Wird die Philosophie unterschätzt?

Philosophisches zum Nachdenken
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Halman
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#1 Wird die Philosophie unterschätzt?

Beitrag von Halman » Mi 16. Dez 2015, 17:01

Thema abgetrennt aus: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)


Pluto hat geschrieben:
closs hat geschrieben:Methodik wird zum Maßstab dafür gemacht, was sein zu sein hat und was nicht.
Selbstverständlich! enn nur wer methodisch vorgeht kann hoffen etwas über die komplizierte Welt zu erfahren in der wir leben.

Wie Einstein einst sagte, "Das Unverständlichste am Universum ist im Grunde, dass wir es verstehen können."
Ich würde hinzufügen, dass dies NUR mit methodischem Vorgehen erreichbar ist.

closs hat geschrieben:Das eigentliche Problem: Die Philosophie scheint in unserer Epoche ihre Eigenständigkeit verlustig zu gehen - als "ancilla scientiae".
Stimmt!
Der kürzlich verstorbene Philosoph Odo Marquard bezeichnete dies als Inkompetenzkompensationskompetenz. Der seit der Antike sichtbare sukzessive Kompetenzverlust führe dazu, dass der Philosophie nur noch die Inkompetenz bleibe. :lol:
Unterschätz Du da nicht die Philosophie? So konnte Prof. Dr. Paul Hoyningen-Huene mit Hilfe der Wissenschaftstheorie (als Teilgebiebt der Philosophie) eine Theorie über die Wissenschaft formlieren, gem. der sie sich nicht ausschließlich durch Methodik, sondern durch ein höheres Maß an Systematizität auszeichnet. Dies ist freilich eine Meinung, die kritisiert und diskutiert werden kann. Da diese Meinung aber mit wissenschaftlicher Systematik gebildet wurde, darf man meiner Meinung nach von einem Wissensanspruch reden. Als Wissen kann man Meinungen bezeichnen, die unter bestmöglichen Bedingungen gebildet wurden (im Falle der Mathematik sind es sogar ideale Bedingungen).
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#2 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von Pluto » Mi 16. Dez 2015, 17:26

Halman hat geschrieben:Unterschätz Du da nicht die Philosophie?
Nö. Ich glaube im Gegenteil, sie wird von vielen Menschen überschätzt.

Halman hat geschrieben:So konnte Prof. Dr. Paul Hoyningen-Huene mit Hilfe der Wissenschaftstheorie (als Teilgebiebt der Philosophie) eine Theorie über die Wissenschaft formlieren, gem. der sie sich nicht ausschließlich durch Methodik, sondern durch ein höheres Maß an Systematizität auszeichnet.
Da bin ich mit Prof. Hoyningen-Huene einer Meinung, denn nur mit Systematik (ich nenne es Methodik) lässt sich unsere Welt erforschen. Wer von einem Thema zu anderen springt und nicht methodisch vorgeht, wird das Wissen der Welt nicht erfassen können; dafür ist die Welt zu komplex.

Echte Wissenschaft hat sehr viel mit Kreativität und Neugierde zu tun, und diese Aspekte scheinen bei Hoyningen-Huene fast vollständig zu fehlen.
Ich habe den Eindruck, dass er zu sehr in der Theorie hängen bleibt. Sein Vorgehen erinnert mich an die eines Bürokraten. Von einem Naturphilosophen wie ihn, wünsche ich mir ein praxisbezogeneres (bodenständigeres) Vorgehen. Auch vermisse ich das begeisterungsfähige, neugierige und kreative Element in seinen Vorträgen. Als Beispiel von dem was ich meine, schau dir mal nur den Anfang dieses Video an: Mathematics gives me Wings! "Mathematik verleiht mir Flügel" sagt Margot Gerritsen, Physikprofessorin in Stanford.

Mir ist die Philosophie eines Richard Feynman, der sich stets durch Pragmatismus und Neugierde hat leiten lassen, sehr viel näher. Feynman war einer der kreativsten Menschen den die Wissenschaft jemals gekannt hat, dynamisch und mit Euphorie machte er sich an jedes noch so kleine Problem ran. Aber eines wusste er: Wenn sich seine Hypothesen und Ideen nicht im Experiment bestätigen ließen, hat er sie ganz schnell in den Mülleimer gekippt.
Diese Dinge hat Popper in seiner Metaphilosophie der Wissenschaft erkannt. An Hoyningen-Huene scheinen sie vorbei zu gehen.

Halman hat geschrieben:Dies ist freilich eine Meinung, die kritisiert und diskutiert werden kann. Da diese Meinung aber mit wissenschaftlicher Systematik gebildet wurde, darf man meiner Meinung nach von einem Wissensanspruch reden. Als Wissen kann man Meinungen bezeichnen, die unter bestmöglichen Bedingungen gebildet wurden (im Falle der Mathematik sind es sogar ideale Bedingungen).
Danke, Halman! Ein schönes neues Thema fürs Wissenschafts-Unterforum!
Falls weiter Interesse besteht, werde ich es dorthin verschieben.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#3 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von closs » Do 17. Dez 2015, 13:48

Thaddäus hat geschrieben:Ein Held ist, wer zwar Furcht hat, sich von ihr aber gerade nicht überwältigen lässt, sondern mit seinem Verstand überlegt, was zu tun ist.
Schon klar - aber das geht halt nur bis zu einem gewissen Maß. - Wer in absoluter Todesnot ist (meinetwegen verschüttet) panikt trotzdem, falls er nicht rausgeholt wird.

Thaddäus hat geschrieben:Solche Formen von Angst und Furcht sind bereits pathologisch, können aber therapiert werden, - unter anderem durch eine kognitiv-rationale Therapieform.
Da ist sicher so. - Trotzdem sollte man nicht den Eindruck erwecken, man könne alles mit Vernunft klären, wenn sich ihrer nur bedient.

