Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Philosophisches zum Nachdenken
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Thaddäus
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#61 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Thaddäus » Fr 9. Jun 2017, 16:52

Halman hat geschrieben: Ein Prädikat ist eine Eigenschaft. Gemäß Aristoteles ist es logisch ausgeschlossen, dass einer Sache eine Eigenschaft nicht gleichzeitig (1) und in der selben Beziehung (2) zutrifft und nicht zutrifft (3).
Was sich widersprechen kann, sind Aussagen.

Könnte man dieses Prinzip mit folgender Notation darstellen?
~(A^~A)
Ja. Der Ausdruck ~(A ∧ ~A) ist zu lesen: "Es ist nicht (der Fall), dass A und nicht-A" (gleichzeitig gelten), was exakt den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch in aussagenlogischer Diktion darstellt.


Halman hat geschrieben: bzw. nach anderer Konvention über die Junktoren
(A ∧ A).
Nein. Der Ausdruck (A ∧ A) heißt ja nur A und A.

Halman hat geschrieben: Unsicher taste ich mich an die Prädikantenlogik heran.

Ist folgende Schreibweise korrekt?
Es gilt für alle Prädikate P
Es gilt für alle x
______________________________________________
Es gilt nicht, dass P für x gilt und dass P nicht für x gilt.

∀P
∀x
(P⊃x)∧( P⊃x)

Der Ausdruck (P⊃x)∧( P⊃x) bedeutet: "Wenn P dann x UND wenn P dann x". Das ist 1. eine Tautologie (was in der Logik nichts Schlimmes ist, hier aber überflüssig) und 2. fungiert P hier nicht als Prädikat von x. Stattdessen sagst du, wenn P dann x (⊃ = "wenn ... dann" = Implikation; auch mit "⇒" dargestellt). Deshalb ist das kein prädikatenlogischer, sondern ein aussagenlogischer Ausdruck.

Prädikatenlogisch muss der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch etwas komplizierter konstruiert werden. Meine prädikatenlogischen Kenntnisse sind etwas eingestaubt, weshalb ich für die Richtigkeit der folgenden Formulierung nicht die Hand ins Feuer legen will, aber es müsste ungefähr so aussehen ...

∀ = Allquantor (∃ = Existenzquantor / ∃!x = es existiert genau ein x )
~ = non/nicht/es ist nicht der Fall (auch "¬")
∧ = Konjunktion "und" (manchmal auch als "." dargestellt)
P = Prädikat/die Eigenschaft P
x = Individuenvariable


∀(Px) = für alle x mit der Eigenschaft P

∀(Px) ~[(Px) ∧ (~(P)x)] zu lesen als: Für alle x mit der Eigenschaft P gilt, es ist nicht der Fall das x die Eigenschaft P hat und x nicht die Eigenschaft P hat.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 9. Jun 2017, 21:36, insgesamt 1-mal geändert.

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Halman
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#62 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Fr 9. Jun 2017, 20:03

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Ein Prädikat ist eine Eigenschaft. Gemäß Aristoteles ist es logisch ausgeschlossen, dass einer Sache eine Eigenschaft nicht gleichzeitig (1) und in der selben Beziehung (2) zutrifft und nicht zutrifft (3).
Was sich widersprechen kann, sind Aussagen.

Könnte man dieses Prinzip mit folgender Notation darstellen?
~(A^~A)
Ja. Der Ausdruck ~(A ∧ ~A) ist zu lesen: "Es ist nicht (der Fall), dass A und nicht-A" (gleichzeitig gelten), was exakt den Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch in aussagenlogischer Diktion darstellt.
Danke für Deine Antwort.

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: bzw. nach anderer Konvention über die Junktoren
(A ∧ A).
Nein. Der Ausdruck (A ∧ A) heißt ja nur A und A.
Natürlich hast Du recht, weil hier das "nicht", also das der Junktor "¬" fehlt. Ich habe die Junktoren bei mir in einer Textdatei abgespeichert und habe Probleme damit, den "Nicht-Junktor" in einem Beitrag zu kopieren. Ich hoffe, dass es nun klappt:
Ich wollte natürlich schreiben:
¬(A ∧ ¬A)
Ich wollte eigentlich nur wissen, ob beide Schreibweisen aquivalent und zulässig sind und ich diese fortan so verwenden darf. Ich will nichts falsches lernen.

