstoss aus den „höheren Himmeln“ kommen muss (die spätere „christliche Kirche“ wird daraus vermutlich das „heilige Pneuma“ gemacht haben).
Nun werden die „Paulus“-Texte erstmalig in Verbindung mit „Marcion“ erwähnt (einem Sinnstifter, der wohl eher der Gnosis nahe stand – zumindest ähnlich war) und ein interessantes Detail ist, dass die sich ausbreitende katholische Kirche „überall auf Kirchen des Marcion-Christentums“ gestossen ist.
Unter dem Aspekt, dass das Christentum sehr politisch ausgerichtet ist und einfach lokale Begebenheiten „verchristlicht“, könnte aus einer eher gnositischen (Nachkriegs-)Messias-Bewegung eine personalisierte Messias-Bewegung gemacht worden und es so zu den „Lebensläufen“ von literarischen Personen gekommen sein – Motto: „das war nicht nur eine Eingebung, sondern es war eine echte Person“.

“sven23“ hat geschrieben:Die Abgrenzung zum Judentum und Hinwendung zu heidnischer Missionierung war logisch und folgerichtig, wenn man auf Expansion aus war.
Es liegt historisch aber keine Wohlfühlsituation vor, in der sich Religionsstrategen mit Expansion hätten beschäftigen können.

Es liegt ein Gewaltkonflikt vor, eine Kriegsniederlage, eine Vertreibung, eine Zerstreuung im Mittelraum und ein umfassendes Scheitern der Messias-Idee (garniert mit der zelotischen Feindlichkeit, dem Judenanteil gegenüber, der nicht am Widerstand und an der Messias-Ausrichtung teilgenommen hat)

Hier geht es nicht um „Expansion“, sondern um das Aufrechterhalten der religiösen Ausrichtung -> wie kann man den Kriegsschock und das Ausbleiben „des Eingreifens Gottes“ in den zerstreuten Grüppchen (die sich eher verstecken mussten) verarbeiten?

Die literarische „Paulus“-Figur steht für diesen Vorgang: eine Art textuelle Abstimmung zwischen den verstreuten Grüppchen. Sobald es zu Kontakten zwischen den Gruppen kommt, organisiert sich dies quasi von ganz alleine, denn alle teilten die gleiche Problematik in Bezug auf Rom.
Da es im römischen Reich umfangreiche Bevölkerungsanteile mit Problemen in Bezug auf Rom gab (z.B. Sklaven), fand diese „Lösung der zelotischen Probleme“ auch anderweitig Anhängerschaft, es geht ja immerhin um „Erlösung“. Die Verbreitung dieser Idee musste wegen der Verfolgung im Untergrund stattfinden, einer Umgebung, die auch für andere Benachteiligte von Bedeutung war.

Ich denke, es ist nicht notwendig die Legende einer Religionsverschwörung und einer strategischen Überhöhung einer historischen Person aufzustellen – die ganz „normalen“ Kriegs- und Verfolgungsszenarien (bei gleichzeitiger völliger Sichtbarkeit der Messias-Bewegung) reichen vollständig aus.

“sven23“ hat geschrieben:Aber in der Wahrnehmung der Römer war auch die neue, christliche Sekte eine jüdische. So hat man nicht nur Christen aus Rom ausgewiesen, sondern alle Juden.
Die zelotischen Messias-Anhänger waren Juden. Das Messias-Thema ist jüdisch.

Die Abgrenzung zum Judentum, als „wahre Religion“, kann erst in der Nachkriegszeit aus dem Schockzustand heraus erfolgt sein, denn davor und während der Aufstände war es die Idee, dass „Gott seinem auserwählten Volk beim Kampf hilft“, da gab es keine „zwei Religionen“.

Die „Jesus“-Chrsitliche-Sekte hat es nie parallel zu den Zeloten gegeben, sondern die Zeloten sind der Ursprung des „Christentums“ – was bereits von dem Wort „Christentum“ ableitbar ist, weil es alleine um Messias-Anhängerschaft geht. Hätte es mehrere Bewegungen gegeben , dann wäre „Christentum“ eine unsinnige Bezeichnung gewesen, denn es wäre ja unklar, wer damit gemeint sein soll.

“sven23“ hat geschrieben:Wir waren uns doch darin einig, dass die Bibel kein Geschichtsbuch ist. Dann darf man aber auch nicht die mangelnde historische Korrektheit beklagen.
Wenn ich dir erkläre warum die (nicht in der Bibel vorkommende) Zeloten-Bewegung gegen die Historizität von „Jesus“ spricht, dann ist das kein „Beklagen“, sondern das Aufzeichnen des eindeutigen Fehlens eines klaren/unmittelbaren Historizitätsbezuges.

Wir sind uns also immer noch einig, dass die Bibel kein Geschichtsbuch ist und zwar ist sie vollständig kein Geschichtsbuch. Keiner dieser Texte kann auf Basis der angedeuteten Geschichtsdaten oder des Fehlens von solchen Andeutungen historisch eingeordnet werden -> eine Datierung auf Basis von Inhalts-Deutungen ist nicht möglich.

Wie du aber vor dem Hintergrund unserer Einigkeit über Bibel-Ist-Kein-Geschichtsbuch zur folgender Behauptung kommst, ist mir schleierhaft:
Zitat-sven23:
Die Paulusbriefe (zumindest die "echten") und das Markusevanglium sind aber vor der "Geschichte des jüdischen Krieges" entstanden.

Eine derartige „Frühdatierung“ ist auschliesslich unter Verwendung der Bibel als Geschichtsbuch möglich – aber es ist doch kein Geschichtsbuch.

“sven23“ hat geschrieben:Die heutigen Mehrheitsdatierungen der historisch-kritischen Forschung machen durchaus Sinn, denn vom ältesten Evangelium, dem Markusevangelium, bis hin zu jüngsten, dem Johannesevangelium ist eine klare Tendenz ablesbar: Der Mensch Jesus wird immer mehr verklärt und vergottet, unterliegt also einem geschichtlich gewachsenen Prozess.
Eine Versionsreihenfolge der Wundertexte kann relativ plausibel vertreten werden, aber die historische Platzierung dieser Reihenfolge ist problematisch.

“sven23“ hat geschrieben:Mit Elan und Optimismus ging man an die Aufgabe heran herauszufinden, wer dieser
Jesus wirklich gewesen ist. Man wollte ihn sehen, wie er wirklich war, aus den Fesseln
der Dogmatik befreit. Und die Aufgabe schien lösbar. Indem man Schicht für Schicht der
Überlieferung abtrug, müsste man doch, so glaubte man, zum historischen Kern
vordringen, würde Jesus selbst als der erscheinen, der er gewesen war. Und die Quellen,
das war klar, konnten nur die drei synoptischen Evangelien sein. Hier musste der
historische Jesus sich zeigen. So schildert der spätere Lambarene-Arzt und Theologe
Albert Schweitzer in seiner Geschichte der Leben-Jesu-Forschung (1913) viele Versuche
von Theologen, des historischen Jesus habhaft zu werden, und muss am Ende doch das
Scheitern dieser Versuche konstatieren. Der historische Jesus lässt sich nicht mehr
freilegen, und die Versuche der Theologen spiegeln nur zu sehr deren eigene
Erwartungen wider

Kubitza, Der Jesuswahn
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Und die Konsequenz aus diesem umfassenden Scheitern soll dann sein, dass es den historischen „Jesus“-Wanderprediger gab? – Motto „man ist sich ja einig“

Das ist doch ein reines Rotnasentheater.

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#1424 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » Di 11. Aug 2020, 20:03

SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
All diese antiken Dichter und Denker wussten nichts von „zwei Bewegungen“ – warum wollen es die heutigen „Forscher“ besser wissen können?
Von zwei Bewegungen spricht ja auch niemand. Neben den Hauptströmungen der Phasiäer, Sadduzäer, Zeloten (Sikarier) und Essener gab es mind. noch 2 Dutzend kleine Sekten und Strömungen, aber eher unbedeutend. Eine davon könnte auch die Jesusbewegung gewesen sein. Man darf den Evangelisten aber nicht auf den Leim gehen und meinen, dass diese Bewegung so eine enorme Bedeutung hatte, wie die Schreiber Glauben machen wollen. Es war eine kleine Sekte in einer unbedeutenden Provinz, von der wohl die wenigsten in Jerusalem oder im übrigen Land je gehört hatten. Hätten sich die Schreiber seiner nicht angenommen, wüßten wir wohl heute nichts von einem Christentum.


SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
“sven23“ hat geschrieben: Die Jesusbewegung zu Lebzeiten Jesu war eine rein innerjüdische Sekte. Nach seinem Tod wurde daraus eine neue Bewegung, vor allem geprägt durch Paulus.
Die Frage ist, wo wird für einen historischen „Jesus“-Wanderprediger eine Verklärung aufgebaut?
Die Verklärung beginnt mit Paulus, indem er die schändliche Niederlage am Kreuz in einen von Gott gewollten Sühne- und Opfertod für die ganze Menschheit umdeutet.

SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
Gerade die Texte zur literarischen „Paulus“-Figur sind eine Festlegung der Religionsansichten, die nicht auf einen historischen „Jesus“-Wanderprediger zurückgreift. Eigentlich ein komplett schräger Vorgang:
1. Eifer und eine gewalttätige Ausrichtung
2. „zu Boden gehen“
3. „religiöse Idee“ („Vision“)
Die Visionen des Paulus werden benötigt, um eine Verbindung zu Jesus herstellen zu können, denn er war kein Begleiter von Jesus, hat ihn also nie getroffen. Das brachte ihm später den Vorwurf ein, sich sein Apostolat erschlichen zu haben.
Da Paulus immer wieder auf seine Krankeit/Leiden hinweist (Stachel im Fleisch), wurde auch schon spekuliert, dass er Epileptiker gewesen sein könnte. Epilepsie kann mit Halluzinationen einhergehen und mit Impotenz. Das würde das Damaskus-Erlebnis (Vision) erklären und seinen Rat an "Menschen wie ihn", nicht zu heiraten.



SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
“sven23“ hat geschrieben: Aber in der Wahrnehmung der Römer war auch die neue, christliche Sekte eine jüdische. So hat man nicht nur Christen aus Rom ausgewiesen, sondern alle Juden.
Die zelotischen Messias-Anhänger waren Juden. Das Messias-Thema ist jüdisch.
Richtig, aber auch Josephus spricht ja davon, dass einige weise Männer die Schriften falsch ausgelegt haben. Darin findet er sich übrigens in Übereinstimmung mit der Forschung. Alttestamentarische Messiaserwähnungen beziehen sich nicht auf einen zukünftigen Herrscher.

SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
Die Abgrenzung zum Judentum, als „wahre Religion“, kann erst in der Nachkriegszeit aus dem Schockzustand heraus erfolgt sein, denn davor und während der Aufstände war es die Idee, dass „Gott seinem auserwählten Volk beim Kampf hilft“, da gab es keine „zwei Religionen“.
Die gab es auch nicht. Die Evangelien entstanden ja erst nach dem jüdischen Krieg und von einer Akzeptanz im Judentum konnte bei der paulinischen Sekte keine Rede sein. Deshalb der Ausweg der Heidenmissionierung, die entgegen der Anweisung des Wandpredigers an seine Jünger erfolgte. Und der Beginn eines aufkommenden Antujudaismus.

SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
Die „Jesus“-Chrsitliche-Sekte hat es nie parallel zu den Zeloten gegeben, sondern die Zeloten sind der Ursprung des „Christentums“
Du meinst also, Christen seien so etwas wie umgeschulte Zeloten? Das ist eine sehr steile These.
Die neuen Mitglieder rekrutierten sich wohl eher aus einem heidnischen Umfeld. Messianische Juden sind auch heute noch eine verschwindend kleine Minderheit.



SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
Wir sind uns also immer noch einig, dass die Bibel kein Geschichtsbuch ist und zwar ist sie vollständig kein Geschichtsbuch.
So apodiktisch kann man das nicht sagen. Sagen, Legenden und Mythen haben oft einen historischen Kern, vermischen aber historisches mit erfundenem oft sehr geschickt.


SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
Keiner dieser Texte kann auf Basis der angedeuteten Geschichtsdaten oder des Fehlens von solchen Andeutungen historisch eingeordnet werden -> eine Datierung auf Basis von Inhalts-Deutungen ist nicht möglich.
Die Forschung hat da schon ihre Tricks, wie man Datierungen näherungsweise bestimmen kann. Prophezeiungen sind ganz gut geeignet, Zeiträume einzuordnen.
Treten Prophezeiungen mit großer Treffsicherheit ein, dann handelt es sich höchstwahrscheinlich um Rückprojektionen.
(Vaticinium ex eventu)
Werden die Vorhersagen unzuverlässig, handelt es sich um echte Prophezeiungen.



SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
Und die Konsequenz aus diesem umfassenden Scheitern soll dann sein, dass es den historischen „Jesus“-Wanderprediger gab? – Motto „man ist sich ja einig“
Das ist doch ein reines Rotnasentheater.
Den Konsens in der neutestamentlichen Forschung (auch kirchenferner Forschung) und unter Historikern kann man aber nicht so einfach wegwischen.
Die Gründe, die für eine Historizität sprechen, überwiegen wohl die Argumente, die dagegen sprechen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1425 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Do 13. Aug 2020, 08:24

“sven23“ hat geschrieben:Neben den Hauptströmungen der Phasiäer, Sadduzäer, Zeloten (Sikarier) und Essener gab es mind. noch 2 Dutzend kleine Sekten und Strömungen, aber eher unbedeutend
Woher kommt die Anzahl, wenn diese Sekten unbedeutend sein sollen?

“sven23“ hat geschrieben:Es war eine kleine Sekte in einer unbedeutenden Provinz, von der wohl die wenigsten in Jerusalem oder im übrigen Land je gehört hatten. Hätten sich die Schreiber seiner nicht angenommen, wüßten wir wohl heute nichts von einem Christentum.
Fällt dir auf, wie angestrengt du „die Sekte“ von jeglichem Existenzzusammenhang fernhältst, ganz einfach deshalb, weil du keinen hast?
-> es soll eine kleine Sekte gewesen sein
-> es war eine unbedeutende Provinz
-> die wenigsten waren in Jerusalem

Das Problem an dieser Herangehensweise ist, dass es geschichtlich nach relativ kurzer Zeit nur noch um diese „unsichtbare kleine Sekte“ gegangen sein soll, laut dieser „kleinen Sekte“ ist es insgesamt bei allen Verfolgung nur um diese „kleine Sekte“ gegangen.

Diese „kleine Sekte“ scheint nie den Zeloten begegnet zu sein.

Auf Basis deiner angenommenen Parallelexistenz musst du diese Unstimmigkeiten mit irgendwelchen Verschwörungstheorien ausgleichen und das bei fehlender Ausbreitungsidee.

Die Zeloten haben sich tatsächlich ausgebreitet und zwar flächendeckend über das bevölkerungsstarke Judäa. Sie haben die einigende Religionsidee geliefert, damit es in dem spannungsreichen Gebiet zu einem relativ einheitlich organisierten Aufstand kommen konnte.

Nach dem ersten Krieg gingen die Messias-Aufstände weiter -> die Zelotenstrategie muss somit überlebt haben. Das wäre dann genau die Zeit in der sich deine „kleine Sekte“ enorm aufschwingen hätte müssen (natürlich komplett unsichtbar aber total von den Römern verfolgt).

Die Zeloten, also die erfolgreich sich ausbreitende, sichtbare Messias-Bewegung hat keine Texte produziert, aber die kleine unsichtbare Sekte soll (bei einer Mitgliederzahl in Telefonzellenstärke) den teuren/aufwendigen Weg des Textschreibens eingeschlagen haben, obwohl sie mit Leichtigkeit alle miteinander hätten reden können (und zwar zu jeder Zeit).

Insgesamt entsorgst du die Existenzzusammenhänge und den Bekanntheitsgrad der „kleinen Sekte“ derart, dass man sich fragen muss, wozu du überhaupt die Existenz benötigst?

Ich kann mir das nur so erklären, dass entweder der Wunsch nach einer Nicht-Zeloten-Bewegung entscheidend ist oder schlicht die Ahnungslosigkeit über die Ähnlichkeit zwischen Zeloten und späteren Christen, so dass das Motto entsteht „irgendwo müssen die Christen ja herkommen“.

“sven23“ hat geschrieben:Die Verklärung beginnt mit Paulus…
Sorry, dazu musst du die Bibel als Geschichtsbuch einsetzen und das wollen wir doch nicht.

“sven23“ hat geschrieben:…indem er die schändliche Niederlage am Kreuz in einen von Gott gewollten Sühne- und Opfertod für die ganze Menschheit umdeutet.
Woher wusste die „Paulus“-Figur überhaupt von dem Ausgangspunkt der „kleinen unbedeutenden Sekte“, immerhin soll er sie ja schon vor „seiner Vision“ verfolgt haben?
Wozu hat er den Aufwand dieser Verfolgung betrieben (-> "kleine unbedeutende Sekte")?

Plötzlich hat sich die „Paulus“-Figur geändert und nun sollte „die ganze Menschheit“ von der „kleinen unsichtbaren Sekte“ erfahren.
=> Sorry, das hat enormen Märchencharakter, was bereits beim hierfür benötigten Einsatz der Bbel als Geschichtsbuch startet.

“sven23“ hat geschrieben:Die Visionen des Paulus werden benötigt, um eine Verbindung zu Jesus herstellen zu können, denn er war kein Begleiter von Jesus, hat ihn also nie getroffen.
So eine Aussage ist erstaunlich, denn sie enthält (ganz auffällig) den Zusammenhang, dass eine „Jesus“-Existenz nirgendwo benötigt wird.

Insgesamt benötigt man bei dieser Anonym-Wundertext-Strategie keinerlei wirkliche Existenz der handelnden Personen -> ganz so wie bei der griechischen Götterwelt, an die sich die antiken Leute ja bereits gewöhnt hatten.

Wozu benötigst du die Existenzbehauptung, wenn du sie bei jeder Aussage über die Religionsstrategie herausnehmen musst?

“sven23“ hat geschrieben:Da Paulus immer wieder auf seine Krankeit/Leiden hinweist (Stachel im Fleisch), wurde auch schon spekuliert, dass er Epileptiker gewesen sein könnte. Epilepsie kann mit Halluzinationen einhergehen und mit Impotenz. Das würde das Damaskus-Erlebnis (Vision) erklären und seinen Rat an "Menschen wie ihn", nicht zu heiraten.
Und schon wieder ist die Bibel ein Geschichtsbuch – hallo, das wollten wir doch eher nicht…

“sven23“ hat geschrieben:Die Evangelien entstanden ja erst nach dem jüdischen Krieg und von einer Akzeptanz im Judentum konnte bei der paulinischen Sekte keine Rede sein.
Wann genau entstanden die Evangelien und warum werden sie auf diese Zeitpunkte (Zeiträume) datiert?

Welcher Text entstand vor dem jüdischen Krieg und warum wird er davor datiert?

(nicht vergessen, die Bibel ist kein Geschichtsbuch)

“sven23“ hat geschrieben:Du meinst also, Christen seien so etwas wie umgeschulte Zeloten? Das ist eine sehr steile These.
Naja, das Vorbeischauen an einer Messias-Bewegung bei gleichzeitiger Suche nach einer Messias-Bewegung liegt mir halt nicht so sehr :-)

In welchen Bereichen müsste es denn zu einer „Umschulung“ gekommen sein?
Sind das so viele?

Wie steht es um den Gottesglauben?
Wie steht es um die Messiasidee?
Wie steht es um die Gesetzeseinhaltung?
Wie steht es um den Auferstehungsglauben?
Wie steht es um das Martyrium?
Wie steht es um das Anbeten des Kaisers?

Steht die „Paulus“-Figur nicht exakt und ganz unmittelbar für diese „Umschulung“ (-> „von Saulus zu Paulus“) und zwar (explizit und in voller Absicht) ganz ohne existierenden „Jesus“-Wanderprediger?
Ist diese „Umschulung“ damit nicht sogar Teil der Legende, ohne dass es versteckt wird?

“sven23“ hat geschrieben:Die neuen Mitglieder rekrutierten sich wohl eher aus einem heidnischen Umfeld.
Stellt sich die Frage: wer hat die neuen Mitglieder überall im Mittelmeerraum rekrutiert?

“sven23“ hat geschrieben:Messianische Juden sind auch heute noch eine verschwindend kleine Minderheit.
Heutige „Messianische Juden“ sind Leute, die, trotz des Unterganges der messianischen Idee, sagen „er kommt noch“.

„Christen“ sind „Messianische Juden“, die sagen „er war schon da“ und den Untergang in die „göttliche Strategie“ eingebaut sehen wollen.

Eine zelotische Position kann sich leicht zur einen oder zur anderen Variante „entwickelt“ haben.

“sven23“ hat geschrieben:So apodiktisch kann man das nicht sagen. Sagen, Legenden und Mythen haben oft einen historischen Kern, vermischen aber historisches mit erfundenem oft sehr geschickt.
Wie wurden diese „Kerne“ identifiziert?

Einfach indem man (so wie es bei der Bibel erfolgen soll) sagt „das ist jetzt der Kern“?
=> doch wohl eher nicht.

Wenn es um den Kern geht, wird (wie ich es gesagt habe) anders herum „ein Schuh draus“ – liegt eine zusätzliche, unverdächtige Quelle vor, deren Informationen im Wundertext (grob) eingebaut sind, dann kann man dies als eine Art „Bestätigung“ für die zusätzliche Quelle ansehen, der Wundertext alleine ist jedoch nicht ausreichend.