Schau Dir mal den Übergang von Klassik und Romantik an - es war doch gerade die Romantik, die erkannt hat, dass der Vernunft-Bereich EIN, wenn auch großer Bereich, ist, jenseits dessen es kein Halten mehr gibt.

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#4 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von Thaddäus » Do 17. Dez 2015, 15:51

SilverBullet hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Mit entsprechender Zeitverzögerung rücken nun auch in Deutschland Philosophen in Professorenstellen auf, die nicht mehr dezidiert analytische Philosophen sind, wie z.B. in Bonn der junge Markus Gabriel. Gabriel übernimmt zwar die filigrane Argumentationsmethodik der analytischen Philosophie (in gewisser Weise), aber er kritisiert sehr vehement die teilweise absurden Theorien der Churchlands oder Daniel Dennetts, den eliminativen Materialismus, die Neurowissenschaften und jede Neurophilosophie, die rationalistische Bewusstseinsphilosophie usw. Dabei ist er nicht etwa (natur-)wissenschaftsfeindlich oder antievolutionär etc. Er kritisiert vor allem die philosophisch absolut naive Ideologie, die hinter diesen Ansätzen steckt.
In wieweit umfasst diese „vehemente Kritik“ verwendbare Sachargumente?
Die Kritik ist vehement, weil sie u.a. die Widersprüche dieser Weltanschauungen philosophisch und logisch offenlegt. Es sind eigentlich ziemlich offensichtliche Inkonsistenzen, weshalb die philosophische Naivität erstaunlich ist, mit der sie vorgetragen werden. Ich werde im Thread Sein und Wahrnehmung II darauf zurückkommen, denke ich.

Damit du ein Beispiel von der philosophischen Argumentationsweise in diesem Falle von Markus Gabriel bekommst, gebe ich in einem eigenen Post einen Textauszug von ihm.

SilverBullet hat geschrieben: In wieweit wird ein „Markus Gabriel“ derart konkret, dass seine Existenzfestlegungen à la „alles was wir denken, existiert innerhalb einzelner Sinnfelder“ oder „Gedanken gehören zur Welt der Dinge und sind genauso real“ eine nachvollziehbare Verbindung zur Virtualität der Bedeutungszusammenhänge (aus elektrischen Impulsen und Milliarden neuronaler Übergänge) erlangen?
Mir ist nicht ganz klar, was du damit meinst, aber die philosophische Argumentation Gabriels weist z.B. der Haupthese von Paul Curchlands eliminativen Materialismus: "Es gibt keine propositionalen Einstellungen" einen performativen Widerspruch nach. Dies geschieht über ein so genanntes Retorsionsargument, welches einen Widerspruch zwischen Aussageinhalt und Implikaten des Aussagevollzugs offenlegt. Kurzum: Churchland bestreitet die Existenz von etwas, welches er bereits voraussetzen muss, um es bestreiten zu können, woraus folgt, dass es nicht bestritten werden kann.

SilverBullet hat geschrieben: In wieweit beweissen diese Philosophen den Anspruch der absoluten Gültigkeit ihres Denkens, ihres Verständnisses von Realität?
Man kann nur die Gültigkeit einer Schlussfolgerung oder Rechenoperation und die Wahrheit einer wahrheitsfähigen Aussage nachweisen. "Absolute" Gültigkeit gibt es nicht, denn entweder eine Schlussform ist gültig oder sie ist es nicht. Die Steigerungsform "absolut" fügt der Gültigkeit einer Aussage nichts hinzu. Die Korrektheit der Argumentation jedes rational argumentierenden Menschen zeigt sich darin, dass sie inhaltlich nachvollziehbar und logisch konsistent ist, - also insgesamt plausibel! Ist sie das, ist von der Korrektheit des Argumentes auszugehen. Kritisieren kann man durch den Nachweis inhaltlicher Inkorrektheit (z.B. wenn x behauptet, y habe dieses und jenes behauptet, was aber sachlich nicht stimmt etc.) oder dem Nachweis der logischen Inkonsistenz.

SilverBullet hat geschrieben: In wieweit wird das Verwenden von Wörtern wie „absurd“, nachvollziehbar und sachbezogen gerechtfertigt?
Eine bestimmte Weltanschauung, Ideologie, Theorie, Hypothese oder Aussage ist um so absurder, je offensichtlicher sie falsch ist.

SilverBullet hat geschrieben: Du, als Anhänger dieser neuen Philosophiebewegung, müsstest es eigentlich wissen...
Ich hänge keiner bestimmten Philosophiebewegung an, da jede Festlegung auf eine bestimmte Weltanschauung zu deren Erstarrung führt, was stets in Ideologie mündet. Zudem ist es eine der wichtigsten Aufgaben der Philosophie, zu kritisieren und gewohnte Denkbahnen immer wieder neu auf ihre Berechtigung zu hinterfragen. Das verträgt sich nicht gut mit der Festlegung auf eine bestimmte Weltanschauung.
So halte ich viel von Markus Gabriel, weil mir seine Argumente für den Neuen Realismus und seine Sinnfeldtheorie sehr einleuchten. Zudem argumentiert er philosophisch anspruchsvoll und sehr intelligent. Und dann sieht er auch noch gut aus, hat lachende Augen und verfügt über intelligenten Witz. ;)
Ich halte aber auch viel von Ansger Beckermann, der ein analytischer Philosoph ist und nicht so attraktiv wie Gabriel. Ich vertrete den Absurditätsbegriff Camus und Jean Paul Sartres Freiheitsbegriff und liebe Gedichte von Nietzsche. Ich stehe einem nicht-reduktiven Naturalismus Nahe und der Supervenienztheorie, sehe aber deren theoretische Probleme klar und deutlich.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Do 17. Dez 2015, 16:22, insgesamt 3-mal geändert.

