Solche Storys sind in seiner Zeit allseits bekannt. Märchenhaft - und mit seinem jüdischen Glauben allerdings nicht wirklich verträglich. Man muss bedenken, dass der gläubige Jude in der Zeit NACH dem babylonischen Exil lebt. Da hat der jüdische Glaube bereits einige Entwicklungsstufen hinter sich. Das Märchen, das er vorfindet, klingt in seinen Ohren wie eben ein altes Märchen aus überwundener Vorzeit.
Aber die Faszination an Märchen scheint mit wachsendem Alter sogar eher zuzunehmen. Ein abstruses Gottesbild, bei dem Gott und der Teufel mehr oder weniger auf einer Stufe stehen. Dann aber liest er in dem Märchen von einer noch abstruseren Wette. Der arme Hiob wird zum Spielball dieser Wette. Der Teufel wettet mit Gott, dass er (der Teufel) selbst den besten und frömmsten Anhänger Gottes umpolen kann, falls ihm Gott nur erlaube, ihm Leiden und Schaden zuzufügen.
Hier wird es ein erstes Mal philosophisch. Hier steht die Frage auf der Tagesordnung, ob Menschen nur dann zu Gott halten und ihm vertrauen können, wenn Gott ihnen gegenüber auch ein Wohltäter ist. Ist es nicht so, dass Menschen, sobald ihnen Übles widerfährt, anfangen mit Gott zu hadern? Ihm Vorwürfe machen?
Im Märchen ist nun von dem Superhelden Hiob zu lesen. Manno, ist der Junge ein guter Dulder. Alles wird ihm genommen. Er wird krank und leidend. Und er hat keine Ahnung, warum? Wieso sendet ihm Gott so ein Elend? Von der himmlischen Wette weiß er ja nichts.
Aber der liebe Hiob bleibt bei seinem Glauben. Mustergültig.
1, 21 Dann sagte er: Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; / nackt kehre ich dahin zurück. / Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; / gelobt sei der Name des Herrn.
22 Bei alldem sündigte Ijob nicht und äußerte nichts Ungehöriges gegen Gott.
Seine Frau allein bleibt ihm erhalten. Ein wahrer Satansbraten, eine Versucherin. Hiob widersteht auch dieser Herausforderung.
2, 9 Da sagte seine Frau zu ihm: Hältst du immer noch fest an deiner Frömmigkeit? Lästere Gott und stirb!
10 Er aber sprach zu ihr: Wie eine Törin redet, so redest du. Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen? Bei all dem sündigte Ijob nicht mit seinen Lippen.
Alle Herausforderungen hat Hiob bestanden. Er hat die Wette für Gott gewonnen. Und - richtig schön märchenhaft: Das Gute gewinnt! - Gott gibt dem Hiob alles, was er früher hatte, als Lohn in doppelter Menge zurück. Witzig in unseren Augen: Auch seine Söhne. Die alten bleiben zwar tot. Aber dafür eben ein paar neue.
Dieses alte Märchen liest der gläubige Jude. Und anscheinend beschäftigt ihn die Geschichte. Die ganze märchenhafte Szenerie ist zwar absurd - aber die Frage, wieso Gott Leiden zulässt, ist eine der großen Menschheitsfragen und betrifft auch ihn.
Der gläubige Jude kennt eine andere Erklärung, nämlich die jüdische Erklärung. Diese Erklärung heißt nicht "Gott macht Dich zum Spielball absurder Wetten mit dem Teufel", sondern "Du bist selber schuld an dem Leiden. Weil Du nämlich ein Sünder bist. Dein Leiden ist die Strafe für Deine Sünde."
Klingt erst mal gut. Aber stimmt das? Ist das nicht ein Schönreden Gottes?
Die Erklärung mit der absurden Wette erscheint doch manchmal einsichtiger, als die Erklärung mit der eigenen Schuld.
Auch den Brävsten und Gottesfürchtigsten kann das entsetzlichste Leiden treffen.
Da kommt die Gedankenwelt des gläubigen Juden durcheinander.
Gott hat die Welt als superduper Paradies geschaffen. Wer ist daran schuld, dass wir nicht mehr im Paradies sind? Natürlich nicht Gott! Das widerspräche der althergebrachten Vorstellung. Die Menschen sind Schuld! Weil sie sich haben verführen lassen, sein zu wollen wie Gott. Weil sie Gott nicht vertraut haben. So ist es seit Adam und Eva!
"Ja, schon!", denkt der gläubige Jude. "Aber nicht immer."
Der gläubige Jude ist nicht nur dieser philosophischen, theologischen und moralischen Gedanken fähig, sondern auch des Schreibens. Also setzt er sich hin und schreibt.
"Was glaube ich über die Frage, warum Gott auch schuldlosen Menschen entsetzliches Leid zufügt?"
Vorlage bleibt das Märchen mit seiner absurden Wette, mit dem (für jüdisch-nachexilische Ohren) absurde Gottesbild. Denn so absurd kommt einem das doch vor: Gott sendet sogar seinem treuesten Anhänger Leid. Und in der Realität ist es oft so, dass ein Ausgleich (wie bei Hiob am Ende) nie im Leben stattfindet. Das Leben ist nicht märchenhaft.