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Unsicher taste ich mich an die Prädikantenlogik heran.

Ist folgende Schreibweise korrekt?
Es gilt für alle Prädikate P
Es gilt für alle x
______________________________________________
Es gilt nicht, dass P für x gilt und dass P nicht für x gilt.

∀P
∀x
(P⊃x)∧( P⊃x)

Der Ausdruck (P⊃x)∧( P⊃x) bedeutet: "Wenn P dann x UND wenn P dann x". Das ist 1. eine Tautologie (was in der Logik nichts Schlimmes ist, hier aber überflüssig) und 2. fungiert P hier nicht als Prädikat von x. Stattdessen sagst du, wenn P dann x (⊃ = "wenn ... dann" = Implikation; auch mit "⇒" dargestellt). Deshalb ist das kein prädikatenlogischer, sondern ein aussagenlogischer Ausdruck.
Ja, logisch, weil hier wieder das "¬" von der Software "verschluckt" wurde, steht dort eine Tautologie. Immerhin ist dies logisch formal zulässig, wenn auch überflüssig. Ich wollte eigentlich Folgendes ausdrücken:
∀P
∀x
¬(P⊃x)∧(¬P⊃x)

An den Lehrzeichen im Zitatfeld kannst Du es erkennen. Die Lehrzeichen sind, wenn Du das Eingabefeld zum Antworten öffnest, in der Tautologie gut sichtbar.

Also, ist meine Form der Aussagenlogig korrekt?

Thaddäus hat geschrieben:Prädikatenlogisch muss der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch etwas komplizierter konstruiert werden. Meine prädikatenlogischen Kenntnisse sind etwas eingestaubt, weshalb ich für die Richtigkeit der folgenden Formulierung nicht die Hand ins Feuer legen will, aber es müsste ungefähr so aussehen ...

∀ = Allquantor (∃ = Existenzquantor / ∃!x = es existiert genau ein x )
~ = non/nicht/es ist nicht der Fall (auch "¬")
∧ = Konjunktion "und" (manchmal auch als "." dargestellt)
P = Prädikat/die Eigenschaft P
x = Individuenvariable


∀(Px) = für alle x mit der Eigenschaft P

∀(Px) ~[(Px) ∧ (~(P)x)] zu lesen als: Für alle x mit der Eigenschaft P gilt, es ist nicht der Fall das x die Eigenschaft P hat und x nicht die Eigenschaft P hat.
Danke für Deine fortgeschrittene Logik.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Thaddäus
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#63 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Thaddäus » Fr 9. Jun 2017, 20:52

Halman hat geschrieben:Ich wollte eigentlich Folgendes ausdrücken:
∀P
∀x
¬(P⊃x)∧(¬P⊃x)

An den Lehrzeichen im Zitatfeld kannst Du es erkennen. Die Lehrzeichen sind, wenn Du das Eingabefeld zum Antworten öffnest, in der Tautologie gut sichtbar.

Also, ist meine Form der Aussagenlogig korrekt?
Leider immer noch nicht. Weil du im Grunde in der Aussagnelogik bleibst und nicht prädikatenlogisch formulierst.

So schreibst du:
∀P
∀x

... was bedeutet: für alle P und für alle x. P soll aber ein Prädikat von x sein, also eine Eigenschaft von x. Deshalb musst du prädikatenlogisch formulieren ∀(Px). Nur so heißt es: "Alle x haben die Eigenschaft P".

Der Ausdruck: ¬(P⊃x)∧(¬P⊃x) bedeutet: Es ist nicht der Fall, dass, (wenn P dann x) UND es ist der Fall, dass (wenn nicht-P dann x).

Erstens müsstest du um den gesamten Ausdruck (P⊃x)∧(¬P⊃x) noch eine Klammer setzen, denn du willst ja den gesamten Ausdruck verneinen, also:
¬ [(P⊃x)∧(¬P⊃x)].

