Undogmatischer Atheismus

Philosophisches zum Nachdenken
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sven23
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#1 Undogmatischer Atheismus

Beitrag von sven23 » So 6. Dez 2015, 09:06

Joachim Kahl, der mit dem kirchenkritischen Werk "Das Elend des Christentums" aus dem Jahr 1968 bekannt wurde, entwickelt die Idee eines undogmatischen Atheismus.

" Die zwei Säulen des Atheismus
Der hier entwickelte undogmatische Atheismus beansprucht, den Gottesglauben von innen heraus aufzulösen, ihn an seinen inneren Widersprüchen und Ungereimtheiten scheitern zu lassen. Damit wird die religionskritische Schlüsselaufgabe bewältigt, weil im Gottesbegriff alle weiteren Glaubensinhalte letztlich verankert sind.

Die beiden Säulen des Atheismus lauten:

1. Es gibt keinen Gott, der die Welt erschaffen hat. Die Welt ist keine Schöpfung, sondern unerschaffen unerschaffbar, unzerstörbar, kurz: ewig und unendlich. Sie entwickelt sich unaufhörlich gemäß den ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten, in denen sich Notwendiges und Zufälliges verschränken.

2. Es gibt keinen göttlichen Erlöser. Die Welt ist unerlöst und unerlösbar, voller Webfehler und struktureller Unstimmigkeiten, die aus der Bewusstlosigkeit ihrer Gesetzmäßigkeiten herrühren.

Für eine atheistische Weltweisheit und Lebenskunst ergibt sich aus diesen Einsichten die Schlussfolgerung: Der Mensch ist nicht das Ebenbild einer überweltlichen und übernatürlichen Gottheit, sondern ein vorbildloses Geschöpf der Natur, all ihren Gesetzen unterworfen."

Joachim Kahl

Kahls "Elend des Christentums" ist übrigens auch in Kubitzas "Tectum-Wissenschaftsverlag Marburg" erhältlich.
Wäre doch sicherlich ein schönes Weihnachtsgeschenk.

http://www.tectum-verlag.de/weitere-ber ... ntums.html
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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sven23
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#2 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von sven23 » So 6. Dez 2015, 13:59

Ich habe mal ein wenig von Kahl quergelesen. Was ich bei ihm finden konnte, war substantiell nicht viel anderes als bei Kubitza und anderen. Mir scheint, was man Kubitza vorwirft, ist die Form, weniger der Inhalt.
Kahl schreibt in einer unaufgeregten Sprache, die aber deshalb nicht weniger Brisanz enthält:

"Poesie des Atheismus
Der Vorgang der Entzauberung, der mit dem Atheismus in der Tat einhergeht, befreit die Welt von allem faulen Zauber, berührt aber nicht den ihr innewohnenden wirklichen Zauber. Der Dichter Gottfried Keller hat dies nach seiner Begegnung mit dem atheistischen Denker Ludwig Feuerbach in einem Brief so formuliert: "Wie trivial erscheint mir gegenwärtig die Meinung, dass mit dem Aufgeben der sogenannten religiösen Ideen alle Poesie und erhöhte Stimmung aus der Welt verschwinde! Im Gegenteil! Die Welt ist mir unendlich schöner und tiefer geworden, das Leben ist wertvoller und intensiver, der Tod ernster, bedenklicher und fordert mich nun erst mit aller Macht auf, meine Aufgabe zu erfüllen und mein Bewusstsein zu reinigen und zu befriedigen, da ich keine Aussicht habe, das Versäumte in irgendeinem Winkel der Welt nachzuholen..."
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Flavius
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#3 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Flavius » Di 8. Dez 2015, 10:20

Also; die Überschrift ist eigentlich grundsätzlich falsch.

