Sind Qualia real oder fiktiv?

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#21 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von closs » So 28. Jul 2013, 23:34

Pluto hat geschrieben:Wenn du mir das Lächeln deiner Frau beschreiben würdest, dann würdest du vielleicht Adjektive verwenden wie liebevoll, freundlich, entzückend, oder berauschend... Aber.... du setzt voraus, dass ich genau dasselbe Verständnis dieser Adjektive habe wie du, und das diese Annahme wäre aber keinsfalls zulässig.
Einverstanden. - Aber ich würde sagen, dass hinter diesem Lächeln eine Realität steht, die nicht messbar ist.

Pluto hat geschrieben:Es könnte genauso gut bloß Illusion sein.
Stimmt - es ist objektiv nicht entscheidbar. Das ist wie bei Nieten im Lostopf. Aber es gibt eben auch Gewinne.

Pluto hat geschrieben:Aber wenn's nicht messbar ist, wie willst du wissen was es ist?
Altes Thema: 1.000 wirklich gute (!) Pianisten ordnen Stücke von wirklich guten (!) Komponisten unwillkürlich und ungestützt ähnlich ein. Das sind geistige Tatsachen, um deren Verifizierung sich keiner kümmert, weil es uninteressant ist. - Würde jetzt einer kommen und erzählen, dass die 1.Ballade von Chopin ein Walzer ist (technisch denkbar, da anfangs ein Dreivierteltakt mit walzerähnlicher Anmutung), würden sich 1.000 wirklich gute Pianisten auf dem Boden vor Lachen krümmen (rofl). - Die Leute wissen also, was es ist, ohne es messen zu können (und zu wollen).

Pluto hat geschrieben:Also kann man nicht sagen, was es ist?
Man kann beschreiben, was es ist, nicht aber messen oder beweisen, was es ist.

Pluto hat geschrieben:Also sind Qualia per definitionem NICHT intersubjektiv feststellbar.
Wenn es per definitionem so ist, kann es keine Beweisführung geben, weil man dann nur das beweist, was man voraussetzt. - Wenn ich voraussetze, dass Pluto 3 Köpfe hat, wird mir der Nachweis leicht fallen.

Pluto
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#22 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von Pluto » So 28. Jul 2013, 23:54

closs hat geschrieben:Aber ich würde sagen, dass hinter diesem Lächeln eine Realität steht, die nicht messbar ist.
Ja. Deine Frau steckt dahinter. Aber sie *ist* nicht das Lächeln, sondern nur die Verursacherin deiner Empfundungen.

Das ist wie bei Nieten im Lostopf. Aber es gibt eben auch Gewinne.
Aber es könnte NUR Nieten drin sein?! Also könnte die ontologische Differenz durchaus auch null sein.

Wenn es per definitionem so ist, kann es keine Beweisführung geben, weil man dann nur das beweist, was man voraussetzt. -
Ih habe keine Beweisführung verlangt oder erwartet.
Eine andere, gute Beschreibung wäre "Qualia sind der Charakter unser Gedanken und Gefühle".

Übrigens... auch Schmerzen sind Qualia.
Überlege mal: wenn es dir weh tut, wo empfindest du den Schmerz? Im entsprechenden Körperteil, oder im Gehirn?
Natürlich ist die einzig richtige Antwort: im Gehirn.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#23 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von closs » Mo 29. Jul 2013, 00:40

Pluto hat geschrieben: Deine Frau steckt dahinter.
Und was steckt hinter der Frau?

Pluto hat geschrieben:Aber es könnte NUR Nieten drin sein?!
Positivistisch gesehen nicht auszuschließen.

Pluto hat geschrieben:wo empfindest du den Schmerz?
"Empfinden" tue ich den Schmerz im betroffenen Körperteil. Wer schon mal Zehennagel-Entzündung gehabt hat, weiss, dass er keine Kopfschmerzen hat. - Dass diese Schmerzen ohne Hirn nicht möglich wären, ist auch klar.