Mit ¬(P⊃x)∧(¬P⊃x) verneinst du nur den ersten Klammer-Ausdruck, aber nicht auch den zweiten, wie du es eigentlich willst! Du siehst, die Klammern machen deutlich, welche Ausdrücke oder Variablen genau verneint werden sollen. Aber auch dann ist P in diesem Ausruck trotzdem keine Eigenschaft von x, sondern so, wie du es notierst, ist es stattdessen eine eigene Individuenvariable. Du implizierst mit der ersten Klammer: es ist nicht der Fall, dass, wenn P dann x und in der zweiten Klammer: es ist der Fall, dass wenn nicht-P, dann x.
Das ist aber etwas völlig anderes, als das, was du eigentlich ausdrücken möchtest.

Um prädikatenlogisch eine Eigenschaft von x auszudrücken, muss stattdessen formuliert werden: ∀(Px). Nur so heißt es prädikatenlogisch: "Für alle x gilt, x hat die Eigenschaft P" (siehe oben).


Halman hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Prädikatenlogisch muss der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch etwas komplizierter konstruiert werden. Meine prädikatenlogischen Kenntnisse sind etwas eingestaubt, weshalb ich für die Richtigkeit der folgenden Formulierung nicht die Hand ins Feuer legen will, aber es müsste ungefähr so aussehen ...

∀ = Allquantor (∃ = Existenzquantor / ∃!x = es existiert genau ein x )
~ = non/nicht/es ist nicht der Fall (auch "¬")
∧ = Konjunktion "und" (manchmal auch als "." dargestellt)
P = Prädikat/die Eigenschaft P
x = Individuenvariable


∀(Px) = für alle x mit der Eigenschaft P

∀(Px) ~[(Px) ∧ (~(P)x)] zu lesen als: Für alle x mit der Eigenschaft P gilt, es ist nicht der Fall, dass x die Eigenschaft P hat und x (gleichzeitig) nicht die Eigenschaft P hat.
Danke für Deine fortgeschrittene Logik.
Sehr gerne! Wobei ich mir - wie gesagt - nicht völlig sicher bin, ob meine Formulierung prädikatenlogisch tatsächlich ganz korrekt ist. Im Gespräch mit kompetenten Logikern habe ich selbst lernen müssen, dass man verdammt viele Fehler machen, weil man so wahnsinnig genau formulieren muss. Denen schreibt man seinen Versuch einer formalogisch korrekten Formulierung eines normalsprachlichen Ausdrucks, und die lachen sich tot über die dämlichen Fehler, die man dabei gemacht hat. Die Hauptanforderung an Mathematiker und Logiker ist, dass die sehr sehr exakt arbeiten müssen, sonst kommt nur Unsinn heraus. Aber tröste dich. Über mich haben Logiker schon sehr herzlich gelacht ... und haben mich spöttisch "logisch interessierte Schlumpfine" genannt! :lol: Ich habe es ihnen nicht krumm genommen ...
Zuletzt geändert von Thaddäus am Sa 10. Jun 2017, 00:56, insgesamt 4-mal geändert.

Novas
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#64 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Fr 9. Jun 2017, 21:29

Thaddäus hat geschrieben:Was hältst du denn von folgender blasphemischen Idee:

Falls es einen Gott gibt, dann offenbart er sich gar nicht vor allem in religiösen Schriften, sondern vielmehr in den ganz erstaunlichen und vielfältigen Einsichten und Fragestellungen der Philosophen, den bemerkenswerten Erkenntnissen und Erfindungen der Natur-Kundigen, worunter ich auch die modernen Naturwissenschaftler und Techniker und alle Naturwissenschaften fasse; in den grandiosen künstlerischen Werken der Menschen, seitdem sie ihre Wohnhöhlen mit Szenen ihres täglichen Lebens ausschmückten und am Lagfeuer Heldengeschichten erzählten und Geschichten darüber, wie die Welt und das Universum entstanden usw.

Ja, das ist doch mal ein hervorragender Gedanke von Dir ;) das ist ganz meine Rede, denn ich denke, dass sich Gott/das Göttliche auf allen Ebenen der Existenz offenbart, doch das beinhaltet die Heiligen Schriften der Menschheit (hier sei angemerkt, dass die Franziskaner schon immer die Auffassung hatten, dass die erste Bibel nicht die niedergeschriebene Schrift war, sondern die Schöpfung und die Natur). Wir können den gesamten Kosmos, als eine einzige große riesige Kathedrale verstehen, in der Sonne, Mond und Sterne, Wellen, Meer und Sand, Menschen und Tiere, Engel und Naturgesetze Zeugen und Zeichen der göttlichen Herrlichkeit sind. Das Christentum ist (so verstanden) kein Denkverbot, sondern eine Einladung größer und weiter zu denken.

