#1 "Wahrnehmung" und "Realität"
Verfasst: Mo 7. Jul 2014, 23:30
Thomas M hat zu Recht darauf hingewiesen, dass sich immer wieder dieselben Themen in laufende Threads einmischen, weil es offensichtlich grundlegend unterschiedliche Auffassungen gibt zum Verhältnis zwischen eigener "Wahrnehmung" (also alles, was der Mensch bewusst oder unbewusst fühlt oder denkt) und dem, was wir "Realität" nennen (also alles, was wir als unabhängiges Sein von unserer "Wahrnehmung" bewerten). - "Realität" und "Wahrnehmung" sind hier in " " gesetzt, weil es allein hier schon die unterschiedlichsten Definitionen gibt - deshalb hier ganz allgemein definiert.
Die Folge dieser grundlegend unterschiedlichen Auffassungen in Forums-Diskussionen: Man redet ständig aneinander vorbei, wenn es um geistige Dinge geht.
In der Folge einige Stichpunkte zur Einleitung einer Diskussion:
A: "Cogito ergo sum" (Descartes)/"Si enim fallor, sum"(Augustinus)
Beide Sätze sagen - frei übersetzt: Egal, welche Zweifel ich an meiner Wahrnehmung habe - eines wird dadurch klar: Selbst wenn ich zweifle, scheitere, mich irre, etc - es ist das "ICH", welches zweifelt, scheitert, irrt - es gibt also das Ich nicht nur als "Wahrnehmung", sondern auch als "Realität".
Der Grund dafür: "Ich" ist die einzige Größe, die gleichzeitig Beobachter ist (also "Subjekt" ist) und Beobachtetes sein kann (also "Objekt" sein kann). - Das"Ich" ist also gleichzeitig "Wahrnehmungs-" und "Realitäts"-Gegenstand. - Schon Augustinus und Descartes haben das erkannt.
B: Schlussfolgerungen
Alles, außer das Ich, ist aus Sicht des Ich Objekt - egal ob "die Welt" oder "Gott". - Wir können uns also prinzipiell nur Bilder von "der Welt" oder "Gott" machen, nie aber entscheiden, ob "Welt" oder "Gott" Projektion des Ich ( "Wahrnehmung") sind oder unabhängig von unserer Wahrnehmung "der Fall sind".
Weil dies so ist, müssen wir entscheiden, was wir für plausibel halten. - Wenn wir also für plausibel halten, dass es "die Welt" oder "Gott" gibt, setzen wir mit dem Ich, dass es "die Welt" oder "Gott" unabhängig von uns gibt - das ist nicht nur sinnvoll, sondern sogar unumgänglich.
C: Komplikationen
WEIL dies sinnvoll oder sogar unumgänglich ist, verführt dies dazu, zu glauben, es wäre selbstverständlich - konkret: Es wäre keine Setzung, meint man, weil man eh nicht drum rum kommt. - Dies ist ein Irrtum, denn - siehe oben: ""Ich" ist die einzige Größe, die gleichzeitig Beobachter ist (also "Subjekt" ist) und Beobachtetes sein kann (also "Objekt" sein kann). - Das"Ich" ist also gleichzeitig "Wahrnehmungs-" und "Realitäts"-Gegenstand". Das "Ich" ist also die einzige Größe, die NICHT gesetzt werden muss, weil es in ihm keine Differenz zwischen Subjekt und Objekt gibt, da das Ich beides "ist".
Eine weitere Komplikation: Man glaubt oft, dass die Naturwissenschaft aufgrund ihrer Objektivität von dieser Setzung ausgenommen sei. - Dies ist ein Irrtum, weil die Objektivität nur deshalb möglich ist, weil man VORHER "die Welt" als "Realität" gesetzt hat - was (noch einmal zur Unterstreichung) nötig ist, weil die Aussagen "Die 'Welt' ist Projektion des Ich" und "Die 'Welt' ist 'Realität' unabhängig von der Projektion des Ich" nicht falsifizierbar sind. - Sie sind deshalb nicht falsifizierbar, weil (noch einmal betont) das Ich als einzige Größe ist, die nicht gesetzt werden muss, da sie gleichzeitig Subjekt und Objekt ist. - Das gilt für "die Welt" und "Gott" folglich nicht.
D: Der Unterschied zwischen naturwissenschaftlichem und geistigen Denken
NACHDEM die Naturwissenschaft gesetzt hat, dass "die Welt" nicht Projektion des Ich ist, sondern unabhängig davon "Realität", sind ihre Ergebnisse falsifizierbar. - NACHDEM der Gläubige gesetzt hat, dass "Gott" "Realität" ist, sind ihre Ergebnisse NICHT falsifizierbar. - Auf dieser zweiten Ebene NACH der Setzung gibt es also wesentliche Unterschiede zwischen naturwissenschaftlichem und geistigen Denken - aber erst da. - Diese zweite Ebene darf nicht verwechselt werden mit der ersten Ebene, auf der beide gleichermaßen einer Setzung bedürfen, um überhaupt erst mit ihrer "Arbeit" anfangen zu können.
