Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Nichtchristen sind willkommen, wir bitten aber darum, in diesem Forum keine Bibel- und Glaubenskritik zu üben.
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Savonlinna
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#41 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Savonlinna » Fr 21. Aug 2015, 12:24

Novalis hat geschrieben:
closs hat geschrieben:Weiterhin ist es aus meiner Sicht ein fataler Irrtum, zwischen historisch Verbürgtem und Mythologischem zu unterscheiden, wenn es um das geht, was da steht.

Ich bevorzuge den Ansatz von J.R.R. Tolkien, der von dem Gedanken ausging, dass das Evangelium gleichzeitig Mythos und historische Tatsache sei.
Ich muss hinzufügen: Tolkien hatte den Ansatz, dass Historie GESCHAFFEN wird durch Interpretation.
Es beginnt im Kopf. Die Historie ist ein Ergebnis der Imagination. Im Positiven wie im Negativen.

Katholiken neigen dazu, Tolkiens Werk in der Interpretation dem Katholiszismus anzupassen, darum würde ich nicht unbedingt auf kathpedia setzen.
Das Subversive und Innovative Tolkiens wird da mitunter unterschlagen.

Pluto
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#42 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Pluto » Fr 21. Aug 2015, 12:32

2Lena hat geschrieben:Ein "religiöser" französischer Schriftsteller, dessen Namen ich nicht optisch in Erinnerung habe, nur akustisch irgendwas mit ..."üpperi" am Ende, beschrieb mal die Situation analog dieser Beschreibung: In einer dunklen Scheune tappten einige Leute. Eine riesige Säule steht da, meinte der Eine. Das meine ich auch, bestätigte ein anderer. Die ungeheure lange Schlage ist sicher gefährlich, feucht am Ende und bewegt sich, sagte der Dritte. Gefährliche Fetzen hängen in der Gegend, sie bewegen sich. Ein Ungeheuer mit rumorendem Ballon, wusste ein anderer zu sagen. Als die Türe sich auftat, stand ein Elefant im Licht.
Halt dich fest, liebe 2Lena.... Hilfe kommt.

Der franz, Schriftsteller hieß Antoine de Saint-Exupéry (1900-1944).
Aber die Geschichte mit dem Elefanten ist nicht von ihm, sondern viel älteren Datums... https://de.wikipedia.org/wiki/Die_blind ... er_Elefant
Heute wird diese Geschichte als Metapher für die Undefinierbarkeit Gottes verstanden.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Rembremerding
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#43 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Rembremerding » Fr 21. Aug 2015, 12:40

Savonlinna hat geschrieben:Ich muss hinzufügen: Tolkien hatte den Ansatz, dass Historie GESCHAFFEN wird durch Interpretation.
Es beginnt im Kopf. Die Historie ist ein Ergebnis der Imagination. Im Positiven wie im Negativen.
Jede Geschichtsschreibung ist Interpretation. Entweder der geschichtlichen Akteure, der Geschichtsschreiber oder jener die beide verstehen wollen.

Katholiken neigen dazu, Tolkiens Werk in der Interpretation dem Katholiszismus anzupassen, darum würde ich nicht unbedingt auf kathpedia setzen.
Das Subversive und Innovative Tolkiens wird da mitunter unterschlagen
Wobei auch die (Glaubens-) Prägung Tolkiens nicht übersehen werden darf. Er schreibt an seinen Sohn Michael:
"Aus dem Dunkel meines so oft frustrierten Lebens zeige ich Dir das Große, das man auf dieser Erde lieben muss: das Allerheiligste Sakrament. Dort wirst Du Abenteuer, Ruhm, Ehre, Treue und den wahren Weg all Deiner Herzensneigungen auf der Erde finden, ja, mehr als das."
Man wird, ja muss die Seele eines Autors in seinen Werken finden.
Tolkien lehnte allerdings christliche Allegorien ab, sie haben nichts in Fantasyromanen zu suchen, die ihre eigene Welt besitzen, da hast Du recht.
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Savonlinna
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#44 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Savonlinna » Fr 21. Aug 2015, 12:49

Rembremerding hat geschrieben: Man wird, ja muss die Seele eines Autors in seinen Werken finden.
Eben.
Den Briefen, wie sie ausgewählt wurden, misstraue ich.
Es liegen noch Unmengen an Unveröffentlichtem in Archiven, und wenn mal was daraus erstmalig veröffentlicht wird, ist das fast immer eine kleine Tolkien-Revolution.

