Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#81 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von closs » Mi 26. Nov 2014, 11:41

Pluto hat geschrieben:Solche Irrtümer geschehen dann, und nur dann, wenn man die empirische Ebene verlässt, und sich in die Erlebniswelt der Fantasie begibt.
Ja und nein. - Ja, weil Seins-Bereiche, die nicht wissenschaftlich objektivierbar sind, in der Wahrnehmung immer wieder korrigiert werden müssen. - Nein, weil nicht alles, was nicht wissenschaftlich objektivierbar ist, deshalb Folge von Projektion ("Fantasie") ist.

Im Grunde sagst Du (in Anlehnung an ein deutsches Sprichwort): "Was der Wissenschaftler nicht frisst, gibt es nicht". - Das ist philosophisch/ontologisch/geistig komplett inakzeptabel - damit macht man eine gewollte Selbstbeschränkung zum Maßstab dessen, was sein darf und was nicht.

Pluto
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#82 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Pluto » Mi 26. Nov 2014, 12:31

closs hat geschrieben:Im Grunde sagst Du (in Anlehnung an ein deutsches Sprichwort): "Was der Wissenschaftler nicht frisst, gibt es nicht". - Das ist philosophisch/ontologisch/geistig komplett inakzeptabel - damit macht man eine gewollte Selbstbeschränkung zum Maßstab dessen, was sein darf und was nicht.
Keine Sorge; ich prüfe alles und behalte immer noch das Gute.
Wie uns die Praxis immer wieder lehrt, wenn man seine Aussagen nicht experimentell gründet, droht man in die luftigen Höhen der Willkür zu steigen. Die großen Physiker des 20. Jahrhunderts (Planck, Einstein, Bohr, Schrödinger, Heisenberg, Feynman...) haben das erkannt.

Ein Paradebeispiel fand vor unseren Augen in der ultimativen Experimentaldisziplin der Physik statt, wo man sich in den 80er und 90er Jahren bei den Stringtheorien allzusehr auf mathematische Konstruktionen verließ. Erfreulicherweise kehrt die neue Generation zum messbaren zurück. Diese Gründung in der Realität ist deutlich an den Experimenten mit der kosmischen Hintergrundstrahlung (CMB) zu erkennen (die ich dir dargelegt habe).

Ob das alles philosophisch inakzeptabel ist, oder nicht, überlasse ich dem Urteil anderer. Ich frage mich allerdings, mit welcher Begründung so Mancher die Empirie verurteilt.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Savonlinna
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#83 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Savonlinna » Mi 26. Nov 2014, 13:44

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Wieso definierst Du Gott hier aber auf der Basis der Naturwissenschaft?
Gott selber definiere ich rein geistig - hier geht es darum, Gott aus Sicht des Naturwissenschaftlers verständlich zu machen.
a. Allgemeingültige Definitionen müssen auch für Christen gelten, auch für Menschen wie mich.
b. Ob Du Gott geistig definierst oder naturalistisch oder als Materie oder als unerkennbare Leere:
Es ist immer bedenklich, etwas zu definieren, von dem man nichts weiß. Das wird sofort als Hochstapelei entlarvt.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Du definierst ihn in eine Ecke, wo jeder Naturwissenschaftler sich die Hände reibt. Und wo Du jeden Gläubigen mit vor den Kopf stößt.
Merkwürdig. - Die Aussage "Gott ist Sein unabhängig von Wahrnehmung" hätte diese Wirkung? - Oder auf welche Definitions beziehst Du Dich?
Ich rede die ganze Zeit von Deinem Satz "Gott ist Sein" und "Das Sein ist unabhängig von Wahrnehmung".
Ich habe eben in einem anderen Unterforum herumgeschmökert und Aussagen von Christen gelesen, wie sie Gott wahrgenommen haben.
Denen gräbst Du mit Deiner Definition das Wasser ab.
Wir beide haben mal kurz über Musik gesprochen, wie man durch Musik andere Zusammenhänge verstehen, also "wahrnehmen" kann. Auch das haust Du kaputt mit Deiner Definition.
Darum ist dein Unternehmen de facto eine Gottzertrümmerung.

