Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Philosophisches zum Nachdenken
Pluto
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#1 Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von Pluto » Di 2. Dez 2014, 20:44

Seit einigen Tagen befasse ich eingehend mit Baruch Spinoza und seinem Werk.

Zu Lebzeiten war er ein geächteter und ausgestoßener (exkommunizierter) Jude mit eigensinnigen Meinungen zu Gott und zur Natur des Menschen. Seine Schriften wurden nach seinem Tod verboten. Niemand traute sich dem Verbot zu widersetzen, nicht einmal Leibniz, der nachweislich für den Gedanken Spinozas viel Sympathie entgegenbrachte. Glücklicherweise blieben einige Exemplare in den Kellern einiger Biblioteken in Europa erhalten. Erst über 100 Jahre nach seinem frühen Tod, wurden seine Gedanken im Laufe der Aufklärung von wiederaufgegriffen.

Z. Bsp. schrieb Goethe über Spinoza:
Die alles ausgleichende Ruhe Spinozas kontrastierte mit meinem alles aufregenden Streben [..] und [..] machte mich zu seinem leidenschaftlichen Schüler, zu seinem entschiedensten Verehrer.

Spinoza selbst vertrat für seine Zeit eine recht eigensinnige Meinung zu Geist, mit der er der vorherrschenden Philosophie René Descartes' widersprach.
In seinem Hauptwerk Ethik schreibt er:
Hier müssen wir, ehe wir weitergehen, uns ins Gedächtnis rufen, was oben gezeigt worden, nämlich daß alles, was von dem unendlichen Verstand als das Wesen der Substanz ausmachend erfaßt werden kann, daß dies alles nur zu Einer Substanz gehört und daß folglich die denkende Substanz und die ausgedehnte Substanz eine und dieselbe Substanz ist, welche bald unter diesem, bald unter jenem Attribut aufgefaßt wird. So ist auch die Daseinsform der Ausdehnung und die Idee dieser Daseinsform ein und dasselbe Ding, aber auf zwei Arten ausgedrückt.

Geist und Körper sind Attribute (Merkmale) derselben Substanz. Hmm...
War Spinoza mit diesen Gedaken Rebell oder Prophet?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#2 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von closs » Di 2. Dez 2014, 21:12

Pluto hat geschrieben:Geist und Körper sind Attribute (Merkmale) derselben Substanz. Hmm...
Sagt Spinoza, dass er damit Descartes widerspricht? Er tut es nämlich nicht.

Natürlich sind Geist und Körper Attribute derselben Substanz - so wie Eis und Wasserdampf Aggregatszustände von H2O sind. - Descartes hätte dieser Seins-Aussage nicht widersprochen. - Wenn Descartes zwischen der Res Cogitans ("Ich") und den Res extensa ("Natur") unterscheidet, dann aus Wahrnehmungs-Gesichtspunkten.

Pluto
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#3 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von Pluto » Di 2. Dez 2014, 22:40

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Geist und Körper sind Attribute (Merkmale) derselben Substanz. Hmm...
Sagt Spinoza, dass er damit Descartes widerspricht? Er tut es nämlich nicht.
Spinoza war nicht gut auf Descartes zu sprechen, weil er den Ausführungen des damals berühmteste Philosophen seiner Zeit nicht zu folgen vermochte (er widersprach mit seinem Weltbild dasjenige von Descartes).
Aus heutiger Sicht widersprechen sich die Philosophien der beiden Zeitgenossen klar. Leider wurde aber Spinoza damals für seine Kritik des Glaubens zur persona non grata erklärt, so dass er mit seiner Meinung Descartes unterlag.

closs hat geschrieben:Natürlich sind Geist und Körper Attribute derselben Substanz - so wie Eis und Wasserdampf Aggregatszustände von H2O sind.
Sicher könnte das Descartes annehmen, aber es tat es keineswegs! Nichts in seinen Schriften deutet auf eine solche Annahme hin.
Es steht dir natürlich frei, die Stelle aus seinen Principia zu zitieren, wo er eingesteht, dass Körper und Geist aus derselben Substanz bestehen, aber ich denke das wird dir nicht geligen.

closs hat geschrieben:Descartes hätte dieser Seins-Aussage nicht widersprochen. - Wenn Descartes zwischen der Res Cogitans ("Ich") und den Res extensa ("Natur") unterscheidet, dann aus Wahrnehmungs-Gesichtspunkten.
Auch das glaube ich nicht, denn Descartes' Weltbild war das einer unsterblichen (göttlichen) Seele, die unabhängig vom Körper existieren konnte. Aber wie gesagt, ich lasse mich durch ein entsprechendes Zitat von Descartes gerne des Gegenteils überzeugen.