“sven23“ hat geschrieben:Die Forschung hat da schon ihre Tricks, wie man Datierungen näherungsweise bestimmen kann
Schau genau hin, das sind vermutlich allesamt „Bibel = Geschichtsbuch“-Tricks.

Es wird dabei kaum um eine Altersbestimmung für den jeweiligen Papyrus gehen. Solche Datierungen liegen eher am Ende des 2.Jahrhunderts (Anfang des 3.Jhds), also eher nach den jüdischen Kriegen.
Für diesen Zeitraum findet man wohl auch die ersten Fisch-Symbole.

“sven23“ hat geschrieben:Den Konsens in der neutestamentlichen Forschung (auch kirchenferner Forschung) und unter Historikern kann man aber nicht so einfach wegwischen.
Doch, wenn es um Wissenschaft geht, hat so etwas keinerlei Wert zumal es sich hier auch nicht um Experimentalforschung, also keine durch Praxis gestützte Forschung ist.

Bei Wissenschaft geht es um inhaltliche Korrektheit.
Wissenschaft ist kein „Publikumsjoker“.

Die Anzahl der anhängenden „Forscher“ darf nicht erst überwunden werden müssen – dazu wären dann quasi „Stimmungsvorgänge“ notwendig, was man als „Politik“ einstufen müsste – das hat in Wissenschaft nichts zu suchen.

Wenn ich z.B. sage, dass eine Kriegsniederlage mit zuvor fanatisch apokalyptischen Verhalten bei den Überlebenden zu einem Schockzustand und einer Umorientierung in der Gewaltausrichtung führt und hierfür das Fallbeispiel „Deutschland“ angebe, dann kann man nicht einfach „die sichtbaren Zeloten sind verschwunden und die zuvor unsichtbaren Christen sind aufgetaucht“ vertreten, nur weil es den „Forschern“ so lieber ist.

Wissenschaft hat die Aufgabe, jegliche Unsicherheit in den Aussagen klar und eindeutig anzusprechen, ganz einfach weil es eine inhaltliche Korrektheit darstellt, wenn man weiss, dass etwas unsicher ist.

Wenn also kein „Jesus“-Existenz-Zusammenhang auf dem Tisch liegt, dann stellt das Wiedergeben genau dieser Situation eine inhaltliche Korrektheit dar.

Eine „Begründung“ à la „die Mehrheit der Forscher ist sich einig, dass es Jesus gegeben hat und sie versuchen seine Originalaussagen aus dem Nicht-Geschichtsbuch ‚Bibel’ unter Einsatz als Geschichtsbuch zu extrahieren“ ist die Abwesenheit von Wissenschaft.

“sven23“ hat geschrieben:Die Gründe, die für eine Historizität sprechen, überwiegen wohl die Argumente, die dagegen sprechen.
Deine vorsichtige Formulierung zeigt bereits, dass du nicht allzu viele Gründe kennen kannst.
Zudem ist dir bestimmt selbst aufgefallen, wie sehr du die Historizität zurückdrängst, wenn du über „die Heidenmission durch Paulus“ sprichst.

Sollten dir Gründe einfallen, solltest du prüfen, ob es sich um „Bibel = Geschichtsbuch“-Gründe bzw. um „die Mehrheit der Forscher wünscht es sich“-Gründe handelt.

Liefere inhaltliche Korrektheit und ich lenke sofort ein.
Lieferst du keine inhaltliche Korrektheit, dann besteht die wissenschaftlich korrekte Aussage exakt in der Angabe dieser (aktuellen) Nicht-Lieferbarkeit, d.h. „eine Jesus-Wanderprediger-Existenz kann wissenschaftlich nicht vertreten werden“.

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#1426 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » Do 13. Aug 2020, 19:00

SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
“sven23“ hat geschrieben: Neben den Hauptströmungen der Phasiäer, Sadduzäer, Zeloten (Sikarier) und Essener gab es mind. noch 2 Dutzend kleine Sekten und Strömungen, aber eher unbedeutend
Woher kommt die Anzahl, wenn diese Sekten unbedeutend sein sollen?
Es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Anzahl und Bedeutung. Heute gibt es über 40000 christliche Konfessionen, die meisten sind eher bedeutungslos, was ihre zahlenmäßige Verbreitung anbetrifft.
 
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
-> es soll eine kleine Sekte gewesen sein
Davon muss man ausgehen, sonst hätte Josephus sie sicher erwähnt.
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
-> es war eine unbedeutende Provinz
Galiläa war eine unbedeutende und abgehängte Provinz, weil Herodes den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit an die Küste verlegt hatte.
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
-> die wenigsten waren in Jerusalem
Wenn man den Evangelien glauben kann, dann war sein erster Auftritt in Jerusalem auch sein letzter.

 
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
Diese „kleine Sekte“ scheint nie den Zeloten begegnet zu sein.
Die Zeloten werden ja nur im Zusammenhang mit seinen Jüngern erwähnt. Unklar bleibt aber, ob diese der Gewalt abgeschworen haben.
 
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
Ich kann mir das nur so erklären, dass entweder der Wunsch nach einer Nicht-Zeloten-Bewegung entscheidend ist oder schlicht die Ahnungslosigkeit über die Ähnlichkeit zwischen Zeloten und späteren Christen, so dass das Motto entsteht „irgendwo müssen die Christen ja herkommen“.
Die Idee von Reza Aslan, dass Jesus Zelot war, lehnst du ja ebenfalls ab.
Vielleicht war das den Evangelisten auch zu peinlich, um es zu erwähnen. Jedenfalls räumt Gerd Theißen ein, dass Jesus und die Zeloten einen gemeinsamen Background hatten, nämlich ein radikales Judentum, und das in besonders verschärfter Form.

 
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
Woher wusste die „Paulus“-Figur überhaupt von dem Ausgangspunkt der „kleinen unbedeutenden Sekte“, immerhin soll er sie ja schon vor „seiner Vision“ verfolgt haben?
Es gab wohl mündliches Überlieferungsgut. Denn die Legendenbildung setzte wohl sehr bald nach seinem Tod ein. (Elvis lebt)
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
Wozu hat er den Aufwand dieser Verfolgung betrieben (-> "kleine unbedeutende Sekte")?
Man brauchte wohl Sündenböcke und die im geheimen agierenden Christen weckten Mißtrauen und schienen sich ideal zu eignen.
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
Plötzlich hat sich die „Paulus“-Figur geändert und nun sollte „die ganze Menschheit“ von der „kleinen unsichtbaren Sekte“ erfahren.
=> Sorry, das hat enormen Märchencharakter, ...
Ich weiß, bei Paulus ist die außerbiblische Quellenlage ja noch desaströser als bei Jesus. Zweifel werden wohl immer bleiben.
 
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
“sven23“ hat geschrieben: Du meinst also, Christen seien so etwas wie umgeschulte Zeloten? Das ist eine sehr steile These.
Naja, das Vorbeischauen an einer Messias-Bewegung bei gleichzeitiger Suche nach einer Messias-Bewegung liegt mir halt nicht so sehr :-)
Man sollte aber nicht so tun, als seien die Zeloten die einzigen Messias-Erwarter gewesen.
Auch Pharisäer und Essener erwarteten einen Messias. Das Alleinstellungsmerkmal der Zeloten war ihre Einstellung zur Gewalt.
Auch Paulus warnte ja vor Gewaltanwendung. Seine Behauptung, dass alle Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, sollte wohl die Römer besänftigen und steht der antirömischen Gesinnung der Zeloten (und auch von Jesus) diametral entgegen.
 
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
“sven23“ hat geschrieben: Messianische Juden sind auch heute noch eine verschwindend kleine Minderheit.
Heutige „Messianische Juden“ sind Leute, die, trotz des Unterganges der messianischen Idee, sagen „er kommt noch“.
Nee, damit sind Juden gemeint, die Christus als Messias anerkennen, aber trotzdem an manchen jüdischen Gebräuchen festhalten. In den Augen der Juden sind sie keine echten Juden. Es gibt da eine Diskrepanz zwischen Außen- und Innenwahrnehmung.
"Normale" Juden warten ja noch auf den Messias.


 
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
“sven23“ hat geschrieben: Die Forschung hat da schon ihre Tricks, wie man Datierungen näherungsweise bestimmen kann
Schau genau hin, das sind vermutlich allesamt „Bibel = Geschichtsbuch“-Tricks.
Nein, es gibt ja historische Fixpunkte, deren Datierung bekannt ist, wie z. B. die Zerstörung des Jerusalemer Tempels.
Daran kann man sich orientieren, wenn dieses Ereignis erwähnt wird.
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
Es wird dabei kaum um eine Altersbestimmung für den jeweiligen Papyrus gehen. Solche Datierungen liegen eher am Ende des 2.Jahrhunderts (Anfang des 3.Jhds), also eher nach den jüdischen Kriegen.
Für diesen Zeitraum findet man wohl auch die ersten Fisch-Symbole.
Sind das Ergebnisse deiner privaten Forschung oder gibt es Literatur dazu?
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
“sven23“ hat geschrieben: Den Konsens in der neutestamentlichen Forschung (auch kirchenferner Forschung) und unter Historikern kann man aber nicht so einfach wegwischen.
Doch, wenn es um Wissenschaft geht, hat so etwas keinerlei Wert zumal es sich hier auch nicht um Experimentalforschung, also keine durch Praxis gestützte Forschung ist.
Wie will man Historie experimentell erforschen? (experimentelle Archäologie mal ausgenommen)
Historie läßt sich nun mal nur über Quellen erforschen, idealerweise verschiedene, von einander unabhängige Quellen. Leider ist die Quellenlage oft sehr dünn.
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
“sven23“ hat geschrieben: Die Gründe, die für eine Historizität sprechen, überwiegen wohl die Argumente, die dagegen sprechen.
Deine vorsichtige Formulierung zeigt bereits, dass du nicht allzu viele Gründe kennen kannst.
Ich habe eine Reihe von inhaltlichen Gründen genannt. Man muss erklären können, warum es diese enorme Diskrepanz zwischen historischem Jesus und verklärtem Christus gibt. Wäre Jesus eine rein literarische Figur, dann darf man den für damalige Verhälnisse sehr gebildeten Schreibern wohl zutrauen, diese Figur von Anfang an so angelegt zu haben, dass sie später nicht in so große Erklärungsnöte geraten. Sie selbst oder spätere Redaktoren waren immer wieder zu Korrekturen gezwungen.
Ein unbekannter christlicher Autor schreibt: ihr habt aus Jesus einen ganz anderen gemacht. Wahrscheinlich hat er Recht.
Der Neutestamentler Lindemann schreibt: Jesus hat nichts von dem getan, was von einem Messias erwartet wurde. Der historische Jesus steht dem Glauben im Weg, wie der Spiegel titelte.