closs hat geschrieben:ein Guglhupf ist ontologisch nur dann, wenn er es auch ohne meine Wahrnehmung ist (die und die Zutaten, so und so lange im Ofen, etc.). - Gott, Mensch und Guglhupf sind also unabhängig von meiner Wahrnehmung existent, WENN es sie gibt. -
Ein Musterbeispiel für eine raffiniert täuschende Argumentation – trotz des ganz neuen Zusatzes „WENN es sie gibt.“
Du tust so, als würdest Du logisch folgern, machst aber nichts anderes als das, was der Tod jeglicher Logik, jeglicher redlichen Argumentation wäre:
Du setzt eine Prämisse, was "ontologisch" ist. Du begründest Deine Prämisse nicht, Du setzt sie als Wahrheit hin - und eben nicht als Prämisse. Es hat nur den Anschein, als sei es eine Prämisse.
Dann folgerst Du aus Deiner Prämisse mit dem Wort "also", was aus Deiner Prämisse folgt.

Und tust das, als sei Deine Prämisse bereits die Wahrheit. Damit wird dann natürlich auch die Schlussfolgerung als "wahr" hingestellt.
Es ist einfach ein Trick, wie man Sachen verkauft, in der Hoffnung, der andere sei logisch nicht geschult.
Ich weiß, dass Du es nicht als Trick meinst.
Ich verstehe vermutlich sogar Dein Anliegen, teile es möglicherweise auch.
Aber Du hast - und darum war ich darauf eingestiegen - die Ontologie als Metawissenschaft verstahden, oder als Metatheorie.
Und was ich zeigen wollte: dass das nur geht, indem man trickst und den Gesetzen der Wissenschaft und der Logik nicht folgt - aber vorspiegelt -, und hofft, dass das keiner merkt.
Wahrscheinlich aber merkst nur Du selber das nicht, die anderen aber schon. ;)

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Gott ist wahrnehmbar, ich nehme ihn innerlich wahr - dann wäre das eine Gegenposition, die Du durch Deine Definition ausschaltest.
OK - vielleicht liegt hier das Missverständnis - also anders:

"Gott ist Sein unabhängig von unserer Wahrnehmung - er ist also derselbe, ob wir ihn wahrnehmen oder nicht" - so war's gemeint.
Okay, dann ist das erweitert. Dennoch wird Gott als unveränderlich behauptet. Und aus dieser Behauptung schlussfolgerst Du, dass es so sei, eben weil Du es behauptest.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Jegliche Behauptung über Gott - als Definition - ist in sich schon zum Scheitern verurteilt.
Wie gesagt: Dass Gott nur dann so bezeichnet werden kann, wenn er keine Projektion des Menschen ist, sondern unabhängig von der Wahrnehmung des Menschen "ist", ist aus meiner Sicht noch keine einengende Definition.
Du schließt doch selbst in diesem Satz per definitionem aus, dass Gott eine Projektion ist. Damit wird doch Dein einseitiges und parteiisches Vorgehen überdeutlich.

Auch eine gewisse Begriffsabhängigkeit wird daran deutlich. "Projektion" ist auch ein Vorauswerfen.
C.G.Jung arbeitet mit diesem Gedanken: dass der Mensch das, was er demnächst transzendieren möchte, schon mal außerhalb von sich wahrnimmt.
Bei Jung ist das nicht rein negativ besetzt, bei Dir schon, offenbar.
Und es gibt ja auch die Meinung, dass man das, was innerlich in einem zumindest potentiell enthalten ist, in eine außenstehende Gottfigur projiziert.

All dies schließt Du aber per definitionem aus und erfüllst damit die Bedingung einer Weltanschauung, aber keiner wissenschaftlichen Herleitung.

closs hat geschrieben:- Wenn man sagt "Ein Stuhl ist zum Sitzen da", dient es doch erst einmal der Aufklärung, worum es überhaupt geht. "Definition" in Deinem Sinne wäre dann: Dieser Stuhl ist schön, alt, unbequem - auf dieser Ebene bin ich noch gar nicht angekommen.
Wenn Du anderen Leuten erklären willst, worum es bei Gott überhaupt geht – nämlich, dass er das Sein ist und dass er für die Wahrnehmung nicht zugänglich ist -, dann ist das in DEINEM Sinne eine Definition. Jedenfalls hast Du das so geschrieben, und zwar unzählige Male.
Ich selber habe nirgends formuliert, was ich als Definition verstehe. Wie kommst Du jetzt darauf?