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#24 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von barbara » Mo 29. Jul 2013, 14:35

Pluto hat geschrieben: Nicht nur... Ich kann die Früchte auch wiegen und aus messen.

Auch dass eine Waage eine Waage ist, erkennst du nur anhand der Qualia: der Farbe, der Form, wie sie sich anfühlt.. Das Buchstaben "schwarz" auf "weiss" stehen, sodass du etwas lesen kannst, das sind Qualia. Dass ein Massstab "lang" ist und "schwarze Striche" darauf stehen und "schwarz auf weiss Symbole, die Zahlen genannt wrden" - sind alles Qualia. Ohne Qualia wär da gar nichts, das du wahrnehmen könntest, keine Früchte, keine Massbänder, keine Waagen. Keine Wahrnehmung.

Und wenn du mir dann immer noch nicht glaubst, kann ich sie dir an die Birne schmeißen.

Falls du treffen solltest, wär auch der empfundene Schmerz ein Quale.

Jeder für sich weiß es, aber wir können es uns nicht gegenseitig mitteilen!

nein. Worte werden überschätzt.

Aber man kann sich gegenseitig bekochen. Man kann feststellen, ob ein Gericht, das man zusammen isst, Wohlbehagen bereitet oder nicht. Man kann sich sehr wohl auf brauchbare Weise an einen Konsens annähern.

Aber das mit den Kirschen ist albern. Wenn wir den Sack mit den gemeinsam gepflückten Kirschen essen, dann sind wir beide danach ziemlich satt, meinst du nicht auch?
Existieren also Kirschen oder nicht.

Alles am Kirschen-Essen (die ich nicht so mag, das darfst du gern allein machen - ich nehm die Ananas) - nehmen wir, jede mit ihrem persönlichen Sinnesapparat, als Qualia wahr. Gewicht, Farbe, Geschmack, Konsistenz, etc etc.

Auch formalisierte Qualia wie "diese Ananas ist 853 Gramm schwer" läuft auch nur darauf hinaus, dass man ein bestimmtes Quale von Schwere empfinden würde, hielte man die Ananas in der Hand.

grüsse, barbara

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Lamarck
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#25 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von Lamarck » Mo 29. Jul 2013, 15:59

Hi ThomasM!

ThomasM hat geschrieben: Die Frage bei den Qualia ist, ob sie ein emergentes Phänomen sind oder nicht.
Mit anderen Worten: Weiss ich alles über das subjektive Empfinden eines Menschen, wenn ich nur ein vollständiges naturalistisches Modell dieses Menschen habe oder werde ich selbst dann etwas nicht wissen, weil es eben nicht mein Empfinden ist.

In einer naturalistischen Welt müsste dieses subjektive Empfinden beschreibbar sein z.B. als Konsequenz der Gehirnzustände eines Menschen. Ich müsste aus der Kenntnis der Gehirnzustände alles erfahren und wissen, ein "Nachempfinden" wäre nicht nötig.

Meines Wissens ist die philosophische Frage unentschieden und möglicherweise unentscheidbar.
Ich habe nur die Story gehört, mit der man das Problem verdeutlicht hat. Eine Forscherin ist in einer schwarz-weiss Umgegend (eine Höhle) aufgewachsen, sie hat ihr gesamtes Leben nie auch nur einen Farbton gesehen. Sie hat aber alles gelernt, was es über Farbe zu lernen gibt, von der Physik der Farben bis hin zur Physiologie der Farben und auch noch die noch unbekannte naturalistische Modellierung der Gehirnzustände, die einem alles über subjektive Empfindungen mitteilt, was es nur gibt. Sie weiß alles, kennt alles, was es zu dem Thema Farben gibt.

Eines Tages öffnet sie die Tür der Höhle, tritt heraus und sieht satt grünes Gras.
Hat sie etwas Neues gelernt?

Der Klassiker - guckst du: http://de.wikipedia.org/wiki/Qualia#Das ... experiment

BTW: Mary wird die Farbe des Grases nicht sehen können; sie kann nur Graustufen wahrnehmen.


