Die Illusion der Matrix

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#1 Matrix

Beitrag von closs » Fr 9. Aug 2013, 15:22

Pflanzenfreak hat geschrieben:..oh, es ist also gar nicht so sicher, dass es existiert und dass wir existieren
Nicht unbedingt. - Hat Du schon mal "Matrix" gesehen? - Niemand kann ausschließen, dass alles, was wir als naturalistisch wahrnehmen, eigene Illusion ist.

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#2 Re: Fragen an den (die) Experten: Naturalistisches Axiom

Beitrag von closs » Fr 9. Aug 2013, 21:50

Pluto hat geschrieben:Und hier müsstest du mir recht geben, dass es wesentlich glaubwürdiger ist, dass wir und alles materielle um uns herum existiert, als dass es nicht ist.
Im ersten Moment würde ich Dir zustimmen, weil das Materielle ja so schön haptisch ist. - Im zweiten Moment nicht, weil Illusion eben eine Illusion ist - egal ob in materiellen oder geistigen Dingen. - Qualitativ würde ich deshalb keine Komparative setzen ("glaubwürdiER"), weil es binär um Sein oder Nicht-Sein geht. - "Ist" es eine Illusion, ist es egal, ob sie materiell ist oder nicht. - Nehmen wir etwas als materiell wahr, ist das kein "Vorsprung" gegenüber geistigen Wahrnehmungen in puncto Illusion

Pluto
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#3 Die Illusion der Matrix

Beitrag von Pluto » Fr 9. Aug 2013, 22:05

Kaum ein Film hat in den letzten Jahre so viele philosophischen Diskussionen beein-flusst und religiöse Themen in den Vordergrund unseres Denkens gerückt wie "The Matrix". Leben wir in der Realität oder ist diese nur eine Fiktion einer höheren Macht die jede Bewegung und Regung beobachtet und steuert? Die simulierte Realität von The Matrix. Eine der Kernfragen des Films ist, ob es möglich ist, eine virtuelle Realität zu erzeugen, die von der Wirklichkeit nicht zu unterscheiden ist?

Beschreibt uns The Matrix nicht letztlich nur eine Art ambivalenter Traum? Wie ist diese Frage zu verstehen?

Über unsere schlafenden Träume haben wir keine Kontrolle. Die Sinne sind blockiert, die Aufmerksamkeit geht verloren, Erinnerung sind verzerrt und die Ratio geschwächt. Vorstellungen folgen aufeinander, wie ein wilder Bach voll von wirren Gedanken laufen sie vor unserem geistigen Auge ab. Emotionen und Instinkte sind hyperaktiv und unsere Fähigkeit zur Selbst-Reflektion ist ausgeschaltet. Alles ist möglich in einem Traum!

Aber es gibt noch eine weitere Vorstellung des Traums, Das ist die philosophische Sicht des Traums wie ihn Descartes mit seinen Gedankenexperimenten des methodologischen Zweifels beschrieb. Descartes sieht den Mensch zwischen dem Nichts und dem absolut Vollkommenen. Mit seinem Modell versucht er herauszufinden, wo die Grenzen der Wirklichkeit enden und der Traum beginnt; was wir als real erkennen können und was nicht. In einem solchem Traum schlafen wir nicht, sondern unsere Sinneswahrnehmungen sind so geschärft und so hell als wären wir wach.

The Matrix gaukelt uns beides vor: manchmal den schlafenden, manchmal auch den cartesianischen Traum. Er will uns zeigen, dass jedes Phantasieszenario möglich ist, einzig und allein weil es vorstellbar ist. So auch die Vorstellung einer Matrix die alle Wirklichkeit kontrolliert, wo die reale Welt in die Köpfe der Menschen hinein projiziert wird, wo das Bewusstsein zum primären Subjekt der Wahrnehmung wir. Der Film suggeriert, dass wahre Erkenntnis unmöglich ist (Skeptizismus) und dass wir sie zugleich ohne Anstrengung erlangen können (Mystizismus). Aber so eine Welt kann es nicht geben. Am Ende entlarvt er sich als bloßen Versuch das Bewusstsein über den Absolutismus der Realität stellen zu wollen.

