sven23 hat geschrieben:Man sollte aber bedenken, dass der biblische, idealisierte und auch instrumentalisierte Jesus nicht identisch ist mit dem historischenNovalis hat geschrieben:Um zum Thema zurück zu kommen: es gab genau einen Jesus und diesen können wir aus verschiedenen Perspektiven betrachten und unterschiedlich beschreiben. In dem wir diese Perspektiven betrachten, können wir ihn erkennen und verstehen lernen, wer er ist, also es ereignet sich "Gnosis".
Wenn wir erkennen und verstehen wollen, wer Jesus von Nazareth ist und welche spirituelle Lehre er vermitteln wollte, dann ist es notwendig, dass wir uns die verschiedenen Perspektiven zu Gemüte führen. Rein äußerlich gesehen entstammte er einer jüdischen Familie in Galiläa und arbeitete vermutlich als Zimmermann. Erst mit ungefähr 30 Jahren begann sein öffentliches Wirken, Jünger schlossen sich ihm an und er geriet aufgrund seiner ungewöhnlichen Handlungen und Worte in Konflikt mit dem religiösen Establishment der damaligen Zeit.
Außerdem ist überliefert, dass er psychisch kranke („Besessene“, wie man in der damaligen antiken Kultur sagte) und körperlich Kranke geheilt hat, was im Grunde auch von der jüdischen Tradition indirekt bestätigt wird, was wir beispielsweise an dieser Aussage des Babylonischen Talmuds erkennen können: „Er hat Zauberei getrieben.“ (Sanhedrin, 43a) ~ besonders glaubwürdig werden diese Aussagen auch dadurch, dass Jesus selbst nicht irgendwelche Wunder, sondern seine Botschaft - „Das Reich Gottes ist nahe!“ (Markus 1,15) – für entscheidend hielt. Die Nähe des Reich Gottes zeig sich dann eben in Heilung von Krankheiten, Vergebung von Sünden und schließlich in der Auferstehung, das Symbol für den Sieg des Lebens über den Tod schlechthin. Selbst in der islamischen Mystik wird Jesus als der „große Arzt“ und „Prophet der Liebe“ bezeichnet. Bemerkenswert finde ich diese Worte der evangelischen Theologin und Psychotherapeutin Hanna Wolff:
„Jesus spricht nicht von Neurose, Trauma oder Depression. Diese modernen Begriffe fehlen selbstverständlich. Aber - und das ist das Entscheidende - das Wissen um die Leben erbauenden und Leben zerstörenden psychischen Abläufe ist voll da. Es ist derart fundamental da, dass wir heutigen Psychotherapeuten noch von ihm lernen können.“
Selbst wenn Du Jesus rein weltlich/säkular betrachtest, kannst Du erkennen, dass das stimmt. Er ist offenbar nicht irgendein Mensch. Auch diese Aussage des Historikers Alexander Demandt über sein messianisches Charisma wird jeder Atheist mit Sicherheit zustimmen können:
„Jesus ist einzigartig. Sein messianisches Charisma sucht seinesgleichen. Allerdings wäre seine Botschaft nicht verstanden worden, hätte Paulus nicht das Griechische als Kultsprache eingeführt...[Ohne Christentum] hätte es keine Ketzerverfolgungen gegeben, keine Inquisition [...]. Aber es gäbe auch keine Kathedralen und keine Klöster. Wahrscheinlich gäbe es auch keine Hospitäler, denn die Christen haben schon früh ihr Ansehen durch praktische Nächstenliebe begründet.“ Alexander Demandt, Historiker, (Interview in: Kleine Zeitung 31.03.2010)
Die Geister scheiden sich jedoch, wenn es um die Frage geht, ob Jesus der „Sohn Gottes“ war und wenn ja, was das bedeutet, schließlich kann man das auch metaphorisch verstehen. Sehr schön finde ich auch diese Worte, die ich hier schon öfter zitiert habe und hier nicht fehlen dürfen:
„Christus ist das Modell der universalen Liebe, der Vergebung für die Feinde und des zur Rettung der anderen geopferten Lebens.“ Umberto Eco (in: C. M. Martini/U. Eco, Woran glaubt, wer nicht glaubt?,1998, 92)
Außerdem ist es klar, dass das Leben Jesu - ohne die Auferweckung/Aufstehung - zwar vorbildhaft und bewundernswert war, aber trotzdem letztlich eine Tragödie. Ohne die Auferstehung gibt es keinen christlichen Glauben, was schon der hl. Paulus sagte: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist Christus nicht auferweckt. Wenn aber Christus nicht auferweckt ist, ist unsere Predigt leer, leer auch euer Glaube“ (15,13f)
Dann wäre aber auch die Frage, was „Auferstehung“ bedeutet: ist eine physische Auferstehung gemeint oder eine spirituelle Auferstehung, die in figurativer Sprache beschrieben wird?