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: kaum jemand wäre bereit, von closs sich vorschreiben zu lassen, was Gott zu sein hat.
Zu Recht: Wenn aber 5 Leute völlig verschiedene Definitionen von Gott haben, kann es dadaistisch werden:

1) Gott ist mein Erlöser
2) Gott ist eine Halluzination
3) Gott ist ein Verteidiger bei Borussia Dortmund ("Kohler - Du bis ein Fußball-Gott" - kennst Du den noch?)
4) ...
Jeder Mensch dieser Erde hat eine unterschiedliche Wahrnehmung von Gott.
Bei Deinen nummerierten Beispielen vergleichst Du ja nur mit dem Kopf konstruierte Modelle, mit Ausnahme von 1.
Echte Wahrnehmungen vergleichst Du nicht.
Willst Du eine Metatheorie aller dieser Wahrnehmungen aufstellen, hast Du kein Recht, vorher zu zensieren.
Gefällt es Dir nicht, dass jeder Mensch etwas anderes unter Gott versteht, kannst Du durch diktatorische Definitionen auch nicht erreichen, dass die Menschen anders fühlen.

Du wolltest doch eigentlich wertneutral sein. Warum dann nicht fasziniert sammeln, was Menschen darunter verstehen?
Zumal das, was sie in einem Forum äußern, vermutlich noch gar nicht das wirklich Komplexe, das diese Menschen vielleicht auszeichnet, hier rauslassen? Sodass man jemanden als puren Materialisten abstempeln kann, der ja eh immer nur das Gleiche runterbete, und ihm dabei bitter Unrecht tun.

- Fortsetzung folgt -

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Savonlinna
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#84 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Savonlinna » Mi 26. Nov 2014, 13:52

- Fortsetzung -

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Ich glaube, wenn man redlich ist, ist anderes nicht aussagbar.
Zustimmung - der Mensch kann nur wahrnehmen. - Um so wichtiger, dass man die Wahrnehmung nicht als Produkt seiner Phantasie versteht, sondern als eigenständiges Sein.
Wenn da bloß nicht immer das Wort "Sein" mitschwänge, dass Du ontologisch verstehst.
Könntest Du darauf verzichten und „sein“ erst mal rein umgangssprachlich benutzen, wäre die Sache schon viel ideologiefreier. Vor allem wäre es nicht jenseitig aller Wahrnehmung.
Und ich könnte Dir da dann recht geben und mit Beispielen aufwarten.

Denn auch ich nehme wahr, dass es mehrere Formen von Realität gibt. Und dass weitere Formen der Realität mit naturwissenschaftlichen Mitteln nicht nachweisbar sind, dennoch vorhanden sind. Nicht für alle wahrnehmbar, aber wahrnehmbar sind sie.

J.R.R. Tolkien, dessen Werk ich ganz gut kenne, vor allem auch seine theoretischen Schriften, hält die Phantasie für das eigentlich Göttliche im Menschen. Die Phantasie ist für ihn der göttliche Funken, durch die wir - als Ebenbild Gottes - 'schaffen, so wie wir erschaffen sind' - ungefähr ist das wörtlich von mir wiedergegeben. Wir sind also zum Schaffen erschaffen.

Er versteht unter Phantasie aber keine launige Phantasterei, sondern - ich sage das mit meinen eigenen Worten - das Erspüren von inneren Bildern und Gestalten, die im Menschen ganz real leben, entweder als „Spukgestalten“ aus der Vergangenheit – im Sinne von altüberlieferten Vorurteilen oder Menschenbildern, die uns zu Hass führen können - oder als Gestalten, die gegenteilig dazu sind und uns dahin führen - im Sinne von positiven Anzeichen im Leben, was Tolkien mit „Licht“ symbolisiert.