Der Film entpuppt sich als das Produkt einer überbordenden Phantasie seiner Regisseure. Die Vorstellung von The Matrix ist ein schönes modernes Märchen mit tieferem Sinn, aber es kann niemals die Wirklichkeit zerstören oder auch nur annähernd zur Grundlage für eine Weltanschauung werden, die die Realität aushebelt, sie aus dem Bewusstsein allein entstehen lässt.

Solche Vorstellungen führen letztlich zum Solipsismus. Es ist bekanntlich unmöglich zu Beweisen dass dieser falsch ist, weil er sich jeglicher Versuche entzieht, ihn mit den Mitteln der Empirie zu entkräften. Nehme ich aber den Solipsismus ernst, wird für mich alles zum Traum. Doch selbst Träume sind Dinge die einer Erklärung bedürfen. Sie, während wir schlafen, zu ignorieren wäre aber genau so falsch und irrational, wie sich im Wachzustand über die Realität hinwegsetzen zu wollen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#4 Re: Die Illusion der Matrix

Beitrag von closs » Fr 9. Aug 2013, 23:29

Pluto hat geschrieben:Die Vorstellung von The Matrix ist ein schönes modernes Märchen mit tieferem Sinn, aber es kann niemals die Wirklichkeit zerstören
Der Film selber kann das nicht (will er das überhaupt?). - Aber er zeigt, dass es für den Betroffenen nicht entscheidbar ist, ob seine Wirklichkeit "Kopfkino" oder objektive Realität ist. Das heisst:

Auch im "Kopfkino" könnte man frühstücken, bei der Arbeit objektive Messreihen über naturwissenschaftliche Phänomene erstellen und abends BAyern gegen Dortmund gucken - es ist vom Betroffenen nicht entscheidbar. - Ob es im gängigen Sinne des Wortes eine objektive Welt gibt oder nicht, ist somit von keinem von uns entscheidbar.

Mir ist das eigentlich praktisch (!) auch egal. - Denn ob ich dieses Schreiben hier als Illusion oder als Realität schreibe, ändert nichts an meinem Befinden. - Geistig ist es NICHT egal. - Also glauben (!) wir beide, dass es eine naturalistische Welt auch ohne unsere Wahrnehmung gibt, und ich glaube zudem, dass es Gott auch ohne meine Wahrnehmung gibt. - Aber beides (!) ist Glaube.

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#5 Re: Die Illusion der Matrix

Beitrag von barbara » Sa 10. Aug 2013, 08:23

Pluto hat geschrieben: Der Film entpuppt sich als das Produkt einer überbordenden Phantasie seiner Regisseure.

Zum Glück!

langweilige fantasielose Filme ohne jegliche Vorstellungskraft gibt es schon viel zu viele.

Die Vorstellung von The Matrix ist ein schönes modernes Märchen mit tieferem Sinn, aber es kann niemals die Wirklichkeit zerstören oder auch nur annähernd zur Grundlage für eine Weltanschauung werden, die die Realität aushebelt, sie aus dem Bewusstsein allein entstehen lässt.

Das Gedankengut der Matrix ist sehr alt. Im Hinduismus zum Beispiel unter dem Konzept "Maya" bekannt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Maya_%28My ... duismus.29

Insbesondere im Advaita Vedanta stellt Maya die Illusion des begrenzten, verblendeten Ich dar, das die Realität als nur psychisch und mental versteht und das wahre Selbst, Atman, das eins mit Brahman ist, nicht erkennt. Um Moksha (Erlösung) zu erreichen, muss Maya überwunden werden.