Die verschiedenen Hoheitstitel – wie Sohn Gottes, Christus, Messias – ergeben wohl erst wirklich im Licht der Auferstehung Sinn:
„Den Jünger/innen wird immer klarer: Im Gekreuzigten und Auferstandenen treffen die Menschen auf die Liebe Gottes, die auch die Dunkelheiten ihres Lebens mitleidet und sie eines Tages in Osterfreude verwandeln kann. Als Juden und Jüdinnen nennen sie Jesus deshalb Messias (= griechisch Christus)“
Karl Veitschegger
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Gerade nicht von Jesu Geburt, sondern von Jesu Tod ist auszugehen, wenn man verstehen will, warum Jesu Jünger dazu kamen, ihn als Gottes Sohn zu verkünden. Der Sterbensruf Jesu »Mein Gott, mein Gott, warum hast zu mich verlassen?« (Mk 15,34) wird schon im Lukasevangelium ins Positive gewendet mit dem Psalmwort: »Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist« (Ps 31,6; Lk 23,46). Vollends bei Johannes,: »Es ist vollbracht!« (19,30). Ja, dieses eine war von Anfang an die felsenfeste Überzeugung der ersten Christusgemeinde, die sich wie der Apostel Paulus auf Erfahrungen berief: Dieser Gekreuzigte ist nicht ins Nichts gefallen, sondern ist aus der vorläufigen, vergänglichen, unbeständigen Wirklichkeit in das wahre, ewige Leben Gottes eingegangen. Er lebt — wie immer zu erklären. Und auch hier gilt: Kein »über-natürlicher« Eingriff eines Deus ex machina, wie wir noch sehen werden, muß damit gemeint sein, sondern wie bei Lukas mit »in deine Hände« oder wie im Johannesevangelium mit der »Erhöhung« angedeutet, das »natürliche« Hineinsterben und Aufgenommenwerden aus dem Tod in die eigentliche, wahre Wirklichkeit: ein Endzustand jedenfalls ohne alles Leiden.
Dem Apostolikum entsprechend werde ich über Kreuz und Auferweckung eigens zu handeln und dann auch den jüdischen Kontext der Geschichte Jesu stärker einzubeziehen haben. Hier an dieser Stelle geht es zunächst nur um die Erklärung des Titels »Sohn Gottes«, und dafür ist nach heutiger neutestamentlicher Exegese grundlegend: Jesus hat sich nie Gott genannt, im Gegenteil: »Warum nennst du mich gut? Niemand ist. gut als Gott allein« (Mk 10,18). Erst nach seinem Tod, als man aufgrund bestimmter österlicher Erfahrungen, Visionen und Auditionen, glauben durfte, daß er nicht in Leid und Tod geblieben, sondern in Gottes ewiges Leben aufgenommen, durch Gott zu Gott »erhöht« worden war, hat die glaubende Gemeinde angefangen, den Titel »Sohn« oder »Sohn Gottes« für Jesus zu gebrauchen.
Hans Küng