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-15239644.html

 
SilverBullet hat geschrieben:
Do 13. Aug 2020, 08:24
Liefere inhaltliche Korrektheit und ich lenke sofort ein.
Was ist inhaltliche Korrektheit? Ich behaupte ja nicht - und die Forschung tut es auch nicht -, dass die Historizität von Jesus bewiesen ist, ebenso wenig wie das Gegenteil. Man kann hier nur von Indizien sprechen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#1427 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Sa 15. Aug 2020, 09:06

“sven23“ hat geschrieben:Es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Anzahl und Bedeutung.
In diesem Fall schon, denn du sagt ja, dass es 2 Dutzend kleine Sekten gab und „unsere Unsichtbare“ eine davon gewesen sein soll.
Woher kommt also diese Zahl?
„Wer“ hat hier „wie“ und „was“ gezählt?

“sven23“ hat geschrieben:Davon muss man ausgehen, sonst hätte Josephus sie sicher erwähnt.
Wie hätte sich „Josephus“ verhalten, wenn es diese Sekte nirgendwo gegeben hat?
Richtig, genau so wie er es getan hat.
=> Es gibt keinerlei „davon muss man ausgehen“-Zwang.

“sven23“ hat geschrieben:Das Alleinstellungsmerkmal der Zeloten war ihre Einstellung zur Gewalt.
Nein, es ist nur eine Einordnung, die dem christlichen Background gefallen würde.

Die Grundlage der Zeloten ist der Wunsch nach einer göttlichen Erlösung (von der aktuellen/jeglichen Unterdrückung) in Form eines göttlichen Königreiches.

Die Idee der Zeloten ist es, göttliche Anerkennung durch genaue Reinheit im Einhalten der religiösen Auflagen zu erreichen. Sie wollen sich als „sein Volk, das es wert ist über einen Messias geleitet zu werden“ zu erkennen geben -> die „göttliche Messias-Funktionalität“ soll sie erretten.

Die Strategie der Zeloten ist es, in ihrer religiösen Reinheit den Kampf gegen den übermächtigen Gegner Rom zu beginnen, um dann göttliche Unterstützung durch Herausbildung der Messias-Funktion zu erhalten (sprich: irgendeiner soll sich als Messias herauskristallisieren).

Die Zeloten haben nirgendwo Gewalt zu ihrem Grundsatz gemacht, sondern Gewalt ist lediglich der unmittelbar letzte Schritt für die erwartete göttliche Unterstützung.
Die Reinheit in ihrem religiösen Verhalten war ihnen weitaus wichtiger als Gewalt, was man an ihrem Erdulden von Martyrien ablesen kann. Sie hatten die Vorstellung, dass durch ihr Opfer, durch ihre Leidensfähigkeit für den Glauben, ein Schritt mehr in Richtung göttlicher Unterstützung getan wird.

Da „Gewalt“ eher nur ein Werkzeug war, konnte es leicht mit „Liebe und Frieden“ ersetzt werden, denn auch dies ist nicht der eigentliche Kern des Christentums – zumal „Liebe und Frieden“ im Christentum nie funktioniert hat, sondern das volle Spektrum an Gewalt und Folter auch vom Christentum durchgeführt wurde.

Selbst der Begriff „Christentum“ schliesst vom Sinn her die Zeloten vollständig ein – das passt.

“sven23“ hat geschrieben:Man sollte aber nicht so tun, als seien die Zeloten die einzigen Messias-Erwarter gewesen.
Eigentlich schon, denn diese obigen Merkmale, insbesondere das „korrekte“ Glaubensverständnis, das Märtyrertum und die dazu notwendigen Vorstellungen zeigen sich bei den Zeloten.

Die „Jesus“-Christen halten genau diese Merkmale hoch.

Bei den Zeloten hat sich ja auch die Antihaltung gegenüber Nicht-Messias-Juden herausgebildet, ein Detail, das beim „Christentum“ auf Basis des Liebes-/Gewaltlosigkeits-/Erlösungsanstriches irgendwie eigenartig wirkt. Der christliche Antijudaismus ist als „zelotisches Erbe“ am besten erklärt.

“sven23“ hat geschrieben:Auch Paulus warnte ja vor Gewaltanwendung. Seine Behauptung, dass alle Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, sollte wohl die Römer besänftigen und steht der antirömischen Gesinnung der Zeloten (und auch von Jesus) diametral entgegen.
Die „Paulus“-Figur passt vollständig zu den Zeloten, denn als „Eiferer“ und Verfolger von Abweichlern, kann „er“ unmittelbar als Zelot angesehen werden.
Das „Paulus“-Thema startet quasi im Zelotenmodus. Dann kommt die „Umschulung“ (ohne Kontakt zu einem historischen Jesus!) und fortan wird Gewaltlosigkeit eingebaut, bei weiterhin dominanten Glaubensauflagen, aggressiv vorgetragen.
Genau so stellt man sich Zeloten vor, die den jüdischen Krieg als Flüchtling überstanden haben und ihren fanatischen Glauben auf Basis des Niederlagen- und Ausbleiben-Göttlicher-Unterstüzungs-Schocks leicht anpassen.

“sven23“ hat geschrieben:Jedenfalls räumt Gerd Theißen ein, dass Jesus und die Zeloten einen gemeinsamen Background hatten
Das ist ein sehr unsinniges Einräumen, weil er die Historizität zur „Jesus“-Figur gar nicht hat.

“sven23“ hat geschrieben:Es gab wohl mündliches Überlieferungsgut. Denn die Legendenbildung setzte wohl sehr bald nach seinem Tod ein. (Elvis lebt)
Eine Popularität à la „Elvis“ und dabei „total unbedeutend/unbekannt/unsichtbar“ ist leider ein völliges Märchen – keinerlei Wahrscheinlichkeit oberhalb von 0.

“sven23“ hat geschrieben:Man brauchte wohl Sündenböcke und die im geheimen agierenden Christen weckten Mißtrauen und schienen sich ideal zu eignen.
„Sündenböcke“ für was?
Wie können „geheimen agierenden Jesus-Christen“, die einer unbedeutenden, unsichtbaren Sekte angehören, Misstrauen wecken?

Stell dir eine derartige Verfolgung samt „erfolgreichen Ergebnis“ vor:
„ich habe Jesus-Anhänger verfolgt und abgemurkst“
„Häh, wie bitte, wen hast du verfolgt? – was genau soll das bringen?“ :-)

“sven23“ hat geschrieben:Ich weiß, bei Paulus ist die außerbiblische Quellenlage ja noch desaströser als bei Jesus. Zweifel werden wohl immer bleiben.
Nein, wissenschaftlich gibt es keinen Zweifel, denn es gibt keinen Anlass von einem historischen „Paulus“ auszugehen.

“sven23“ hat geschrieben:Nee, damit sind Juden gemeint, die Christus als Messias anerkennen, aber trotzdem an manchen jüdischen Gebräuchen festhalten.
Ja, das muss ich bestätigen - es scheint so zu sein, dass „Messianische Juden“ eine Art „Name“ ist, der genau das zum Inhalt hat, was du sagst (eine Verlinkung wäre hilfreich gewesen).

Ich habe „Messianische Juden“ nicht als Name verwendet, sondern als beschreibende Formulierung und zwar vor dem Hintergrund, dass es jüdische Aussagen gibt, wonach „Juden nur dann über den Messias reden, wenn sie von Christen danach gefragt werden“, also die Messias-Erwartung im Judentum nicht besonders ausgeprägt zu sein scheint.

Unser kleines Missverständnis ist aber sehr interessant, denn wenn ich „Messias“ höre/lese, dann baue ich hierzu neutrale Zusammenhänge auf, ohne auf eine genaue Person abzuzielen.

Im obigen Name wird „Messias“ mit „Jesus“ gleichgesetzt. Es handelt sich hierbei um einen Sachverhalt, der auch in der Bezeichnung „Christus = Jesus Christus“ zu finden ist: eine Art automatische Personifizierung – die religiös behauptete Funktion triggert die Vorstellung über eine vergangene Situation.

Das „Christentum“ ist hierbei nicht gerade unbeteiligt, sondern scheint dies in voller Absicht herbeigeführt zu haben.
* Texte, in denen die Zeloten nur dem Namen nach vorkommen
* Geschehnisse, die von anderen Messiassen (z.B. „Menache“m) stammen müssten, aber nirgendwo wird dies behandelt.
* Aussagen, die zu anderen prominenten Juden gehören (-> „Hillel“) werden einfach „gewinnbringend wieder verwendet“
* Christliche Kirchentexte, die nur von Christenverfolgung sprechen.
* Vielfältige Versuche, antike Dokumente in den „Jesus Christus“-Bezug zu stellen
* Vergangenheitsverankerungen in Texten, als eine Art „Kunstform der Textgestaltung“ -> Apologien.
* Es soll wohl auch Vernichtung von Texten (Bibliotheken?) gegeben haben, so dass nur noch die „Jesus“-Thematik vorhanden ist.
* Mit zunehmender christlicher Macht werden Andersdenkende bekämpft (sehr zelotisch!)

Das hat insgesamt einen üblen Geschmack, den jeder ernsthafte Historiker massiv berücksichtigen müsste, bevor er von historischen Personen ausgeht – genau das fehlt aber wiederum, was eher zur christlichen Strategie als zu einer wissenschaftlichen Strategie passt – das ist sehr ungünstig.

“sven23“ hat geschrieben:Ich habe eine Reihe von inhaltlichen Gründen genannt. Man muss erklären können, warum es diese enorme Diskrepanz zwischen historischem Jesus und verklärtem Christus gibt.
Nein, es gibt wissenschaftlich gesehen keinen Grund für ein schwebendes Kartenhaus.
Man muss nicht von einer historischen Existenz ausgehen und dann irgendwelche Diskrepanzen auflösen.

Die Jesus-christliche Verklärung der damaligen Zeit kann auf Basis von „Flavius Josephus“ als Faktum angesehen werden, denn den Namen „Zelot“ zu erwähnen, aber ansonsten nichts zuliefern, ist sehr dünn – da stimmt dann einfach etwas nicht

“sven23“ hat geschrieben:Wäre Jesus eine rein literarische Figur, dann darf man den für damalige Verhälnisse sehr gebildeten Schreibern wohl zutrauen, diese Figur von Anfang an so angelegt zu haben, dass sie später nicht in so große Erklärungsnöte geraten.
Du gehst von komplett falschen Texterwartungen aus.
Glaubenstexte müssen nicht korrekt sein, sondern eine religiöse Faszination wecken.

Gibt es dann rückwirkend irgendwann das Bestreben dies alles in der Vergangenheit zu verankern, dann entstehen Konflikte, zumal wenn es irgendwann zu einem Wechsel in der Texterwartung kommt.

Dass antike Glaubenstexte vollkommen schräg sind, beweist die griechische Götterwelt. Wenn hierfür eine Verankerung in der Vergangenheit versucht werden würde, dann würden sich sagenhafte Konflikte auftun.