-- Atheismus ist sehr wohl für Manches NICHT offen; oft/ meist eine sehr dogmatische Weltanschauung!!
(Atheisten wurden in den USA als Religionsgemeinschaft anerkannt bzw kann man sich als solche also als atheist. Gemeinde (in manchen Staaten dort) anmelden. Das spricht immerhin für die Meinung- u. Glaubens-Freiheit dort.-- Die Ansichten von Atheisten sind oft sehr dogmatisch Sie basieren oft auch auf reine Annahmen (Glauben/Vermutungen), beinhalten manchmal ähnliche, aber umgedrehte Elemente von Religionen.. Ich meine öfters ich rede - von der Art her - mit einem Zeugen Jehov., wenn ich mit einem "überzeugtem Atheisten" rede.. - Sie vertreten oft solch "enge" Positionen und Ansichten !! - Atheismus hat elementaren Aussagen, die man als Vermutung oder Glauben einstufen kann. Somit ähnlich denen von Religionen, (nur meist eben partout "andersherum"). -- Es gibt keinen iinitierten Anfang, kein Leben nach dem irdischem Tod, keinen übergeordneten Sinn und Zweck im Leben und dem persönlichem Tun --> Bitteschön was ist da eigentlich soo attraktiv daran? -- (Meine Ansicht: Lebensglück kommt aus Aufgaben und sinnvollem Tun.).
- Angefangen von woher bis zum wohin : Alles wird (eher nihilistisch) erklärt oder soll ich sagen weg erklärt. ---
Mich persönlich überzeugen viele der Aussagen nicht. -- Ich denke man kann Lebensfreude durchaus in der Mitte finden .. zwischen (leider oft etwas zu überzogener) "relig. Leben" und dem Zuviel an reinem Wissen/Kopflastigkeit, Egotrips, oder reinem vom Verstand-allein-Gelenkt-Sein.
Dogmen - aller couleur- sind oft sehr hinderlich. (nach Feuerbach).

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#4 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Pluto » Di 8. Dez 2015, 10:32

Flavius hat geschrieben:Also; die Überschrift ist schon mal grundsätzlich falsch gewählt.

Atheismus ist sehr wohl für Manchens nocht offen; meist eine sehr dogmatische Weltanschauung!!
War das jetzt ein Freud'scher Versprecher, Flavius?
Meintest du vielleicht UNdogmatisch, oder eine Weltanschauung welche den Dogmatismus des Glaubens ablehnt?

Flavius hat geschrieben:Atheismus wurde in den USA sogar schon als Religionsgemeinschaft anerkannt bzw kann man sich als solche also als atheist. Gemeinde (in manchen Staaten anmelden.
(Spricht für die Meinung- u. Glaubens-Freiheit)-- Die Ansichten von Atheisten oft sehr dogmatisch Sie basieren oft auf Glauben /Annahmen ,
Aber ja doch! :)
Atheismus ist der Glaube an die menschliche Vernunft. Atheismus ist Evidenz-basiert.

Flavius hat geschrieben:Angefangen von woher bis zum wohin : Alles wird (eher nihilistisch) erklärt - oder soll ich sagen weg erklärt. ---
Mich persönlich überzeugen viele der Aussagen nicht. Ich denke man kann Lebensfreude durchaus in der Mitte finden ... zwischen (leider oft zu überzogener) "Religion" und eine Zuviel an reinem Wissen/Kopflastigkeit, also reinem vom Verstand-allein-Gelenkt-Sein.
Ein Atheist wird nicht nur vom Verstand gelenkt.
Woher hast du diese unsinnige Meinung?

Viele Gottgläubige Menschen scheinen zu glauben, ein Atheist sei unfähig zu meditieren oder nach seinem Gefühl zu urteilen.
Warum machen die Gottgläubigen diesen Fehler?

Das führt uns letztlich zur alten Frage: Was ist der Sinn des Lebens? — Der Essayist und Kritiker Ashleigh Brilliant hat mal gesagt:
"Es ist besser, das Leben hat keinen Sinn, als das es einen Sinn hat, dem ich nicht zustimmen kann."
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#5 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von closs » Di 8. Dez 2015, 15:55

Pluto hat geschrieben:Atheismus ist der Glaube an die menschliche Vernunft.
Das greift aber zu kurz. - Echte Vernunft kennt ihre Grenzen und endet bei Sokrates: "Ich weiss, dass ich nichts weiss". - Atheismus ist vielmehr eine Religion der Vernunft-Anbetung innerhalb des menschlichen Verstehens - das ist was ganz anderes.