Diese Bilder sind vermutlich "aus solchem Zeuch wie das zu Träumen", wie Shakespeare sagen würde. Es sind unsere inneren Leitbilder oder Zerrbilder.
Sie haben aber eine Form der Realität. Erkennbar daran, dass sie Auswirkungen auf die reale Weltgeschichte haben.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:das entpuppt Deinen Versuch als naturwissenschaftlich Verblendeten.
Da ordnest Du mich diametral falsch ein. Mir geht es darum, materialistisch Denkenden aus deren Sicht verständlich zu machen, dass Realität auch jenseits der Methode des Kritischen Rationalismus sein kann.
Darum habe ich doch extra geschrieben, dass ich nicht Dich damit beschreibe, sondern Deine Ausführungen bezüglich Gott im Zusammenhang mit Ontologie. Ich zeige nur auf, was aus Deinen Herleitungen ablesbar ist.

Du hast das ja verallgemeinert, also will der Text auch mich belehren, auch alle Christen belehren, die überhaupt nicht auf die Idee kommen, Gott zu definieren.
Dass Du es vielleicht anders gemeint haben könntest, war mir schon klar. Aber man kann keine Metawissenschaft formulieren mit dem Zusatz, dass sie sich nur gegen eine bestimmte Weltanschauung richtet.
Dann eben wäre diese Metawissenschaft - wenn sie belehren will - schon überhaupt keine Wissenschaft mehr.
Eine Wissenschaft muss auch die Deutungen von Materialisten wertfrei in das System einbauen.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Mit Gott hat das nichts zu tun.
Wenn aber Gott Sein/"Realität" (also nicht Projektion) ist, kann man ihn doch kategorial als eben das einordnen - wäre das in Deinem Sinne bereits ein Eingriff?
Ich kann das nicht beantworten, weil Du die Begriffe "Sein" und "Realität" benutzt, aber nicht in ihrer Sprachlichkeit erkennst. Du benutzt die Begriffe, als hätte Gott sie Dir offenbart, und sie dürften in dem, was damit gemeint ist, nicht befragt werden.
Du verstehst "Sein" als das Höchste, was es gibt, und ich kann Dir da nicht folgen. Es ist halt ein Wort mit vier Buchstaben, das sich irgendwann herausgebildet hat, ohne dass überlegt wurde, ob damit überhaupt irgend was Substantielles gemeint sein kann.
Wort ist da, also muss es auch das geben, wonach das Wort aussieht. Ich hingegen frage, wovon genau da abstrahiert ist.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Hier erklärst Du ja ausdrücklich, dass es nur Deine persönliche Weltsicht ist.
Ist es eine persönliche Gottessicht, wenn man Gott als Sein/"Realität" einstuft? - Unter "persönlicher Gottessicht" würde ich verstehen, dass einer meint, er sei ein alter Mann mit Bart, etc.
Die persönliche Weltsicht - nicht Gottessicht, das habe ich nicht gesagt! - beruht darauf, dass Du alle möglichen Formen, Gott zu verstehen, einer bestimmten philosophischen Denkschule unterordnest: der Ontologie.

Die Ontologie ist nun einmal nur eine Schule des Denkens unter vielen.
Das aber sagst Du nicht, sondern erwählst sie zur Metawissenschaft. Das riecht doch von Weitem schon nach Parteilichkeit.
Ist genau der gleiche Vorgang, als würde man sagen: Ich ordne alles dem Dialektischen Materialsmus unter.
Ich kenne keinen ernstzunehmenden Philosophen, der seine Lieblingsdenkrichtung zu der Einen Absoluten erhebt.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Und damit alles lebendige Erkennen in den Menschen totdefinieren willst.
Echtes Erkennen bezieht sich doch auf ein Sein/eine "Realität" - sonst wäre es doch eine solipsistische Veranstaltung. - Wärest Du mit einem Gottes-Begriff zufrieden, demnach Gott die Folge eigener Befindlichkeiten "ist".
Du fragst rhetorisch, und das, was Deiner Definition widerspricht, beschreibst Du als etwas Verächtliches.
Dass es auch sehr sinnvolle Gründe gibt - die Du nicht verachten musst -, schließt Du für Dich aus.

Meine ständige Rede, dass es überhaupt nicht notwendig ist, einen Gottesbegriff zu haben, übersiehst Du. Dadurch, dass Du Gott verformeln willst und eine Alternative dazu nicht zulässt, wirst Du gerade die nicht erreichen, die Du erreichen willst.

closs hat geschrieben:Ich stimme Dir mehr zu, als Du ahnst.
Du schreibst nur anders, als Du mir zustimmst. Ich spreche nur von Deinen Texten bezüglich Ontologie.
Aber ich rede offensichtlich vergeblich.