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#5 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von Thaddäus » Do 17. Dez 2015, 16:09

SilverBullet hat geschrieben: In wieweit umfasst diese „vehemente Kritik“ verwendbare Sachargumente?
Damit du ein Beispiel von der philosophischen Argumentationsweise in diesem Falle von Markus Gabriel bekommst, stelle ich einen Textauszug mit seiner Kritik des Churchland'schen eliminativen Materialismus ein. Da man verstehen sollte, worum es überhaupt geht, zitiere ich in einem größeren Textzusammenhang. Fette und kursive Hervorhebungen von Gabriel. Rotsetzung seines Retorsionsargumentes durch Thaddäus.

Seines Erachtens schreiben wir anderen und uns selber bewusste geistige Zustände zu, weil wir eine bestimmte Theorie solcher Zustände haben, die wir unserer Erfahrung entnehmen. In der gegenwärtigen Psychologie und Kognitionswissenschaft wird dies »Theory of Mind« genannt: die Fähigkeit, Annahmen über Bewusstseinsvorgänge und damit auch Gefühle, Absichten, Hoffnungen und Überzeugungen anderer Personen zu treffen. Auf dieser Grundlage, so Churchland, hätten wir Menschen nun unsere Alltagspsychologie errichtet, bei der es sich um eine ganz normale empirische Theorie handele. Allerdings hält er diese Theorie für ziemlich schlecht. Insbesondere behauptet er, dass sie seit Jahrtausenden keinerlei Fortschritte und Entwicklungen gemacht habe, was aus meiner Sicht falsch ist.

Churchland sagt jedenfalls, so sein Eröffnungszug, es gebe eine Alltagspsychologie und diese sei eine empirische Theorie. Seine Absicht dahinter ist allerdings, dem Leser nahezulegen, dass diese Theorie nicht nur möglicherweise falsch sein könnte, sondern, dass sie sogar mit Sicherheit falsch ist. Er vergleicht sie ausdrücklich mit dem geozentrischen Weltbild, das sich auch als falsch herausgestellt habe. Die Theorie, dass die Sonne aufgeht, kann man als falsch bezeichnen, weil sich die Erde bekanntlich um die Sonne und um sich selbst dreht, was auf der Erde nur so aussieht, als ob die Sonne aufginge. Genaugenommen geht die Sonne ebenso wenig auf, wie die Erde im Zentrum des Sonnensystems steht. In Wirklichkeit gibt es von dieser Warte aus gesehen also keine Sonnenaufgänge, sondern nur eine Art Illusion, die uns dazu verleitet, an Sonnenaufgänge zu glauben. Die empirische Theorie, dass die Sonne jeden Morgen aufgehe, habe sich nun einmal als falsch erwiesen. Übrig bleibe jedoch die alltägliche Illusion, wir stünden auf einer fest verankerten Platte und sähen einen Sonnenaufgang.

Churchland meint nun im nächsten Schritt, unsere Alltagspsychologie nehme insbesondere an, dass es propositionale Einstellungen gebe. Allerdings ist dies ein typischer philosophischer Fachausdruck und damit genaugenommen alles andere als Bestandteil unserer Alltagspsychologie, was für Verwirrungspotenzial bei Churchland sorgt. Deswegen möchte ich den Ausdruck kurz erläutern: Eine propositionale Einstellung ist eine geistige Einstellung, die man zu einer Tatsache haben kann: Man kann zum Beispiel befürchten, dass der syrische Bürgerkrieg weitergeht; hoffen, dass es noch Körnerbrötchen gibt; glauben, dass man in China Katzen grillt; wissen, dass man Finger hat und so weiter. Furcht, Hoffnung, Glaube und Wissen sind insofern propositionale Einstellungen. Eine Proposition nennt man in der Sprachphilosophie den Inhalt einer Aussage, die wahr oder falsch sein kann und die man sprachlich mit Dass-Sätzen bildet. Eine Person kann verschiedene Einstellungen zur selben Proposition haben. Nehmen wir einfach ein Beispiel:

... dass in Syrien der Bürgerkrieg wütet.

Man kann dies wissen, glauben, sich darüber ärgern, zutiefst betrübt darüber sein oder es ignorieren. Es ist also möglich, sich zu dieser Proposition auf verschiedene Weisen zu verhalten. In der Tat nehmen viele Philosophen an, dass der menschliche Geist im Wesentlichen das Vermögen ist, propositionale Einstellungen zu haben, was meiner Ansieht nach ein guter Ausgangspunkt ist.
Churchland bezweifelt nun aber, dass wir überhaupt propositionale Einstellungen haben. Und damit ist er auch schon sofort in die Falle eines Widerspruchs getappt, den die USamerikanische Philosophin Lynne Rudder Baker (*1944) ziemlich zutreffend als kognitiven Selbstmord bezeichnet hat." Fragen wir uns nämlich einmal, was Churchland bezweifelt. Nun, dies kann man leicht feststellen. Er bezweifelt:

... dass es propositionale Einstellungen gibt.

Gäbe es propositionale Einstellungen, könnte man nämlich auf den Gedanken kommen, dass die Wirklichkeit nicht nur aus materiellen Zuständen und Vorgängen besteht, die naturwissenschaftlich untersucht werden können. Churchland will mit diesem vermeintlichen Aberglauben aufräumen. Der Widerspruch besteht aber darin, dass Churchland damit die propositionale Einstellung des Zweifels zur Proposition, dass es propositionale Einstellungen gibt, einnimmt. Wenn es keine propositionalen Einstellungen gibt. dann glaubt Churchland also auch gar nicht, dass es keine gibt! Und wissen kann er es ebenso nicht.