Die Rede von den Qualia ist im Eigentlichen eine Veranschaulichung des seit Aristoteles bekannten Induktionsproblems. Wenn Du es so willst, ist das Induktionsproblem die Frage nach der TOE der Philosophie (und damit auch der Physik [sic!]). Eine darauf aufbauende Ausseinandersetzung bildet der Universalienstreit, der seit der Scholastik andauert.

Du kannst Dich ja mal daran probieren:

Bestimmt das Allgemeine das Besondere oder das Besondere das Allgemeine?


Wenn diese Frage gelöst werden könnte, wären konkurrierende Ideologien nicht mehr möglich - es bestünde kein Grund mehr für Idealismus, Pragmatismus, Strukturalismus, Realismus, Materialismus etc. ... .




Cheers,

Lamarck
„Nothing in Biology makes sense, except in the light of evolution.” (Theodosius Dobzhansky)

„If you can’t stand algebra, keep out of evolutionary biology.” (John Maynard Smith)

„Computers are to biology what mathematics is to physics.” (Harold Morowitz)

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#26 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von Pluto » Mo 29. Jul 2013, 21:30

barbara hat geschrieben:Ohne Qualia wär da gar nichts, das du wahrnehmen könntest, keine Früchte, keine Massbänder, keine Waagen. Keine Wahrnehmung.
Ja und... Aber, beweist das, dass Qualia real sind?
Doch keineswegs.

Jeder für sich weiß es, aber wir können es uns nicht gegenseitig mitteilen!
nein. Worte werden überschätzt. [/quote] Dann erkläre mir bitte genau was am Lächeln der Mona Lisa besonderes ist.

Man kann sich sehr wohl auf brauchbare Weise an einen Konsens annähern.
Schon, aber das (und alle weitere Beispiele von dir) lassen die Qualia nicht real werden.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#27 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von closs » Mo 29. Jul 2013, 22:41

Pluto hat geschrieben:Schon, aber das (und alle weitere Beispiele von dir) lassen die Qualia nicht real werden..
... wenn man Deinen speziellen Realitäts-Begriff zugrunde legt. - Wir haben immer noch keine einvernehmliche Definition von "Realität".

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#28 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von ThomasM » Di 30. Jul 2013, 09:14

Pluto hat geschrieben: Ich habe das Buch von Beckermann nicht gelesen, aber so wie ich ihn einschätze, weicht er nicht wesentlich vom Urteil Dennetts zu den Quala (und zu "Mary") ab.
Das Buch von Beckermann ist wesentlich objektiver geschrieben. Beckermann berichtet über den Qualia Streit sehr objektiv und läßt beide Seiten zu Wort kommen. Möglicherweise hat er eine eigene Einstellung, aber die läßt er in diesem Buch beiseite. Ohne seine klare Darstellung hätte ich nie eine Chance gehabt zu begreifen, worum es bei dem Qualia Streit geht.

Wie Lamarck dargestellt hat, geht es um eine sehr alte Frage und jeder kann da seine Einstellung haben. Aber letztlich wird die Frage ungelöst bzw. den persönlichen Vorlieben überlassen sein.

Meine Einstellung ist übrigens gemischt.
In der Regel bestimmt das Besondere das Allgemeine, aber es gibt Fragen und Kontexte, in denen das Allgemeine das Besondere bestimmt.
In diesem Sinne ist ein Teil dessen, was wir Qualia nennen durch Gehirzustände beschreibbar, aber die Beschreibung wird niemals 100% sein. Es wird immer einen Rest geben, der für sich alleine steht.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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#29 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von barbara » Di 30. Jul 2013, 10:35

Pluto hat geschrieben:[ Ja und... Aber, beweist das, dass Qualia real sind?
Doch keineswegs.

zitieren wir doch wieder mal Tante Wiki zum Thema "Realität":