Wenn man sagen würde "Agnostizismus ist der Glaube an die Vernunft" (also ohne "menschliche"), wäre dies eine gute Alternative zum Christentum - da würde man am selben Strang ziehen.

Pluto hat geschrieben:Der Essayist und Kritiker Ashleigh Brilliant hat mal gesagt: "Es ist besser, das Leben hat keinen Sinn, als das es einen Sinn hat, dem ich nicht zustimmen kann."
Das sind diese Bonmots ohne Wert, die sich bei einem Glas Wein leicht sagen lassen.

Pluto
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#6 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Pluto » Di 8. Dez 2015, 16:57

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Atheismus ist der Glaube an die menschliche Vernunft.
Das greift aber zu kurz. - Echte Vernunft kennt ihre Grenzen und endet bei Sokrates: "Ich weiss, dass ich nichts weiss".
Was führt dich zur Meinung, dass Atheisten Sokrates' Spruch nicht anerkennen?

Im Gegenteil, der Atheist weiß genau, das nichts auf der Welt beweisbar ist.
Das ist etwas was man für die meisten spirituell geprägten Menschen nicht sagen kann, die trotz der Faktenlage an ihre "ge-offenbarte" Wahrheiten und Dogmen festhalten.

closs hat geschrieben:Wenn man sagen würde "Agnostizismus ist der Glaube an die Vernunft" (also ohne "menschliche"), wäre dies eine gute Alternative zum Christentum - da würde man am selben Strang ziehen.
Der Agnostiker (oder Zweifler) liegt eigentlich genau in der Mitte zwischen dem Glauben und dem Unglauben an einer höheren Macht.

Der Atheismus hat sehr viel mit Vertrauen und Wahrscheinlichkeit zu tun. Wir beobachten die Welt, und mit jeder Beobachtung wächst unser Vertrauen in die Dinge die wir in ihr erkennen. Irgendwann gelangen wir an den Punkt, wo sie zum Alltag werden.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Der Essayist und Kritiker Ashleigh Brilliant hat mal gesagt: "Es ist besser, das Leben hat keinen Sinn, als das es einen Sinn hat, dem ich nicht zustimmen kann."
Das sind diese Bonmots ohne Wert, die sich bei einem Glas Wein leicht sagen lassen.
Ashleigh Brilliant ist als Engländer wohl eher Biertrinker. :P
Und wenn er schreibt, ist er nüchtern.

Du meinst aus weltanschaulichen Gründen, seine Aussage sei falsch?
Aber das Leben hat nun mal keinen Sinn, es sei denn wir setzen uns selbst Ziele, die wir danach verwirklichen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

ThomasM
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#7 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von ThomasM » Di 8. Dez 2015, 17:21

sven23 hat geschrieben: 1. Es gibt keinen Gott, der die Welt erschaffen hat. Die Welt ist keine Schöpfung, sondern unerschaffen unerschaffbar, unzerstörbar, kurz: ewig und unendlich. Sie entwickelt sich unaufhörlich gemäß den ihr innewohnenden Gesetzmäßigkeiten, in denen sich Notwendiges und Zufälliges verschränken.

2. Es gibt keinen göttlichen Erlöser. Die Welt ist unerlöst und unerlösbar, voller Webfehler und struktureller Unstimmigkeiten, die aus der Bewusstlosigkeit ihrer Gesetzmäßigkeiten herrühren.
Sorry, aber wie kann man diese beiden Punkte "undogmatisch" nennen?
Duktus, Formulierung und und Verwendung sind Dogmen in Reinkultur, also unangreifbare und unbegründete Setzungen, die nicht in Frage gestellt werden dürfen.

Dogmatischer geht es nicht.