Deswegen flüchtet er sich am Ende seines Aufsatzes »Eliminativer Materialismus und propositionale Einstellungen« in Science-Fiction-Phantasien, die diesen Widerspruch kaschieren sollen. Er malt sich aus, dass wir Gehirne in der Zukunft irgendwie miteinander verdrahten könnten und empfiehlt uns, alles Mögliche dafür zu tun, um diese tolle Zukunft näher heranzuholen:
[...]
[Gabriel, Ich ist nicht Gehirn, 2015, S. 102-105]
Zuletzt geändert von Thaddäus am Do 17. Dez 2015, 18:38, insgesamt 2-mal geändert.

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#6 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von Thaddäus » Fr 18. Dez 2015, 22:41

Pluto hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Unterschätz Du da nicht die Philosophie?
Nö. Ich glaube im Gegenteil, sie wird von vielen Menschen überschätzt.
Nun, unterschätzt wird die Philosophie in der Regel nur von den Naturwissenschaftlern. Weil die interessanterweise nicht bemerken, dass die Voraussetzungen ihrer Wissenschaft und ihre gesamte Grundlage, natürlich philosophisch ist. Die Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik z.B. ist selbstverständlich keine empirische Theorie, sondern eine philosophische Interpretation dessen, was auf subatomarer Ebene festgestellt wird. Und auch, was eine Theorie ist, ist nicht naturwissenschaftlich messbar, sondern muss wissenschaftstheoretisch geklärt werden. Der Begriff der Kausalität, ist kein empirisches Messergebnis. Der Begriff der Kausalität muss philosophisch, genauer: wissenschaftstheoretisch bestimmt werden. Ebenso die Begriffe Raum, Zeit, Raumzeit oder Empirie. Was "empirisch" eigentlich bedeutet, ist ebenfalls nicht naturwissenschaftlich besimmbar. Unterschätzt man also die Philosophie, dann bezweifelt man nicht weniger als die begrifflichen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen der Naturwissenschaft selbst. Nicht einmal der Begriff der Wahrnehmung ist ein physikalisch zu erfassender Begriff. Er ist ein philosophischer ... ;)

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#7 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von Pluto » Sa 19. Dez 2015, 16:51

Thaddäus hat geschrieben:Die Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik z.B. ist selbstverständlich keine empirische Theorie, sondern eine philosophische Interpretation dessen, was auf subatomarer Ebene festgestellt wird. Und auch, was eine Theorie ist, ist nicht naturwissenschaftlich messbar, sondern muss wissenschaftstheoretisch geklärt werden.
Schon richtig. — Es ist nicht alles Gold was glänzt.

Auch wenn die Kopenhagener Deutung eine Intepretation ist, sind ihr eAuswirkungen nicht philosophisch, sondern physikalisch.
Sie wurde erstmals von Werner Heisenberg und Niels Bohr formuliert, und es war gar kein Philosoph dabei. :mrgreen:

Ich unterstelle sogar, dass der durchschnittliche Philosoph (dessen Background in den Geisteswissenschaften ist) gar nicht in der Lage ist die Tragweite der Kopenhagener Deutung in vollem Umfang zu verstehen. Mit den Phänomenen der Quantenmechanik konfrontiert bewegt sich ein Philosoph deshalb wie "die Kuh auf dem Eis".

Das Problem ist, dass es in der Quantenphysik oft unmöglich ist, Dinge mit vertrauten Modellen zu beschreiben, schon gar nicht mit irgendeinem philosophischen Modell. Z. Bsp. enthält die Quantentheorie formale Objekte, deren unmittelbare Abbildung auf die Realität zu Schwierigkeiten führt. So wird in der Quantentheorie der Aufenthaltsort eines Teilchens nicht durch Orts- bzw.Zeitkoordinaten beschrieben, sondern durch eine Wellenfunktion, u. a. mit der Möglichkeit von scharfen Maxima an mehr als einer Stelle.
Philosophisch sind solche Funktionen gar nicht erfassbar. Die QM bedarf lässt sich mathematisch mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten beschreiben und bedarf keiner philosophischen Interpretation.

Thaddäus hat geschrieben:Der Begriff der Kausalität, ist kein empirisches Messergebnis.
Das nicht. — Wie kann etwas Abstraktes wie ein Begriff überhaupt messbar sein?
Aber die Kausalität ist ohne Kräfte die an Körper wirken nicht zu beschreiben. Diese Kräfte lassen nur physikalisch beschreiben, und nicht philosophisch.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#8 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von Thaddäus » So 20. Dez 2015, 12:21

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Die Kopenhagener Interpretation der Quantenphysik z.B. ist selbstverständlich keine empirische Theorie, sondern eine philosophische Interpretation dessen, was auf subatomarer Ebene festgestellt wird. Und auch, was eine Theorie ist, ist nicht naturwissenschaftlich messbar, sondern muss wissenschaftstheoretisch geklärt werden.

Auch wenn die Kopenhagener Deutung eine Intepretation ist, sind ihre Auswirkungen nicht philosophisch, sondern physikalisch.
Da fängt es schon an ... ;)
"Auswirkungen" der Kopenhagener Interpretation sind ganz gewiss nicht physikalisch! Wie sollte die Auswirkung einer Interpretation auch physikalisch sein können? Was auf subatomarer Ebene faktisch beobachtbar ist, also die feststellbare Unschärfe oder der Zusammenbruch der Wellenfunktion, muss interpretiert werden und das geht offensichtlich gerade nicht durch physikalische Methodik (also durch Beobachtung und Experiment).
Die Unschärfe und der Zusammenbruch der Wellenfunktion sind keine physikalischen Auswirkungen einer bestimmten Interpretation. Du verwechselst da was ... ;)
Nur physikalische Ereignisse können auch physikalische Auswirkungen haben. Die Kopenhagener Interpreation ist dagegen eine Theorie der Natur, in der die Unschärfe und der Zusammenbruch der Wellenfunktion sinnvoll beschrieben werden können. Die Kopenhagener Interpretation ist damit Naturphilosophie!