Bin aber überrascht, dass es Tolkienkenner in diesem Forum gibt.

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#45 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Rembremerding » Fr 21. Aug 2015, 12:56

Savonlinna hat geschrieben:Den Briefen, wie sie ausgewählt wurden, misstraue ich.
Nicht den Briefen (die werden schon von ihm sein) misstraue ich, aber, wie Du wahrscheinlich meinst, der Auswahl.
Briefe widerspiegeln natürlich auch einen Teil der Seele eines Autors. Aber meist sind sie weniger reflektiert, spiegeln das Alltagsleben wider, sind speziellen Situationen gewidmet. Sie sind also mehr für den Historiker interessant, weniger für einen Literaturwissenschaftler.
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Savonlinna
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#46 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Savonlinna » Fr 21. Aug 2015, 13:24

Rembremerding hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Den Briefen, wie sie ausgewählt wurden, misstraue ich.
Nicht den Briefen (die werden schon von ihm sein) misstraue ich, aber, wie Du wahrscheinlich meinst, der Auswahl.
Das schrieb ich auch - "den Briefen, wie sie ausgewählt wurden". :)
Sie sind teilweise ja auch nur auszugsweise veröffentlicht worden, und nicht selten nur im Konzept, das mitunter nicht einmal abgeschickt wurde.

Von ihm ist das alles, klar. Aber Tolkien war Stratege, durch und durch. Er schrieb strategisch.
Er wollte den Adressaten auch oft nicht weh tun, gab ihnen also oft Recht, wo er es anders sah, oder drückte es sehr verwinkelt aus.

Rembremerding hat geschrieben:Sie sind also mehr für den Historiker interessant, weniger für einen Literaturwissenschaftler.
Ich bin ja ganzheitlich, nicht einfach nur Literaturwissenschaftler.
Außerdem könnte ein Historiker nicht ausklammern, unter welcher Perspektive ein Brief geschrieben wurde.
Das merke ich hier ja schon im Forum. Reißt man einen Satz aus dem Duktus der gesamten Schreibintention heraus und berücksichtigt den Adressanten nicht, kann er genau das Gegenteil aussagen, als die Schreibintention es meinte und oft auch realisierte.

Die Geschichtswissenschaft wird das berücksichtigen, was ich schrieb und wird Briefe nicht blauäugig auswerten.

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Halman
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#47 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Halman » Fr 21. Aug 2015, 13:51

Novalis hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Mit dem Glauben an GOTT, einem GEIST "jenseits aller bedingt bedingenen Kräfte" (Karl Barth), glaubt der Christ bereits an eine [jenseits der naturalistisch erfahrbaren Welt] transnaturalistische* Gottesmacht, womit der positivistische Rahmen gesprengt wird. Wenn ich einen solchen GOTT bejahe, warum sollte ich ihm dann die Fähigkeit, Wunder wirken zu können, absprechen?
Die Vorentscheidung der Kritiker ist m. E. nur dann logisch kohärent, wenn sie aus einem atheistisch-naturalistischen Weltbild entspringt. Ihre "positivistische Hermeneutik" muss sich von jener unterscheiden, die gottgläubig sind.
Will ich wirklich unvoreingenommen und offen an die Evangelien herangehen, dann sollte ich auch die transnaturalistische Dimension als Möglichkeit in Erwägung ziehen und nicht von vornherein kathegorisch ausschließen

Sehr gut gesagt.
Danke für das Lob, Novalis. :)

Novalis hat geschrieben:Ich bevorzuge den Ansatz von J.R.R. Tolkien, der von dem Gedanken ausging, dass das Evangelium gleichzeitig Mythos und historische Tatsache sei, womit er wohl seinen Freund C.S. Lewis überzeugte. ;)
Vielen Danke für Dein Tolkien-Zitat, der einen mir sehr sympathischen Gedankengang entfaltet. :thumbup:
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#48 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Münek » Sa 22. Aug 2015, 04:41

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Wieso sprichst Du dann von "Katastrophe"?
Weil der Eindruck entsteht, Forensiker könnten über ihre Arbeit Maßgebliches über das Wesen der Person erfahren, die vor ihnen liegt.

