Jenseits von Gut und Böse?

Philosophisches zum Nachdenken
SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#311 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Mi 5. Apr 2017, 16:39

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Ich „sehe nur ein“, dass du eine unnötige Scheindebatte führst
Was heisst das in Bezug auf Deine Weltanschauung?
=> dass ich die Scheindebatte nicht zu meiner Weltanschauung machen werde.

closs hat geschrieben:Ist Deine Weltanschauung Folge eines Glaubensentscheids oder nicht?
Ein „Entscheid“ liegt nur dann vor, wenn es eine Wahlmöglichkeit gibt.
Sich gegen „die Welt“ zu entscheiden, ist wohl eher nicht möglich.

=> ein Glaubensentscheid betrifft nur die Auswahl von religiös/philosophischen Geschichten, die das „Unsichtbare hinter der Welt“ erklären können sollen, wobei das „Rätsel des Unsichtbaren“ erst genau durch diese Geschichten suggestiv vermittelt wird.
=> keine religiös/philosophische Geschichte zu verwenden, ist kein Glaubensentscheid – sondern quasi nur „suggestionsfreier Raum“.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#312 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Mi 5. Apr 2017, 20:16

SilverBullet hat geschrieben:Ein „Entscheid“ liegt nur dann vor, wenn es eine Wahlmöglichkeit gibt.
Korrekt - aber die Frage, ob es nur eine oder mehrere Wahlmöglichkeiten gibt, ist doch ebenfalls ein Entscheid - oder nicht?

SilverBullet hat geschrieben:Sich gegen „die Welt“ zu entscheiden, ist wohl eher nicht möglich.
Vor allem ist es nicht sinnvoll - das ist spätestens seit Descartes klar. - Um diese Frage ging es zu keinem Zeitpunkt.

Pluto hat geschrieben:Dann muss auch die Frage erlaubt sein, wo ist dann bei dir noch Platz für Hermeneutik und Spiritualität?
In der Auslegung - lege ich die naturwissenschaftlichen Evidenzen so aus, als wären sie der Ausgangspunkt von Geist - oder lege ich die selben naturwissenschaftlichen Evidenzen so aus, als wären sie Folge von Geist.

Pluto hat geschrieben:Wenn aber das Wort Glaube Gewissheit bedeutet, wie dies bei einem spirituellen oder religiösen Menschen die Regel ist, so bereitet mir das grundlegend Probleme. Zweifelt man an dieser Vermutung, kommt dann die Antwort, "Spirituelle Aussagen sind nicht falsifizierbar".
So ist es - und es verwundert nicht, dass es bei Dir zu Problemen führt, weil es mit Mitteln Deines weltanschaulichen Inventars nicht konterbar ist.

Pluto hat geschrieben:Wenn Jemand ohne Evidenz sich von etwas Geglaubtem über alle Maßen sicher ist (für echte Religionen konstitutiv), widerspricht dies nicht nur die Begrenztheit unseres Wissens
Das ist eine falsche Schlussfolgerung: Denn gerade AUS der Begrenztheit unseres Wissens erwächst Glaube - sonst wäre dies ja Wissen.

Pluto hat geschrieben:sie ist für mich inakzeptabel weil Glaube dann zu einer unbegründete Behauptung erhoben wird.
Stimmt ja ebenfalls nicht - Glaube (im theologischen Feld) ist extrem umfassend begründet - nur eben nicht in naturalistischer Art.

Pluto hat geschrieben:Dadurch werden historisch bedingte Irrtümer sowie un-zulängliche Moralvorstellungen für die Zukunft festgeschrieben, also künftige Fortschritte in der Erkenntnis zugunsten dogmatischer Borniertheit verhindert.
Da mischt sich was:
1) Es gibt in der Tat Fälle, bei denen im Glauben echte Irrtümer mitgeschleift werden - das sind Fehlleistungen.
2) Andererseits darf man Mängel aus Sicht ANDERER (also eigener) Definitionen von "gut"/"böse"/"Moral"/"Geist"/"Bewusstsein" nicht einem Glaubens-System anlasten, dem man gegenübersteht. - Platt gesagt: Du kannst als Fußballspieler einem Golfspieler nicht vorwerfen, dass seine Bälle zu klein sind.

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#313 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Mi 5. Apr 2017, 20:59

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Ein „Entscheid“ liegt nur dann vor, wenn es eine Wahlmöglichkeit gibt.
Korrekt - aber die Frage, ob es nur eine oder mehrere Wahlmöglichkeiten gibt, ist doch ebenfalls ein Entscheid - oder nicht?
Nur in Bezug auf Phantasievarianten.