Pluto hat geschrieben: Sie wurde erstmals von Werner Heisenberg und Niels Bohr formuliert, und es war gar kein Philosoph dabei. :mrgreen:
Da irrst du dich lieber Pluto. Es waren zwei Philosophen anwesend. Nämlich Heisenberg und Bohr! :lol:
Heisenberg war sogar ein ziemlich guter Philosoph, und er hat eine ganze Menge zum Themenkreis Physik und Philosophie geschrieben, wie ein Blick auf einen Auszug seiner Veröffentlichungen belegt. Zudem war er sich stets im Klaren, dass seine Suche nach einer Weltformel, ein urphilosophisches Anliegen ist.

Lit.
Die mathematische Gesetzmäßigkeit der Natur. In: Wolfgang Dennert (Hrsg.): Die Natur – das Wunder Gottes. Bonn 1950.
Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik. Piper, München 1969 (7. Auflage. 2001, ISBN 3-492-22297-8).
Ordnung der Wirklichkeit. Piper, München 1989, ISBN 3-492-10945-4.
Physik und Philosophie. Hirzel, Stuttgart 2000, ISBN 3-7776-1024-0.
Wandlungen in den Grundlagen der Naturwissenschaft. Hirzel, Stuttgart 1947, ISBN 3-7776-1366-5
Heisenberg: Die Entwicklung der Deutung der Quantentheorie. Physikalische Blätter, Juli 1956 (online).
Heisenberg: Die Rolle der modernen Physik in der Entwicklung des Denkens. Physikalische Blätter, Mai 1961 (online).
Heisenberg: Gespräche über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion. Physikalische Blätter, Juli 1970 (online). PDF.
Heisenberg: Die Bedeutung des Schönen in der exakten Naturwissenschaft. Physikalische Blätter, März 1971 (online).
Heisenberg: Naturwissenschaftliche und religiöse Wahrheit. Rede zur Verleihung des Romano-Guardini-Preises. Physikalische Blätter, August 1973
Die philosophisch bedeutsamste Arbeit von Niels Bohr war übrigens „The quantum theory of radiation“.

Pluto hat geschrieben: Ich unterstelle sogar, dass der durchschnittliche Philosoph (dessen Background in den Geisteswissenschaften ist) gar nicht in der Lage ist die Tragweite der Kopenhagener Deutung in vollem Umfang zu verstehen. Mit den Phänomenen der Quantenmechanik konfrontiert bewegt sich ein Philosoph deshalb wie "die Kuh auf dem Eis".
Nun, auf dem gefährlich dünnen Eis der philosophischen Disziplinen Erkenntnistheorie und Ontologie z.B., bewegen sich sogar nicht nur die durchschnittlichen heutigen Physiker wie klobige Kühe, sondern auch die überdurchschnittlichen, wie Stephen Hawking oder Lawrence M. Krauss, die in ihren Büchern, insofern sie philosophisch werden, ganz fürchterlich dumme Fehler machen, vor allem Krauss in "Ein Universum aus nichts". Die Biologen sind da übrigens nicht viel besser, denn auch was Dawkins z.B. in der Gotteswahn an Philosophischem schreibt, ist philosophisch gesehen eher dürftig und strotzt vor einfachen - vor allem philosophiehistorischen - Fehlern.

Diese aktuelle Philosophieinkompetenz von Physikern und überhaupt sehr vielen Naturwissenschaftlern, gilt übrigens dezidiert nicht für fast alle älteren Physikergrößen zu Beginn des 20. Jahrh. (und davor)! Newton, Einstein, Heisenberg, Bohr, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Dirac, Max Planck, Rutherford u.v.a. verfügten über ausgezeichnete philosophische und philosophiehistorische Kenntnisse. Da diese Physiker sehr wohl wussten, dass ihre Arbeiten wesentlich auf erkenntnistheoretischen, wissenschaftstheoretischen und ontologischen Grundannahmen und Voraussetzungen aufbaut, haben sich diese Weltklassephysiker oftmals sogar in eigenen Aufsätzen zu genuin philosophischen Themen geäußert.

Vor allem Carl Friedrich von Weizsäcker, bezeichnenderweise eine Heisenbergschüler, hat diese Tradition fortgesetzt und war ebenso Physiker wie Philosoph.


Aber es ist ohnehin so: Ob ein Durchschnittsphilosoph oder auch ein Weltklassephilosoph über gute Kenntnisse in Physik (oder anderen Naturwissenschaften) verfügt, hängt vor allem davon ab, auf welche philosophische Unterdiziplin er sich spezialisiert. So hat heute jeder bekanntere Naturphilosoph, selbstverständlich nicht nur Philosophie, sondern auch Physik oder eine andere Naturwissenschaft studiert. Lesch ist einer davon, Wolfgang Stegmüller, Bernulf Kanitscheider ("Kosmologie"), Franz Wuketits und Franz von Kutschera sind anderere, und Ulrich Nortmann hat ein ganz bemerkenswertes und mathematisch ziemlich schwieriges, vielbeachtetes Buch über Quantenmechanik geschrieben ("Unscharfe Welt? Was Philosophen über Quantenmechanik wissen möchten"), obwohl er eigentlich ein Aristotelesspezialist ist.