Das ist, wie "Krieg führen um des Friedens willen" oder (englisch klingt es besser) "Fucking for virginity"
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#8 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von closs » Di 8. Dez 2015, 18:20

Pluto hat geschrieben:Das ist etwas was man für die meisten spirituell geprägten Menschen nicht sagen kann, die trotz der Faktenlage an ihre "ge-offenbarte" Wahrheiten und Dogmen festhalten.
Das ist eine Fehlwahrnehmung: Gerade spirituell geprägte Menschen GLAUBEN doch, weil sie wissen, dass Gott nicht beweisbar ist. - Sonst würde es doch heißen "Ich weiss Gott" anstelle von "Ich glaube an Gott".

Pluto hat geschrieben:Der Atheismus hat sehr viel mit Vertrauen und Wahrscheinlichkeit zu tun. Wir beobachten die Welt, und mit jeder Beobachtung wächst unser Vertrauen in die Dinge die wir in ihr erkennen.
In Bezug auf "die Welt" tun das Christen genauso.

Pluto hat geschrieben:Du meinst aus weltanschaulichen Gründen, seine Aussage sei falsch?
Es ist eine ziemlich willkürlich daherkommende Meinungs-Äußerung - um dies zu erkennen, bedarf es keiner eigenen Weltanschauung.

Pluto hat geschrieben:Aber das Leben hat nun mal keinen Sinn, es sei denn wir setzen uns selbst Ziele, die wir danach verwirklichen.
Wer sagt das? - Könnte es nicht sein, dass das Leben an sich einen Sinn hat?

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Savonlinna
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#9 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Savonlinna » Di 8. Dez 2015, 22:23

sven23 hat geschrieben:Ich habe mal ein wenig von Kahl quergelesen. Was ich bei ihm finden konnte, war substantiell nicht viel anderes als bei Kubitza und anderen. Mir scheint, was man Kubitza vorwirft, ist die Form, weniger der Inhalt.
Warum lässt Du die Schelte Kahls auf den Neu-Atheismus weg?

Ich habe mich stets auf den heutigen Kahl bezogen.
Halman auch. Wir haben das hier oft zitiert oder verlinkt.

Damals, als Kahl "Das Elend des Christentums" schrieb, war eine andere Zeit.
Ich war damals Student. Joachim Kahl war für die Evangelische Theorie eine Art Befreiungsschlag.
Er wurde mit offenen Armen von den Theologiestudenten empfangen, sein Buch wurde in diesen theologischen Kreisen begeistert diskutiert.

Pluto
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#10 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Pluto » Di 8. Dez 2015, 22:57

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das ist etwas was man für die meisten spirituell geprägten Menschen nicht sagen kann, die trotz der Faktenlage an ihre "ge-offenbarte" Wahrheiten und Dogmen festhalten.
Das ist eine Fehlwahrnehmung: Gerade spirituell geprägte Menschen GLAUBEN doch, weil sie wissen, dass Gott nicht beweisbar ist. - Sonst würde es doch heißen "Ich weiss Gott" anstelle von "Ich glaube an Gott".
Das Schlimme ist, dass viele Gläubige das was sie glauben, für die absolute Wahrheit halten.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Der Atheismus hat sehr viel mit Vertrauen und Wahrscheinlichkeit zu tun. Wir beobachten die Welt, und mit jeder Beobachtung wächst unser Vertrauen in die Dinge die wir in ihr erkennen.
In Bezug auf "die Welt" tun das Christen genauso.
Eben.
Du brauchst die Welt nicht in Angstfüsschen setzen, und so tun als hättest du das nicht gesagt.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Du meinst aus weltanschaulichen Gründen, seine Aussage sei falsch?
Es ist eine ziemlich willkürlich daherkommende Meinungs-Äußerung - um dies zu erkennen, bedarf es keiner eigenen Weltanschauung.
Nein. Dass das Leben entstehen konnte, verbietet kein Naturgesetz, deshalb konnte es entstehen. — Eine reine Wahrscheinlickeitsrechnung, die selbst Aristoteles verstanden hätte.
  • Es ist wahrscheinlich, dass selbst das Unwahrscheinliche geschieht. - [Aristoteles]


closs hat geschrieben:Könnte es nicht sein, dass das Leben an sich einen Sinn hat?
Welchen Sinn sollte das Leben denn haben?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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