Der Umstand, dass Naturwissenschaft auf dieser zweiten Ebene falsifizieren kann und geistiges Denken nicht, ist darin begründet, dass aufgrund der Setzung das Objekt der Naturwissenschaft ("die Welt") sich auf der selben Ebene befindet wie der Beobachter der "Welt" (der Naturwissenschaftler). Somit sind Phänomene des Objekts auf gleicher Ebene untersuchbar. - Bei geistigen Dingen ist dies anders, da das Objekt des geistigen Denkens (hier: "Gott") per Definition auf einer anderen Existenz-Ebene ist wie sein Beobachter. (Man müsste wahrscheinlich an anderer Stelle noch definieren, wie"geistig" zu definieren ist). Somit sind Phänomene des Objekts hier NICHT auf gleicher Ebene untersuchbar und somit auch nicht falsifizierbar.
E: Konsequenz für die Spielregeln bei einer Diskussion zwischen naturwissenschaftlichen und geistigen Themen
Will man Ergebnisse geistigen und naturwissenschaftlichen Denkens gegenüberstellen, kann man sie nicht nach den Gesetzen der jeweils eigenen Disziplin bewerten. Es wäre also ein erkenntnis-theoretischer Stockfehler, würde man argumentieren:
* Der geistige/christliche Mensch: "Warum weisst Du nicht, Naturwissenschaftler, woher das Universum kommt?" - denn diese Frage kann die Naturwissenschaft aufgrund ihrer Positionierung nicht beantworten - sie ist für die (im Sinne der Naturwissenschaft) "wahrnehmbare" Welt zuständig.
* Der naturwissenschaftliche Mensch: "Warum sind Deine "Wahrnehmungen" nicht falsifizierbar im Sinne der Naturwissenschaft?" - denn dies kann die geistige Disziplin nicht, weil sie dann nicht geistig, sondern naturwissenschaftlich wäre.
Die Begriffe "Physik" und "Meta-Physik/Transzendenz" machen nur dann Sinn, wenn erkannt ist, dass es sie nur deshalb gibt, weil sie verschiedene Setzungen und in Folge davon verschiedene Arten der Erkenntnis-Findung haben.
Ist DAS verstanden, kann man sich einzelne Punkte kritisch vornehmen. - Aber so weit sind wir hier im Forum oft noch nicht, weil die Grundlagen von "Wahrnehmung" und "Realität" nicht einvernehmlich verstanden sind.
Wir sollten darüber diszipliniert, also erkenntnis-theoretisch sauber, diskutieren, falls es Fragen und Anregeungen gibt.
Die Folge dieser grundlegend unterschiedlichen Auffassungen in Forums-Diskussionen: Man redet ständig aneinander vorbei, wenn es um geistige Dinge geht.
In der Folge einige Stichpunkte zur Einleitung einer Diskussion:
A: "Cogito ergo sum" (Descartes)/"Si enim fallor, sum"(Augustinus)
Beide Sätze sagen - frei übersetzt: Egal, welche Zweifel ich an meiner Wahrnehmung habe - eines wird dadurch klar: Selbst wenn ich zweifle, scheitere, mich irre, etc - es ist das "ICH", welches zweifelt, scheitert, irrt - es gibt also das Ich nicht nur als "Wahrnehmung", sondern auch als "Realität".
Der Grund dafür: "Ich" ist die einzige Größe, die gleichzeitig Beobachter ist (also "Subjekt" ist) und Beobachtetes sein kann (also "Objekt" sein kann). - Das"Ich" ist also gleichzeitig "Wahrnehmungs-" und "Realitäts"-Gegenstand. - Schon Augustinus und Descartes haben das erkannt.
B: Schlussfolgerungen
Alles, außer das Ich, ist aus Sicht des Ich Objekt - egal ob "die Welt" oder "Gott". - Wir können uns also prinzipiell nur Bilder von "der Welt" oder "Gott" machen, nie aber entscheiden, ob "Welt" oder "Gott" Projektion des Ich ( "Wahrnehmung") sind oder unabhängig von unserer Wahrnehmung "der Fall sind".
Weil dies so ist, müssen wir entscheiden, was wir für plausibel halten. - Wenn wir also für plausibel halten, dass es "die Welt" oder "Gott" gibt, setzen wir mit dem Ich, dass es "die Welt" oder "Gott" unabhängig von uns gibt - das ist nicht nur sinnvoll, sondern sogar unumgänglich.