Ansonst bleiben deine Formulierungen rein spekulative Mutmaßungen.
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closs
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#4 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von closs » Di 2. Dez 2014, 23:27

Pluto hat geschrieben: denn Descartes' Weltbild war das einer unsterblichen (göttlichen) Seele, die unabhängig vom Körper existieren konnte.
Das meinen alle Christen - ich auch. - Was hat das mit der Substanz-Frage zu tun?

Pluto hat geschrieben:Es steht dir natürlich frei, die Stelle aus seinen Principia zu zitieren, wo er eingesteht, dass Körper und Geist aus derselben Substanz bestehen
Ich kenne ihn nicht gut genug und betrachte unsere Gespräche nicht als wissenschaftliche Bewertungen von Descartes oder Spinoza, sondern um den Versuch, wichtige Aussagen früherer Philosophen zu verstehen - egal ob sie selbst diversen Irrtümern unterlagen.

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#5 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von michaelit » Mi 3. Dez 2014, 11:50

Versteht Spinoza Gott als diese Eine Substanz? Er war doch Pantheist, wenn ich mich nicht irre.

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#6 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von Pluto » Mi 3. Dez 2014, 12:46

michaelit hat geschrieben:Versteht Spinoza Gott als diese Eine Substanz? Er war doch Pantheist, wenn ich mich nicht irre.
Richtig. Spinoza sah in der Natur überall die Wirkung Gottes; so sehr, dass er die beiden Begriffe mit seinem berühmten Satz, deus sive natura gleichsetzte.
Diese Gleichsetzung nennt man Pantheismus.

Die Ikone der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts, Albert Einstein, war ein Bewunderer von Spinoza, die ihn (Einstein) nach eigenen Worten, in seiner Arbeit inspirierten.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#7 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von Pluto » Mi 3. Dez 2014, 13:02

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: denn Descartes' Weltbild war das einer unsterblichen (göttlichen) Seele, die unabhängig vom Körper existieren konnte.
Das meinen alle Christen - ich auch. - Was hat das mit der Substanz-Frage zu tun?
Das müsstest DU mir erklären.
Wenn die Seele unabhängig ist, wie Descartes glaubte, dann ist sie nicht zwingend von der gleichen Substanz.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Es steht dir natürlich frei, die Stelle aus seinen Principia zu zitieren, wo er eingesteht, dass Körper und Geist aus derselben Substanz bestehen
Ich kenne ihn nicht gut genug und betrachte unsere Gespräche nicht als wissenschaftliche Bewertungen von Descartes oder Spinoza, sondern um den Versuch, wichtige Aussagen früherer Philosophen zu verstehen - egal ob sie selbst diversen Irrtümern unterlagen.
Wenn du aber in einem Gespräch, in Unkenntnis des Textes, sagst, Descartes hätte es so-und-so gesehen, dann bleibt dies eine reine Mutmaßung von dir. Und nun willst du von mir wissen, woher ich das weiß?

Descartes' Bechreibung lässt keinen Raum für Zweifel: Reize werden von den Sinnesorganen weitergeleitet, erreichen die Epiphyse im Gehirn und wirken dort auf den immateriellen Geist ein. Ein Blick auf die Zeichnung aus seinen Principia bestätigt die Interpretation, dass es sich bei Descartes um unterschiedliche Substanzen handeln musste: Der materielle Körper einerseits, und der immaterielle Geist andererseits.
Du kannst natürlich sagen, Descartes hätte sich geirrt, nur dann frage ich mich, was deine Interpretation mit der Phislosophie Descartes' noch gemein hat.

Descartes' Zeichnung zur Erläuterung seines Dualismus
Bild
[ Quelle: Wikimedia commons ]
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#8 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von closs » Mi 3. Dez 2014, 14:09

Pluto hat geschrieben:. Spinoza sah in der Natur überall die Wirkung Gottes
Das sehe eigentlich alle Christen so.

Pluto hat geschrieben:Diese Gleichsetzung nennt man Pantheismus.
Das ist etwas anderes - dadurch wird der Eindruck erweckt, Gott sei von seinem Wesen her eine Daseins-Größe. - Das sehen Christen NICHT so.