Demgegenüber steht jedoch, dass wir „gezwungen“ sind, „die materielle Welt“ zu akzeptieren und zwar als „wahrnehmungsunabhängig“ (sprich: „existent“). Eine Entscheidung „dagegen“, wirst du nicht fällen können, also gibt es auch keine Entscheidung „dafür“, sondern eine Festlegung.

Wenn jemand also nach „Existenzen“ sucht, dann sucht er nach seiner Festlegung und macht somit keinen „Glaubensentscheid“.
Wenn jemand für religiös/philosophische Behauptungen keine Festlegung vorfinden kann, dann macht er keinen „Glaubensentscheid“, wenn er sie ablehnt, denn es besteht ja tatsächlich keine Festlegung.

closs hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben:Sich gegen „die Welt“ zu entscheiden, ist wohl eher nicht möglich.
Vor allem ist es nicht sinnvoll - das ist spätestens seit Descartes klar. - Um diese Frage ging es zu keinem Zeitpunkt.
Ich habe keine Frage formuliert und ein Descartes war zu keiner Zeit notwendig, um Existenzzusammenhänge in der Wahrnehmung aufzubauen.
Eine „existierende Welt“ kann ein lernendes Gehirn in einem interagierenden Körper quasi niemals übersehen.

Warum verläuft „das Bewusstsein“ im Wachzustand so kontinuierlich, während Trauminhalte eher sprunghaft erlebt werden?
=> ganz einfach: die „kontinuierlich existierende Welt“ ist im Wachzustand der Regelkreis für das Verstehen.
=> eine Unabhängigkeit zur Welt anzunehmen, ist grob fahrlässig. (dazu gehören auch die Suggestionen bzgl. „Geist(?) als Grundlage“ und einer „Loslösung vom Körper“)

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#314 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Mi 5. Apr 2017, 21:11

SilverBullet hat geschrieben:Demgegenüber steht jedoch, dass wir „gezwungen“ sind, „die materielle Welt“ zu akzeptieren und zwar als „wahrnehmungsunabhängig“ (sprich: „existent“). Eine Entscheidung „dagegen“, wirst du nicht fällen können
Doch - wenn man radikal-skeptizistisch denkt, geht das. - Man muss sich nur vorstellen, der Mensch sei ein rein geistiges Wesen, das Materielles denkt.

Wir gehen beide NICHT von diesem Fall aus, können ihn aber nicht falsifizieren - also müssen wir glauben, dass es so ist, wie wir es meinen: "Materielle Welt = echt".

SilverBullet hat geschrieben:Eine „existierende Welt“ kann ein lernendes Gehirn in einem interagierenden Körper quasi niemals übersehen.
Wenn man davon ausgeht, dass die "Res extensa Hirn" "echt" ist und nicht Vorstellung, hast Du recht. - Aber eben nur unter diesem Glaubens-Vorbehalt.

SilverBullet
Beiträge: 2414
Registriert: Mo 17. Aug 2015, 19:04

#315 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von SilverBullet » Mi 5. Apr 2017, 22:23

closs hat geschrieben:Doch - wenn man radikal-skeptizistisch denkt, geht das. - Man muss sich nur vorstellen, der Mensch sei ein rein geistiges Wesen, das Materielles denkt.
Das, was du als „so geht das“ bezeichnest, verliert qualitativ in allen Aspekten bereits gegen den Versuch „Darth Vader“ sein zu wollen:
du weisst schlicht nicht, was du dabei machen sollst.
(bei „Star Wars“ hat man wenigstens noch Bildmaterial)

Während du es „versuchst“, wirst du Luft atmen, deinen Körper verwalten und ausschliesslich Zusammenhänge „eines Körpers in der Welt“ verwenden.

Nichts, aber auch gar nichts wirst du erreichen.
Wie ich schon gesagt habe:
Es gibt Leute, die das sogar zu ihrem Lebensinhalt bestimmt haben. Die zwitschern sich Pülverchen zwischen die Ohren, um wenigstens die Illusion „einer Loslösung“ zu phantasieren, nur um danach wieder „die Festlegung auf die Welt“ akzeptieren zu müssen.

closs hat geschrieben:Wir gehen beide NICHT von diesem Fall aus, können ihn aber nicht falsifizieren
Du kannst die Festlegung nicht überwinden und aus der Festlegung heraus kann man eine Erklärung für „das Bewusstsein“ aufstellen. Ich habe dies in einfachen Zügen bereits gemacht. Alle Details der Festlegung greifen ineinander und ergeben eine Möglichkeit für eine abgeschlossene Erklärung.

