Fragen an den (die) Experten: Wahrnehmung und Realität

Philosophisches zum Nachdenken
Pluto
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#11 Re: Fragen an den (die) Experten: Ontologische Differenz

Beitrag von Pluto » Do 8. Aug 2013, 08:37

barbara hat geschrieben:Das mag auf Erwachsene zutreffen. Kleinkinder haben allerdings noch keine Vorstellungen von der Wirklichkeit.

Kleinkinder haben Wahrnehmungen. Erst die Erwachsenen, die sie erziehen, verknüpfen erst Vorstellungen mit den Wahrnehmungen - Papa, Mama, Baum, Auto, Haus, Mann, Frau...
Das ist so nicht ganz richtig, liebe Barbara.
Im Säuglingsalter magst du ja noch recht haben.
Aber im Alter von etwa 18 Monaten, etnwickelt das Kind nach und nach sein Bewusstsein, und damit zusammen auch sein "Ich" Gefühl. Ab dem Zeitpunkt kann es sich selbst auch schon im Spiegel erkennen, und es ist gerade diese Erkenntnis des Selbst, welches uns zeigt dass es sehr wohl Vorstellungen, von sich selbst und natürlich aucn von den Dingen in seiner Ungebung hat. Die Umwelt signlisiert ihm dann ständig, ob seine Vorstellungen (sein verinnerlichtes Bild) mit der äußeren Wirklichkeit übereinstimmt.

Es ist keineswegs so, dass es ein gegebenes Set von Vorstellungen gibt und ein Mensch unweigerlich in diese eingesperrt ist und nicht raus kann.
Da hast du recht, denn die Vielfalt unserer Vorstellungen ist schier unbgrenzt.
Aber nur dank dem ständigen Abgleich dieser Vorstellungen mit der Wirlichkeit, können wir unser Bild der Welt bestätigenund nach und nach verbessern.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#12 Re: Fragen an den (die) Experten: Wahrnehmung und Realität

Beitrag von closs » Do 8. Aug 2013, 09:22

Lamarck hat geschrieben: Nichts gegen ad hominems
Manchmal macht es Sinn, die Aussage eines Menschen mit dessen eigener Konstitution in Verbindung zu bringen. Das sind dann ausdrücklich keine Argumente gegen das Argument, sondern der Versuch einer Antwort auf die Frage, warum jemand so denkt.

Lamarck hat geschrieben: Die Realität im SEIN von Heideggers Tafel ist wiederum beobachterabhängig.
Die Wahrnehmung des Seins ist beobachter-abhängig - nicht die Realität - es sei denn, man definiert "Realität" als Folge von Beobachtung. - Möglicherweise liegt hier das Problem - vielleicht sollten wir mal einvernehmlich klären, was eigentlich "Realität" ist.

Mir geht es im übrigen nicht darum, Heidegger zu veri- oder zu falsifizieren, sondern um sein Handwerkszeug, das im geistigen Umfeld sehr brauchbar ist (und meines Erachtens auch so vom - späten - Heidegger verstanden wurde). - Im folgenden einige Transponierungen Heideggers auf christliche Belange - damit Du vielleicht besser verstehst, warum ich den Begriff der "ontologischen Differenz" übernommen habe:

• Heidegger: „Das Sein ist die Voraussetzung für das Seiende“
= Christlich: „Gott/Realität ist Voraussetzung für den Menschen/die Wahrnehmung“

• Heidegger: „Das Sein bleibt also stets das Sein eines Seienden, weshalb eine Differenz zwischen Sein und Seiendem besteht“
= Christlich: „Gott/Realität bleibt also stets Gott/Realität über dem Menschen/der Wahrnehmung, weshalb es eine grundsätzliche Seins-Differenz zwischen realem Gott und wahrnehmendem Menschen gibt“

• Heidegger: „Das Sein kommt auf der Ebene des Seienden ohne ein Seiendes nicht vor.“
= Christlich: „Umgekehrt wird Gott im Dasein nur zur Kenntnis genommen, wenn der Mensch ihn benennt, das heißt: Realität/Wahrheit wird nur benennbar über Wahrnehmung“

• Heidegger: „Da deshalb Sein und Seiendes niemals getrennt auftreten, wird das Sein nicht als solches thematisiert.“
= Christlich: „Da Gott nur zur Kenntnis genommen wird, wenn der Mensch ihn benennt, treten beide, einerseits Gott/Realität und andererseits Mensch/Wahrnehmung, zwangsläufig immer zusammen auf. Da die Aufklärung
des 21. Jahrhunderts aber den Unterschied zwischen Sein und Seiendem, also Gott und Mensch, also Realität und Wahrnehmung nicht kennt, wird (im Normfall) Gott/Realität als Gott/Realität auch nicht thematisiert“