Darum lasse ich das Thema jetzt fallen.
Ursprünglich dachte ich, ich könnte zu Deinen Ideen etwas beitragen. Das ist deutlich nicht der Fall, Du verstehst mein Anliegen nicht.
Mehr Zeit möchte ich dafür jetzt nicht investieren.

closs
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#85 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von closs » Mi 26. Nov 2014, 17:00

Pluto hat geschrieben:Ich frage mich allerdings, mit welcher Begründung manche die Empirie verurteilen.
Wer täte das? - Die Frage ist eine andere:
1) Reicht atomistische Empirie aus, um Gesamtzusammenhänge beurteilen zu können?
2) Darf sich Empirismus über Ontologie stellen?

Savonlinna hat geschrieben:Es ist immer bedenklich, etwas zu definieren, von dem man nichts weiß.
Insofern müsste man schweigen - sicherlich nicht die schlechteste Variante.

Die Frage wäre allerdings: Ist das Postulat, dass das Wort "Gott" nur dann Sinn macht, wenn Gott eine von unserer Wahrnehmung eigenständige Existenz ist, bereits ein definitorischer Eingriff?

Savonlinna hat geschrieben:Denen gräbst Du mit Deiner Definition das Wasser ab.
Wieso denn DAS? - Der Umstand, dass Sein und Wahrnehmung kategorial unterschiedlich sind, heisst doch nicht, dass man Gott nicht wahrnehmen kann.

Savonlinna hat geschrieben:Darum ist dein Unternehmen de facto eine Gottzertrümmerung.
Merkwürdig.

Savonlinna hat geschrieben:Und tust das, als sei Deine Prämisse bereits die Wahrheit.
Moment: Die Aussage "Ich bestehe darauf, dass Gott ist", wäre in der Tat eine Prämisse. - Meine Aussage ist (wieder in anderen Worten): "Gott ist ein Nichts, wenn er Produkt der Wahrnehmung ist" - Er ist also nur dann etwas, wenn er auch dann "ist", wenn er nicht erkannt ist. - Ich habe nicht die geringste Ahnung, was Dich daran erregt.

Savonlinna hat geschrieben: Dennoch wird Gott als unveränderlich behauptet.
In seinem Wesen JA. - Wenn dem nicht so wäre, wäre es vermutlich sehr, sehr schwierig, Gott zu erklären außer als Produkt der eigenen Entwicklung. - Dann hätte Feuerbach plötzlich recht.

Savonlinna hat geschrieben:Du schließt doch selbst in diesem Satz per definitionem aus, dass Gott eine Projektion ist.
Stimmt - es sei denn, die Sprachgemeinschaft definiert "Gott" im Sinne von Feuerbach. - Dann hätten wir halt den häufig vorkommenden Fall, dass ein Wort über semantische Shifts am Ende das Gegenteil bedeutet von dem, was es vorher bedeutet hat - siehe den Realitäts-Begriff im Universalienstreit und heute.

Deshalb müssen wir doch gerade "Gott" in einem gewissen Rahmen definieren - ansonsten sagt dann irgendjemand un-sanktioniert, dass "Gott" eine neue Automarke ist. - Dann haben wir endgültig Babel.

Savonlinna hat geschrieben:Und es gibt ja auch die Meinung, dass man das, was innerlich in einem zumindest potentiell enthalten ist, in eine außenstehende Gottfigur projiziert.
Natürlich - das klingt sehr normal. - Wahrnehmung ist Chiffre für das, was man wahrnimmt. - Dadurch entstehen Begriffe wie etwa "Vater" (auf Gott bezogen), weil dieser Begriff im Daseins-Leben erfahrungsgemäß besetzt sind. - Bist Du damit einverstanden?

Savonlinna hat geschrieben:dass er das Sein ist und dass er für die Wahrnehmung nicht zugänglich ist
Vielleicht habe ich mich dazu missverständlich ausgedrückt: Gott kann im Dasein nicht erkannt werden, wie wir von Gott erkannt sind. - Aber Gott kann mit unseren Mitteln wahrgenommen werden. - Hinwiederum "ist" Gott auch dann, wenn wir ihn NICHT wahrnehmen.

