Bis auf einen Punkt, Rem, - vielleicht eine Nuance, vielleicht einen Graben - meinen wir vielleicht Ähnliches.
Wahrscheinlich sind es meine Begriffe "Eros", "Erotik", die sich bei miir im Laufe der Zeit so herausgebildet haben, wie ich sie nun benutze und die möglicherweise nicht präzise genug von mir in den letzten Beiträgen gebraucht wurden.
In diesem Sinne gehe ich jetzt mal ein paar Dispute durch.
Rembremerding hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:
Eine Begeisterung ist immer auch Gefühl. Geistige Liebe aktiviert immer den ganzen Menschen, und sie kann sogar brennende Leidenschaft wecken.
Das Entscheidende hier ist: Was war zuerst da, die Be-geist-erung, die ein Gefühl hervorruft oder das Gefühl, die zur Begeisterung führt?
Das ist nicht ein Nacheinander, sondern ein Gleichzeitig. Beide Begriffe haben semantische Teilmengen gemeinsam, und die sind nie getrennt. Zucker ist immer süß, auch wenn Zucker durch „süß“ nicht erschöpfend beschrieben ist und "süß" auch in anderen Zusammenhängen vorkommt als in Zucker.
Begeisterung ist immer ein Gefühl, auch wenn Begeisterung durch "Gefühl" nicht erschöpfend beschrieben ist und "Gefühl" auch in anderen Zusammenhängen vorkommt als in Begeisterung.
Ich habe aber missverständlich geschrieben.
Ich wollte darauf hinaus, dass Begeisterung in brennende Leidenschaft münden kann, damit aber, nach meiner Erkenntnis, das zugrundeliegende Ziel verfehlt.
Und das kann darum geschehen, weil "Begeisterung" auch das Gefühl aktiviert.
Rembremerding hat geschrieben:
Vielleicht ist es dir nicht bewusst, aber du verbleibst im und beschreibst den philosophischen Eros, der in der griechischen Mythologie vom Gott Eros verkörpert und geschenkt wurde. Er war es, der be-geist-erte. Im religiösen Kontext meint es einen motivierenden Faktor bei der Wahrheitssuche. Ich übersetze in christliche Mystik: Im Gesicht eines Sterbenden, eines schönen Menschen, einer schönen Naturimpression, erkennt ein Gläubiger dahinter Gottes Wesen und Liebe (ja, auch bei einem Sterbenden).
Ich wollte nicht in dem philosophischen Eros der griechischen Mythologie verbleiben, gerade das eben nicht.
Eros ist für mich nicht identisch mit „Begehren“.
Wikipedia definiert den griechischen Gott Eros mit „begehrlicher Liebe“, aber man versteht darunter nicht nur das.
„Platonische Liebe“ zum Beispiel, die Eros einbezieht, beinhaltet kein Begehren.
Wenn ich aufjauchze, wenn ich das Meer sehe, dann ist da mein Gefühl dran beteiligt, aber es ist kein Begehren. Eine Liebe ist es dennoch, weil es eine Beziehung ist. Es ist zugleich fremd und vertraut, und das macht vielleicht die Liebe aus.
Wenn man das Fremde auch an sich ziehen will, dann entsteht Besitzwunsch.
Kann man das Fremde innerhalb des Vertrauten aber als quasi „heilig“, als unberührbar und unverletzbar wahrnehmen, dann entsteht genau das, was ich die ganze Zeit versuche zu erklären:
Ich bin davon angezogen, ich muss es lieben, aber es ist eine Liebe, die auch zu einem Berg, zu einer Stadt entstehen kann. Ein Berg kann mich nicht wiederlieben, das Meer auch nicht.
Also ist es von vornherein etwas anderes. Wenn es in manchen – seltenen – Momenten in einem aufjubelt, dass es diesen Bus da gibt, oder dass es diese Straße hier gibt:
dann kenne ich das von der Verliebtheit in einen Menschen: alles jubelt in mir auf, weil es diesen Menschen in dieser Art GIBT.
