Persönlich nehmen

Philosophisches zum Nachdenken
Ruth
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#31 Persönlich nehmen

Beitrag von Ruth » So 2. Mai 2021, 10:32

sven23 hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 10:13
Eusebius hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 09:19
Ruth hat geschrieben:
Sa 1. Mai 2021, 12:10
Wenn dagegen jemand von Erfahrungen aus seinem Leben erzählt, und davon eine eigene Theorie ableitet, dann kann ich persönlich zB viel besser nachvollziehen und darüber nachdenken, als einfach nur eine festgeschriebene Lektion, so wie man in der Schule gelernt hat.

Es gibt einen Spruch: Eine Erfahrung ist mehr wert als 1000 Bücher.

Man kann 1000 Bücher - oder auch Studien - lesen und darüber nachdenken. Eine einzige Erfahrung kann alles, was in diesen 1000 Büchern - oder Studien - steht, einfach umwerfen. Von einem Moment auf den nächsten. Eine Erfahrung ist etwas, das einem gehört. Es ist wie eine Münze im Schatz der Lebenserfahrungen.


 Wenn es z. B. um Liebe und Sexualität geht, würde ich dem absolut zustimmen. Da ist persönliche Erfahrung wirklich durch nichts zu ersetzen.
Aber die persönliche Erfahrung hat ja ihre Grenzen. Wir haben alle schon aus rein biologischen Gründen keine Erfahrungen aus früheren Epochen, egal ob es ich um den Barock, das Mittelalter oder die Antike zur Zeit Jesu handelt. Wir benötigen also andere Quellen, um uns die Vergangenheit zu erschließen.

Aber auch das, was man liest oder hört, aus einer "Quelle", der man vertraut, muss man erst einmal verarbeiten, und für sich entscheiden, wie weit man die Berichte aus den Quellen so annehmen kann, wie sie geschrieben stehen. Das gehört dann auch zu den Erfahrungen, weil man das gelesene noch einmal umsetzen muss, wie man es übernehmen kann.

Für mich ist das ein (großer) Unterschied, ob man etwas liest und einfach so übernimmt, wie es da steht, weil man glaubt, dass die Quelle nichts als die Wahrheit verkündigt ... oder ob man die Berichte für sich erst einmal in Gedanken bewegt, mit den eigenen Erfahrungen abgleicht, und sich dann entscheidet, was man davon übernehmen/glauben kann und will.

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sven23
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#32 Persönlich nehmen

Beitrag von sven23 » So 2. Mai 2021, 11:32

Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 10:32
Für mich ist das ein (großer) Unterschied, ob man etwas liest und einfach so übernimmt, wie es da steht, weil man glaubt, dass die Quelle nichts als die Wahrheit verkündigt ... oder ob man die Berichte für sich erst einmal in Gedanken bewegt, mit den eigenen Erfahrungen abgleicht, und sich dann entscheidet, was man davon übernehmen/glauben kann und will.
Wenn du damit die biblischen Quellen meinst, würde ich auch dem absolut zustimmen. Das ist aber genau das, was die historische Forschung seit 200 Jahren sagt.
Die Bibel, egal ob AT oder NT, enthält keine historischen Tatsachenberichte, denen es nur um die Weitergabe von historischem Geschehen geht.
Ob jetzt jemand für sich etwas partiell aus den Texten übernehmen will, wie. z. B. Nächstenliebe, goldene Regel usw., dann ist das nochmal eine ganz andere Geschichte.
Das bleibt natürlich jedem überlassen. Aber wie schon oft gesagt: das ist eine völlig andere Abteilung als die historische Forschung.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Ruth
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#33 Persönlich nehmen

Beitrag von Ruth » So 2. Mai 2021, 11:46

sven23 hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 11:32
Wenn du damit die biblischen Quellen meinst, würde ich auch dem absolut zustimmen.
Ich meine alle Quellen ... warum sollte ich nur die biblischen meinen?

Alle Berichte von irgendwelchen Quellen müssen erst einmal gehört und dann entschieden werden, ob man (ich,du,jeder) es SO annehmen/glauben will, wie man es dann selbst meint oder glaubt.

Eusebius
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#34 Persönlich nehmen

Beitrag von Eusebius » So 2. Mai 2021, 13:00

Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 11:46
Alle Berichte von irgendwelchen Quellen müssen erst einmal gehört und dann entschieden werden, ob man (ich,du,jeder) es SO annehmen/glauben will, wie man es dann selbst meint oder glaubt.

Auch wichtig finde ich es, sich erstmal mit einer Quelle auseinanderzusetzen, so, dass man sie auch wirklich versteht.

Ruth
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#35 Persönlich nehmen

Beitrag von Ruth » So 2. Mai 2021, 13:42

Eusebius hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 13:00
Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 11:46
Alle Berichte von irgendwelchen Quellen müssen erst einmal gehört und dann entschieden werden, ob man (ich,du,jeder) es SO annehmen/glauben will, wie man es dann selbst meint oder glaubt.

Auch wichtig finde ich es, sich erstmal mit einer Quelle auseinanderzusetzen, so, dass man sie auch wirklich versteht.