Hierzu ein interessantes Beispiel: die „Apologien der ersten Christen“
Ich habe mir relativ schnell die Frage gestellt, warum niemand offiziell die Abgrenzung zwischen friedlicher Jesus-Bewegung und gewalttätiger Zeloten-Bewegung bei den Römern eingereicht hat und bin dann auf die „Apologien“ gestossen.
Texte die sinngemäss mit „An den römischen Kaiser XYZ“ beginnen.
Interessiert habe ich weiter gelesen, denn hier müsste es stehen („wenn nicht hier, wo sonst“). Auffällig war sehr schnell wie umfangreich diese Texte ausfallen, um den christlichen Glauben zu beschreiben und ich dachte „das langweilt den Kaiser doch nur“. Zunächst war mir diese Eigenart aber egal, denn ich suchte nach der Abgrenzung.
Die Abgrenzung gibt es nicht, sondern es wird nur darauf hingewiesen, dass straffällige Christen jeweils einen Prozess erhalten sollten und kein Generalverdacht erfolgen soll.

Anschliessend habe ich mir die Frage gestellt „wie hat eigentlich der römische Kaiser reagiert?“
Antwort: es liegt keinerlei Reaktion vor – nichts.
-> hat sich dann irgendjemand im Christentum darüber beschwert oder enthalten die Apologien diesen Umstand – nö, eher nicht.

In der Konsequenz habe ich mal explizit danach gesucht, ob die Apologien überhaupt an den Kaiser übergeben wurden.

=> Nein, es scheint lediglich eine künstlerische Ausdrucksform zu sein, einer Religionspropaganda einen „offiziell staatlichen Zusammenhang“ zu geben.
=> Es ist eine konkrete Verankerung in der Vergangenheit, obwohl diese Verankerung eigentlich gar nichts aussagt und in dem Text keine weitere Rolle spielt.

Ist es nun auf Basis unserer „Forscher“-Tricks angebracht zu sagen „wenn es an den Kaiser XYZ gerichtet war, dann muss es schon auch in dieser Zeit geschrieben worden sein“?

“sven23“ hat geschrieben:Sind das Ergebnisse deiner privaten Forschung oder gibt es Literatur dazu?
Nun ich spreche die Ergebnisse für den Papyrus P52 an (das wohl älteste bekannte Textfragment des Neuen Testaments).
Zitat aus dem Wiki-Link:
Meistens wurde etwa 125 n. Chr. ± 25 Jahre (also ein Zeitraum von 100 bis 150 n. Chr.) genannt.[3] Eine so genaue zeitliche Eingrenzung des kleinen Fragments allein aufgrund des paläographischen Befundes ist aber nicht möglich. Eine neuere Untersuchung dehnt die mögliche Zeitspanne bis in das dritte Jahrhundert aus

Die christliche Darstellungspraxis (Frühe christliche Symbole)ist wohl mit einfachen Symbolen gestartet.
Ende des zweiten Jahrhunderts (180 n.Chr.) tauchen anscheinend erstmalig rein christliche Symbole auf. Wie eindeutig diese Zuordnung zum Christentum tatsächlich vertreten werden kann, kann ich nicht einschätzen. Der Vorgang „Fisch finden und ‚Jesus’ sagen“ kann durchaus genauso getriggert sein wie „Messias = Jesus“.

“sven23“ hat geschrieben:Der historische Jesus steht dem Glauben im Weg, wie der Spiegel titelte.
Nirgendwo steht ein historischer „Jesus“-Wanderprediger dem Glauben im Weg.

Du hast ja selbst die Albert-Schweizer-Aussage gebracht, dass alle Versuche, auf den historischen Jesus zu kommen, gescheitert sind.

Aus meiner Sicht enthält zumindest das Scheitern eine Korrektheit.
Scheitern wird es wohl einfach daran, weil wieder jeder aus einem Glaubenstext das „herausfischt“, was er gerne „im Netz“ haben möchte. Genau dafür sind Glaubenstexte da.

Die Idee der Extraktion von Vergangenheit aus einem Wundertext ist der eigentliche Fehler.

“sven23“ hat geschrieben:Was ist inhaltliche Korrektheit? Ich behaupte ja nicht - und die Forschung tut es auch nicht -, dass die Historizität von Jesus bewiesen ist, ebenso wenig wie das Gegenteil.
Ich habe dir ja „Bart Ehrman“ genannt und seine Haltung geht genau in diese „Er existierte“-Behauptungsrichtung.

Auch aus deinen Aussagen (anderen gegenüber) kann man eine gewisse Beliebigkeit in der Historizitätseinordnung entnehmen. Am Ende soll „Jesus“ schon all das irgendwie gemacht und gesagt haben und das, obwohl „jeglicher Versuch auf den historischen Jesus zu kommen, gescheitert ist“.

In einem Glaubensumfeld kann man das bis zum Erbrechen durchführen (wird ja auch gemacht), aber in einem Wissenschaftsumfeld darf so etwas nicht stattfinden, den die Existenz eines historischen „Jesus“-Wanderpredigers kann nicht vertreten werden.

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#1428 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » Sa 15. Aug 2020, 15:34

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen Anzahl und Bedeutung.
In diesem Fall schon, denn du sagt ja, dass es 2 Dutzend kleine Sekten gab und „unsere Unsichtbare“ eine davon gewesen sein soll.
Ja, aber ob sie bedeutend oder unbedeutend waren, hängt ja nicht von der Anzahl ab.
Ich erinnere mich gelesen zu haben, dass man 25 kleinere Sekten und Strömungen identifiziert hat, weiß aber nicht mehr wo.
Kubitza listet auch ein paar auf.


Im Jahre 6 n. Chr. kamen Judäa und Samaria unter direkte römische Verwaltung.
Gegen eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Steuerschätzung wehrte sich Judas
der Galiläer. Offenbar auch er ein religiöser Radikalist, proklamierte er die
Alleinherrschaft Gottes und dass man keinen anderen Herrscher neben Gott anerkennen
dürfe. Dem Menschen sprach er nicht nur die Möglichkeit, sondern sogar die
Verpflichtung zu, bei der Aufrichtung der Alleinherrschaft Gottes mitzuwirken. Konkret
forderte er zur Steuerverweigerung auf. Sein gewaltsamer Tod wird sogar in der
Apostelgeschichte erwähnt (Apg 5,37). Zwei Söhne des Judas werden vom römischen
Prokurator Tiberius Alexander gekreuzigt, offenbar hatten auch sie zur
Steuerverweigerung aufgerufen. Josephus macht seine Lehre mitverantwortlich für den
Ausbruch des Jüdischen Krieges.
Auch Johannes der Täufer gehört in die Reihe dieser unruhigen Gestalten, die das
Gottesreich und die Gottesherrschaft betonten und damit in Konflikt mit den Römern
gerieten. Auch er war eine religiös sehr konservative Gestalt, ein Fundamentalist, der die
Hellenisierung der jüdischen Gesellschaft kritisierte und das Rad der gesellschaftlichen
Entwicklung zurückdrehen wollte. Die Gottesherrschaft sah er als unmittelbar
bevorstehend an und taufte viele Juden zur Vergebung der Sünden im Jordan. Er
sammelte Jünger um sich und kritisierte unter anderem den König Herodes Antipas
wegen seines freien hellenistischen Lebensstils und seiner Entfremdung vom jüdischen
Gesetz. Herodes Antipas ließ ihn auch hinrichten, seine Jünger tauchen noch bis zum
Ende des Jahrhunderts auf. Die Gottesherrschaft kam nicht.
Offenbar ein Schüler von Johannes war Jesus von Nazareth, Sohn eines
Bauhandwerkers aus Galiläa, der als Exorzist und Wundertäter auftrat. Von Johannes im
Jordan getauft, betonte auch er die unmittelbar bevorstehende Gottesherrschaft. Er
sammelte einen eigenen Kreis von Jüngern und predigte vor allem rund um den See
Genezareth. Seinen Lehrer Johannes hat er bis zu dessen Tod hoch verehrt, zwischen den
beiden Jüngergruppen gab es jedoch Rivalitäten. Jesus wurde unter Pontius Pilatus
vermutlich im Jahre 30 nach kurzer Wirksamkeit von nur etwa einem Jahr bei seinem
vermutlich ersten Besuch in Jerusalem als Aufrührer gekreuzigt. Offenbar hatte er durch
Kritik am Tempelkult die religiöse Oberschicht provoziert. Das von Jesus angekündigte
Reich Gottes kam nicht. Seine Anhänger verkündeten später seine Auferstehung von den
Toten und verehrten ihn weiter.
Ein Prophet unbekannten Namens aus Samaria sammelte im Jahre 36 eine große
Menschenmenge und wollte mit ihnen zum Berg Garizim ziehen, um dort von Moses
angeblich vergrabene Kultgeräte auszugraben. Pontius Pilatus ließ die Menschenmenge
niedermetzeln und wurde deswegen nach Protesten seines Postens enthoben.
Unter dem Prokurator Cuspius Fadus (44–46) ruft ein gewisser Theudas Juden dazu
auf, ihm mit ihrem Besitz zum Jordan zu folgen. Auch er sah sich als einen Propheten.
Der Jordan, so verkündete er, werde sich auf seinen Befehl spalten wie einst bei Moses
das Rote Meer. Auch diese Bewegung wird durch ein Blutbad von römischer Seite
beendet. Theudas selbst wird enthauptet, sein Kopf nach Jerusalem gebracht. Gleich
eine ganze Reihe Propheten traten in der Zeit von 52–60 auf und versuchten
ihre Anhänger dazu zu bewegen, ihnen in die Wüste zu folgen. Sie versprachen ihnen
Zeichen und Wunder. Die Wüste galt seit jeher als Ort der Gottesbegegnung. Die
Bewegung wurde blutig unterdrückt.
Zur gleichen Zeit versammelte ein Ägypter seine Anhänger am Ölberg und
verkündete, dass er die Macht habe, die Mauern Jerusalems auf seinen Befehl hin
zusammenbrechen zu lassen.
Zur Zeit des Prokurators Porcius Felix (60–62) versucht erneut ein Prophet, seine
Anhänger in die Wüste zu führen. Er versprach Erlösung und ein Ende der Welt. Auch
diese Bewegung wurde blutig unterdrückt.
Kurze Zeit später trat ein weiterer Prophet, ein gewisser Jesus, Sohn des Ananias auf
und verkündete das Gericht über Jerusalem und die Zerstörung des Tempels. Von der
jüdischen Aristokratie an den Prokurator Albinus (62–64) ausgeliefert, kommt dieser zu
dem Ergebnis, dass er wahnsinnig ist, und lässt ihn frei. Er setzt seine Unglücksprophetie
fort, Jerusalem wird tatsächlich zerstört. Jesus ben Ananias stirbt bei der Belagerung,
vielleicht durch ein römisches Katapultgeschoss.
Im Jüdischen Krieg (67–70) treten offenbar mehrere Königsprätendenten auf,
darunter ein gewisser Menahem und ein Simon ben Giora. Letzterer wird nach der
Eroberung Jerusalems in Rom hingerichtet. Vermutlich ebenso erging es Johannes von
Gischala, der den Widerstand gegen die Römer in Gischala organisiert hatte und von
Titus nach Rom gebracht wurde. Möglicherweise hat er sich als Messias verstanden.
Auch nach dem Jüdischen Krieg gab es noch mehrere Königs- bzw.
Messiasprätendenten.



SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Davon muss man ausgehen, sonst hätte Josephus sie sicher erwähnt.
Wie hätte sich „Josephus“ verhalten, wenn es diese Sekte nirgendwo gegeben hat?
Richtig, genau so wie er es getan hat.
=> Es gibt keinerlei „davon muss man ausgehen“-Zwang.
Genau, es gibt keinen Zwang. Sonst hätte Josephus sicher alle obigen erwähnt.

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Das Alleinstellungsmerkmal der Zeloten war ihre Einstellung zur Gewalt.
Nein, es ist nur eine Einordnung, die dem christlichen Background gefallen würde.
Die Römer und Josephus bezeichneten die Zeloten als Räuber.

Die Zeloten sollen in diesem Zusammenhang besprochen werden, obwohl es sich strenggenommen um keine religiöse Partei im Sinne der bisher beschriebenen Gruppen handelt. Wollte man sie mit modernen politischen Bewegungen vergleichen, könnte man die Zeloten am ehesten als Guerillero-Bewegung bezeichnen. Die Römer und unsere Hauptquelle Flavius Josephus diffamieren sie als "Räuber". Das Neue Testament nimmt auf die Zeloten nur indirekt Bezug. Allerdings hat wohl einer der Jünger Jesu dieser Bewegung angehört (vgl. Lk 6,15 – Simon, genannt der Zelot [Mk 3,18; Mt 10,4 bieten die entsprechende aramäische Bezeichnung Kananäus]).

Der Name "Zelot" kommt aus dem Griechischen (ζηλωτής/ zelotes) und bedeutet "der Eiferer". Gemeint ist der Eifer um Gott, der die Triebfeder der zelotischen Aktionen war.

Josephus berichtet, dass die zelotische Bewegung aus dem Widerstand gegen den Zensus erwuchs, den die Römer in Samaria, Judäa und Idumäa durchführten, nachdem sie diese Gebiete im Jahre 6 zur imperatorischen Prokuratur Judäa unter ihrer direkten Herrschaft zusammengefasst hatten. An der Spitze des Widerstandes standen der Schriftgelehrte Judas (genannt "der Galiläer") und der Pharisäer Zadok. Zentrum der Zeloten war auch in späteren Zeiten Galiläa.

Die zelotischen Gruppen operierten von unwegsamen Gebieten aus. Sie versuchten, die römische Besatzungsmacht durch "Nadelstichangriffe" zu treffen. Andererseits scheuten sie aber auch nicht davor zurück, die Bevölkerung mit Gewalt in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Gruppe der Sikarier (von lat. sica – der Dolch) ging sogar dazu über, einzelne politische Gegner oder Kollaborateure durch Mord zu beseitigen.

Quelle: bibelwissenschaft.de

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
Die Grundlage der Zeloten ist der Wunsch nach einer göttlichen Erlösung (von der aktuellen/jeglichen Unterdrückung) in Form eines göttlichen Königreiches.
Und für diesen Zweck ist ihnen die Gewalt der angemessene Weg. Sie lehnen die römische Besatzungsmacht radikal ab und zahlen keine Steuern. Und sie schrecken auf nicht vor Morden unter jüdischen Mitbürgern zurück, die sie als Kollaborateure und Verräter ansehen. Du selbst hast es doch auch schon erwähnt.
Von der großen Hauptgruppen des Judentums sind es nur die Zeloten, die Gewalt als das Mittel der Wahl betrachten. In der Messiaserwartung und der Hoffung auf die Königsherrschaft Gottes gibt es natürlich Gemeinsamkeiten.
Übrigens waren die Zeloten auch untereinander zerstritten. Es ging wohl auch um Machtspiele und persönliche Vorteile.


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
Die Zeloten haben nirgendwo Gewalt zu ihrem Grundsatz gemacht, sondern Gewalt ist lediglich der unmittelbar letzte Schritt für die erwartete göttliche Unterstützung.
Verwechselst du das nicht mit den Essenern, die zwar Gewalt ablehnten, aber sie im Endkampf dann doch legitimieren wollten?



SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
Bei den Zeloten hat sich ja auch die Antihaltung gegenüber Nicht-Messias-Juden herausgebildet, ein Detail, das beim „Christentum“ auf Basis des Liebes-/Gewaltlosigkeits-/Erlösungsanstriches irgendwie eigenartig wirkt. Der christliche Antijudaismus ist als „zelotisches Erbe“ am besten erklärt.
Ich glaube, da verdrehst du die Fakten. Zeloten waren besonders strenggläubige Juden, radikal-theologische Fundemantalisten, ähnlich wie die Taliban, die mit neumodischem Kram wie der Vergottung eines Menschen mit Sicherheit nichts anfangen konnten, bzw. dies als Gotteslästerung empfunden hätten.
Auch die Pharisäer lehnten als gläubige Juden derlei Verirrung natürlich ab. Hier ist der Ursprung des christlichen Antijudaismus zu suchen, den die Evangelisten mal wieder wie so oft in die Zeit Jesu zurückprojizierten.

Allgemein versteht man heute unter einem Pharisäer einen „Scheinheiligen“. Dies ist
allerdings ein Vorurteil, das bereits im Neuen Testament begegnet, aber der Realität zur
Zeit Jesu nicht entspricht. Im Zuge der jüdischen Kriege gegen Rom überlebten von all den
Religionsparteien nur die Pharisäer. Diese waren dann tatsächlich die „Feinde“ der Christen,
weil die Christen von ihnen aus der Synagoge ausgeschlossen wurden. Gegen die
Sadduzäer braucht in den Schriften des Neuen Testaments nicht mehr polemisiert werden,
weil sie ja untergegangen waren. Für alle Negativerfahrungen (auch zur Zeit Jesu) werden
die Pharisäer verantwortlich gemacht. Ihr ehrliches Ringen um die Erfüllung des Willens
Gottes wird (leider) nicht mehr gesehen. „Pharisäer“ war zur Zeit Jesu aber alles andere als
ein Schimpfwort!

Dr. Franz Kogler, ENDZEITHOFFNUNGEN ZUR ZEIT JESU


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Auch Paulus warnte ja vor Gewaltanwendung. Seine Behauptung, dass alle Obrigkeit von Gott eingesetzt sei, sollte wohl die Römer besänftigen und steht der antirömischen Gesinnung der Zeloten (und auch von Jesus) diametral entgegen.
Die „Paulus“-Figur passt vollständig zu den Zeloten, denn als „Eiferer“ und Verfolger von Abweichlern, kann „er“ unmittelbar als Zelot angesehen werden.
Das „Paulus“-Thema startet quasi im Zelotenmodus. Dann kommt die „Umschulung“ (ohne Kontakt zu einem historischen Jesus!) und fortan wird Gewaltlosigkeit eingebaut, bei weiterhin dominanten Glaubensauflagen, aggressiv vorgetragen.
Genau so stellt man sich Zeloten vor, die den jüdischen Krieg als Flüchtling überstanden haben und ihren fanatischen Glauben auf Basis des Niederlagen- und Ausbleiben-Göttlicher-Unterstüzungs-Schocks leicht anpassen.
Dann wäre Paulus ein perfekter Wendehals. Vom zelotischen Eiferer, der die römische Besatzungsmacht radikal ablehnt, und jetzt auf einmal römisches Bürgerrecht besitzt und die Obrigkeit bartpinselt. Außerdem datieren die echten Paulusbriefe vor dem jüdischen Krieg.

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Jedenfalls räumt Gerd Theißen ein, dass Jesus und die Zeloten einen gemeinsamen Background hatten
Das ist ein sehr unsinniges Einräumen, weil er die Historizität zur „Jesus“-Figur gar nicht hat.
Auch wenn Jesus eine rein literarische Figur wäre, könnte man Gemeinsamkeiten ausmachen.


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Es gab wohl mündliches Überlieferungsgut. Denn die Legendenbildung setzte wohl sehr bald nach seinem Tod ein. (Elvis lebt)
Eine Popularität à la „Elvis“ und dabei „total unbedeutend/unbekannt/unsichtbar“ ist leider ein völliges Märchen – keinerlei Wahrscheinlichkeit oberhalb von 0.
Natürlich gab es keine Massenmedien, aber eine kleine Anhängerschar hatte er ja wohl offenbar. Und Legendenbildung hat immer irgendwo ihren Ursprung. Und dann braucht man Multiplikatoren, wie Paulus oder die Evangelisten. Damit war der Karrierestart gelegt, wenn auch nur posthum.

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Man brauchte wohl Sündenböcke und die im geheimen agierenden Christen weckten Mißtrauen und schienen sich ideal zu eignen.
„Sündenböcke“ für was?
Wie können „geheimen agierenden Jesus-Christen“, die einer unbedeutenden, unsichtbaren Sekte angehören, Misstrauen wecken?
Geheime Treffen wecken immer Mißtrauen bei denen, die nicht eingeladen sind. (siehe Geheimbünde). Für was die Freimauerer bei heutigen Verschwörungstheoretikern alles herhalten müssen, ist ja bekannt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Christenverfolgungen_im_R%C3%B6mischen_Reich

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Ich habe eine Reihe von inhaltlichen Gründen genannt. Man muss erklären können, warum es diese enorme Diskrepanz zwischen historischem Jesus und verklärtem Christus gibt.
Nein, es gibt wissenschaftlich gesehen keinen Grund für ein schwebendes Kartenhaus.
Man muss nicht von einer historischen Existenz ausgehen und dann irgendwelche Diskrepanzen auflösen.
Warum? Du sagst doch selber, dass keine Fragen ausgeklammert werden dürfen.
Wenn man diese Diskrepanz nicht erklären will oder kann, dann fehlt was ganz Entscheidendes.
Man könnte die Schreiber nur dadurch entschuldigen, dass sie keine intimen Kenner des Judentums waren und nicht wußten, was von einem Messias erwartet wird und dass man keinem gläubigen Juden die Vergottung eines Menschen zumuten kann. Von der Vielzahl der menschlichen Schwächen des Wandpredigers mal abgesehen. Der noch nicht verkärte Jesus, den man aus den Texten extrahieren kann, ist nichts anderes als ein gewöhnlicher Mensch, der sich zudem noch grundlegend geirrt hat. Ein allwissender, präexistenter Gottessohn, der sich irrt, ist schlecht vorstellbar.


