Symbolsprache in der Bibel

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closs
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#11 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von closs » Mi 18. Mär 2015, 18:10

Novalis hat geschrieben:Weil jeder Gott auf eigene Weise begegnen muss, sonst ist der Glaube nur aus zweiter Hand übernommen.
Schon klar und verstanden - aber bei SChlegel geht es an dieser Stelle um den beginnenden Anarchismus der Wahrnehmung - das Wahrnehmen ohne Orientierung außer einer beliebigen Disziplin:

Bin ich Anwalt, bin ich für Freispruch - bin ich Staatsanwalt, bin ich für Verurteilung - bin ich Finanzamt, bin ich für Geldstrafen - bin ich BRD-Grenzschutz, schütze ich vor dem Osten, bin ich DDR-Grenzschutz, schütze ich vor dem Westen (wäre ich zufällig im anderen Teil Deutschlands geboren, würde ich jetzt 100 m jenseits der Grenze stehen). - Je nach Zufall - willkürlich, wie man ein Instrument so oder auch anders stimmen kann - ohne jegliche Orientierung.

Novas
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#12 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von Novas » Mi 18. Mär 2015, 18:20

closs hat geschrieben:Je nach Zufall - willkürlich, wie man ein Instrument so oder auch anders stimmen kann - ohne jegliche Orientierung.
Ich glaube nicht, dass es Schlegel so gemeint hat. Es kann aber so wahrgenommen werden. Meiner Ansicht nach, wollten die Romantiker diese Orientierungslosigkeit verhindern, in dem sie der einseitigen Anbetung der Vernunft durch die Aufklärung, den Vorrang und die Würde des fühlenden Bewusstseins entgegensetzten - das schafft die Orientierung.

FAUST:
Das Pergament ist daß der heilge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast Du nicht gewonnen


Bei Faust geht es eigentlich um eine pneumatische Hermeneutik. Der Gelehrsamkeit durch das Pergament wird die Erkenntnis durch die Seele gegenüber gestellt. Das sind bei Goethe der "Gelehrte" und das "Genie".

closs
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#13 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von closs » Mi 18. Mär 2015, 18:33

Novalis hat geschrieben:Der Gelehrsamkeit durch das Pergament wird die Erkenntnis durch die Seele gegenüber gestellt.
So kann man es durchaus sehen - dann wäre dies die idealistische Variante der Romantik. - Der Idealismus würde sich eines anderen Weges besinnen als des klassischen.

Mir ist die Kassandra-Variante der Romantik näher, die die Atomisierung des Geistes in Fetzen von Orientierungslosigkeiten vorwegnimmt - also das 20. Jh. vorwegnimmt.

Novas
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#14 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von Novas » Mi 18. Mär 2015, 18:41

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Der Gelehrsamkeit durch das Pergament wird die Erkenntnis durch die Seele gegenüber gestellt.
So kann man es durchaus sehen - dann wäre dies die idealistische Variante der Romantik. - Der Idealismus würde sich eines anderen Weges besinnen als des klassischen.

Mir ist die Kassandra-Variante der Romantik näher, die die Atomisierung des Geistes in Fetzen von Orientierungslosigkeiten vorwegnimmt - also das 20. Jh. vorwegnimmt.


Du sprichst da schon etwas Wahres an, denn genau das ist ja passiert. Der moderne Relativismus führte in die "Atomisierung des Geistes" und auch die Romantiker waren davon beeinflusst. Goethe sagte sogar selbst, dass "die Romantik eine Krankheit" sei, obwohl er selbst eine unverkennbar romantische Ader hatte.

Es gibt eben verschiedene Tendenzen, die Goethe offenbar wahrgenommen hat. Aber nicht die Romantiker haben das vorgedacht, sondern bei der Aufklärung hat es begonnen. Da würde jedenfalls ich ansetzen.
Zuletzt geändert von Novas am Mi 18. Mär 2015, 20:41, insgesamt 1-mal geändert.

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Halman
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#15 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von Halman » Mi 18. Mär 2015, 18:55

@JackSparrow
@closs
@Novalis
@2Lena
Danke für eure Beiträge. :)

Ich denke, die Herausforderung, vor der die Bibel uns stellt ist, dass sie sowohl symbolisch wie auch in Teilen buchstäblich zu verstehen ist und manchmal beides zugleich.
Dagegen mögen einige einwenden, dass ein Text doch entweder buchstäblich oder symbolisch gemeint sein müsse. So ist die Redensart, "er hat aber eine lange Leitung" eben allegorisch zu verstehen und wenn sie buchstäblich gemeint wäre, hätte sie auch keinerlei Symbolgehalt (an dieser Stelle räume ich ein, dass ich Schwierigkeiten habe Allegorie und Symbol voneinander abzugrenzenBild).
Doch diese Dichotomie wird der Bibel nicht gerecht, denn die sie ist kein einheitlicher Text, sondern gewissermaßen eine kleine Bibliothek und diese umfasst Schriften verschiedener Gattungen. Einige Teile sind buchstäblich zu verstehen, wie z.B. die in der Apostelgeschichte geschilderten Missionsreisen Pauli. Manches ist Beides zugleich, dies gilt insbesondere für die Kreuzigung Jesu, welche außerbiblisch historisch bezeugt ist, aber darüber hinaus eine tiefe symbolische Bedeutung entfaltet. Und dann gibt es Textabschnitte, welche in biblischer Symbolsprache verfasst wurden, dies gilt insbesondere für die prophetischen Schriften.