Savonlinna hat geschrieben:Willst Du eine Metatheorie aller dieser Wahrnehmungen aufstellen, hast Du kein Recht, vorher zu zensieren.
Warum unterscheidest Du dann zwischen "echten" und unechten Wahrnehmungen?

Savonlinna hat geschrieben:Du wolltest doch eigentlich wertneutral sein. Warum dann nicht fasziniert sammeln, was Menschen darunter verstehen?
Wertneutral ist lediglich, dass Gott ein Sein ist, das auch ohne unsere Wahrnehmung ist - damit wir eben nicht abrutschen in semantische Beliebigkeit ("Gott ist ein Stuhl"/"Gott ist meine Vorstellung von der Welt"/etc.). - Ansonsten kann man wertungsfrei sammeln.

Allerdings: Was machst Du, wenn einer wirklich sagt: "Gott ist ein Verteidiger von Borussia Dortmund" ("Kohler, Du bist ein Fussball-Gott") - dann würdest Du, wenn ich Dich richtig verstehe, diese Aussage als nicht "echt" bezeichnen (mit meiner Unterstützung) - hätten wir damit etwas falsch gemacht?

Savonlinna hat geschrieben:Wenn da bloß nicht immer das Wort "Sein" mitschwänge
Wir können auch "Realität" sagen - allerdings ist dieses Wort methodologisch besetzt (Kritischer Rationalismus). - Eigentlich wollte ich nur neutral sein - "Sein" ist das, was "ist" - ohne jegliche Wertung. - Der Baum im Wald "ist" - das Auto "ist" - Gott "ist".

Savonlinna hat geschrieben:Nicht für alle wahrnehmbar, aber wahrnehmbar sind sie.
Entspricht meinem Bild.

Savonlinna hat geschrieben: hält die Phantasie für das eigentlich Göttliche im Menschen
Wenn man unter Phantasie das versteht, was auf eigene Weise authentisch ist zu einer geistigen Realität, ist das ok. - Wenn man unter Phantasie die Schaffung einer solipsistischen Welt versteht, ist es aus meiner Sicht NICHT ok. - Es ist letztlich die Frage der Orientierung: Geht es Richtung geistige Realität/Gott oder Richtung Selbst-Maß/Selbst-Vergöttlichung.

Savonlinna hat geschrieben:Er versteht unter Phantasie aber keine launige Phantasterei, sondern - ich sage das mit meinen eigenen Worten - das Erspüren von inneren Bildern und Gestalten, die im Menschen ganz real leben, entweder als „Spukgestalten“ aus der Vergangenheit – im Sinne von altüberlieferten Vorurteilen oder Menschenbildern, die uns zu Hass führen können - oder als Gestalten, die gegenteilig dazu sind und uns dahin führen - im Sinne von positiven Anzeichen im Leben, was Tolkien mit „Licht“ symbolisiert.
Da scheinen wir uns sehr einig zu sein.

Savonlinna hat geschrieben:Eine Wissenschaft muss auch die Deutungen von Materialisten wertfrei in das System einbauen.
Wenn die Frage lautet "Welche Wahrnehmungssysteme gibt es?", stimme ich Dir zu. - Wenn die Frage lautet, " 'Ist' Gott "ist" oder ist Gott eine lediglich Wahrnehmungs-Projektion des Menschen?", stimme ich Dir nicht zu. - Anders gesagt: Es ist an sich ein Oxymoron, wenn der Materialismus innerhalb seines Systems von 'Gott' spricht - oder nicht?

Savonlinna hat geschrieben:Du verstehst "Sein" als das Höchste, was es gibt, und ich kann Dir da nicht folgen.
Viel einfacher:
1) "Sein" ist, was ohne unsere Wahrnehmung dasselbe ist.

DANN KOMMT LANGE NICHTS - und dann:

2) Gott ist Sein.