Die Bücher von Richard Rohr kann ich Dir wirklich nur ans Herz legen! Als Einstieg ist dieser Vortrag gut geeignet, denke ich:


Novas
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#65 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Fr 9. Jun 2017, 22:31

Thaddäus hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Mich persönlich interessieren die biblischen Texte (so wie alle anderen sogenannten Heiligen Schriften) primär als Buch der Weisheit. Die Weisheit verbindet Religion und Philosophie.
Na ja, ich weiß nicht so recht. Nirgendwo in der Bibel findet sich die schlichte, aber tiefgründige Einsicht eines Propheten, dass er im Grunde nichts weiß. Diese weise Einsicht hat eben ein Philosoph gefunden

In der Schrift mag das nicht ausdrücklich gesagt werden, aber in der Heiligen Tradition gibt es die apophatische Theologie, die betont, dass das Göttliche letztlich vollkommen unnennbar und unbegreiflich ist. Es gibt einen unnennbaren (apophatischen) Aspekt des Göttlichen und einen nennbaren (kataphatischen), in welchem sich die Begegnung des Göttlichen mit der Welt und dem Menschen ausdrückt. Das östliche Christentum betont die apophatische Theologie (Gott als ein ewiges, letztlich nicht gedanklich erfassbares Mysterium) während der Westen eher eine kataphatische Theologie bevorzugt (obwohl die Mystiker des Abendlandes - wie Meister Eckhart - ebenfalls eine ‚theologia negativa‘ betrieben haben) das ist für mich einer der Gründe, weshalb ich das westliche Christentum fundamental kritisiere, denn das Göttliche ist unendlich erhaben über alles Nennbare. Der christliche Glaube ist für mich zweierlei: eine Einladung größer zu denken, aber auch die Einsicht in die Begrenztheit des menschlichen Denkens.
Hier ist es sehr interessant, wenn man sich das griechische Wort metanoein genauer anschaut. Auf Deutsch wird es meist mit "Buße (Umkehr) tun" übersetzt, doch darin ist noch ein wesentlich tieferer Sinn enthalten. Es setzt sich aus dem Verb noein und der Vorsilbe meta- zusammen: noein bedeutet "denken, sinnen" und meta- so viel wie "darüber hinaus, höher, größer" (vgl. Wortbildungen wie Metaphysik und Meta-Ebene). Nicht nur Buße tun, sondern höher und größer denken, darum geht es: über das bisher Gedachte und Gewohnte hinaus denken. Nicht nur ein einseitig rationales Denken, sondern ein Denken mit allem, was der Mensch ist, ein Leib und Seele umfassendes Denken, ein Denken mit der ganze Existenz.

Christsein war nie und wird nie die Erlaubnis sein zu einem Dummkopf zu mutieren. Es ist viel mehr die Aufforderung, vom klein Gedachten auf das immer Höhere und Größer hin zu denken. Das beinhaltet dann auch "Buße", im Sinne einer Umkehr des Handelns, einen Lebenswandel, weil uns solch ein Denken nicht kalt lassen kann, es erfasst und transformiert den ganzen Menschen. Nicht nur oberflächlich und äußerlich, sondern innerlich, im tiefsten Herzen, Denken und Sinnen.

Von da an begann Jesus zu verkünden: Metanoeite! Denn das Himmelreich ist nahe. Matthäus 4,17

Das kann man übersetzen mit "Denkt und lebt meta, denkt und lebt über das hinaus, was ihr früher gedacht und gelebt habt" ~ größer denken von Gott, größer vom Menschen, größer denken vom Leben, der Bedeutung des Universums, von allem. Größer denken, um auch großartiger zu leben, um so wirklich ein Nachfolger Jesu im Vollsinne des Wortes zu sein, um Idealfall ein Meister des Lebens zu werden.