Bild
Umgekehrt meinen allerdings viele heutige Physiker in einer Art Hybrisanfall, sie könnten selbstverständlich auch stichhaltig über philosophische Themen schreiben, was dem Zeitgeist geschuldet ist, der die Physik gerne als Leitwissenschaft missversteht. Was sie freilich produzieren, ist zumeist Leidwissenschaft, denn sie dilletieren sich philosophisch einen Murks zurecht, dass sich die Balken biegen (s. Hawking und Krauss) und jedem Fachphilosophen die Haare zu Berge stehen. ;)

Pluto hat geschrieben: Das Problem ist, dass es in der Quantenphysik oft unmöglich ist, Dinge mit vertrauten Modellen zu beschreiben, schon gar nicht mit irgendeinem philosophischen Modell. Z. Bsp. enthält die Quantentheorie formale Objekte, deren unmittelbare Abbildung auf die Realität zu Schwierigkeiten führt. So wird in der Quantentheorie der Aufenthaltsort eines Teilchens nicht durch Orts- bzw. Zeitkoordinaten beschrieben, sondern durch eine Wellenfunktion, u. a. mit der Möglichkeit von scharfen Maxima an mehr als einer Stelle.
Philosophisch sind solche Funktionen gar nicht erfassbar. Die QM lässt sich mathematisch mit Hilfe von Wahrscheinlichkeiten beschreiben und bedarf keiner philosophischen Interpretation.
Die Beschreibung, die du hier gerade verfasst hast, IST genau eine mögliche wissenschaftstheoretische, also philosophische, Erklärung als einer statistischen Interpretation der Quantenmechanik. Dass es nur eine Theorie unter mehreren möglichen ist, zeigt sich daran, dass es hierzu alternative Theorien gibt, wie z.B. die bohmsche Mechanik, die den physikalischen Zustand eines Teilchens nicht nur durch die Wellenfunktion, sondern durch die Kombination aus Wellenfunktion und Teilchenposition vollständig definiert.


Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Der Begriff der Kausalität, ist kein empirisches Messergebnis.
Das nicht. — Wie kann etwas Abstraktes wie ein Begriff überhaupt messbar sein?
Aber die Kausalität ist ohne Kräfte die an Körper wirken nicht zu beschreiben. Diese Kräfte lassen sich nur physikalisch beschreiben, und nicht philosophisch.
Diese "Kräfte" bedeuten physikalisch noch gar nichts, denn Kräfte zu messen erbringt lediglich Zahlen. Sollen diese Zahlenmesswerte irgendeinen Sinn ergeben, müssen sie interpretiert werden. Aber dein Beispiel ist ohnehin falsch, denn was Kausalität ist, kann grundsätzlich nicht beobachtet werden!
Wenn eine Billardkugel auf eine andere stößt und diese sich dann in eine bestimmte Richtung wegbewegt, dann hat man keine Kausalität beobachtet! Denn es mag sein, dass sich die angestoßene Kugel nicht deshalb bewegt, weil sie von einer anderen getroffen wurde, sondern weil z.B. Gott das so wollte oder ein Schmetterling in China mit den Flügeln geschlagen hat.
Zudem kannst du dich entschließen, einen Kaffee trinken zu möchten, was dich dazu bewegt, aufzustehen und dir einen zu kochen. Dann ist dein Wunsch, Kaffee zu trinken der kausale Auslöser für deine körperliche Aktion.
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 20. Dez 2015, 15:53, insgesamt 3-mal geändert.

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#9 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von Pluto » So 20. Dez 2015, 13:00

Thaddäus hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Auch wenn die Kopenhagener Deutung eine Intepretation ist, sind ihre Auswirkungen nicht philosophisch, sondern physikalisch.
Da fängt es schon an ... ;)
Die Antwort war zu erwarten, ist aber leider kein Argument.

Thaddäus hat geschrieben:"Auswirkungen" der Kopenhagener Interpretation sind ganz gewiss nicht physikalisch! Wie sollte die Auswirkung einer Interpretation auch physikalisch sein können?
Nun, die Kopenahagener Interpretation ist ein Versuch den Zerfall der mathematischen Wellenfunktion physikalisch deuten.

Thaddäus hat geschrieben:Was auf subatomarer Ebene faktisch beobachtbar ist...
Versteht KEINER so richtig, weil es keine Analogien aus unserer Makrowelt dazu gibt. Es braucht ein neues Denken in der Physik, und da kann uns die Philosophie ganz sicher auch nicht helfen.

Thaddäus hat geschrieben:also die feststellbare Unschärfe oder der Zusammenbruch der Wellenfunktion, müssen interpretiert werden und das geht offensichtlich gerade nicht durch physikalische Methodik (also durch Beobachtung und Experiment).
Richtig! Denn was da abgeht ist so skurril, dass es bisher Niemand geschafft hat es richtig zu erklären Da ist die Kopenhagener Deutung auch nur ein Behelfsmittel der Physik.

Thaddäus hat geschrieben: Die Unschärfe und der Zusammenbruch der Wellenfunktion sind jedoch keine physikalische Auswirkungen einer bestimmten Interpretation. Du verwechselst da was ... ;)
Nein. DU verwechselst da was, wenn du meinst physikalische Beobachtungen wären irgendwie philosophisch erklärbar.

Thaddäus hat geschrieben:Nur physikalische Ereignisse können auch physikalische Auswirkungen haben.
Ja! Ist denn die Quantenwelt nicht physikalisch?

Thaddäus hat geschrieben:Die Kopenhagener Interpreation ist dagegen eine Theorie der Natur, in der die Unschärfe und der Zusammenbruch der Wellenfunktion sinnvoll beschrieben werden kann. Die Kopenhagener Interpretation ist Naturphilosophie!
Das sind altbackene Auslegungen.
Immerhin versteht die Wissenschaft die Quantenphysik so gut, dass inzwischen rund ein Drittel des BSP der Welt darauf beruht. Ich denke einen besseren Beweis für die Physikalität der QM wirst du wohl kaum finden.

Thaddäus hat geschrieben:Die Biologen sind da übrigens nicht viel besser, denn auch was Dawkins z.B. in der Gotteswahn an Philosophischem schreibt, ist philosophisch gesehen eher dürftig und strotzt vor einfachen - vor allem philosophiehistorischen - Fehlern.
Ich sehe Dawkins als einen der herausragendsten Evolutionsbiologen unserer Zeit, doch ich glaube Niemand würde ihn einen Philosophen nennen.

