closs hat geschrieben:Interessanterweise ist Luther dem heutigen Katholizismus unterm Strich näher als vielen seiner protestantischen Anhänger
Das sehe ich auch so. Seit dem Konflikt des Jahres 1521 war Martin Luther für Katholiken Ketzer und Kirchenspalter, aber ich sehe bei ihm eine von Herzen kommende Suche nach dem wahren Ausdruck des christlichen Glaubens. Er war ein Augustinermönch und gehörte damit zur Elite des katholischen Christentums: aus diesem Geist heraus, inspiriert vom Vorbild Jesu, hat er dann Kritik an seiner Kirche geübt (es ist nicht erstaunlich, dass ausgerechnet ein Augustiner die Reformation auslöste, denn die Augustiner gehören wie die Franziskaner und die Dominikaner zu den Bettelorden und sein heiliger Zorn entzündete sich an dem Ablasshandel). Luther ist das archetypische Bild eines Gottsuchers und Wahrheitssuchers, sowohl mit seinen Licht- als auch mit seinen Schattenseiten. Eugen Drewermann schrieb ein bemerkenswertes Buch über Luther: "Luther wollte mehr": Der Reformator und sein Glaube:
"Durch Luther wurde etwas bewusst, das innerhalb der Glaubenstradition längst Gegenwart war: statt die Botschaft der Einheit, die Jesus in die Welt bringen wollte – zwischen Gott und Mensch, zwischen Himmel und Erde, zwischen Heiligen und Sündern, zwischen Tempel und Profanem –, kreativ aufzugreifen und weiterzuführen, haben 1500 Jahre Kirchengeschichte in katholischer Obhut die Spannungen zementiert. Luther hat, stellvertretend für eine ganze Zeit, in seiner Gegenwart und für die Jahrhunderte danach, diese Zerspaltenheit gefühlt, durchlitten und auf seine Weise zu artikulieren und zu überwinden unternommen. Es wäre historisch unfair, der Person Luther vorzuhalten, dass er am Anfang des 16. Jahrhunderts nicht auf den Neuaufbruch seiner Zeit, auf das ungeheuer Widersätzliche in seiner Zeit, mit einer geschlossenen systematischen Betrachtung antworten konnte. Er hat es von Fall zu Fall an den Stellen getan, an denen er es evident als notwendig spürte. Darum ist er in meinen Augen in seiner ganzen Biografie nicht im Jahre 1517 am größten, sondern 1521 auf dem Reichstag in Worms. Da vollendet sich der gesamte reformatorische Ansatz." ~ Eugen Drewermann
Wie auch immer: Die nordkoreanische Mutter, die wahrhaft liebt, ist dem christlichen Gott näher als ein Papst oder Generalsuperintendent, der es NICHT tut - insofern sind viele theologischen Diskussionen letztlich nur Staub.
Ja, zweifellos. Es gab schon immer einen institutionellen und charismatischen-mystischen Aspekt des Christentums, wobei der institutionelle Aspekt nur den tragfähigen Rahmen bildet, um die spirituelle Lehre und Botschaft zu vermitteln (beides ist dialektisch verbunden und bildet eine organische Einheit). Selbstverständlich geht es darum, dass das Herz eines Menschen berührt und verändert wird. Die Lehre Christi kann und möchte das Innere der Menschen transformieren, sodass wir mit unsrem ganzen Denken, Reden und Tun Söhne und Töchter Gottes werden. Und das heißt eben auch: liebesfähige Wesen. Sicher kann man den spirituellen Weg auch ohne die Kirche gehen, aber es ist sehr hilfreich mit einer spirituellen Gemeinschaft verbunden zu sein. Es ist viel schwieriger den Weg in der Einsamkeit zu gehen.
Buddhisten sehen das ganz ähnlich: das Bekenntnis zu der buddhistischen Gemeinschaft der Laiengläubigen und der Ordinierten, welche sich gegenseitig unterstützen, um der Lehre des Buddha (Dharma) zu folgen, gehört zum buddhistischen Glaubensbekenntnis, zu den sogenannten drei Juwelen des Buddhismus. Die traditionelle Formel in Pali lautet:
Buddham saraṇam gacchami
Dhammam saraṇam gacchami
Sangham saraṇam gacchami.
Ich nehme Zuflucht zu Buddha
Ich nehme Zuflucht zum Dharma
Ich nehme Zuflucht zum Sangha
Ebenso können Christen sagen
Ich nehme Zuflucht zu Christus.
Ich nehme Zuflucht zum Evangelium
und ich nehme Zuflucht zu seiner Kirche.
Das Christentum und der Buddhismus sind sich in dieser Hinsicht vollkommen einig: der Mensch kann nicht durch eigene Kraft zur vollkommenen Erleuchtung und Erlösung finden, er braucht die Hilfe von anderen Menschen und das Vertrauen auf die höhere göttliche Macht. Ich bin absolut davon überzeugt, dass der Herr mit mir ist:
Psalm 23 Der Herr ist mein Hirte
Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln.
Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.
Er erquicket meine Seele.
Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir,
dein Stecken und Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkst mir voll ein.
