Der kritische Rationalismus

Philosophisches zum Nachdenken
Pluto
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#1 Der kritische Rationalismus

Beitrag von Pluto » Di 5. Aug 2014, 21:13

Thema abgetrennt aus: Mehr als Evolution?


closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Aber für einen Mann mit einem Hammer sieht alles wie ein Nagel aus.
Aber der Mann mit dem Hammer ist doch der, Geisteswissenschaftliches mit dem Hammer naturwissenschaftlicher Methodik meint, einnageln zu können.
Popper verstand seinen kritischen Rationalismus für alle Wissenschaft, nicht nur für die Naturwissenschaft. Schließlich gehören auch die Geisteswissenschaften dazu. So verstehen es heute zumindest die allermeisten Geisteswissenschaftler (vielleicht mit Ausnahme der Theologen).
Oder kannst du begründen, warum nicht dieselbe strenge Methodik für die Geisteswissenschaften gelten sollte?

Wenn du natürlich Transzendenz meinst, dann ist das was anderes, aber das würde ich nicht zur Wissenschaft zählen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Anton B.
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#2 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von Anton B. » Di 5. Aug 2014, 21:29

Pluto hat geschrieben:Oder kannst du begründen, warum nicht dieselbe strenge Methodik für die Geisteswissenschaften gelten sollte?
Weil jeweils die strengste Methode zu verwenden ist, die sinnvoll verwendbar ist. Für z.B. formale logische Systeme (Geiseswissenschaft "Mathematik"!) ist es nicht der "kritische Rationalismus" Poppers.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

Pluto
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#3 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von Pluto » Di 5. Aug 2014, 21:48

Anton B. hat geschrieben:Für z.B. formale logische Systeme (Geiseswissenschaft "Mathematik"!) ist es nicht der "kritische Rationalismus" Poppers.
Klar gilt der KR für Logik & Mathematik nicht.
Dass Mathematik eine Wissenschaft ist, ist Ansichtssache und unter Fachleuten ziemlich umstritten. Logik und Mathematik werden oft neben die Geistes- und Naturwissenschaften angesiedelt, oder sie werden als Werkzeug, bzw. Hilfsmittel betrachtet.
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closs
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#4 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von closs » Di 5. Aug 2014, 22:12

Pluto hat geschrieben:Oder kannst du begründen, warum nicht dieselbe strenge Methodik für die Geisteswissenschaften gelten sollte?
Gegenfrage: Kennst Du philologische Fächer außer etwa Soziologie, Geschichte und Liguistik, die nichts mit Transzendenz zu tun haben? - Wie willst Du alle Kulturwissenschaften und Literaturwissenschaften, von Philosophie ganz zu schweigen, mit dem KR behandeln?

Pluto hat geschrieben:Wenn du natürlich Transzendenz meinst, dann ist das was anderes, aber das würde ich nicht zur Wissenschaft zählen.
Über dieses Thema wurde schon in der 2.Häfte des 19.Jh. gestritten (Diltey, etc.). - NATUR-wissenschaftlich hast Du recht. - Du hast auch recht in periphären Bereichen von philologischen Fächern (Lebensgeschichte von Literaten/Krankheiten von Musikern/Rezeptions-Geschichte von Thomas von Aquin/etc.). - Aber substantiell würde man damit den meisten philologischen Fächern den Kern herausschneiden.

WENN man also KR auf (die meisten) philologischen Fächer bezieht, dann kann das nur periphäre Bereiche dieser Fächer betreffen - das muss man wissen.

Im übrigen bin ich Deiner Version näher, als Du vielleicht vermutest: Man kann in der Tat "Wissenschaft" für alle Fächer methodisch gleich definieren - bspw. via Popper und seinem KR. - Aber das führt dazu, dass man eine andere Bezeichnung finden muss für das "Kerngeschäft" der (meisten) philologischen Fächer. - Alternative ist, dass man "Hermeneutik" als wissenschaftliche Methode anerkennt - das ist meines Wissens sogar allgemein anerkannt - aber es ist anders als bei Popper.