Die Offenbarung des Johannes ist hierfür ein Paradebeispiel. Die ungeheuerlichen und apokalyptischen Reiter sind offenkundig Symbole. Ja, man kann sagen, dass die Offenbarung größtenteils in einer kryptischen Symbolsprache verfasst wurde.
So taucht auch die „Hölle“ in Form eines Feuersees auf. Darin werden u. a. auch der Tod und der Hades hineingeworfen und ewig gequält. Offenkundig können weder der Tod und der Hades buchstäblich gequält werden, aber es wird in der Offenbarung (übereinstimmend mit anderen Verheißungen in der Bibel, sowohl im Tanach wie auch im NT) verheißen, dass es keinen Tod mehr geben würde. Dies erlaubt die nahe liegende Deutung, dass die „Qual“ sinnbildlich darin besteht, dass der Tod und der Hades ewig im Feuersee „gefangen“ bleiben, welcher übrigens in der Offenbarung als der Zweite Tod bezeichnet wird. Ewig im Zweiten Tod gefangen zu bleiben drückt aus, dass alle Dinge, die dort „gefangen“ sind, für immer und ewig Tod sind, oder wie es die Offenbarung treffend formuliert, nicht mehr sein werden.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
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#16 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von closs » Mi 18. Mär 2015, 19:24

Novalis hat geschrieben:Aber nicht die Romantiker haben das vorgedacht, sondern bei der Aufklärung hat es begonnen.
Sehe ich erstmal anders: Die Aufklärung hat eigentlich mehr auf die Klassik hingearbeitet: Dass der Mensch durch Erkenntnis das autonom wollen könne, was Gott von ihm heteronom fordert.

Insofern ist die Romantik schon was ganz Neues: Nämlich das Motiv des Ödipus, der deshalb zugrunde geht, WEIL er sucht (siehe auch "Demterius" von SChiller) - das hätten sich weder Aufklärung noch Klassik vorstellen können. -Folge davon ist eine Zersplitterung: "Wenn es eh keine übergeordnete Erkenntnis gibt, machen wir jetzt halt System-Erkenntnis - als Rechtsanwalt, Politiker, Psychologe, Wissenschaftler, Kaninchen-Züchter, etc. - oder gehen in die Idylle, die einfach aufnimmt, aber nicht mehr den großen Ansatz sucht" - daraus entsteht dann der Biedermeier - oder die romantische Musik, die bezeichnender Weise viel länger anhält als die literarische Romantik. - "Der Kongress tanzt" (das war zwar schon 1815, aber da war eigentlich die literarische Romatik schon rum).

closs
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#17 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von closs » Mi 18. Mär 2015, 19:26

Halman hat geschrieben: Ewig im Zweiten Tod gefangen zu bleiben drückt aus, dass alle Dinge, die dort „gefangen“ sind, für immer und ewig Tod sind, oder wie es die Offenbarung treffend formuliert, nicht mehr sein werden.
Dein Beitrag gefällt mir sehr gut, weil Du Dich damit aus den Zwängen der Sprache befreist zugunsten des Sinns.

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Scrypt0n
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#18 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von Scrypt0n » Mi 18. Mär 2015, 19:27

closs hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Ewig im Zweiten Tod gefangen zu bleiben drückt aus, dass alle Dinge, die dort „gefangen“ sind, für immer und ewig Tod sind, oder wie es die Offenbarung treffend formuliert, nicht mehr sein werden.
Dein Beitrag gefällt mir sehr gut, weil Du Dich damit aus den Zwängen der Sprache befreist zugunsten des Sinns.
Widerspricht aber den immer wieder erwähnten ewigen Qualen im ewigen Feuer... :D

Novas
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#19 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von Novas » Mi 18. Mär 2015, 19:51

@Halman: Es gibt den historischen und es gibt den geistig-spirituellen Jesus. Wir können ihn "von unten" (aus der historischen Perspektive) und von "oben" (von Gott her gesehen - "was offenbart sich uns durch ihn?") betrachten. Die Bibel erlaubt uns beide Blickrichtungen. Einerseits sind sie eine Schilderung des Lebens Jesu, andererseits eine Verklärung. Beides ist dadurch gerechtfertigt, dass mit Jesus ein geistiger Impuls geschehen ist, der eben nicht nur eine historische, sondern eine weltgeschichtliche Bedeutung hat.

Durch ihn wird eine neue Lebensweise und Sicht auf den Menschen, das Weltall und Gott und unsrer Beziehung zu allem sichtbar. Das ist die mystische Dimension bei Jesus, die nur symbolisch beschrieben werden kann.