Das, was man gegenüber dem Meer empfinden kann, liegt für mich deutlich auch schon in der Liebe zu einem Partner; es ist auch da schon vorhanden.
Auch wenn es den entscheidenden Unterschied gibt: man will wiedergeliebt werden.
Aber das erste ist eben auch in der geschlechtlichen Liebe vorhanden: man liebt ebenfalls etwas, was gar nicht auf Wiederliebe aus ist.
Rembremerding hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Die Erotik - vielleicht ist das mein Punkt - macht, dass man fast mit dem verschmilzt, was man betrachtet, sich an ihm verliert. Man erweitert sich um das Betrachtete, es ist in mich hineingefallen und bleibt da wahrscheinlich auch bis an mein Lebensende.
Es ist beides, Rem: man lässt es in sich ein, und man gibt sich ihm hin.
Die Sehnsucht (du gehst hier bis zum Wort Erotik) zur Wahrheit und Liebe lässt in uns diese Verschmelzung wünschen, aber es wird uns nie gelingen.
Du schreibst das so, weil Du mich missverstanden hast. Das Meer, das ich liebe, lasse ich in mir ein, und ich gebe mich ihm hin. Ich erweitere meine Person um das Meer, ich bin dann endgültig nicht mehr nur meine Person.
Liebe ich die Kultur Skandinaviens, aus irgendeinem Grund, den ich nicht genau kenne, dann erweitere ich mein Bewusstsein um diese Kultur, und auch mein Inneres. Aus diesem erweiterten Pool heraus handle ich dann, schaffe ich.
Ich begehre das dann nicht mehr, wenn es in mir ist. Erich Fromm unterscheidet das mit den Begriffen „Haben“ und „Sein“.
Rembremerding hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Tolkien nennt das "Verzauberung", und das ist wohl das, was ich meine. Nur "Verzauberte" können das "Anderland" betreten, nach Tolkiens mythischer Sprache.
Um bei Sprache zu bleiben: "zauber" entstammt der indogerm. Wortwurzel *sei für binden (vgl. Zotte, Zopf). Was ist also die Sehnsucht sich binden zu lassen?
Tolkien war sich des Problems bewusst.
Er wollte sich mitteilen, fand aber nicht das richtige Wort dafür.
Zum einen hat er nicht auf Deutsch, sondern auf Englisch geshrieben, und er hat mit mehreren Begriffen experimentiert, um sie letztendlich alle zu verwerfen.
Die Sache selber aber hat er nicht verworfen. Er hat sie umschrieben, hat ausgeschlossen, dass da Macht oder Gewalt eine Rolle spielt, aber ich selber kann das Wort „verzaubern“ als sinnvoll in dieser Sache ansehen.
Wenn ich von dem Flitzen der Mücken auf dem Wasser verzaubert bin, dann ist da überhaupt keine Bindung, jedenfalls nicht im zwanghaften Sinn. Sondern es heißt, dass ich nicht mehr unbeteiligt an ihnen vorübergehe, sondern dass ich von ihrem Dasein, ihrem So-Sein betroffen bin.
Das ist natürlich schon eine Art des Verbindens:
Mit Wasser und Mücken habe ich mich dann schon verbunden, aber ich bin nicht zwangsgebunden.
Rembremerding hat geschrieben:Savonlinna hat geschrieben:Das ist aber nicht der Kern. Der Kern ist für mich: jeder Mensch strebt, bewusst oder unbewusst, danach, von allem verzaubert zu sein, alles lieben zu können, ohne es zu begehren, ohne es begehren zu müssen.
Das ist ein Blick auf die Welt, der, würde er ausnahmslos gelingen, vermutlich Satori, Erleuchtung, zur Folge hätte.
In christlicher Sprache vermutlich: das Betreten des Reiches Gottes.
Und gelingt dies nicht erst dann, wenn man loslässt zu begehren, wie du schreibst?
Ja, natürlich! Das versuchte ich die ganze Zeit zu sagen.