Ein Lebemeister ist besser denn tausend Lesemeister. Meister Eckhart

Nirgendwo in der Bibel findet sich die beruhigende Erkenntnis, dass der Tod uns nicht betrifft, denn solange wir leben, ist der Tod nicht; und wenn wir tot sind, berührt uns dieser Tod ebenfalls nicht.

"Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr." (Epikur: Brief an Menoikeus.)


Stattdessen finden wir im Neuen Testament die erstaunliche Vision von der Auferstehung, sodass wir schon jetzt unser Leben vor dem Tod mit dem Blick auf das Leben nach dem Tod befreit und ganz anders (um nicht zu sagen radikal) leben können. Es macht einen gewaltigen Unterschied ob ich dem Nichts oder einem Ziel entgegenlebe, ob ich darauf vertraue, dass mein sterbliches Leben in ein ewiges Leben, eine göttliche Daseinsweise verwandelt wird, oder nicht.
:wave:

Novas
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#66 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Novas » Fr 9. Jun 2017, 23:42

Thaddäus hat geschrieben:Sokrates gilt dagegen als der weiseste aller Menschen, wie es das Orakel von Delphi kundtut. Und er gilt als der Weiseste, weil er die grundsätzliche Begrenztheit seines Wissens erkennt. ;)

Ja, so wie der mysteriöse (bis heute unbekannte) Verfasser der mystischen Schrift der Wolke des Nicht-Wissens :) (engl.: The Cloud of Unknowing) das ist wohl eines der bekanntesten und größten Werke des kontemplativen Zweigs des Christentums: Die Wolke des Nichtwissens: Der Klassiker der Kontemplation, übertragen von Willi Massa mit einer Hinführung von Willigis Jäger.

Die „Wolke des Nichtwissens“ ist eine präzise und lebensnahe Anleitung für alle, die einen kontemplativen Zugang zum Christentum suchen. Der berühmte Text, dessen Verfasser wir nicht kennen, der aber eine große Wirkungsgeschichte hat, gilt heute als echtes Standardwerk. Verfasst im 14. Jahrhundert von einem christlichen Meister ist hier ein Weg beschrieben, der zur Wiedervereinigung des Menschen mit seinem göttlichen Urgrund führt. Zusammen mit der „Wolke“ wird in der vorliegenden Ausgabe auch das gereifte Alterswerk des gleichen Autors vorgelegt, der „Brief persönlicher Führung“ – beides in der modernen Übertragung des christlichen Meditationslehrers Willi Massa. Für unzählige Menschen sind diese Texte „Nahrung für den Hunger ihres Lebens“ geworden. Mit einer spirituellen Hinführung von Willigis Jäger und einem die Grundzüge dieser Mystik erklärenden Nachwort von Professor Bernhard Uhde.

Bild




Mit Bezug auf dieses bekannte Werk, gründete der christliche Mystiker und Zen-Meister Willigis Jäger eine neue Kontemplationslinie mit dem Namen Wolke des Nicht-Wissens.

Die Kontemplationslinie "Wolke des Nichtwissens" wurde von Willigis Jäger begründet. Er hat die Kontemplation in ihrer radikal nondualen Form nach der christlichen Tradition wieder belebt und erneuert. Sie entwickelt sich gemäß den Erkenntnissen des 21. Jahrhunderts weiter. Die Menschen unserer Tage sind keine Mönche oder Nonnen bei denen das kontemplative Gebet vor allem gepflegt wurde. Viele sind verheiratet, haben einen Beruf und eine verantwortungsvolle Lebensaufgabe. Ihnen wird diese Gebetsform in Kursen angeboten. Es ist ein spiritueller Weg für jeden, der ihn gehen will. Es geht dabei um eine tiefe Seinserfahrung, die das Rationale und Personale übersteigt.


Die Kontemplation, wie Willigis Jäger sie lebt und lehrt, ist der westliche Ausdruck spiritueller Weisheit, wie sie religiöse Traditionen seit mehreren tausend Jahren kennen und lehren. Sie ist den Schulungswegen anderer Hochreligionen, auch denen des Ostens, verwandt. In ihrer Mitte steht die Erfahrung eines Bewusstseinsraums, der die Ichzentrierung übersteigt und in eine zeit- und raumlose Erfahrung der Leere führen kann, in unseren eigentlichen Existenzgrund.

