Den deutlichen Worten Jesu ging eine jahrelange Geschichte voraus, in denen er immer wieder in religiöse Streitgespräche verwickelt wurde. Jesus sprach so wie der Prophet Johannes der Täufer vor ihm (s. Mat 3:7) und stand somit in der Tradition jüdischer Propheten und gebrauchte deutliche Worte. Hierbei handelt es sich um innerjüdische Kritik und darin wurde schon immer Tacheles (תכלית‎, tachles) gesprochen. Die Schriftgelehrten und Pharisäer waren natürlich damit vertraut und erkannten, dass Jesus als "Prophet" zu ihnen sprach, um sie aufzurütteln. Dies war ganz normal und entsprach der jüdischen Kultur.1Johannes4 hat geschrieben:Hallo Halman,
einerseits kann man in der Bibel Texte lesen, die zu "Sanftmut und Ehrerbietung" aufrufen, aber andererseits bezeichnet Jesus die Pharisäer in Matthäus 23 unter Anderem als "Heuchler", "Narren und Blinde", "Schlangen" und "Otternbrut".
Auch Eltern nehmen ihre Kinder in Zucht, indem sie auch mal deutichere Worte sprechen müssen. Auch Lehrer müssen dies manchmal tun. Tacheles zu sprechen kann durchaus Interesse am Mitmenschen ausdrücken. Nächstenliebe bedeutet nicht, dass man stehts die Ohren der Menschen kitzelt und ihnen wichtigen Rat vorenthält.
Wenn Christen sich an Jesus orientieren, sollten sie dies in dem Bewusstsein tun, weder die Autorität der Propheten im alten Israel, noch die Autorität des Menschensohnes Jesus zu besitzen. Übertragen könnte man sagen: Wir sind keine "Eltern" und "Lehrer-Autoritäten" und sollten uns auch nicht als Geschwisterkinder und Mitschüler so aufführen.
Hier widerspreche ich vehement. Die von mir zitierten biblischen Ratschläge und Beispiele aus der Apostelgeschichte zeigen unmissverständlich, wie (also in Rahmen welchen Sozialverhaltens) die Verkündung der christlichen Botschaft erfolgen sollte, dabei ist natürlich ein großer persönlicher Spielraum gegeben, aber sie sollte eben nicht hochmütig, aggressiv und barsch erfolgen. Christen sollten dafür bekannt sein, freundlich und nett zu sein, ansonsten läuft irgendwas falsch. Dies ist dem Gesamtkontext des zweiten Testaments zweifelsfrei entnehmbar. Dazu muss ich gar keine Bibelstellen ignorieren oder gar leugnen, sondern lediglich im Gesamtkontext einordnen und schlüssig interpretieren.1Johannes4 hat geschrieben:Wenn man also aus den Aussagen des Paulus, die beispielsweise zur Sanftmut und Ehrerbietung gegenüber Anderen auffordern eine Art Gesetz 2.0 entwirft, wird das erste Opfer die eigene Liebe zur Wahrheit sein, weil man in der Folge meist die Bibeltexte, die nicht zum Gesetz 2.0 passen, ignorieren oder gar leugnen wird.
Petri Rat lautet (hier mal mit Kontext):
Ihre Kritik sollte also, wenn sie denn fair ist, positiv ausfallen und zwar deshalb, weil Christen folgenden petrinischen Rat beherzigen:Zitat aus 1.Petrus 2,12:
und führt euren Wandel unter den Nationen gut, damit sie, worin sie gegen euch als Übeltäter reden, aus den guten Werken, die sie anschauen, Gott verherrlichen am Tage der Heimsuchung!
(farbliche Hervorhebungen von mir)Zitat aus 1.Petrus 3,8-17:
8 Endlich aber seid alle gleichgesinnt, mitleidig, voll brüderlicher Liebe, barmherzig, demütig, 9 und vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort mit Scheltwort, sondern im Gegenteil segnet, weil ihr dazu berufen worden seid, dass ihr Segen erbt! 10 "Denn wer das Leben lieben und gute Tage sehen will, der halte Zunge und Lippen vom Bösen zurück, dass sie nicht Trug reden; 11 er wende sich ab vom Bösen und tue Gutes; er suche Frieden und jage ihm nach! 12 Denn die Augen des Herrn sind gerichtet auf die Gerechten und seine Ohren auf ihr Flehen; das Angesicht des Herrn aber ist gegen die, welche Böses tun." 13 Und wer wird euch Böses tun, wenn ihr Eiferer des Guten geworden seid? 14 Aber wenn ihr auch leiden solltet um der Gerechtigkeit willen, glückselig seid ihr! Fürchtet aber nicht ihren Schrecken, seid auch nicht bestürzt, 15 sondern haltet den Herrn, den Christus, in euren Herzen heilig! Seid aber jederzeit bereit zur Verantwortung jedem gegenüber, der Rechenschaft von euch über die Hoffnung in euch fordert, 16 aber mit Sanftmut und Ehrerbietung! Und habt ein gutes Gewissen, damit die, welche euren guten Wandel in Christus verleumden, darin zuschanden werden, worin euch Übles nachgeredet wird. 17 Denn es ist besser, wenn der Wille Gottes es will², für Gutestun zu leiden als für Bösestun³.