Ich kenne übrigens auch Niemanden (außer dich) der Heisenberg und Bohr als Philosophen bezeichnen (schon gar nicht Niels Bohr).

Thaddäus hat geschrieben:Diese aktuelle Philosophieinkompetenz von Physikern und überhaupt sehr vielen Naturwissenschftlern,
Wenn man dem kürzlich verstorbenen Philosophen Odo Marquard glauben soll, so geht es der Philosophie auch nicht besser.
Marquard bezeichnete dies als Inkompetenzkompensationskompetenz. und meinte damit, der seit der Antike sichtbaren sukzessiven Kompetenzverlust führe dazu, dass der Philosophie nur noch die Inkompetenz bleibe.

Thaddäus hat geschrieben:Aber es ist ohnehin so: Ob ein Durchschnittsphilosoph oder auch ein Weltklassephilosoph über gute Kenntnisse in Physik (oder anderen Naturwissenschaften) verfügt, hängt vor allem davon ab, auf welche philosophische Unterdisziplin er sich spezialisiert.
So ist es...
Die einen können Physik besser, die andere bleiben in den nebulösen Tiefen der Philosophie stecken. Es sind nur ganz Wenige, die es schaffen beides zu vereinen.

Thaddäus hat geschrieben:Die Beschreibung, die du hier gerade verfasst hast, IST genau eine mögliche wissenschaftstheoretische, also philosophische, Erklärung als einer statistischen Interpretation der Quantenmechanik.
Siehst du... Das meine ich, wenn ich sage die Philosophie wird überschätzt.

Thaddäus hat geschrieben:Diese "Kräfte" bedeuten physikalisch noch gar nichts, denn Kräfte zu messen erbringt lediglich Zahlen. Sollen diese Zahlenmesswerte irgendeinen Sinn ergeben, müssen sie interpretiert werden. Aber dein Beispiel ist ohnehin falsch, denn was Kausalität ist, kann grundsätzlich nicht beobachtet werden!
Dass das falsch ist, ist wieder so eine Behauptung aber sicher kein Argument.

Thaddäus hat geschrieben:Wenn eine Billardkugel auf eine andere stößt und diese sich dann in eine bestimmte Richtung wegbewegt, dann hat man keine Kausalität beobachtet! Denn es mag sein, dass sich die angestoßene Kugel nicht deshalb bewegt, weil sie von einer anderen getroffen wurde, sondern weil z.B. Gott das so wollte oder ein Schmetterling in China mit den Flügeln geschlagen hat.
Was sollen diese albernen Beispiele?
Wir leben in einer kausalen Welt. Das erkannte schon Augustinus als er Gott den unbewegten Erstbeweger nannte.

Thaddäus hat geschrieben:Zudem kannst du dich entschließen, einen Kaffee trinken zu möchten, was dich dazu bewegt, aufzustehen und dir einen zu kochen. Dann ist dein Wunsch, Kaffee zu trinken der kausale Auslöser für deine körperliche Aktion.
Ja und...?
Verstehe doch, dass wir in einer kausalen Welt leben, in der jeder Aktion eine Reaktion birgt. — Du musst dabei nur an Newton denken.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Thaddäus
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#10 Re: Kubitzas Dogmenwahn (Bewusstseinsdroge)

Beitrag von Thaddäus » So 20. Dez 2015, 17:46

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Da fängt es schon an ... ;)
Die Antwort war zu erwarten, ist aber leider kein Argument.
Da fängt es schon an mit einem Missverständnis, meine ich.

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:"Auswirkungen" der Kopenhagener Interpretation sind ganz gewiss nicht physikalisch! Wie sollte die Auswirkung einer Interpretation auch physikalisch sein können?
Nun, die Kopenhagener Interpretation ist ein Versuch den Zerfall der mathematischen Wellenfunktion physikalisch zu deuten.
Du sagst es! Sie ist eine Deutung der Wellenfunktion.
Genau das meine ich.
Wenn sie eine Deutung der Wellenfunktion ist, dann ist sie nicht die Wellenfunktion selbst, - ist klar. Was ist sie dann? Sie ist ein theoretischer Rahmen, wie die Wellenfunktion gedeutet werden kann. Zu der gehört z.B., inwiefern der Beobachter selbst Teil der Beobachtung ist (und anderes mehr). Das gehört zwar zur physikalischen Theoriebildung, geht aber über die rein experimentelle Methodik der Physik hinaus. Damit wird sie zur Wissenschaftstheorie und in ihren Konsequenzen schließlich zu einer Sicht der Natur, zu der die Unschärferelation dazugehört, womit z.B. die klassische, rein deterministische Sicht der Natur unmöglich wird. Dasselbe findet sich in der Relativitätstheorie Einsteins.

Es ist kein Zufall, dass gerade Einstein, Planck und Heisenberg sich nicht nur auf der rein physikalischen und mathematischen Ebene zu ihren Theorien äußern, sondern auch naturphilosophisch. Die beiden Bereiche sind spätestens dann nicht mehr zu trennen, wenn klar wird, dass eine Theorie eine neue Sicht auf die Natur eröffnet.

Ich will diesen hochklassigen Physikern keineswegs absprechen, dass sie es waren, die ihre neuen Sichten auf die Natur überhaupt erst entdeckt haben. Es ist aber auch klar, dass die Physik in diesem Augenblick in Naturphilosophie übergeht.
Zudem ist es nicht Sache der Physik, sondern der philosophischen Wissenschaftstheorie z.B. zu definieren und zu erklären, was eine wissenschaftliche Erklärung überhaupt ist und welche Bedingungen sie erfüllen muss, um wissenschaftlich hinreichend zu sein.
Schaue dir beispielsweise einmal das Hempel-Oppenheim-Schema (HO-Schema) an, ohne welches die modernen Naturwissenschaften nicht auskommen. Das ist keine Physik, das ist Wissenschaftstheorie.