Pluto
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#5 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von Pluto » Mi 6. Aug 2014, 00:32

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Oder kannst du begründen, warum nicht dieselbe strenge Methodik für die Geisteswissenschaften gelten sollte?
Gegenfrage: Kennst Du philologische Fächer außer etwa Soziologie, Geschichte und Liguistik, die nichts mit Transzendenz zu tun haben? - Wie willst Du alle Kulturwissenschaften und Literaturwissenschaften, von Philosophie ganz zu schweigen, mit dem KR behandeln?
Ich bin kein Experte, aber Popper meinte es ginge, und was ich so höre, wird das auch in Literatur, Kunst, Sprachwissenschaft, Geschichte, Psychologie, usw. so gehandhabt.

closs hat geschrieben:NATUR-wissenschaftlich hast Du recht. - Du hast auch recht in periphären Bereichen von philologischen Fächern (Lebensgeschichte von Literaten/Krankheiten von Musikern/Rezeptions-Geschichte von Thomas von Aquin/etc.). - Aber substantiell würde man damit den meisten philologischen Fächern den Kern herausschneiden.
IMO es könnte nur in der Theologie nicht zutreffen, aber ob diese eine ergebnisoffene Wissenschaft ist, darüber besteht kein Konsens.

closs hat geschrieben:Alternative ist, dass man "Hermeneutik" als wissenschaftliche Methode anerkennt - das ist meines Wissens sogar allgemein anerkannt - aber es ist anders als bei Popper.
Wiki schreibt dazu:
Die Hermeneutik ... ist eine Theorie über die Auslegung von Texten und über das Verstehen.

Damit ist die Hermeneutik eine Theorie der Sprachwissenschaften. Warum sollte man Aussagen der Hermeneutik nicht nach dem kritischen Rationlismus behandeln? Was würde sie gewinnen, was verlieren?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#6 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von closs » Mi 6. Aug 2014, 09:05

Pluto hat geschrieben: aber Popper meinte es ginge, und was ich so höre, wird das auch in Literatur, Kunst, Sprachwissenschaft, Geschichte, Psychologie, usw. so gehandhabt.
Ja - das war in den "Handwerksaufgaben" rund um den Kern auch bei uns so: Quellentreue, saubere Beweisführungen, nachweisbare Fakten, etc.

Apropos: "Psychologie" versteht sich heute nicht mehr als "Menschenwissenschaft", sondern ausschließlich als "Naturwissenschaft".

Pluto hat geschrieben:IMO es könnte nur in der Theologie nicht zutreffen, aber ob diese eine ergebnisoffene Wissenschaft ist, darüber besteht kein Konsens.
Eigentlich hat Theologie hier keine Alleinstellung - auch da gibt es eminent viele "Handwerksaufgaben" ("Wann hat Augustinus dies geschrieben?"/"Wann wurde es im Mittelalter wiederentdeckt?"/etc.).

Pluto hat geschrieben:Warum sollte man Aussagen der Hermeneutik nicht nach dem kritischen Rationlismus behandeln? Was würde sie gewinnen, was verlieren?
Jetzt etwas vielleicht Überraschendes: Eigentlich wird mir immer weniger klar, was der Unterschied zwischen beidem ist. - Beide fahren auf Sicht, beide erweitern ihren Wissens-Radius mit jeder neuen Erkenntnis (deshalb "Hermeneutischer Zirkel").

Der Unterschied ist: Die Hermeneutik stellt die Frage "Was ist Wahrheit und wie robbe ich mich an sie ran?", während der KR vermutlich sagt "Was juckt mich Wahrheit - ich nehme einfach zur Kenntnis, was ich sehe, und lasse es sich selbst entwickeln". - Im Grunde ist das der Unterschied (im Sinne des Universalienstreites) zwischen "Realismus" (Hermeneutik) und "Nominalismus" (KR).

Pluto
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#7 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von Pluto » Mi 6. Aug 2014, 12:42

closs hat geschrieben:Apropos: "Psychologie" versteht sich heute nicht mehr als "Menschenwissenschaft", sondern ausschließlich als "Naturwissenschaft".
Stimmt!
closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:IMO es könnte nur in der Theologie nicht zutreffen, aber ob diese eine ergebnisoffene Wissenschaft ist, darüber besteht kein Konsens.
Eigentlich hat Theologie hier keine Alleinstellung - auch da gibt es eminent viele "Handwerksaufgaben" ("Wann hat Augustinus dies geschrieben?"/"Wann wurde es im Mittelalter wiederentdeckt?"/etc.).
Ja sicher. Das was du "Handwerksaufgaben" nennst wird immer wieder angeführt. Man könnte auch sagen, Theologie sei in seiner christlichen Interpretation die "Wissenschaft Gottes".
Aber ist das wahr? Was wirft man der Theologie vor?
• Fehlende Ergenisoffenheit in Bezug auf die Existenz Gottes oder das Auftreteh von Wundern.
• Das Enmischen in fremde Kulturen durch die Missionierung (Missionswissenschaft ist eine Unterdisziplin der Theologie).
• Das Auseinanderklaffen von Glaubensdogmen und den menschlichen Erfahrungen im Glauben.


closs hat geschrieben:Der Unterschied ist: Die Hermeneutik stellt die Frage "Was ist Wahrheit und wie robbe ich mich an sie ran?", während der KR vermutlich sagt "Was juckt mich Wahrheit - ich nehme einfach zur Kenntnis, was ich sehe, und lasse es sich selbst entwickeln".
Sehe ich anders.
Hermeneutik ist subjektive Intepretation (Auslegung einer Schrift) ohne der praktischen Überprüfbarkeit, während der KR ein Werkzeug zur Näherung an die Wahrheit ist, welches in der Überprüfbarkeit die Bestätigung seiner Thesen sucht.