Nach Gaudapada (7. Jh.), dessen Denken einen buddhistischen Einfluss verrät, existieren tatsächlich nur Brahman und Atman, alle Vielheit oder Dualität ist ein Traum, eine durch Maya bedingte Scheinmanifestation des unveränderlichen, verharrenden Seins. Bei Shankara (8. Jh.) ist Maya ein unerklärlicher Faktor, weder seiend noch nicht-seiend, der die Beschränktheit unseres Wissens ausdrückt. Solange wir meinen, die Welt mit unserem Denken zu erkennen, erkennen wir Brahman (das Absolute) nicht, und wenn wir intuitiv Brahman schauen, existiert die Welt für uns nicht. Maya wird als Kraft des menschlichen Geistes gesehen, die Täuschungen hervorruft und mit Unwissen verbunden ist.

Ebenso wie die Erkenntnis des Seils als Seil die Illusion, es sei eine Schlange, zerstört, so wird Maya durch die unmittelbare Erfahrung des absoluten Brahman, des Einen ohne ein Zweites, zerstört.


grüsse, barbara

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#6 Re: Die Illusion der Matrix

Beitrag von Pluto » Sa 10. Aug 2013, 11:30

barbara hat geschrieben:
Der Film entpuppt sich als das Produkt einer überbordenden Phantasie seiner Regisseure.
Zum Glück!
Hast du ihn gesehen?
Ich fand ihn zeitweilig recht langatmig, aber die Idee dahinter finde ich faszinierend.


Das Gedankengut der Matrix ist sehr alt. Im Hinduismus zum Beispiel unter dem Konzept "Maya" bekannt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Maya_%28My ... duismus.29
Hmm... Das was in dem Text steht, erinnert mich mehr an den Begriff des Solipsismus. Das ist die Vorstellung, dass das was wir sehen, alles nur unserer eigenen Vorstellung entspringt. Das kann man sehr schnell damit entkräften, dass man sein Auto gegen den nächstgelegenen Baum fährt. Dann wird schnell deutlich, dass Baum und Auto nicht bloss Produkte unserer Phantasie sind. :mrgreen:

Nicht so, die Matrix.
Das Konzept der Matrix ist insoweit anders, als dass es davon ausgeht, dass alles eine Simulation eines Supercomputers ist. Das kann man nicht mehr so leicht entkräften, weil wir selbst als Teil der Matrix gelten.

Das kann man nur axiomatisch mit der Annahme auflösen, dass die Welt tatsächlich real ist.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#7 Re: Die Illusion der Matrix

Beitrag von barbara » Sa 10. Aug 2013, 11:38

Pluto hat geschrieben:Hast du ihn gesehen?
Ich fand ihn zeitweilig recht langatmig, aber die Idee dahinter finde ich faszinierend.

ja, ist allerdings schon länger her. Ein bisschen weniger Technomagie und ein bisschen weniger Düsterkeit hättens mE auch getan. aber grundsätzlich ist er gut.



Hmm... Das was in dem Text steht, erinnert mich mehr an den Begriff des Solipsismus. Das ist die Vorstellung, dass das was wir sehen, alles nur unserer eigenen Vorstellung entspringt.Das kann man sehr schnell damit entkräften, dass man sein Auto gegen den nächstgelegenen Baum fährt. Dann wird schnell deutlich, dass Baum und Auto nicht bloss Produkte unserer Phantasie sind. :mrgreen:

der Fehler des Solipsismus liegt darin, dass er vom Ego ausgeht - also von jenem Begriff von "ich", den ein Kind so ab anderthalbjährig zu entwikeln beginnt; ein Ich, das sich wesentlich über den Körper und dessen Bedürfnisse definiert.

Im Hinduismus wird davon ausgegangen, was C.G. Jung das *Selbst* nennt; und das Selbst interessiert sich herzlich wenig für Bäume und Verkehrsregeln. Das wird sich womöglihc erleichtert sagen, super, endlich bin ich erlöst aus dieser Illusion namens *Erdenleben* und kann wieder ganz Seele sein.

Nicht so, die Matrix.
Das Konzept der Matrix ist insoweit anders, als dass es davon ausgeht, dass alles eine Simulation eines Supercomputers ist. Das kann man nicht mehr so leicht entkräften, weil wir selbst als Teil der Matrix gelten.