C: Komplikationen
WEIL dies sinnvoll oder sogar unumgänglich ist, verführt dies dazu, zu glauben, es wäre selbstverständlich - konkret: Es wäre keine Setzung, meint man, weil man eh nicht drum rum kommt. - Dies ist ein Irrtum, denn - siehe oben: ""Ich" ist die einzige Größe, die gleichzeitig Beobachter ist (also "Subjekt" ist) und Beobachtetes sein kann (also "Objekt" sein kann). - Das"Ich" ist also gleichzeitig "Wahrnehmungs-" und "Realitäts"-Gegenstand". Das "Ich" ist also die einzige Größe, die NICHT gesetzt werden muss, weil es in ihm keine Differenz zwischen Subjekt und Objekt gibt, da das Ich beides "ist".
Eine weitere Komplikation: Man glaubt oft, dass die Naturwissenschaft aufgrund ihrer Objektivität von dieser Setzung ausgenommen sei. - Dies ist ein Irrtum, weil die Objektivität nur deshalb möglich ist, weil man VORHER "die Welt" als "Realität" gesetzt hat - was (noch einmal zur Unterstreichung) nötig ist, weil die Aussagen "Die 'Welt' ist Projektion des Ich" und "Die 'Welt' ist 'Realität' unabhängig von der Projektion des Ich" nicht falsifizierbar sind. - Sie sind deshalb nicht falsifizierbar, weil (noch einmal betont) das Ich als einzige Größe ist, die nicht gesetzt werden muss, da sie gleichzeitig Subjekt und Objekt ist. - Das gilt für "die Welt" und "Gott" folglich nicht.
D: Der Unterschied zwischen naturwissenschaftlichem und geistigen Denken
NACHDEM die Naturwissenschaft gesetzt hat, dass "die Welt" nicht Projektion des Ich ist, sondern unabhängig davon "Realität", sind ihre Ergebnisse falsifizierbar. - NACHDEM der Gläubige gesetzt hat, dass "Gott" "Realität" ist, sind ihre Ergebnisse NICHT falsifizierbar. - Auf dieser zweiten Ebene NACH der Setzung gibt es also wesentliche Unterschiede zwischen naturwissenschaftlichem und geistigen Denken - aber erst da. - Diese zweite Ebene darf nicht verwechselt werden mit der ersten Ebene, auf der beide gleichermaßen einer Setzung bedürfen, um überhaupt erst mit ihrer "Arbeit" anfangen zu können.
Der Umstand, dass Naturwissenschaft auf dieser zweiten Ebene falsifizieren kann und geistiges Denken nicht, ist darin begründet, dass aufgrund der Setzung das Objekt der Naturwissenschaft ("die Welt") sich auf der selben Ebene befindet wie der Beobachter der "Welt" (der Naturwissenschaftler). Somit sind Phänomene des Objekts auf gleicher Ebene untersuchbar. - Bei geistigen Dingen ist dies anders, da das Objekt des geistigen Denkens (hier: "Gott") per Definition auf einer anderen Existenz-Ebene ist wie sein Beobachter. (Man müsste wahrscheinlich an anderer Stelle noch definieren, wie"geistig" zu definieren ist). Somit sind Phänomene des Objekts hier NICHT auf gleicher Ebene untersuchbar und somit auch nicht falsifizierbar.
E: Konsequenz für die Spielregeln bei einer Diskussion zwischen naturwissenschaftlichen und geistigen Themen
Will man Ergebnisse geistigen und naturwissenschaftlichen Denkens gegenüberstellen, kann man sie nicht nach den Gesetzen der jeweils eigenen Disziplin bewerten. Es wäre also ein erkenntnis-theoretischer Stockfehler, würde man argumentieren:
* Der geistige/christliche Mensch: "Warum weisst Du nicht, Naturwissenschaftler, woher das Universum kommt?" - denn diese Frage kann die Naturwissenschaft aufgrund ihrer Positionierung nicht beantworten - sie ist für die (im Sinne der Naturwissenschaft) "wahrnehmbare" Welt zuständig.
* Der naturwissenschaftliche Mensch: "Warum sind Deine "Wahrnehmungen" nicht falsifizierbar im Sinne der Naturwissenschaft?" - denn dies kann die geistige Disziplin nicht, weil sie dann nicht geistig, sondern naturwissenschaftlich wäre.
Die Begriffe "Physik" und "Meta-Physik/Transzendenz" machen nur dann Sinn, wenn erkannt ist, dass es sie nur deshalb gibt, weil sie verschiedene Setzungen und in Folge davon verschiedene Arten der Erkenntnis-Findung haben.
Ist DAS verstanden, kann man sich einzelne Punkte kritisch vornehmen. - Aber so weit sind wir hier im Forum oft noch nicht, weil die Grundlagen von "Wahrnehmung" und "Realität" nicht einvernehmlich verstanden sind.
Wir sollten darüber diszipliniert, also erkenntnis-theoretisch sauber, diskutieren, falls es Fragen und Anregeungen gibt.