Aha..."weil der Eindruck entsteht"... soso... es ist zwar nicht so, aber der Eindruck ist so... :shock:


Wenn dieser (völlig falsche) Eindruck bei DIR entsteht, dann hast DU ein persönliches Problem.
Die Wissenschaft hat nämlich mit "Deinem falschen Eindruck" (laienhafte Rezeption) überhaupt nichts
am Hut... ;)

Bei mir kommt Dein obiger Satz (oder ähnliche Sätze von Dir in der Vergangenheit) so an:

"Die historisch-kritische Textauslegung macht in ihrem Bereich alles richtig, dennoch habe ICH den
Eindruck
, sie macht in ihrem Bereich nicht alles richtig." Schluck! :o :o :o

Diese Paradoxie muss erst einmal verdaut werden...

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Münek
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#49 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von Münek » Sa 22. Aug 2015, 05:09

Novalis hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Mit dem Glauben an GOTT, einem GEIST "jenseits aller bedingt bedingenen Kräfte" (Karl Barth), glaubt der Christ bereits an eine [jenseits der naturalistisch erfahrbaren Welt] transnaturalistische* Gottesmacht, womit der positivistische Rahmen gesprengt wird. Wenn ich einen solchen GOTT bejahe, warum sollte ich ihm dann die Fähigkeit, Wunder wirken zu können, absprechen?
Die Vorentscheidung der Kritiker ist m. E. nur dann logisch kohärent, wenn sie aus einem atheistisch-naturalistischen Weltbild entspringt. Ihre "positivistische Hermeneutik" muss sich von jener unterscheiden, die gottgläubig sind.
Will ich wirklich unvoreingenommen und offen an die Evangelien herangehen, dann sollte ich auch die transnaturalistische Dimension als Möglichkeit in Erwägung ziehen und nicht von vornherein kathegorisch ausschließen

Sehr gut gesagt.

Sorry, leider nicht gut gesagt.

Genau das Gegenteil ist nämlich richtig. Unvoreingenommenheit heißt, auf "Glaubensprämissen ganz bewusst" zu
verzichten. Wer dies ablehnt, beweist damit, dass er gerade NICHT unvoreingenommen sein will - weil er ganz of-
fensichtlich ein bestimmtes Ergebnis im Fokus hat, zu dem er nur kommen kann, wenn er bestimmte Glaubensprämis-
sen ganz bewusst setzt.

Das ist relativ leicht durchschaubar... und die Selbsttäuschung lauert um der Ecke...


PS

Nur ein Beispiel von vielen:

Der esoterisch angehauchte Astrologiegläubige erklärt einem Skeptiker im Brustton der Überzeugung:
(Jetzt kommt Halmans obiger Satz mit Austausch eines Wortes.)

"Will ich wirklich unvoreingenommen und offen an die Astrologie herangehen, dann sollte ich auch die trans-
naturalistische Dimension als Möglichkeit in Erwägung ziehen und nicht von vornherein kathegorisch ausschlie-
ßen".

In den Augen der Astrologiegläubigen sind Astrophysiker reine Materialisten, denen der "spirituelle Durchblick"
zu den wirklichen "Geheimnissen der Gestirne" absolut fehlt...Jawoll, genauso isset! :lol: :lol: :lol:

closs
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#50 Re: Können wir den Evangelien vertrauen oder sollten wir ihnen misstrauen?

Beitrag von closs » Sa 22. Aug 2015, 08:39

Münek hat geschrieben:."weil der Eindruck entsteht"... soso... es ist zwar nicht so, aber der Eindruck ist so...
Korrekt.

Münek hat geschrieben:Diese Paradoxie muss erst einmal verdaut werden...
Es ist keine Paradoxie. - Jede Perspektive ist in ihrer Reichweite gewürdigt.

Im Sinne des Threads ist dabei die Frage: Für welche Perspektive sind die Evangelien glaubwürdig oder nicht glaubwürdig?

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