Halman hat geschrieben:
[...]
Die Überlieferung des biblischen Textes ist eine komplexe Geschichte, die ich als Laie nur grob umreißen kann. Das älteste biblische Papryus-Fragment (4QExoda) enthält Teile der Exodus (2. Mose) [...]
Und auch das ist eine sehr gute, kurzgefasste Darstellung der Textüberlieferung!
Halman hat geschrieben:
[...]
Nun, in Anspielung auf die jüdischen Tieropfer kann man Jesu Märtyrertod sinnbildlich als Opfer deuten. Die Opferzeremonien dienten den Menschen dazu, zu Gott treten zu können. Dieser Behelf ist dank Jesu Martyrium abgelöst wurden, denn der Christ kann durch Christus zu Gott kommen (laut dem Hebräerbrief ist er der bessere Hohepriester).
Jesu Opfertod verstehe ich als Symbol für den Wert der göttlichen Gnade durch Christus.
Die Darbringung von (Tier- und Menschen-)Opfern, um mit dem Gott in Verbindung zu treten, ist den meisten Menschen heute nur völlig fremd und eine eher schauerliche Vorstellung. In der Antike waren Tieropfer aber allgegenwärtig und damit etwas völlig Normales. Die Beinahe-Opferung Isaaks durch Abraham wird theologisch als eine
ätiologische Erzählung angesehen, die also nachträglich erklärt und begründet, warum Menschenopfer nicht mehr nötig sind und durch Tieropfer ersetzt werden können. Das bedeutet natürlich, dass es eine Zeit gegeben haben muss, wo möglicherweise auch YHWH Menschenopfer dargebracht wurden. Dies ist aber nicht durch andere Textstellen oder archeologisch erwiesen.
Das Opfern, um mit dem Gott in Verbindung zu treten, hat eine eigene, heute kaum noch nachvollziehbare Logik. Antikes religiöses Allgemeinverständnis ist, dass man mit einem Gott über Opfer in Verbindung treten kann. So verscherzte es sich der kretische König Minos mit dem Gott Poseidon, weil er nicht den prächtigsten Stier seiner Herde dem Gott opferte, sondern einen weniger prächtigen. Das Geringste, was man opfern kann, sind Speisen, Wein, Räucherwerk, bestimmte Pflanzen etc. Tieropfer stehen höher und je wertvoller das Tier, um so wertvoller das Opfer. Einen Menschen zu opfern ist natürlich noch weitaus wertvoller und es ist nachgewiesen, das es Menschenopfer z.B. in Zeiten des Krieges oder bei Naturkatastrophen, in Dürreperioden etc. in vielen antiken Kulturen gab. Opferte man ein eigenes Familienmitglied, also einen Verwandten, war das wiederum höherstehend, als irgend einen Sklaven zu opfern. Das größte Opfer, welches z.B. ein König dem Gott darbringen konnte, war das Opfer der eigenen Tochter oder des eigenen Sohnes.
In dieser Opferlogik ist also Abrahams Darbringung des eigenen Sohnes als Opfer für YHWH das größtmögliche Opfer, das er eben "opfern" kann. YHWH
erlässt es ihm. Wie gesagt deutet das aber auf eine Zeit hin, in der YHWH es auch nicht erlassen hat ...
Halman hat geschrieben:
Von größter Bedeutsamkeit ist dabei Jesu Sündenlosigkeit, die durch das das ungesäuerte Brot des Abendmahls symbolisiert wird. Im NT wird Jesu tadellose Lebensführung und Schuldlosigkeit besonders herausgestellt. Dafür sprechen die Verse in Rö. 5:19, 2. Kor. 5:21, Hebr. 4:15 und 1. Joh. 3:5. Dadurch, dass Jesus alle Prüfungen meisterte und bis zum Tod vollkommen lauter blieb, erhielt sein Tod in Verbindung mit seinem vollkommenen Beispiel seine tiefe symbolische Bedeutung.
Das ist soweit korrekt, nur lässt sich Jesus von Johannes dem Täufer
taufen, und dessen Taufe ist eine Reinigungstaufe, die zur Umkehr von den eigenen begangenen Sünden aufruft.
Historisch-kritisch werden aus dem Kern der Tauferzählung Jesu zwei Sachverhalte abgeleitet:
1. Jesus hat sich selbst nicht als sündenfrei angesehen
und
2. Jesus war ein Schüler Johannes des Täufers, denn durch die Taufe des Johannes bezeugte man öffentlich, dass man sein Anhänger wurde und seine jüdische Theologie teilte.
Spätestens als Jesus aus Nazareth selbst als Rabbi-Lehrer und noch später als selbst sündenfreier Gottessohn verehrt wurde, ging es aber nicht mehr an, dass Jesus nur Schüler des Johannes gewesen sein sollte, der zudem sündenfrei sein musste. Also hat man die Erzählung dem gemäß verändert: eine Stimme aus den Himmel wurde eingeführt und Tauben (als Symbol des hl. Geistes) in die Geschichte eingebaut, die beide klar machen sollten, dass Jesus sich zwar taufen lässt, aber trotzdem sündenfrei war und er auch nicht Schüler des Johannes war, sondern Johannes lediglich der Wegbereiter von Jesus!
Man hat die vermutlich historisch korrekten Sachverhalte also auf den Kopf gestellt.
Historisch-kritisch betrachtet, ist die Kernerzählung die, dass Jesus tatsächlich ein Schüler von Johannes war und er sich selbst nicht als sündenfrei betrachtet hat.
Weil es die schwierigere Lesart ist!
Diese Lesart passt später nicht mehr zum Glauben daran, dass Jesus sündenfrei war und er auch nicht nur Schüler des Johannes gewesen sein kann. Aber es besteht die nachweisliche Erzähllogik, Geschichten, die nicht mehr zu dem passen, was man erzählen will, so anzugleichen, dass sie eben passen. Sie werden passend gemacht.
Das ist keine Bösartigkeit speziell gegen
christliche Erzählungen, sondern es ist eine Gesetzmäßigkeit des Erzählens selbst. Dies kann man auch bei zahllosen anderen Erzählungen nachweisen, die sich
genau so erzählerisch entwickeln. Wenn eine ältere Erzählung nicht mehr zu dem passt, was erzählt werden
soll, dann wird sie passend gemacht. Es liegt in der Logik des Erzählens selbst, dass Geschichten an die Erfordernisse angepasst werden.