In diesem Sinne ist die Kontemplation, neben dem Zen, ein tragender Teil der „West-Östlichen Weisheit“, der von Willigis Jäger ins Leben gerufenen Stiftung zur Erforschung und Einübung der spirituellen Wege des Westens und des Ostens.
Weitere Informationen können hier gefunden werden: https://www.wfdk.de/NavigatorLinks/Foru ... issens.htm


Erhebe dein Herz zu Gott mit einer demütigen Regung der Liebe; meine Gott selbst und keine Seiner Eigenschaften. Empfinde einen Widerwillen davor, an irgendetwas außer an Ihn zu denken, auf dass nichts in deinem Verstande und in deinem Willen wirke als allein Er selbst. (…)
Kein anderes Werk reinigt dich selbst so sehr und macht dich so lauter wie dieses. Dabei ist es von allen das leichteste und am schnellsten zu vollbringende Werk, wenn durch Gnade in der Seele ein spürbares Verlangen entsteht. (…)
Gib also nicht auf, sondern gib dir solange Mühe damit, bis du Verlangen danach empfindest.
Denn zu Beginn deiner Übung bemerkst du nichts als eine Finsternis, sozusagen eine Wolke des Nichtwissens, genau weißt du nicht, was das ist, außer dass du in deinem Willen ein von allem entblößtes Verlangen nach Gott spürst. Du magst dich bemühen wie du willst, dennoch bleiben diese Dunkelheit und diese Wolke zwischen dir und deinem Gott und hindern dich, Ihn mit dem Lichte deiner geistigen Verstandeskraft in deiner Vernunft deutlich zu erkennen oder in seliger Liebe in deinem Herzen zu spüren.
Mache dich deshalb bereit, in dieser Dunkelheit so lange wie möglich zu verweilen und immerfort nach dem, den du liebst, zu rufen; denn wenn du Ihn je fühlen oder sehen können wirst, sofern dies hienieden möglich ist, so kann dies doch immer nur in jener Wolke und Dunkelheit geschehen.
Wenn du dich indes eifrig in diesem Werk bemühst, so wie ich es dir rate, glaube ich wohl, dass Gott in Seiner Gnade dir diese erwähnte Schau gewährt.

Die Wolke des Nichtwissens, in: Richard Reschika, Praxis christlicher Mystik, Freiburg/Br. 2007

Wahre Selbsteinschätzung
Zuerst sollst du wissen, worin Demut besteht. Erst, wenn du das klar erkannt und erfasst hast, kann der Grund, aus dem Selbstbewusstsein entsteht, geistig erfasst werden. Demut an sich ist nichts anderes als eine schonungslose Erkenntnis und Erfahrung des eigenen Selbst in seiner Beschaffenheit. Denn wer wirklich erkennt und erfährt, wie er ist, müsste gewiss auch wirklich demütig sein. Zwei Gründe gibt es für diese Demut: der eine ist die schmutzige Erbärmlichkeit und Hinfälligkeit des Menschen … Der andere Grund ist die überströmende Liebe und Erhabenheit des göttlichen Seins, bei dessen Betrachtung die ganze Natur erbebt, die Gelehrten sich als Narren entlarven und alle Engel und Heiligen geblendet werden.

Die Wolke des Nichtwissens, in: Richard Reschika, Praxis christlicher Mystik, Freiburg/Br. 2007
http://www.kontemplation.at/cms/?id=129


Das Werk Wolke des Nichtwissens führt den Leser (falls er sich dazu berufen fühlt, versteht sich :) ) auf den kontemplativen Werk, der darin besteht, von allen Bildern und Gedanken vollkommen leer zu werden und alles begriffliche Denken aufzugeben, sodass nur mehr die „Wolke des Vergessens“ (zwischen dem Übenden und allem Geschaffenen) bleibt. Die dadurch frei gewordene „nackte“ Liebe lässt die Seele schließlich in die „Wolke des Nichtwissens“ (zwischen dem Übenden und Gott) aufsteigen. In der Wolke des Nichtwissens befinden wir uns im „mystischen Schweigen“ (Dionysios Areopagita)