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Wäre Jesus eine rein literarische Figur, dann darf man den für damalige Verhälnisse sehr gebildeten Schreibern wohl zutrauen, diese Figur von Anfang an so angelegt zu haben, dass sie später nicht in so große Erklärungsnöte geraten.

Du gehst von komplett falschen Texterwartungen aus.
Glaubenstexte müssen nicht korrekt sein, sondern eine religiöse Faszination wecken.
Aber es gab ja damals schon zeitgenössische Kritiker, die auf Unstimmigkeiten hingewiesen haben. Und Konsens im Judentum war, dass ein Messias nicht als gewöhnlicher Verbrecher hingerichtet wird, ohne dass Gott eingreift. Wenn es eines Beweises bedurfte, dass auch Jesus ein falscher Prophet war, dann wurde er doch damit erbracht. Abgesehen vom Irrtum der Naherwartung.


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Sind das Ergebnisse deiner privaten Forschung oder gibt es Literatur dazu?
Nun ich spreche die Ergebnisse für den Papyrus P52 an (das wohl älteste bekannte Textfragment des Neuen Testaments).
Zitat aus dem Wiki-Link:
Meistens wurde etwa 125 n. Chr. ± 25 Jahre (also ein Zeitraum von 100 bis 150 n. Chr.) genannt.[3] Eine so genaue zeitliche Eingrenzung des kleinen Fragments allein aufgrund des paläographischen Befundes ist aber nicht möglich. Eine neuere Untersuchung dehnt die mögliche Zeitspanne bis in das dritte Jahrhundert aus
Papyrus 52 ist ja auch kein Original, sondern eine Abschrift einer Abschrift einer Abschrift.

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Der historische Jesus steht dem Glauben im Weg, wie der Spiegel titelte.
Nirgendwo steht ein historischer „Jesus“-Wanderprediger dem Glauben im Weg.

Du hast ja selbst die Albert-Schweizer-Aussage gebracht, dass alle Versuche, auf den historischen Jesus zu kommen, gescheitert sind.
Schweitzer meint damit, dass der verkärte Jesus der Evangelien nie existiert hat, sehr wohl aber der Wandeprediger Jesus, der als Fresser und Weinsäufer verschrien war, sich von Frauen aushalten ließ, für eine Toraverschärfung eintrat und sich in der Naherwartung der Königsherrschaft Gottes geirrt hat.

SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
“sven23“ hat geschrieben: Was ist inhaltliche Korrektheit? Ich behaupte ja nicht - und die Forschung tut es auch nicht -, dass die Historizität von Jesus bewiesen ist, ebenso wenig wie das Gegenteil.
Ich habe dir ja „Bart Ehrman“ genannt und seine Haltung geht genau in diese „Er existierte“-Behauptungsrichtung.
Ehrmann ist aber nicht repräsentativ für die Forschung. Gerd Theißen gibt den Konsens wieder: Wissenschaft kann nicht sagen, so war es, sondern so könnte es gewesen sein.


SilverBullet hat geschrieben:
Sa 15. Aug 2020, 09:06
In einem Glaubensumfeld kann man das bis zum Erbrechen durchführen (wird ja auch gemacht), aber in einem Wissenschaftsumfeld darf so etwas nicht stattfinden, den die Existenz eines historischen „Jesus“-Wanderpredigers kann nicht vertreten werden.
Doch, doch, sie kann durchaus vertreten werden. Sie kann nicht bewiesen werden, ebensowenig sie die nicht-Existenz bewiesen werden kann.
Wir können auf Grund der dünnen Quellenlage nur von Indizien sprechen.
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#1429 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von sven23 » So 16. Aug 2020, 08:45

SilverBullet hat geschrieben:
Di 11. Aug 2020, 10:16
Es ist ein reines Märchen, dass es daneben die unsichtbare „Jesus“-Bewegung gegeben hat.
Warum? Es ist sogar historisch plausibel, weil es viele derartige Erneuerungsbewegungen gegeben hat.

Christen ohnehin, aber auch Nichtchristen empfinden Auftreten und Sterben Jesu als
etwas Singuläres, in besonderer Weise Einzigartiges. Der historische Befund und die
lange Auflistung zeigen jedoch, dass dieser Eindruck falsch ist. Das Geschehen um Jesus
von Nazareth war nur eine von vielen Erneuerungsbewegungen, die das unruhige
Palästina heimsuchten. Alle paar Jahre traten Propheten, Charismatiker, Messiasse und
Königsprätendenten mit zum Teil abstrusen Lehren auf. Das jüdische Volk Palästinas war
ständig dem Einfluss religiöser Fanatiker ausgesetzt, denn alle diese Bewegungen waren
auf ihre je eigene Weise rückwärtsgewandt, erzkonservativ, von einem religiösen oder
religiös verbrämten Nationalismus geprägt. Und offenbar zeigte sich das Volk
empfänglich für solche Einflüsse.Und es zeigt sich auch, dass die Unterscheidung
(unsere Unterscheidung) zwischeneinem religiösen und einem politischen Auftreten
dieser Propheten künstlich ist.
Die Trennung dieser beiden Bereiche scheitert schon daran, dass der erwartete religiöse
Messias meist auch als politischer Herrscher erwartet wurde. Das erwartete Reich Gottes
war kein Reich über den Wolken (erst die Christen haben es dazu gemacht), man
erwartete es irdisch verwirklicht. Mitten in dieser Welt sollte Gott seine Herrschaft
aufrichten, und dazu mussten die irdischen Feinde natürlich geschlagen werden, Gott
selbst würde sie schlagen, und seine treuen Anhänger würden ihm dabei helfen. Die
religiöse Privatsphäre ist religionsgeschichtlich eine sehr späte Erfindung.
Deshalb waren religiöse Bewegungen den Römern auch immer politisch verdächtig,
sie mussten es sein, denn jede Predigt von einem nahe bevorstehenden Reich Gottes,
mochte sie noch so fromm vorgetragen sein, bedrohte indirekt ihre
Herrschaftsansprüche.

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#1430 Re: Warum gab es eigentlich den Baum von der Erkenntnis von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Mo 17. Aug 2020, 13:56

“sven23“ hat geschrieben:Papyrus 52 ist ja auch kein Original, sondern eine Abschrift einer Abschrift einer Abschrift. Papyrus 52 ist ja auch kein Original, sondern eine Abschrift einer Abschrift einer Abschrift.
Naja, Papyrus P52 ist das älteste Fundstück des Neuen Testaments (es wird zwar manchmal angedeutet, dass dies nicht mehr gelten soll, aber ich habe nichts anderes gefunden).
Man darf das ruhig ein paar Sekunden auf sich wirken lassen, bevor man eine „das reicht aber nicht aus“- Haltung einnimmt.

Insgesamt gibt es einen klar erkennbaren Drang zur Frühdatierung. Die Wünsche bei der zeitlichen Einordnung von Texten zeigen deutlich auf eine Platzierung möglichst nahe bei 30.n.Chr.
So etwas ist grundsätzlich gefährlich, weil es damit an der notwendigen Neutralität fehlt.
Mühsam müssen sich bei so einem religiösen Nährboden Korrekturen erst einmal durchsetzen.

Wissenschaftlich liegen folgende Fakten vor:
Papyrus P52 (wahrscheinlich ein winziger Teil aus dem „Johannesevangelium“) ist das älteste gefundene Fragment eines Textes zum Neuen Testament und stellt damit den frühesten gut bestätigten Zeitpunkt einer Art „Christentum“ dar (wichtig: der Name „Jesus“ taucht im Fragment nicht auf).
Eine Datierung am Ende des 2. (Anfang des 3.) Jahrhunderts scheint plausibel, denn für diesen Zeitraum tauchen wohl auch die ersten Symbole auf, die man als christlich einstufen kann.

Das Vermuten eines viel früheren „Originals“ kann bestenfalls als Hypothese angesehen werden.
Man sollte sich aber klar darüber sein, dass, je unbedeutender „die kleine Sekte“ in der jeweiligen Zeit auftauchen soll, desto seltsamer wird das fleissige Schreiben von Texten, die zudem in einer Zeit der Verfolgung und ohne jegliche Abgrenzung zu den in dieser Zeit dominanten Vorgängen (zelotische Messiasbewegung) geschrieben worden sein sollen.
Das Fehlen von Symbolen müsste dann zudem bedeuten, dass die Anhänger der „kleinen unbedeutenden Sekte“ lieber lange Texte geschrieben haben, als Symbole zu malen.

“sven23“ hat geschrieben:Außerdem datieren die echten Paulusbriefe vor dem jüdischen Krieg.
Beachte:
eine derartige „Datierung“ verwendet die Wundertexte als Geschichtsbuch, was wir aber ja nicht machen wollen.

Wenn man eine derartige Datierung anbringen möchte, dann müsste die Aussage so lauten:
„Die Schreiber haben die Legende vor den jüdischen Krieg platziert.“

“sven23“ hat geschrieben:Natürlich gab es keine Massenmedien, aber eine kleine Anhängerschar hatte er ja wohl offenbar. Und Legendenbildung hat immer irgendwo ihren Ursprung. Und dann braucht man Multiplikatoren, wie Paulus oder die Evangelisten. Damit war der Karrierestart gelegt, wenn auch nur posthum.
Es gibt kein „offenbar“, weil dieser „er“ nicht vorliegt.

Ich denke wir sind hier an einem ganz zentralen Gesichtspunkt deiner Haltung: irgendwie scheinst du dich wohler zu fühlen, wenn es da eine „historische Ursache“ in Form einer konkreten Person gegeben haben soll.
Dass du in deiner Hypothese den eigentlichen „Karrierestart“ aber wiederum von der historischen Person abkoppelst, denn hierfür sollen „die Multiplikatoren“ in Form einer vollständigen Verklärung zuständig sein, scheint dich nicht zum Nachdenken darüber zu bringen, ob es denn dann überhaupt eine konkrete historische Person gegeben haben muss.

Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass du die Bibel irgendwie als Geschichtsbuch einsetzen können möchtest. Du möchtest argumentieren können „so hat er sich damals verhalten, denn hier steht es so drin“ – Motto: Wunder werden abgezogen aber die „normalen“ Handlungen haben so stattgefunden.

Mit der „Paulus“-Figur akzeptierst du aber bereits einen „Multiplikator“, der gar nichts multipliziert, denn es gab laut der Legende keinerlei Kontakt zu einer konkreten historischen Person und die Texte enthalten keine Jesus-Lebenslaufdetails.

Mit „der Heidenmissionierung“ hast du zudem eine Zielgruppe, die ganz bestimmt nicht mit der konkreten historischen Person in Kontakt stand.

=> Bei dem gesamten Vorgang, den du als „die Verklärung einer historischen Person“ einordnen möchtest, kommt es zu keiner Zeit auf eine konkrete historische Person an.