²w. wollen sollte
³w. besser, . . . als solche, die Gutes tun, denn als Übeltäter zu leiden
Wenn Christen für Bösestun als Übeltäter überführt werden, wie können sie dann ein gutes Gewissen behalten? Christen glauben, dass sie segen empfangen. Dies sollte sie motivieren andere zu segnen und auf Scheltworte zu verzichten, auch wenn sie damit konfrontiert werden. Ja, Christen sollten dem Frieden nachjagen, sie sollten Friedensstifter sein. Jesus sprach:
(farbliche Hervorhebungen von mir)Zitat aus Matthäus 5,5-9:
5 Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben. 6 Glückselig, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden. 7 Glückselig die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren. 8 Glückselig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. 9 Glückselig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes heißen.
Natürlich kann kein Mensch ein Ideal vollkommen meistern, davon bin ich jedenfalls weit entfernt. Aber wenn bei einem Christen nicht einmal die Bemühung erkennbar sein sollte den Menschen friedvoll und empathisch zu begegnen, erkennbar ist, darf bezweifelt werden, dass sich dieser Christ wirklich ernsthaft an die jesuanischen und apostolischen Ratschläge orientiert. Der Humanist müsste dann ihn predigen.
Paulus riet den Urchristen in Rom:
Wenn es zum Unfrieden kommt, sollte die Ursache dafür nicht immer wieder im Sozialverhalten des Christen bestehen - dies ist jedenfalls der christliche Anspruch. Ich sage immer wieder, weil es natürlich auch mal am Christen liegen wird. Auch Humanisten und Buddhisten machen Fehler, Christen ebenso. Mir geht es hier also nicht um Ausrutscher, von denen ich mir schon genügend geleistet habe (bitte keine Liste). Es sollte aber nicht zur Gewohnheit werden Pauli Rat zu missachten. Was ist ehrbar vor allen Menschen? Dazu gehört sicher, soweit es von uns abhängt, mit anderen Menschen in Frieden zu leben.Zitat aus Römer 12,17-18:
17 Vergeltet niemand Böses mit Bösem; seid bedacht auf das, was ehrbar ist vor allen Menschen! 18 Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden!
Lieber 1Johannes4, was gibt es da misszuverstehen? Was?
Schauen wir uns zur Abrundung die paulinischen Worte an die Urchristen in Ephesus an.
Unanständigkeiten, "die sich nicht geziemen", sollen noch nicht einmal über die Lippen kommen. Christen sollten gütig sein, gerecht und die Wahrheit reden.Zitat aus Epheser 5,3-4 und Epheser 5,8-9:
Unzucht aber und alle Unreinheit oder Habsucht sollen nicht einmal unter euch genannt werden, wie es Heiligen geziemt; 4 auch Unanständigkeit und albernes Geschwätz und Witzelei, die sich nicht geziemen, stattdessen aber Danksagung. ... 8 Denn einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht im Herrn. Wandelt als Kinder des Lichts 9 - denn die Frucht des Lichts besteht in lauter Güte und Gerechtigkeit und Wahrheit -,
Damit meine ich keinen vollkommenen Anspruch. Mir ist bewusst, dass die christliche Sozialethik ein vollkommenes Ideal lehrt, welches niemals gänzlich erreichbar ist. Meiner Meinung nach trifft dies aber auch auf die Ideale im Humanismus und Buddhismus zu. Es geht darum, sich daran zu orientieren und ernsthaft zu bemühen; darum, davon überzeugt zu sein, dass es richtig ist, friedvoll und gütig mit den Mitmenschen umzugehen, auch wenn dies all zu häufig schwierig sein mag.
Lieber Daniel,1Johannes4 hat geschrieben:An erster Stelle steht die Liebe zu Gott und bereits die Liebe zum Nächsten ist daraus abgeleitet. Wenn man sich dann weiter dazu Gedanken macht, wie man dergleichen im Leben ausleben kann, erachte ich es als wichtig nicht diesen Ausgangspunkt aus den Augen zu verlieren, was beispielsweise meistens dann geschieht, wenn einem das Gesetz 2.0 dazu dient sich quasi selbst vor Gott zu rechtfertigen bzw. Anderen ihren Glauben abzusprechen, wenn diejenigen sich nicht entsprechend einem solchen Gesetz 2.0 verhalten. Kurzum, da droht einem, dass man zum Pharisäer wird.
Grüße,
Daniel.
sich an den von mir genannten jesuanischen und apostolischen Ratschläge zu orientieren, bedeutet doch, sich nach der Nächstenliebe auszurichten. Es geht mir nicht um ein Pharisäertum 2.0, denn genau dies ist ja offenbar eine Falle, in die manche Christen tappen und sich dann auf eine Weise betragen, die von Nichtchristen zurecht kritisiert wird. Wir ziehen doch an einem Strang.