Als Realität (lat. realitas, von res „Ding“) wird im allgemeinen Sprachgebrauch die Gesamtheit des Realen bezeichnet. Als „real“ wird zum einen etwas bezeichnet, das keine Illusion ist, und nicht von den Wünschen oder Überzeugungen eines Einzelnen abhängig ist. Zum anderen ist „real“ vor allem etwas, das in Wahrheit so ist, wie es erscheint, bzw. dem bestimmte Eigenschaften „robust“, also nicht nur in einer Hinsicht und nicht nur vorübergehend zukommen (siehe Authentizität). Realität ist in diesem Sinne dasjenige, dem „Bestimmtheit“ zugeschrieben werden kann.

http://de.wikipedia.org/wiki/Realit%C3%A4t

- sind Qualia von den Wünschen oder Überzeugungen abhängig? - nein. rot ist rot, sauer ist sauer, glatt ist glatt. Du kannst einen unreifen Apfel nicht "reif wünschen". Auf alle Fälle nicht mit Erfolg.

- sind Qualia robust oder flüchtig? - robust: Schokolade wird auch noch in fünfzig Jahren nach Schokolade schmecken. Ein glatter runder Kiesel wird auch in fünfzig Jahren noch ein glatter runder Kiesel sein.

Dann erkläre mir bitte genau was am Lächeln der Mona Lisa besonderes ist.

Ich habe sie noch nie im Original gesehen, und kann nur sagen, was du auch weisst: dass sie offenbar viele Menschen, während Jahrhunderten, auf geheimnisvolle Weise berührt.


Schon, aber das (und alle weitere Beispiele von dir) lassen die Qualia nicht real werden.

nun, das Saure im Apfel ist keine Illusion (ausser natürlich, Teil der grossen Illusion, die im Buddhismus Maya genannt wird), es ist nicht, was man sich so oder anders wünschen kann, es ist robust.

Mehr Realität als das kriegst du nirgengs. Auch nicht in der Wissenschaft, die ja auch nur Qualia formalisieren kann.

grüsse, barbara

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#30 Re: Sind Qualia real oder fiktiv?

Beitrag von Pluto » Di 30. Jul 2013, 12:27

barbara hat geschrieben:- sind Qualia von den Wünschen oder Überzeugungen abhängig? - nein. rot ist rot, sauer ist sauer, glatt ist glatt. Du kannst einen unreifen Apfel nicht "reif wünschen". Auf alle Fälle nicht mit Erfolg.

- sind Qualia robust oder flüchtig? - robust: Schokolade wird auch noch in fünfzig Jahren nach Schokolade schmecken. Ein glatter runder Kiesel wird auch in fünfzig Jahren noch ein glatter runder Kiesel sein.
Damit hängst du ewig gestrigen Gedanken nach. Der englische Philosoph Betrand Russel hat diese Ideen bereits 1927 widerlegt. Auszüge sind im Netz verfügbar, aber nur auf Englisch (sollte für dich wohl kein Probem sein). Perception and Reality

Dann erkläre mir bitte genau was am Lächeln der Mona Lisa besonderes ist.
Ich habe sie noch nie im Original gesehen, und kann nur sagen, was du auch weisst: dass sie offenbar viele Menschen, während Jahrhunderten, auf geheimnisvolle Weise berührt.
Bisserl wenig, oder?
Genau das ist die Illusion von Qualia

nun, das Saure im Apfel ist keine Illusion.
Aber natürlich ist es reine Illusion. Du meinst doch nicht im Ernst, dass auch nur ein einziges Molekül des Apfels ins Gehirn gelangt, um dort den typischen Geschmack hervorzurufen?

Mehr Realität als das kriegst du nirgengs.
Tja...
Dann empfehle ich auch dir folgendes Gedankenexperiment:
Steig in dein Auto und fahre es gegen den nächsten Baum am Strassenrand.
Spätestens wenn du die Werkstatt-Rechnung in Händen hältst, wirst du in der Wirklichkeit ankommen.
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