“sven23“ hat geschrieben:Doch, doch, sie kann durchaus vertreten werden. Sie kann nicht bewiesen werden, ebensowenig sie die nicht-Existenz bewiesen werden kann.
Wir können auf Grund der dünnen Quellenlage nur von Indizien sprechen.
Nein, ein „Indiz“ muss für sich selbst als Tatsache dastehen. Nur die Verbindung zur Fragestellung liegt bei einem Indiz nicht zwanghaft vor. Das Indiz selbst darf dabei aber kein Wunsch, keine Vermutung, keine Hypothese, keine Annahme, keine Glaubenseinstellung (usw.) sein.

Deshalb sage ich ja, dass man von den Wundertexten nicht zur Historizität springen kann.
Dass etwas in einem Wundertext steht, sagt nichts darüber aus, wie es dort hineingekommen ist (ausser, dass es von irgendjemenad, irgendwann aufgeschrieben wurde).

“sven23“ hat geschrieben:Es ist sogar historisch plausibel, weil es viele derartige Erneuerungsbewegungen gegeben hat.
Schauen wir sie uns mal genauer an:
  • die Zeloten sind tatsächlich eine Bewegung, die eine neue religiöse Betonung, nämlich die vollständige Ausrichtung auf den Messias einführen.
  • „Johannes der Täufer“ gehört nicht zu diesen neuen Bewegungen, denn die einzige ausserchristliche Quelle, „Jüdische Altertümer von Flavius Josephus“ (christlich kontaminiert?) bezeichnet ihn lediglich als „guten Mann“ und kennt ansonsten keine dahinter stehende Bewegung, wodurch „die Bewegung“ zu der Legendhaften Behauptung gezählt werden muss, die ja in dieser Auflistung geklärt werden soll.
  • „Jesus-Christen“ gehört nicht zu diesen neuen Bewegungen, denn diese Bewegung soll ja abgeklärt werden.
  • Für zahlreiche „falsche Propheten“ schildert „Flavius Jospehus“, dass sie Menschen irgendwohin geführt haben sollen, mit dem Ziel einer „Erlösung“, wobei sie von den Römern vernichtet wurden.
    Für keines dieser „Endereignisse“ steht fest, dass es sich um Bewegungen gehandelt hat – vielmehr geht es darum, dass Geschehnisse aus dem alten Testament erneut durchgespielt werden sollen – es geht also um Nachahmung und nicht um Erneuerung und eine längerfristige Gemeinschaft (eine Bewegung) ist nirgendwo ersichtlich.

Eine wirkliche Bewegung liegt nur in Form der Zeloten vor. Diese haben tatsächlich eine religiöse Neuausrichtung eingeführt und nur diese haben mehr als ein Einzelereignis überdauert.

Wer eine „kleine unbedeutende Sekte“ in der Vergangenheit suggerieren möchte, der rechnet gerne jede Begegnung von mehr als zwei Leuten zu „den Bewegungen“, aber das „Jesus-Christentum“ soll ja keine „Kurzzeitbewegung“ gewesen sein, sondern relativ schnell sogar Texte zur Verbreitung produziert und eingesetzt haben, ein Detail, das noch nicht einmal für die Zeloten bekannt ist.
Interessant ist, dass in diesen Texten, Geschehnisse rund um zelotische Führer erkennbar sind, während jegliche Auseinandersetzung mit den Zeloten fehlt.

“sven23“ hat geschrieben:Die Zeloten sollen in diesem Zusammenhang besprochen werden, obwohl es sich strenggenommen um keine religiöse Partei im Sinne der bisher beschriebenen Gruppen handelt. Wollte man sie mit modernen politischen Bewegungen vergleichen, könnte man die Zeloten am ehesten als Guerillero-Bewegung bezeichnen. Die Römer und unsere Hauptquelle Flavius Josephus diffamieren sie als "Räuber". Das Neue Testament nimmt auf die Zeloten nur indirekt Bezug. Allerdings hat wohl einer der Jünger Jesu dieser Bewegung angehört (vgl. Lk 6,15 – Simon, genannt der Zelot [Mk 3,18; Mt 10,4 bieten die entsprechende aramäische Bezeichnung Kananäus]).

Quelle: bibelwissenschaft.de
Genau das ist die christliche Verklärung für die damaligen Zeit:
Man nimmt der tatsächlich vorhandenen religiösen Bewegung den Messias-Charakter, damit man „das Christentum“ genau dort als „das Neue“ platzieren kann.

Ja richtig, „Simon der Zelot“ soll „ursprünglich“ der Zeloten-Bewegung angehört haben (in der Jesus-Legende handelt er nicht allzu viel).
Wieso wird er als „der“ Zelot eingeführt und nicht wie die anderen als „Sohn des …“ oder wenigstens als „Simon ein Zelot“?
=> Mit „Simon der Zelot“ müsste ihn ein Leser kennen bzw. finden können, wobei die Bibeltexte noch nicht einmal aufklären, wer die Zeloten waren. Gut, schauen wir die Zelotenbewegung von der Spitze her an. Der Gründer „Judas der Galiläer“ hatte zwei Söhne: „Simon und Jakobus“.
=> OK, da macht „Simon der Zelot“ durchaus etwas Sinn – nur ist es bestimmt nicht der Sinn, den sich die Jesus-Christen gerne wünschen, denn sie haben es dummerweise eher auf „Simon ein Zelot“ abgesehen (also nur auf ein kleines Zahnrädchen dieser ansonsten „dunklen Gewaltbewegung“).

“sven23“ hat geschrieben:
Der Name "Zelot" kommt aus dem Griechischen (ζηλωτής/ zelotes) und bedeutet "der Eiferer". Gemeint ist der Eifer um Gott, der die Triebfeder der zelotischen Aktionen war.

Quelle: bibelwissenschaft.de
Richtig, und „Eiferer“ wurde als Bezeichnung für die „Paulus“-Figur verwendet, wobei die „Jesus“-Christliche-Sicht dann aber wieder den Zeloten-Bezug „vergisst“.

“sven23“ hat geschrieben:
Josephus berichtet, dass die zelotische Bewegung aus dem Widerstand gegen den Zensus erwuchs, den die Römer in Samaria, Judäa und Idumäa durchführten, nachdem sie diese Gebiete im Jahre 6 zur imperatorischen Prokuratur Judäa unter ihrer direkten Herrschaft zusammengefasst hatten. An der Spitze des Widerstandes standen der Schriftgelehrte Judas (genannt "der Galiläer") und der Pharisäer Zadok. Zentrum der Zeloten war auch in späteren Zeiten Galiläa.

Quelle: bibelwissenschaft.de
Richtig, und zum Zensus gehörte eine gewisse Volkszählung, die ca. im Jahre 6 bei der Geburt von „Jesus“ eine Rolle gespielt haben soll.
Sagen wir einfach „die Zeloten wurden in einem Stahl in der Nähe von Ochs und Esel geboren“ – das passt.

“sven23“ hat geschrieben:
Die zelotischen Gruppen operierten von unwegsamen Gebieten aus. Sie versuchten, die römische Besatzungsmacht durch "Nadelstichangriffe" zu treffen.

Quelle: bibelwissenschaft.de
Richtig, die Zeloten operierten wohl aus Höhlen in der Steinwüste heraus. Dort hatten sie variable Stützpunkte.
Ein Zelot, der die Steuerabgaben nicht erbringen wollte, musste bei seinem „Karrierestart“ in die Wüste fliehen, denn die Römer haben seinen Besitz konfisziert und seine Verfolgung gestartet, wodurch die Wüste zu einem strategischen Hotspot wurde.

Wie war das noch, ging die „Jesus“-Figur nicht auch irgendwie in die Wüste und hat dort „sein Zentrum“, „seine Vorbereitung“ gefunden, bevor er in Galiläa (einem Zelotenzentrum) gewirkt hat?

“sven23“ hat geschrieben:Von der großen Hauptgruppen des Judentums sind es nur die Zeloten, die Gewalt als das Mittel der Wahl betrachten. In der Messiaserwartung und der Hoffung auf die Königsherrschaft Gottes gibt es natürlich Gemeinsamkeiten.
Da musst du mehr ins Detail gehen, denn die Messiasausrichtung wurde von den Zeloten maximal konkretisiert und ins Zentrum gezogen, was einer neuen religiösen Orientierung gleichkommt.

Die Zeloten stehen der anderen jüdischen Ausrichtung so gegenüber, wie es für Christentum<->Judentum gilt. Bei den anderen jüdischen Haltungen ist es schon auch irgendwie vorhanden, aber lange nicht derart betont.

Aus christlicher Sicht werden die Zeloten wie „Gewaltanbeter“ angesehen und so die Gemeinsamkeiten von vorn herein klein gehalten. Von der religiösen Betonung her sind die Zeloten vielmehr der Ursprung des Christentums.

Dass zwei Bewegungen gleichzeitig, in der gleichen Region, mit den gleichen Auslösern, die gleiche Idee hatten, sich aber dann vollständig ignorierten und nur die kleinere unbedeutende/unsichtbare Bewegung viele Texte produzierte, ist kompletter Unsinn.

“sven23“ hat geschrieben:Zeloten waren besonders strenggläubige Juden, radikal-theologische Fundemantalisten, ähnlich wie die Taliban, die mit neumodischem Kram wie der Vergottung eines Menschen mit Sicherheit nichts anfangen konnten, bzw. dies als Gotteslästerung empfunden hätten.
Du zeichnest hier wieder eine Problematik auf, die nur durch deine Hypothese (eines historischen Jesus-Wanderprediger) entsteht.

Die Zeloten sind eher nie einem „Jesus“-Christen begegnet, weil es keine Gleichzeitigkeit gab.

Erst in der Nachkriegszeit musste die Messias-Phantasie angepasst werden und da entfernt man halt einfach die Gewalt, die man ja sowieso nie angebetet hat, aus dem Erinnerungsschatz und ersetzt sie durch harmlos klingende Liebes- und Friedens-Behauptungen rund um einen fiktiven Messias, der die Vergangenheit von zahlreichen Personen schemenhaft wiedergibt und zwar mit Ausblick, dass es „doch noch irgendwie weitergehen“ kann.

“sven23“ hat geschrieben:Dann wäre Paulus ein perfekter Wendehals.
Die „Paulus“-Figur entsorgt sich durch den ganzen Visionsquatsch.
Die Legenden-Konstellation ist doch maximal phantastisch:
der eigentliche Religionsheld geht tragisch unter, wird aber dann durch einen „Träumer“ ersetzt, der von allen als zentraler „Wahrheitssprecher“ akzeptiert wird und obwohl es keinerlei Kontakt („ausser der uns allen aus dem Alltag bekannten Visions-Funktion“ :-)) zwischen den beiden gegeben hat, gehen von dem „normalen Marktschreier“ mehr Auflagen und mehr Dominanz aus, als vom eigentlichen Messias.

Die Figuren agieren hier auf einem Legendenniveau, wie es „Winnetou“ (bei weitaus mehr Details) nie erreicht hat – fang jetzt nicht an, den „historischen Winnetou“ zu suchen.

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