Savonlinna hat geschrieben:dass Du alle möglichen Formen, Gott zu verstehen, einer bestimmten philosophischen Denkschule unterordnest: der Ontologie.
Ja - aber nur in dem Sinne, dass zu unterscheiden ist zwischen Denkschulen, die Gott als Realität/Sein verstehen, und Denkschulen, die Gott als Projektion der Wahrnehmung verstehen. - Das ist eigentlich die einzige ontologische Aussage - alles andere ergibt sich von selbst.

Savonlinna hat geschrieben:Ich kenne keinen ernstzunehmenden Philosophen, der seine Lieblingsdenkrichtung zu der Einen Absoluten erhebt.
Ist es eine "PHilosophie", wenn man grundsätzlich zwischen Sein/Realität und Wahrnehmung unterscheidet? - Aus meiner Sicht ist es ein nüchternes Vorwort zu jeder Philosophie: Geht es um Sein/Realität oder um Wahrnehmung?

Wobei dieses Vorwort immer wichtiger zu werden scheint, weil Systeme dazu neigen, sich selber als Maßstab des Seins zu verstehen (bspw. der Materialismus, wenn er sagt: "Alles ist Materie - auch Geist"). - Genau das sollte aus meiner Sicht vermieden werden - das Sein/die Realität sollte als im besten Fall Wahrnehmbares verstanden werden - nicht aber sollte die Wahrnehmung als Maßstab verstanden werden, was Sein sein kann und was nicht.

Savonlinna hat geschrieben:Meine ständige Rede, dass es überhaupt nicht notwendig ist, einen Gottesbegriff zu haben, übersiehst Du.
Das übersehe ich NICHT - mir geht es ausschließlich darum, dass das Eigene in Bezug zu Gott definiert wird als Bezug zu einem Sein/einer Realität und nicht zu einer Projektion.

Savonlinna hat geschrieben:Gefällt es Dir nicht, dass jeder Mensch etwas anderes unter Gott versteht
Wenn es authentisch zu dem ist, was Gott ist, sind der Variabilität keine Grenzen gesetzt. - WAS Gott ist, muss man dazu nicht wissen - allein die Ausrichtung auf Gott als Realität ist ausreichend.

Savonlinna hat geschrieben:Ursprünglich dachte ich, ich könnte zu Deinen Ideen etwas beitragen.
Hast Du bereits zuhauf - allerdings weiss ich bis heute nicht, ob Du Christ(in?) bist oder nicht.

Savonlinna hat geschrieben:Darum lasse ich das Thema jetzt fallen.
Dann meineseits herzlichen Dank für das Bisherige - und Du weisst ja: Alles Wichtige kommt eh von alleine wieder hoch. :Herz:

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#86 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Pluto » Mi 26. Nov 2014, 17:24

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Ich frage mich allerdings, mit welcher Begründung manche die Empirie verurteilen.
Wer täte das? - Die Frage ist eine andere:
1) Reicht atomistische Empirie aus, um Gesamtzusammenhänge beurteilen zu können?
2) Darf sich Empirismus über Ontologie stellen?
ad 1.) Empirie ist von sich aus nicht reduktionistisch (atomistisch). Sie bobachtet nur.
ad 2.) Sollte es Mal zur direkten Konfrontation kommen, dann ja, weil Empirie auf Beobachtungen beruht.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#87 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von closs » Mi 26. Nov 2014, 17:39

Pluto hat geschrieben: Empirie ist von sich aus nicht reduktionistisch (atomistisch). Sie bobachtet nur.
Sie beobachtet aber ausschließlich Einzelfälle (was ja gleichzeitig ihre Stärke ist). - Sie muss also Beobachtetes zu einem Bild zusammenbauen, ohne das Bild, das dabei herauskommt, zu kennen (wie gesagt: das ist durchaus ein Vorteil, weil es damit ergebnisoffen ist).

Der andere Fall ist, dass man das Bild dazu bereits (zwar nicht konkret, aber vom Grundsatz her) kennt und Einzelteile dazu sucht - das wäre der hermeneutische Weg. - WENN das vorausgesetzte Bild richtig ist, schützt dies weitgehend vor Irrwegen. - Der Irrweg besteht dann "nur" darin, dass der Vorentwurf falsch ist - das kann man leider nicht vermeiden.