Als "Ego" ja, als "Selbst" nein. Wären wir rein Ego, könnten wir uns so etwas noch nicht einmal vorstellen.

Das kann man nur axiomatisch mit der Annahme auflösen, dass die Welt tatsächlich real ist.

nein, man kann es auch so auflösen, dass nicht alles, was den Menschen ausmacht, Produkt der Matrix ist. Was gerade auch die Existenz von Religionen und mystischen Erlebnissen deutlich besser und sinnvoller zu erklären vermag, als eine Weltanschauung, die vom Menschen nur das Ego kennt, also nur Teil der Matrix, ohne Aspekt, der jenseits der Matrix existiert und in der Matrix wirkt. Wir sind in der Matrix, aber nicht von der Matrix.

grüsse, barbara

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#8 Re: Die Illusion der Matrix

Beitrag von closs » Sa 10. Aug 2013, 11:54

Pluto hat geschrieben: Das kann man nur axiomatisch mit der Annahme auflösen, dass die Welt tatsächlich real ist.
So ist es.

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#9 Re: Die Illusion der Matrix

Beitrag von Pluto » Sa 10. Aug 2013, 14:08

barbara hat geschrieben:der Fehler des Solipsismus liegt darin, dass er vom Ego ausgeht -...

Als "Ego" ja, als "Selbst" nein.
Worin besteht der Unterschied, bitte?
Das Ego ist laut Expertenmeinung nichts anderes als der Sinn für das Selbst. Das wesentliche am Maya des Hinduismus ist dass es auf dem Glauben beruht, dass die Welt nur aus unseren Vorstellungen besteht. Und das ist exakt das was man unter Solipsismus versteht (für mich übrigens der Inbegriff einer falschen Philosophie).

Wären wir rein Ego, könnten wir uns so etwas noch nicht einmal vorstellen.
:o Wie kommst du denn darauf?

nein, man kann es auch so auflösen, dass nicht alles, was den Menschen ausmacht, Produkt der Matrix ist.
Da wär ich mir nicht so sicher... Damit haben sich ganz andere Kaliber auseinandergesetzt, und sind zu Schluss gekommen, dass es unmöglich wäre, eine reale Welt von einer "Matrix-Welt" zu unterscheiden.

Wir sind in der Matrix, aber nicht von der Matrix.
Und wie genau, willst du das unterscheiden, wo sogar die Experten der einhelligen Meinung sind, dass dem nicht so ist?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#10 Re: Die Illusion der Matrix

Beitrag von barbara » Sa 10. Aug 2013, 16:05

Pluto hat geschrieben:
barbara hat geschrieben:der Fehler des Solipsismus liegt darin, dass er vom Ego ausgeht -...

Als "Ego" ja, als "Selbst" nein.
Worin besteht der Unterschied, bitte?
Das Ego ist laut Expertenmeinung nichts anderes als der Sinn für das Selbst.

Ego: jene Instanz, die mit ca anderthalb Jahren in der menschlichen Entwicklung entsteht. Jene Instanz, die sich im Spiegel erkennt und die das Wort "ich" sinnvoll gebrauchen kann.

Selbst: eine Instanz, die macht, dass du kreativ sein kannst, dass du Leidenschaft kennst und Sinn und schöpferische sSchaffen.

Die moderne Psychologie (Verhaltenstherapie und ähnliche Richtungen) ist rein aufs Ego ausgerichtet.


Das wesentliche am Maya des Hinduismus ist dass es auf dem Glauben beruht, dass die Welt nur aus unseren Vorstellungen besteht. Und das ist exakt das was man unter Solipsismus versteht (für mich übrigens der Inbegriff einer falschen Philosophie).

nein. Eben: Unterschied von Ego und Selbst muss beachtet werden Solipsismus ist rein ego-basiert.

Wie kommst du denn darauf?

Weil ich darüber nachgedacht habe und mich seit mehreren Jahren damit beschäftige.

Kannst ja mal nach "Selbstverwirklichung Carl Gustav Jung" googlen, wenn du mehr darüber wissen willst.

grüsse, barbara

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