Ja das stimmt ... aber die Definition hängt dabei immer auch mit der persönlichen Erfahrung zusammen. Wenn man zB zuvor einem Menschen begegnet ist, der/die unglaubwürdig schien, aber die gleichen Thesen oder ähnliche anbringt, dann beurteilet man auch manches aus der Erfahrung mit diesen Menschen der Vergangenheit heraus und überträgt das auf den Inhalt der Botschaft, die von unbekannten Quellen stammen.

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sven23
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#36 Persönlich nehmen

Beitrag von sven23 » So 2. Mai 2021, 13:55

Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 11:46
sven23 hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 11:32
Wenn du damit die biblischen Quellen meinst, würde ich auch dem absolut zustimmen.
Ich meine alle Quellen ... warum sollte ich nur die biblischen meinen?

Alle Berichte von irgendwelchen Quellen müssen erst einmal gehört und dann entschieden werden, ob man (ich,du,jeder) es SO annehmen/glauben will, wie man es dann selbst meint oder glaubt.

 Einverstanden. Jede Quelle muß gleich behandelt werden. So geht die Forschung auch vor.

Die Bibel ist von Menschen geschrieben, sie ist ein menschliches Buch, und darum kann sie nicht anders gelesen und verstanden werden und nicht nach anderen Methoden ausgelegt werden als jedes andere Buch.
(Heinz Zahrnt, dt. Theologe, 1915-2003)


Der Theologieprofessor Werner Stenger nimmt Nietzsches Philippika als Ansporn für die bei ihm Studierenden, indem er warnend den Finger hebt, Nietzsche habe aufgedeckt, dass "Theologen in der Gefahr stehen, für ihre Auslegung der Bibel solche Privilegien zu beanspruchen"(6) und er meint mit Privilegien den Fehler, den mancher Theologe macht, wenn er "als Glaubender den Büchern der Bibel eine größere Autorität über sich einräumt als anderen Büchern" und dann versucht ist, "die biblischen Texte bei der Auslegung methodisch grundsätzlich anders zu behandeln als andere schriftliche Dokumente aus Vergangenheit und Gegenwart.""
Norbert Rodenbach

Der Quellenwert der Jesusüberlieferung wird mit genau denselben Methoden überprüft wie jeder andere antike Text über jede andere Person.
katholisch.de
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sven23
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#37 Persönlich nehmen

Beitrag von sven23 » So 2. Mai 2021, 14:03

Eusebius hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 13:00
Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 11:46
Alle Berichte von irgendwelchen Quellen müssen erst einmal gehört und dann entschieden werden, ob man (ich,du,jeder) es SO annehmen/glauben will, wie man es dann selbst meint oder glaubt.

Auch wichtig finde ich es, sich erstmal mit einer Quelle auseinanderzusetzen, so, dass man sie auch wirklich versteht.
Richtig, dazu ist es notwendig, die Verfasserintention zu ermitteln. Dazu ist nicht nur Kenntnis der Sprache erforderlich, sondern umfangreiches Hintergrundwissen über alle möglichen Aspekte aus dieser Zeit. Das kann ein Laie beim besten Willen nicht leisten.
Bezogen auf die Bibel betreiben Amateurexegeten bestenfalls ihre eigene Rezeption und daraus resultieren dann 40.000 Konfessionen innerhalb des Christentums. Man hat also ein Tohuwabohu an unterschiedlichsten Lesarten und Verständnissen.
Das Bild der Forschung ist da wesentlich homogener.
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#38 Persönlich nehmen

Beitrag von Ruth » So 2. Mai 2021, 14:53

sven23 hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 14:03
dazu ist es notwendig, die Verfasserintention zu ermitteln. Dazu ist nicht nur Kenntnis der Sprache erforderlich, sondern umfangreiches Hintergrundwissen über alle möglichen Aspekte aus dieser Zeit. Das kann ein Laie beim besten Willen nicht leisten.
Bezogen auf die Bibel betreiben Amateurexegeten bestenfalls ihre eigene Rezeption und daraus resultieren dann 40.000 Konfessionen innerhalb des Christentums. Man hat also ein Tohuwabohu an unterschiedlichsten Lesarten und Verständnissen.
Das Bild der Forschung ist da wesentlich homogener.

Na und ?
Jeder hat eben seinen eigenen Maßstab an sein eigenes Leben, nach dem er/sie misst, wieviel er/sie glauben und leben kann oder nicht.

Und wenn die verschiedensten Konfessionen in ihrem abgegrenzten "Nest" friedlich miteinander umgehen und den einzelnen Mitgliedern die Freiheit lassen, dass jeder für sich selbst entscheiden kann, wie er leben/glauben will ... im Rahmen dessen, dass die Freiheit des Einen so weit reicht, wie er/sie die Freiheit des Anderen nicht einschränkt .... dann ist es ziemlich egal, ob du oder ich das, was der Einzelne glaubt und wie er lebt, nachvollziehen kann, oder eben nicht.