• Heidegger: „Daher ist das Sein zwar das Nächste, weil es im Umgang mit der Welt immer schon vorausgehend und mitgängig ist; andererseits erweist es sich als das Fernste, da es als Unthematisches nie explizit wird.“
= Christlich: „Daher ist Gott/die Realität zwar einerseits das Nächste, weil es im Dasein alles zu allen Zeiten fügt, andererseits erscheint es aus Sicht des Menschen/der Wahrnehmung als das Fernste, wenn es wahrnehmungsmäßig
unbekannterweise nicht existiert.“

• Heidegger: „Solange das Dasein als Seiendes ‚ist‘, hat es seine ‚Gänze‘ nie erreicht. Gewinnt es sie aber, dann wird der Gewinn zum Verlust des In-der-Welt-Seins schlechthin. Als Seiendes wird es dann nie mehr erfahrbar.“
= Christlich: „Solange der Mensch im Dasein ist, ist die Entwicklung zum Ganzen nicht erreichbar. – Die Entwicklung zum Ganzen ist dem Menschen nur über den Tod möglich – wenn also die ontologische Differenz zwischen „Sein und
Seiendem“, „Realität und Wahrnehmung“, „Gott und Mensch“ aufgehoben ist – die christliche Sprache verwendet dafür den Begriff „Erlösung“.

Um es kurz zu machen: Ich war sehr überrascht, dass Heideggers Handwerkszeug problemlos übertragbar ist auf meinen geistigen Ansatz - Stichwort: Ontotheologie seit Kant.

Du musst da nicht zustimmen, solltest aber zur Kenntnis nehmen, dass sich über unser Thema hier schon ganz andere Kaliber Gedanken gemacht haben.

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Magdalena61
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#13 Was ist was?

Beitrag von Magdalena61 » Do 8. Aug 2013, 10:35

Huch, hier geht's ja ordentlich zur Sache.

Mal eine bescheidene Frage: Gehört das, was ihr da diskutiert in den Bereich "Philosophie"? :roll:
LG
God bless you all for what you all have done for me.

closs
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#14 Re: Fragen an den (die) Experten: Wahrnehmung und Realität

Beitrag von closs » Do 8. Aug 2013, 11:45

Magdalena61 hat geschrieben:Gehört das, was ihr da diskutiert in den Bereich "Philosophie"?
Es geht aus meiner Sicht um die Verknüpfung von Philosophie und Theologie.

Um denn Sachverhalt mal ohne Begründung zu sagen (Sachen sind ja immer nur deshalb so kompliziert, wenn man sie begründet, auch wenn sie an sich arschklar sind):

Es gibt eine Realität Gottes und dessen Schöpfung, und dazu gibt es die menschliche Wahrnehmung.

A: Die menschliche Wahrnehmung in Bezug auf die Schöpfung ist im Prinzip verifizierbar, also nachweisbar. Trotzdem ist diese somit objektivierbare Wahrnehmung nur ein Ausschnitt der Realität der Schöpfung - da würde ein Naturwissenschaftler wahrscheinlich zustimmen. - DASS die menschliche Wahrnehmung der Schöpfung objektivierbar ist, hat damit zu tun, dass Schöpfungs-Realität und Wahrnehmung des Menschen in gleicher Dimension stattfinden (beide, sowohl die Natur als auch der Mensch, sind Schöpfung).

B: Die menschliche Wahrnehmung in Bezug auf Gott ist im Prinzip NICHT verifizierbar, also prinzipiell NICHT objektivierbar - da tut sich ein Naturwissenschaftler eher schwer. - DASS dies so ist, hat damit zu tun, dass Gott-Realität und Menschen-Wahrnehmung NICHT in gleicher Dimension stattfinden - Gott ist Schöpfer (also außerhalb seiner Schöpfung), während der Mensch Schöpfung ist.

Wir haben es also mit zwei Realitätsebenen zu tun: Göttlichem Sein und menschlichem Dasein. - Genau das ist aber eine ontologische Frage (Ontologie = Lehre des Seins, also auch der verschiedenen Ebenen des Seins). - Da es einen grundsätzlichen Unterschied zwischen göttlichem Sein und menschlichem Dasein gibt (siehe oben), kann man diesen Unterschied als Differenz, also als "ontologische Differenz" bezeichnen. - Zwar hat der "Erfinder" dieses Ausdrucks nicht unbedingt an den Unterschied zwischen Gott und Mensch gedacht, als er seine Lehre entwickelt hat, aber seine Begrifflichkeit passt dazu wie die Faust aufs Auge.

Wichtig ist dieses Thema deshalb, weil die Naturwissenschaft/der Agnostizismus diese grundsätzliche Trennung zwischen Realität ("Sein") und Wahrnehmung ("Seiendem") nicht anerkennt (so kommt es mir zumindest vor) - das heißt:

Der Naturwissenschaftler sagt: Wenn ich eine Realität nicht naturwissenschaftlich erfassen kann, gibt es diese Realität nicht, weil es dann Illusion sein muss. Die Wahrnehmung wird somit "Chef" der Realität - "ich kenne Dich nicht, also gibt's Dich nicht". - Der Christ sagt: Dass Gott nicht (wahrnehmungsmäßig) erkannt wird, stellt die Existenz Gottes nicht in Frage - weil die Realität "Chef" der Wahrnehmung bleibt.