Pluto hat geschrieben:Wenn die Seele unabhängig ist, wie Descartes glaubte, dann ist sie nicht zwingend von der gleichen Substanz.
Nach naturalistischem Welt ist Materie unabhängig von Geist - wäre dann das, was Du säkular als Geist bezeichnest, zwingend von anderer Substanz als Materie?

Mit anderen Worten: Dieser Schluss ist überhaupt nicht zwingend. - Das Christentum versteht Materie als Ableitung von Geist - Materie kommt also aus der EINEN göttlichen "Substanz" Geist.

Geist/Seele (zwar nicht dasselbe, aber hier koinzident) kann (nach christlicher Lesart) unabhängig von Materie existieren, während umgekehrt die Materie (als Ableitung des Geistes) nicht ohne Geist existieren kann. - In diesem Sinne ist das christliche Welt monistisch - weil es ja nur eine Ausgangs-Substanz gibt.

Pluto hat geschrieben:Descartes hätte es so-und-so gesehen, dann bleibt dies eine reine Mutmaßung von dir.
Aus logischer Schlussfolgerung dessen, was da steht - ja.

Pluto hat geschrieben:nur dann frage ich mich, was deine Interpretation mit der Phislosophie Descartes' noch gemein hat.
Er scheint ontologisch gedacht zu haben, dies aber anders begründet, als man es vielleicht heute tun würde.

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#9 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von michaelit » Mi 3. Dez 2014, 15:00

Ihr glaubt wohl daß Gott die Welt aus "Geist" gemacht hat? Bzw daß die Materie aus dem Geist "geformt" wurde?

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#10 Re: Baruch Spinozas Verständnis von Geist & Körper

Beitrag von Pluto » Mi 3. Dez 2014, 23:38

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:. Spinoza sah in der Natur überall die Wirkung Gottes
Das sehe eigentlich alle Christen so.
Spinoza war exkommunizierter Jude. Er ging in seiner Philosophie einen entscheidenden Schritt weiter, und setzte die Natur selbst als Schöpfer: deus sive natura. Gott und Natur waren für ihn quasi synonym.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn die Seele unabhängig ist, wie Descartes glaubte, dann ist sie nicht zwingend von der gleichen Substanz.
Nach naturalistischem Welt ist Materie unabhängig von Geist - wäre dann das, was Du säkular als Geist bezeichnest, zwingend von anderer Substanz als Materie?
Ich bezeichne nichts als säkular. Ich werte oder analysiere auch nicht, sondern stelle nur fest, dass Descartes in seiner Principia Geist und Körper als zwei unterschiedliche Dinge beschrieb.

closs hat geschrieben:Das Christentum versteht Materie als Ableitung von Geist
Als Glaubensbekenntnis ist das Okay. Alerdings fehlen konkrete Hinweise für diesen Glauben.

Was ist eigentlich "das Christentum"?

closs hat geschrieben:Geist/Seele (zwar nicht dasselbe, aber hier koinzident) kann (nach christlicher Lesart) unabhängig von Materie existieren, während umgekehrt die Materie (als Ableitung des Geistes) nicht ohne Geist existieren kann.
Wenn du in den Nachthimmel schaust, was siesht du da?

closs hat geschrieben:In diesem Sinne ist das christliche Welt monistisch - weil es ja nur eine Ausgangs-Substanz gibt.
Woraus besteht deiner Meinung nach, diese Substanz genau?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:nur dann frage ich mich, was deine Interpretation mit der Phislosophie Descartes' noch gemein hat.
Er scheint ontologisch gedacht zu haben, dies aber anders begründet, als man es vielleicht heute tun würde.
Schon möglich. Descartes war schließlich ein "Kind seiner Zeit".

Der moderne Monismus von heute wird ist in der Tat völlig anders. Auch wenn wir es noch nicht im Detail verstehen, mehren sich die Hinweise, dass menschlicher Geist eine emergente Eigenschaft der Komplexität unseres Gehirns ist. Aus meiner Sicht ist Geist auch keine Substanz. Ich sehe ihn eher als einen Prozess der den Körper in seinem Lebensunterhalt dient.
Wer da mehr oder anderes hineininterpetieren will, muss verdammt gute Gründe haben! Wie Carl Sagan einst sagte:
Außergewöhnliche Behauptungen erfordern ebenso außergewöhnliche Evidenz.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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