Die Probleme damit entstehen meiner Meinung nach genau da, wo Menschen Anderen das Recht zu glauben und zu leben, wie er/sie es für jeweils richtig hält, absprechen möchten.
Diejenigen, die den Glauben anderer kontrollieren wollen und festlegen,wollen, was denn richtig sei und was der Andere angeblich falsch sieht, das sind diejenigen, welche Probleme schaffen, wo sie nicht sein müssen.
Das sind dann besonders die Menschen, die in der Beurteilung anderer zu alllererst nach den vermeintlichen Fehlern suchen, diese ganz groß ankreiden, und dann großzügig ihre eigenen Weisheiten anbieten, als einzige Lösung aus dem Problem.

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#39 Persönlich nehmen

Beitrag von sven23 » So 2. Mai 2021, 15:08

Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 14:53
sven23 hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 14:03
dazu ist es notwendig, die Verfasserintention zu ermitteln. Dazu ist nicht nur Kenntnis der Sprache erforderlich, sondern umfangreiches Hintergrundwissen über alle möglichen Aspekte aus dieser Zeit. Das kann ein Laie beim besten Willen nicht leisten.
Bezogen auf die Bibel betreiben Amateurexegeten bestenfalls ihre eigene Rezeption und daraus resultieren dann 40.000 Konfessionen innerhalb des Christentums. Man hat also ein Tohuwabohu an unterschiedlichsten Lesarten und Verständnissen.
Das Bild der Forschung ist da wesentlich homogener.

Na und ?
Jeder hat eben seinen eigenen Maßstab an sein eigenes Leben, nach dem er/sie misst, wieviel er/sie glauben und leben kann oder nicht.
Dann reden wir von unterschiedlichen Dingen. Wenn du sagst, ich bin nicht an historischer Forschung interessiert, mir ist es egal, ob Jesus so war wie in den Evangelien beschrieben wird, oder ob er überhaupt existiert hat, dann ist da ja eine ganz andere Hausnummer.

Das wäre ungefähr so, als wenn du das Bild der Mona Lisa betrachtest und der Meinung bist, Leonardo da Vinci habe hier die psychosoziale Komponente im Spätwerk von Franz Kafka zum Ausdruck bringen wollen. (ich überteibe bewußt). Das kann man machen, man wird aber Probleme haben, darüber eine wissenschaftlich seriöse Abhandlung zu verfassen.

Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 14:53
Und wenn die verschiedensten Konfessionen in ihrem abgegrenzten "Nest" friedlich miteinander umgehen und den einzelnen Mitgliedern die Freiheit lassen, dass jeder für sich selbst entscheiden kann, wie er leben/glauben will ... im Rahmen dessen, dass die Freiheit des Einen so weit reicht, wie er/sie die Freiheit des Anderen nicht einschränkt .... dann ist es ziemlich egal, ob du oder ich das, was der Einzelne glaubt und wie er lebt, nachvollziehen kann, oder eben nicht.
Das ist nicht der Punkt. Im Rahmen der Glaubensfreiheit ist alles möglich, zumindest heute in unserem Kulturkreis. Wir wissen aber, dass es auch bei uns mal ganz anders war und dass es in anderen Kulturkreisen teilweise noch heute sehr extrem ist, was die religiöse Toleranz betrifft.

Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 14:53
Die Probleme damit entstehen meiner Meinung nach genau da, wo Menschen Anderen das Recht zu glauben und zu leben, wie er/sie es für jeweils richtig hält, absprechen möchten.
Diejenigen, die den Glauben anderer kontrollieren wollen und festlegen,wollen, was denn richtig sei und was der Andere angeblich falsch sieht, das sind diejenigen, welche Probleme schaffen, wo sie nicht sein müssen.
Das ist die Beschreibung früherer Zeiten oder anderer Kulturkreise. (siehe oben)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#40 Persönlich nehmen

Beitrag von sven23 » So 2. Mai 2021, 15:11

Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 13:42
Eusebius hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 13:00
Ruth hat geschrieben:
So 2. Mai 2021, 11:46
Alle Berichte von irgendwelchen Quellen müssen erst einmal gehört und dann entschieden werden, ob man (ich,du,jeder) es SO annehmen/glauben will, wie man es dann selbst meint oder glaubt.

Auch wichtig finde ich es, sich erstmal mit einer Quelle auseinanderzusetzen, so, dass man sie auch wirklich versteht.

Ja das stimmt ... aber die Definition hängt dabei immer auch mit der persönlichen Erfahrung zusammen. Wenn man zB zuvor einem Menschen begegnet ist, der/die unglaubwürdig schien, aber die gleichen Thesen oder ähnliche anbringt, dann beurteilet man auch manches aus der Erfahrung mit diesen Menschen der Vergangenheit heraus und überträgt das auf den Inhalt der Botschaft, die von unbekannten Quellen stammen.
Dann begehst du aber den Fehler, den Boten nicht von der Botschaft zu trennen, also das, was wir ja eigentlich vermeiden wollten.Ich erinnere an das große Geschrei im Lovetrail.
Die Botschaft sollte bewertet werden, nicht der Bote.
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