Soweit ohne Fremdwörter und der Spur nach.

R.F.
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#15 Re: Fragen an den (die) Experten: Ontologische Differenz

Beitrag von R.F. » Do 8. Aug 2013, 12:50

Pluto hat geschrieben: - - -
Wolf Singer is Arzt und kein Naturwissenschaftler. Dass er lange Jahre dem MPI für Hirnforschung vorstand, hat mit seiner Tätigkeit in der Neurophysiologie zu tun.
Der Singer durfte die Laudatio zu Merkels 50. Geburtstag halten. Das ist so viel wie ein Nobel-Preis... :lol:

Es ist beklemmend, dass so viele Menschen in verantwortungsvollen Positionen an solche Schein- Messiasse glauben... :x

R.F.
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#16 Re: Was ist was?

Beitrag von R.F. » Do 8. Aug 2013, 13:11

Magdalena61 hat geschrieben:Huch, hier geht's ja ordentlich zur Sache.

Mal eine bescheidene Frage: Gehört das, was ihr da diskutiert in den Bereich "Philosophie"? :roll:
LG
Liebe Magdalena, bitte störe die Diskussion nicht. Die Disputanten stehen unmittelbar vor der Lösung der Welträtsel. :lol: Ich bewundere deren sprachliche Niveau... ;) Wenn die allerdings noch ‘ne Weile so weiter machen, zitiere ich laut aus Jaspers “Vernunft und Existenz”. Das ist übrigens eine Drohung... :lol:

Völlig klar ist indes, dass der drohende Bürgerkrieg in Ägypten verhindert werden könnte, würden sich die Kontrahenten mehr um Seinsfrage à la Heidegger und weiterer Philosophen kümmern würden...

closs
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#17 Re: Fragen an den (die) Experten: Wahrnehmung und Realität

Beitrag von closs » Do 8. Aug 2013, 13:14

R.F. hat geschrieben:Völlig klar ist indes, dass der drohende Bürgerkrieg in Ägypten verhindert werden könnte, würden sich die Kontrahenten mehr um Seinsfrage à la Heidegger und weiterer Philosophen kümmern würden...
Stimmt übrigens wirklich - aber das ist leider nicht die Ebene, auf der die real existierende Welt aufspringt - Konflikte werden da in der Regel undurchdacht vom Zaun gebrochen. Würde man mehr denken, gäbe es weniger Konflikte.

R.F.
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#18 Re: Fragen an den (die) Experten: Wahrnehmung und Realität

Beitrag von R.F. » Do 8. Aug 2013, 13:24

closs hat geschrieben: - - -
Lamarck hat geschrieben:wenn Seiendes kein Synonym zu SEIN darstellt
- - -
Du bist so intelligent.
- - -
Ja, und so weise...Von ihm habe ich die vertraulich Zusicherung, dass in Kürze das Geheimnis des Lebens gelüftet wird. Ich vertraue da Marck voll und ganz... :lol:

R.F.
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#19 Re: Fragen an den (die) Experten: Wahrnehmung und Realität

Beitrag von R.F. » Do 8. Aug 2013, 13:35

closs hat geschrieben:
R.F. hat geschrieben:Völlig klar ist indes, dass der drohende Bürgerkrieg in Ägypten verhindert werden könnte, würden sich die Kontrahenten mehr um Seinsfrage à la Heidegger und weiterer Philosophen kümmern würden...
Stimmt übrigens wirklich - aber das ist leider nicht die Ebene, auf der die real existierende Welt aufspringt - Konflikte werden da in der Regel undurchdacht vom Zaun gebrochen. Würde man mehr denken, gäbe es weniger Konflikte.
Du glaubst tatsächlich, mein lieber closs, mit ‘nem Haufen Kants, Heideggers und Jaspers’ gäbe es weniger Krieg?

Begehrt wird unabhängig vom Bildungsstand von allen dasselbe: Hab und Gut des Nächsten. Ich glaube, auch Gustave Le Bon deutet das in seinem Werk “Psychologie der Massen” (das Buch liegt vor mir) an.

closs
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#20 Re: Fragen an den (die) Experten: Wahrnehmung und Realität

Beitrag von closs » Do 8. Aug 2013, 13:47

R.F. hat geschrieben:Du glaubst tatsächlich, mein lieber closs, mit ‘nem Haufen Kants, Heideggers und Jaspers’ gäbe es weniger Krieg?
Nein - nur wenn man auf sie hören würde. Aber dazu müsste man sie erst mal verstehen :lol: - tue ich übrigens auch nicht gut genug - zu kompliziert.
R.F. hat geschrieben:Ja, und so weise...
Das "weise" stammt aber nicht von mir.

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