"Eine bestimmte Erfahrung stand am Anfang des Christentums. Es begann mit einer Begegnung: Einige Menschen, Juden, kamen in Kontakt mit einem Glaubensgenossen. Jesus von Nazareth, der sie so faszinierte, daß sie bei ihm bleiben. Durch diese Begegnung und durch das, was sich in seinem Leben und um seinen Tod herum abspielte, bekam ihr eigenes Leben einen neuen Sinn und eine neue Bedeutung. Sie fühlten sich neugeboren, verstanden und begriffen.

Ihre neue Identität äußerte sich in einem neuen Enthusiasmus für das Reich Gottes und dadurch in einem ähnlichen Mitgefühl gegenüber dem anderen, dem Mitmenschen, wie Jesus es ihnen vorgelebt hatte. Diese Veränderung der Lebensrichtung war die Frucht ihrer realen Begegnung mit Jesus, denn ohne ihn wären sie sicherlich die geblieben, die sie gewesen waren, wie sie später selbst erzählten (siehe 1 Kor 15,17)"
(Von Buddha bis C.G. Jung: Religion als lebendige Erfahrung, herausgegeben von Marcel Messing, S. 178)

Novas
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#20 Re: Symbolsprache in der Bibel

Beitrag von Novas » Mi 18. Mär 2015, 20:13

closs hat geschrieben:Die Aufklärung hat eigentlich mehr auf die Klassik hingearbeitet: Dass der Mensch durch Erkenntnis das autonom wollen könne, was Gott von ihm heteronom fordert.

Die Romantik war eine Gegenbewegung zur instrumentellen Vernunft, welche die Ursache des Relativismus und damit der von Dir kritisierten Atomisierung ist, da würde ich klar und deutlich widersprechen (aber ich bin ja auch ein Romantiker :) ) Rein inhaltlich wollten sie Vernunft und Gefühl, Religion und Wissenschaft, Poesie und Leben, Mystik und Alltag verbinden; das ist eigentlich auch heute eine zeitgemäße Forderung.

Folge davon ist eine Zersplitterung: "Wenn es eh keine übergeordnete Erkenntnis gibt, machen wir jetzt halt System-Erkenntnis

Aus Sicht der Romantiker gibt es eine übergeordnete Erkenntnis, die aber erst mal entdeckt und individuell angeeignet werden muss. Im Heinrich von Ofterdingen wird beispielsweise gesagt: "In dem Alter der Welt, wo wir leben, findet der unmittelbare Verkehr mit dem Himmel nicht mehr statt." - das ist eine sehr klare Diagnose des geistigen Zustands der damaligen Zeit.

Die Tendenz einer Nivellierung aller Werte und die damit einhergehende Entfremdung wurde von ihnen klar diagnostiziert und bekämpft.

"Geht man davon aus, dass Novalis höhere Erkenntnis von der Existenz eines Zwischenreichs abhängig macht, so könnte der Traum ein Beispiel für eine solche Übergangswelt sein. Wie sehr der Traum als eine Möglichkeit der Erkenntnis, also als eine Art inneres Schauen gelten kann, wird zu Beginn des Romans im Gespräch Heinrichs mit seinem Vater deutlich.
...

In dem Alter der Welt, wo wir leben, findet der unmittelbare Verkehr mit dem Himmel nicht mehr statt. Die alten Geschichten und Schriften sind jetzt die einzigen Quellen, durch die uns eine Kenntnis von der überirdischen Welt, soweit wir sie nötig haben, zuteil wird; und statt jener ausdrücklichen Offenbarungen redet jetzt der heilige Geist mittelbar durch den Verstand kluger und wohlgesinnter Männer und durch die Lebensweise und die Schicksale frommer Menschen zu uns. Unsre heutigen Wunderbilder haben mich nie sonderlich erbaut, und ich habe nie jene großen Taten geglaubt, die unsre Geistlichen davon erzählen.

Indes mag sich daran erbauen, wer will, und ich hüte mich wohl jemanden in seinem Vertrauen irre zu machen.« - »Aber, lieber Vater, aus welchem Grunde seid Ihr so den Träumen entgegen, deren seltsame Verwandlungen und leichte zarte Natur doch unser Nachdenken gewißlich rege machen müssen? Ist nicht jeder, auch der verworrenste Traum, eine sonderliche Erscheinung, die auch ohne noch an göttliche Schickung dabei zu denken, ein bedeutsamer Riß in den geheimnisvollen Vorhang ist, der mit tausend Falten in unser Inneres hereinfällt? In den weisesten Büchern findet man unzählige Traumgeschichten von glaubhaften Menschen, und erinnert Euch nur noch des Traums, den uns neulich der ehrwürdige Hofkaplan erzählte, und der Euch selbst so merkwürdig vorkam."

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Stuttgart 1987, S. 13

Quelle: http://www.goethezeitportal.de/wissen/p ... kunst.html
Zuletzt geändert von Novas am Mi 18. Mär 2015, 20:34, insgesamt 2-mal geändert.

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