Es ist doch eigentlich offensichtlich: je bedeutender die Physiker (bzw. Naturwissenschaftler) sind und um so bedeutsamer und grundsätzlicher ihre Entdeckungen sind, um so mehr äußern sie sich zu den philosophischen Aspekten ihrer Theorien und um so mehr werden sie selbst auch zu Philosophen. Und nur jene Physiker (und Naturwissenschaftler) äußern sich wirklich philosophisch fundiert, die über gute philosophische Kenntnisse verfügen. Eigentlich denkt nur der minderbegabte Mittelbau unter den Naturwissenschaftlern, er käme ohne Philosophie aus. ;)

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Die Unschärfe und der Zusammenbruch der Wellenfunktion sind jedoch keine physikalische Auswirkungen einer bestimmten Interpretation. Du verwechselst da was ... ;)
Nein. DU verwechselst da was, wenn du meinst physikalische Beobachtungen wären irgendwie philosophisch erklärbar.
Wenn die Kopenhagener Interpretation eine Rahmentheorie ist, um bestimmte subatomare Ereignisse theoretisch einordnen zu können, dann geht sie offensichtlich über eine bloße physikalische Methodik und also über bloße Physik hinaus. Das bedeutet also: physikalische Beobachtungen sind überhaupt nur philosophisch erklärbar.
Du denkst nur einfach an die falschen philosophischen Disziplinen. Kant, Camus und Sartre haben natürlich keine Erklärungen für quantenphysikalische Beobachtungen zu liefern. Aber z.B. die Wissenschaftstheorie. Es steht auch außer Frage, dass sich eine moderne Naturphilosophie an die Ergebnisse der Naturwissenschaften zu halten hat. Das bestreitet niemand und ich am allerwenigsten!

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Die Kopenhagener Interpreation ist dagegen eine Theorie der Natur, in der die Unschärfe und der Zusammenbruch der Wellenfunktion sinnvoll beschrieben werden kann. Die Kopenhagener Interpretation ist Naturphilosophie!
Das sind altbackene Auslegungen.
Nein, das ist nicht altbacken, das sind Fakten. Selbstverständlich hat die Quantenphysik (genau wie die Relativitätstheorie und die Evolutionstheorie) ganz erhebliche Auswirkungen auf unser Verständnis der Natur und das Wesen der Materie und von Zeit und Raum und der Entstehung des Lebens und der Arten. Genau deshalb müssen sie ja zu Naturphilosophie werden. Dass da jetzt kein Philosoph mehr kommen kann, der diese wissenschaftsfundierte Naturphilosophie durch aristotelische oder thomistische Naturphilosophie ersetzen kann, - das ist auch klar.

Pluto hat geschrieben: Ich sehe Dawkins als einen der herausragendsten Evolutionsbiologen unserer Zeit, doch ich glaube Niemand würde ihn einen Philosophen nennen.
Ja, aber doch nur, weil er so schlecht ist in Philosophie! Wäre er besser, könnte man ihn einen Philosophen nennen. Er äußerst sich ja auch dezidiert philosophisch z.B. in der Zurückweisung von Gottesbeweisen usw. Ich halte Dawkins ebenfalls für einen herausragenden Evolutionsbiologen. Aber ich halte ihn eben gleichzeitig auch für einen miserablen Philosophen, der über das, wozu er sich dezidiert philosophisch äußert, leider zu wenig Ahnung hat. Hätte er etwas mehr Ahnung von Philosophie, würde mich das freuen!

Pluto hat geschrieben: Ich kenne übrigens auch Niemanden (außer dich) der Heisenberg und Bohr als Philosophen bezeichnen (schon gar nicht Niels Bohr).
Na ja, das sind ja graduelle Bestimmungen. Heisenberg und Bohr waren zu allererst einmal begnadete Physiker. Aber sie haben sich auch fundiert philosophisch geäußert, insofern sind sie auch gute Philosophen gewesen (zugegeben kann man Niels Bohr tatsächlich nicht als Philosophen bezeichnen, weil er sich weitaus weniger als Heisenberg zu philosophischen Aspekten seiner Arbeit geäußert hat). Auch Planck und Heisenberg waren zu allererst Physiker, waren auf dem Gebiet der Philosophie aber trittfest.


Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Diese "Kräfte" bedeuten physikalisch noch gar nichts, denn Kräfte zu messen erbringt lediglich Zahlen. Sollen diese Zahlenmesswerte irgendeinen Sinn ergeben, müssen sie interpretiert werden. Aber dein Beispiel ist ohnehin falsch, denn was Kausalität ist, kann grundsätzlich nicht beobachtet werden!
Dass das falsch ist, ist wieder so eine Behauptung aber sicher kein Argument.
Ähem, nö! Messwerte sind Zahlen. Diese Zahlen zu interpretieren, übersteigt bereits den Rahmen bloßer Physik.
Und, ähem, nö! Kausalität ist nicht beobachtbar. Das hat David Hume für alle Zeit gesichert festgestellt. Aus den von mir genannten Gründen.


Lieber Pluto, du sollst nicht denken, dass ich den Physikern etwa etwas von ihrem Ruhm wegnehmen möchte, wenn sie etwas Großartiges geleistet haben. Aber die besten Physiker hatten immer auch ein solides philosophisches Wissen, was ihnen geholfen hat, sich über die naturphilosophischen Konsequenzen ihrer physikalischen Therien klar zu werden! Es hat sie nicht etwa in ihrer naturwissenschaftlichen Arbeit behindert.
Worauf ich hinaus will ist, dass die Naturwissenschaften und die Philosophie sich gegenseitig tatsächlich ergänzen und befruchten können. Mit den Naturwissenschaften und der Theologie z.B. sieht das anders aus.
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 20. Dez 2015, 18:50, insgesamt 5-mal geändert.

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