Bemerkenswert ist, dass der Cloud-Autor - gemäß mittelalterlichem Brauch - keinen Wert darauf legte, seinen Namen der Nachwelt zu überliefern. Es ist ein vollkommen anonymes Werk, welches der Autor wohl nur verfasste, weil er (mutmaßlich ein im kontemplativen Leben sehr erfahrener Priester und christlicher Meister vom Rang eines Meister Eckhart) anderen Menschen geistliche Begleitung geben wollte. Sein eigener Ruhm war ihm offenbar vollkommen unwichtig (möglicherweise ein Karthäuser-Priester, denn Alte Orden wie die Karthäuser sind bekannt dafür, dass sie ihre Verstorbenen seit jeher namenlos beerdigt haben, also sie legten keinen besonderen Wert auf solche Dinge, da sie ein Leben in radikaler Hinwendung zu Gott und dem Loslassen von allen weltlichen Dingen bevorzugten)

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#67 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Thaddäus » Sa 10. Jun 2017, 00:52

Novalis hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Sokrates gilt dagegen als der weiseste aller Menschen, wie es das Orakel von Delphi kundtut. Und er gilt als der Weiseste, weil er die grundsätzliche Begrenztheit seines Wissens erkennt. ;)

Ja, so wie der mysteriöse (bis heute unbekannte) Verfasser der mystischen Schrift der Wolke des Nicht-Wissens :) (engl.: The Cloud of Unknowing)
Da ist der unbekannte Verfasser des Buches allerdings einige hundert Jahre zu spät dran. ;)
Warum sollte ich mich um das zu spät verfasste Buch kümmern, wenn ich Platon, Aristoteles, Epikur und alle anderen wichtigen griechischen Philosophen - die offenbar ihrer Zeit so Voraus waren, dass heute noch Bücher erscheinen, die ihre Einsichten nur wiederholen - im Original lesen kann?

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#68 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Halman » Mo 12. Jun 2017, 00:05

Kommen wir nun zu seinem französischen Philosophen der Barockzeit: René Descartes, der außerdem Mathematiker und Naturwissenschaftler war.

Gemäß der cartesianischen Metaphysik gibt es zwei Substanzen:
1. Die ausgedehnte Substanz (Res extensa) bezeichnet alle materiellen Körper, seien es Steine oder Tiere. Sie gehorchen den Naturgesetzen.

2. Die denkende Substanz (Res cogitans), der Geist bzw. die Seele, die nicht geleugnet werden kann, selbst wenn man allen Wahrnehmungen misstraut und daher alles Wissen über die Welt bezweifelt und man folglich alle Res extensa für Illusionen hält, so kann man nicht darüber im Zweifel sein, dass man zweifelt: Ego cogito, ergo sum.
Wenn nun alle Dinge angezweifelt werden, so ist nur das Res cogitans gewiss.

In seiner Erwiderung an Thomas Hobbes (einem strengen Materialisten) erklärt Descartes, dass der Geist (Res cogitans) notwendigerweies unabhängig vom Körper (Res extensa) gedacht werden muss.
Die hier von den Philosophen als wahr anerkannten Zweifelsgründe habe ich nur als wahrscheinlich vorgebracht; ich habe mich auch ihrer nur bedient, nicht um sie als neu anzupreisen, sondern teils um die Leser auf die Betrachtung der geistigen Natur und ihre Unterscheidung von den körperlichen Dingen vorzubereiten (zu welchem Zweck sie mir hauptsächlich notwendig scheinen), teils um auf eben sie in den folgenden Meditationen zu antworten ...
(Mir wurde zugetragen, dass Descartes laut La Mettrie gemäß privaten Briefen selbst nicht völlig von der Seele überzeugt war.)
__________________________________________________________________________________________________________________________

Man könnte sich folgende drei Wege des Argumentierens vorstellen:
1. Biographischer Weg: Ich zeige auf, wie ich zu einer Überzeugung gelange, insbesondere welche Ursachen zu meiner Überzeugung führen. Dieser Weg sagt mir persönlich sehr zu, allerdings mag seine Schwäche in der Subjektivität bestehen und kann daher von Neigungen und privaten Meinungen beeinflusst sein.