Beispiel:
Wie legt die Hermeneutik der Theologie die Aussage aus, dass Josua die Sonne anhalten ließ? Wie würde der KR das auslegen?
(vgl. http://4religion.de/viewtopic.php?p=57846#p57846)

closs hat geschrieben:Im Grunde ist das der Unterschied (im Sinne des Universalienstreites) zwischen "Realismus" (Hermeneutik) und "Nominalismus" (KR).
Realismus und Hermeneutik sind keine Synonyme.
Dass der KR auf dem Nominalismus aufbaut ist mir auch klar, aber ich meine du übersiehst den Ausgang des Universalienstreites zu Gunsten des Nominalismus.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

ThomasM
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#8 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von ThomasM » Mi 6. Aug 2014, 14:34

Pluto hat geschrieben: Was wirft man der Theologie vor?
• Fehlende Ergenisoffenheit in Bezug auf die Existenz Gottes oder das Auftreteh von Wundern.
• Das Enmischen in fremde Kulturen durch die Missionierung (Missionswissenschaft ist eine Unterdisziplin der Theologie).
• Das Auseinanderklaffen von Glaubensdogmen und den menschlichen Erfahrungen im Glauben.

Das ist hier off-topic, aber diese Art der Kritik ist schwach.

1.) Die Existenz Gottes ist in der Theologie Grundannahme, so wie in der Naturwissenschaft der Naturalismus Grundannahme ist. Das ist eben Wissenschaft "unter der prinzipiellen Annahme dass". Also kein Grund gegen Wissenschaftlichkeit.

2. Ist kein Problem der Theologie, sondern ein Problem der Soziologie. Oder ist der Imperialismus ein Gegenargument zur Naturwissenschaft?

3.) Ist kein Problem der Theologie, sondern der Anthropologie bzw. der Soziologie. Oder ist die Tatsache, dass Menschen Technik falsch anwenden ein Argument gegen Naturwissenschaft?

Gruß
Thomas
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closs
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#9 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von closs » Mi 6. Aug 2014, 16:39

Pluto hat geschrieben: Was wirft man der Theologie vor?
Da hat mir ThomasM dankenswerterweise viel vorweggenommen. - Noch eine Bemerkung zur "Ergebnisoffenheit" - auch die Objekte der Naturwissenschaft sind nicht ergebnisoffen - denn:

Die physikalischen Phänomene, die sie erforscht, sind Konstanten in Bezug auf die naturwissenschaftliche Wahrnehmung. - Naturwissenschaft ist lediglich ergebnisoffen in Bezug auf eigene Wahrnehmungs-Entwicklung - genau das ist aber auch bei der Hermeneutik der Fall.

Pluto
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#10 Re: Mehr als Evolution?

Beitrag von Pluto » Mi 6. Aug 2014, 18:12

ThomasM hat geschrieben:Das ist hier off-topic, aber diese Art der Kritik ist schwach.
Mach dir da keine Gedanken. Wenn es mehr als ein Abstecher wird, kann ichs abtrennen.

ThomasM hat geschrieben: Die Existenz Gottes ist in der Theologie Grundannahme...
Darf ich das richtig stellen?
Die Existenz Gottes ist eine nicht falsifizierbare Setzung, also ein Dogma der Theologie.
ThomasM hat geschrieben:...so wie in der Naturwissenschaft der Naturalismus Grundannahme ist.
Auch das ist nicht richtig.
Axiom der NW ist, dass das Universum existiert, und das ist sehr leicht zu falsifizieren.

ThomasM hat geschrieben:Ist kein Problem der Theologie, sondern ein Problem der Soziologie.
Missonswissenschaft (Missiologie) ist eine Teildisziplin der Theologie. Wenn du meinst es sei besser in der Soziologie aufgehoben, dann rede doch mal mit einem Theologen darüber.

ThomasM hat geschrieben:Ist kein Problem der Theologie, sondern der Anthropologie bzw. der Soziologie.
Also dann mal an einem Beispiel:
Die niedrige Stellung der Frau gegenüber dem Mann, die viele Theologen aus der Bibel entnehmen, ist demnach kein Widerspruch zur heutigen Erfahrung, sondern ein Problem von Anthropologie oder Soziologie? Wem willst du hier einen Bären aufbinden, Thomas? :roll:
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