Letztlich ist in diesem Sinne Naturwissenschaft immer induktiv und Geisteswissenschaft immer deduktiv - WENN man Geist als transzendente Größe versteht. - Tut man das NICHT, ist alles gleich: Dann verzichtet man zwar auf Seins-Bereiche, aber das, was übrig bleibt, lässt sich in Deinem Sinne methodisch verarbeiten. - Das scheint in etwa der Status Quo des 21. jh. zu sein.

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#88 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Andreas » Mi 26. Nov 2014, 17:55

closs hat geschrieben:Ein Baum ist ein Baum - unabhängig davon, ob er jemals wahrgenommen wird. - Ein Geist ist ein Geist - unabhängig davon, ob er jemals wahrnehmbar ist. - "Sein" ist, wenn es dasselbe ist, ob Publikum da ist oder nicht. - Das halte ich für eine sachliche, glaubens-neutrale Aussage.
Das Problem ist, dass du "Sein" inhaltlich wechselnd nutzt. Das ist tatsächlich verwirrend.

Einerseits unterscheidest du zwischen ontologischem Sein und Dasein im Sinne von Jenseits und Diesseits. Hier vermischt du in dem Begriff "Sein" aber Baum = Diesseits = Dasein und jetzt kommt es eben darauf an, was du mit Geist gerade im Sinn hast, denn das wechselt bei dir ständig:
A menschlicher Geist = Diesseits = Dasein
B Geist Gottes = Jenseits = Sein
C Heiliger Geist als Schnittstelle zwischen menschlichem und göttlichen Geist = eine Mischung aus Jenseits/Diesseits = Sein/Dasein.

Da brauchst du dich nicht wundern, wenn bei den Materialisten sämtliche Alarmglocken läuten, wenn du das Wort "Sein" gebrauchst. Für die gibt es prinzipiell nur das "Dasein".

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#89 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von closs » Mi 26. Nov 2014, 19:30

Andreas hat geschrieben:Das Problem ist, dass du "Sein" inhaltlich wechselnd nutzt. Das ist tatsächlich verwirrend.
Ja - sorry. - Das mag sein.

Vielleicht sollte man zwischen Dort-Sein und Da-Sein unterscheiden - eigentlich geht es um das, was man unter "Realität" versteht. -

(A) "Realität" jenseits unserem Wahrnehmungs-Vermögens.
(B) "Realität" in "Sichtweite" unseres Wahrnehmungs-Vermögens.
(C) Das Zusammentreffen beider im menschlichen Geist.

Aber eigentlich ist das schon fast wieder zu weit: Eigentlich geht es erst einmal darum, dass wir Gott als Sein/"Realität" definieren und nicht als Projektion. - Und da besteht halt das Problem, dass Gott sehr schnell zur Projektion wird, wenn man ihn als Summe von irgendwelchen Entwürfen versteht - in anderen Worten: Man muss Gott als Sein/"Realität" definieren, um überhaupt ontologisch (von theologisch ganz abgesehen) von "Gott" sprechen zu können. - Tut man es nicht, muss man das Wort ersatzlos streichen.

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Münek
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#90 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Münek » Mi 26. Nov 2014, 19:32

Andreas hat geschrieben:Da brauchst du dich nicht wundern, wenn bei den Materialisten sämtliche Alarmglocken läuten, wenn du das Wort "Sein" gebrauchst. Für die gibt es prinzipiell nur das "Dasein".

Richtig, weil die Existenz eines "Jenseits", also eines mit himmlischen Wesen bevölker-
ten "unvorstellbaren transzendenten Irgendwo-Nirgendwo" lediglich erhofft - und
dann glaubensgewiss behauptet wird.

Welchen Grund sollten Naturalisten haben, solchen subjektiven, unter starkem Projek-
tionsverdacht stehenden Wunschvorstellungen auch nur den Hauch eines Anscheins von
Realität einzuräumen?

Dass eine solche "jenseitige Welt" tatsächlich existieren könnte, kann natürlich nicht
völlig ausgeschlossen
werden. Und das tut auch fast keiner. Die Naturwissenschaft so-
wieso nicht! Gott ist nicht ihr Forschungsgegenstand.
Zuletzt geändert von Münek am Mi 26. Nov 2014, 19:55, insgesamt 1-mal geändert.

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