2. Rhetorischer Weg: Die Argumentation wird mit gekonnter Rhetorik oder gar Polemik vorgetragen, dem mit Ziel, möglichst große Überzeugungskraft zu entfalten.

3. Logischer Weg: Dies ist der philosophische Weg, welcher die Argumente formal logisch gestaltet und schlüssig darstellt.

Kommt ihr auch zu dem Schluss, dass sich Descartes in seinen Meditationen des 1. Weges bediente? Er gebraucht die Ich-Form und berichtet von seiner persönlichen Erfahrung.


_________________________________________________________________________________________________________________________

Kommen wir zur modernen Philosophie und zwar zur Referenztheorie von Hilary Putnam.
Aus der kausalen Referenztheorie ergibt sich ein zweites Argument gegen die Annahme, dass die Referenz eines sprachlichen Ausdrucks durch einen geistigen Zustand des Sprechers festgelegt wird. Es bedient sich des Gedankenexperimentes der Zwillingserde, eines anderen Planeten, welcher der Erde weitgehend gleicht und auch menschliche Bewohner hat, die die gleiche Sprache sprechen wie wir. Der einzige Unterschied soll darin bestehen, dass die dort als ›Wasser‹ bezeichnete Flüssigkeit nicht aus H2O wie auf der Erde, sondern aus einer anderen chemischen Substanz XYZ besteht, die außer der anderen chemischen Struktur aber dieselben Eigenschaften wie unser Wasser aufweist. Ein Astronaut, der heute auf die Zwillingserde gelangte, würde diesen Unterschied schnell bemerken und sagen, dass sich die Bewohner der Zwillingserde mit ›Wasser‹ auf eine andere Substanz beziehen als die der Erde. Aber wenn durch irgendeinen Umstand ein Mensch vor 200 Jahren auf die Zwillingserde gelangt wäre, als noch keine chemischen Analysemethoden bekannt waren, hätte er den Unterschied nicht herausfinden können. Er hätte sich also bezüglich des Wassers der Zwillingserde in dem gleichen geistigen Zustand befunden wie deren Bewohner, hätte sich aber trotzdem mit dem Wort ›Wasser‹ nicht auf das Wasser der Zwillingserde, sondern auf das Wasser unserer Erde bezogen, denn darauf hätte die Kausalkette verwiesen, welche die Referenz bestimmt. Folglich kann der geistige Zustand des Sprechers nicht für die Festlegung der Referenz verantwortlich sein. Zudem zeigt dieses fiktive Beispiel, dass die Referenz vieler Ausdrücke von der Umgebung abhängt, in der sie gelernt wurden; diese Eigenschaft wird als Indexikalität bezeichnet.
Wie versteht ihr diese Gedanken?
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

closs
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#69 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von closs » Mo 12. Jun 2017, 01:04

Halman hat geschrieben:Wie versteht ihr diese Gedanken?
Dass Wahrnehmung immer Chiffre ist.

Rembremerding
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#70 Re: Philosophie für Laien - von der Antike bis heute

Beitrag von Rembremerding » Mo 12. Jun 2017, 07:15

closs hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Wie versteht ihr diese Gedanken?
Dass Wahrnehmung immer Chiffre ist.
„Man sieht nur, was man weiß. Eigentlich: Man erblickt nur, was man schon weiß und versteht“
Johann Wolfgang von Goethe

Dieses wissen und verstehen ist nicht allein ein bewusster intellektueller Vorgang. Er wird geprägt durch oftmals unbewusste kulturelle, gesellschaftliche und in der Natur des Menschen angelegte Vorgaben.
Der Mensch versucht diese Vorgaben zu begreifen in Mythen, Sinnbildern und Symbolen, die er weitertradiert und immer wieder neu interpretiert. Was nie war, bleibt immer wahr.
Hunderttausende von Jahren war der Mensch Jäger, Sammler, Höhlenbewohner, Eiszeitjäger, Ackerbauer im Mangel und Wandel. Daraus folgte eine psychische und biologische Prägung, die er nicht ablegen kann, sondern in jede Lebenssituation hinein neu interpretiert.
Genau dies ist das Erfolgsmodell des geisterfüllten Menschen, indem er das Unbewusste reflektiert, weil er sich seiner selbst bewusst ist.

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