Hallo,
ich finde schon die Abgrenzung zwischen "Juden" und "Christen" falsch; hier gibt es eine historisch gewachsene Abdrift. Judenchristen waren am Anfang der Normallfall, Heidenchristen die Ausnahme. Umso mehr sich das Verhältnis umgekehrt hat, umso mehr fand eine Abgrenzung voneinander statt mit der Folge, dass die Mission unter den Juden zum Erliegen kam.
Zum einen gibt es wohl mehrheitlich jene "Taufchristen", die lediglich aufgrund ihrer Abstammung in diese Religion hineingerutscht sind, aber kein Verhältnis zu Gott oder Jesus haben. Zum anderen gibt es aber eine zunehmende Zahl von messianischen Juden - man könnte sie auch als "Judenchristen" bezeichnen - die Jesus bekennen und gleichzeitig ihre jüdischen Traditionen pflegen. Ich finde diese Entwicklung erstaunlich und heilsgeschichtlich relevant.
Zur Ausgangsfrage der "Wurzeln des Antisemitismus" sage ich nur ganz knapp: Gott hat den Juden Auflagen, Gesetze und Ordnungen gegeben, die es ihnen nicht erlaubten, sich chamäleonartig an ihre Umwelt anzupassen, wenn sie Gottes Vorgaben ernst nahmen. Der Antisemitismus ist keine Folge jüdischen Verhaltens, sondern eine Folge der Intoleranz der Umgebung. Es mag andere Meinungen darüber geben, aber auch wir Christen sind gehalten, selbst in Bedrängnis zu bekennen. Wir wurden nur noch niemals so sehr geprüft wie die Juden.
Ich denke viel über den Ölbaum und die aufgepfropften Äste nach. Denn natürlich gibt es einen Unterschied zwischen natürlichen Ästen und aufgepfropften. Das ist hier auch schon besprochen worden. Ein natürlicher Ast ist "rechtmäßig" aus der Wurzel und dem Stamm des heiligen Ölbaums hervorgegangen. Wir "Heidenchristen" als aufgepfropfte Äste sind aus
Gnade an dem Baum anteilig geworden. Insofern wieder: den messianischen Juden oder Judenchristen kommt als "natürlichen Ästen" eine besondere heilsgeschichtliche Bedeutung zu; und sei es nur, dass diese darin bestünde, dass sie uns vielleicht am besten erklären können, wie ihr Familienangehöriger Jesus wirklich tickt - wenn ich das so respektlos sagen darf.
Mir geht auch eine andere Bibelstelle nicht aus dem Kopf, wenn ich an das Verhältnis zwischen juden und Christen denke:
Matthäus 15, 21-28 hat geschrieben:Jesus verließ Galiläa und zog nach Norden in die Gegend von Tyrus und Sidon. Eine kanaanäische Frau, die dort lebte, kam zu ihm und bat ihn inständig: »Hab Mitleid mit mir, o Herr, Sohn Davids! Meine Tochter hat einen bösen Geist in sich, der ihr schlimme Qualen bereitet.« Jesus antwortete ihr nicht - er sagte kein Wort. Doch seine Jünger drängten ihn, ihre Bitte zu erfüllen. »Sie belästigt uns sonst weiter mit ihrer Bettelei«, sagten sie. Da sagte er zu der Frau: »Ich bin gesandt worden, um dem Volk Israel zu helfen - Gottes verlorenen Schafen - und nicht denen, die keine Juden sind.« Sie lief jedoch hinter ihm her, warf sich vor ihm nieder und bat ihn wieder: »Herr, hilf mir doch!« »Es ist nicht recht, den Kindern das Essen wegzunehmen und es stattdessen den Hunden vorzuwerfen«, sagte er. »Du hast Recht, Herr«, antwortete sie, »aber selbst Hunde dürfen die Krümel fressen, die vom Tisch ihres Herrn fallen.« Da sagte Jesus zu ihr: »Frau, dein Glaube ist groß. Deine Bitte soll erfüllt werden.« Und im gleichen Augenblick war ihre Tochter gesund.
Das ist für mich zumindest ein Beispiel für das Verhalten, das wir gegenüber Juden an den Tag legen sollten. Denn was hat der Frau geholfen? Jesus sagt: "Dein Glaube ist groß". Der Glaube der Kanaanäerin war groß aufgrund ihrer Demut - nicht aufgrund von Überheblichkeit - gegenüber den Juden.