Der Sprung in deinen philosophischen Phantasieansatz, liefert keinerlei festgelegte Zusammenhänge, sondern nur noch unspezifisches „Anders-Welt“-, „Wesen“- und „Absichts“-Gerede, das zudem aus reiner Unwissenheit und Unverständnis entstanden ist.

closs hat geschrieben:also müssen wir glauben, dass es so ist, wie wir es meinen: "Materielle Welt = echt".
Nein, ich glaube es nicht, sondern ich erkenne meine Festlegung und kann darin eine Erklärung für „das Bewusstsein“ ableiten.

Diese Erklärung spielt sich vollständig in dem ab, was ich feststellen kann und ich habe somit keinen Grund für irgendwelche „Glaubensentscheide“.

Aus dieser Erklärung ergibt sich, dass „das Verstehen“ nicht an „Existenz“ herankommt, also wozu sollte es gut sein, „Existenz“-Aussagen auf etwas Anderem aufzubauen, als auf der feststellbaren Festlegung?

closs hat geschrieben:Wenn man davon ausgeht, dass die "Res extensa Hirn" "echt" ist und nicht Vorstellung, hast Du recht.
Ich habe keinen Grund ein Glaubens-Urteil zu fällen, denn ich habe meine Festlegung.
Auf Basis dieser Festlegung kann ich untersuchen, ob sich darin eine vernünftige Erklärung für meine Funktionsweise finden lässt – da dies möglich ist, ist alles in Ordnung.

Bei deinem „radikal skeptischen Versuch“ gibst du dir ja zuallererst eine Suggestiv-Stellung, die du dann wiederum als Begründung verwenden möchtest. Exakt diese Stellung ist aber nur deine unklare Phantasie und in keiner Weise abgeklärt.

Der „radikal skeptische Versuch“ funktioniert als Suggestion nur, wenn man sich zuvor dafür entschieden hat, dass er funktioniert, sich also selbst in eine dafür günstige Phantasieposition begibt. D.h. den „Glaubensentscheid“ brauchst du nur, wenn du dich zuvor dafür entschieden hast, dass du ihn brauchst.
Wenn man diese „Glaubensentscheid“-Kette nachverfolgt, landet man früher oder später an dem Anspruch „unabhängig alles durchschauen zu können“. Dies widerspricht aber vollständig der täglichen Erfahrung, wobei der Aspekt „der Unabhängigkeit“ nicht von der Körpersituation unterschieden werden kann - du kannst eine Trennung vom Körper nur phantasieren.
Als „Ausweg“ aus diesem Dilemma versuchst du „deine Geschichte“ anzupassen und willst ein „Wesen“(?) sein, das temporär gezwungen ist „materiell zu denken“ und natürlich den Auftrag hat „dies zu durchschauen“, weil „der grosse Preis“ wartet.

An dieser Stelle solltest du an „die Fee beim Feuermachen“ denken.

=> es resultiert ein viel zu aufwendiges unvollständiges Suggestions-Phantasiekonstrukt, das letztlich nichts erklärt und maximal missbraucht werden kann.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#316 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Mi 5. Apr 2017, 22:52

SilverBullet hat geschrieben: ich glaube es nicht, sondern ich erkenne meine Festlegung und kann darin eine Erklärung für „das Bewusstsein“ ableiten.
Das ist Dein altes Drama: Du steigst um einen Schritt zu spät ein.

"Erkennen" tust Du auf der Ebene und im Rahmen der Ebene, in der etwas stattfindet - tue ich genauso. - Die radikal-skeptizistische Position stellt aber eben diese Ebene in ihrem Stellenwert in Frage - konkret: Atmest Du "in echt", oder beobachtest Du aus Sicht eines geistiges Wesens, das gar nicht atmen muss, eine materielle Ableitung Deiner Existenz beim Atmen. - Diese Frage ist von NIEMANDEN beantwortbar - das wussten bereits Augustinus ("Si enim fallor, sum") und Descartes. - Dass dies heute weitgehend nicht mehr kapiert wird, sollte man nicht als "Fortschritt" bezeichnen.

Hier eine Erklärung aus wik, die aus meiner Sicht erstaunlich gut ist:

"Methodischer Zweifel (auch Cartesischer Zweifel) bezeichnet ein Verfahren, welches René Descartes in seinen Meditationen über die erste Philosophie (Meditationes de prima philosophia) anwendet. Der Anwender dieses Verfahrens soll an der Existenz von allem zweifeln, was in irgendeiner Weise dem Irrtum unterliegen könnte. ...

Das Ziel des Projektes ist es, alles zunächst vermeintliche Wissen zu hinterfragen, um ausgehend von einem zu ermittelnden sicheren Fundament den Wissensbestand bestmöglich zu rehabilitieren. Es soll also eine Neubegründung jeder Erkenntnis erfolgen. Descartes wendet zur Suche nach diesem sicheren Fluchtpunkt den methodischen Zweifel an, welchen er als schrittweisen Prozess des Anzweifelns aller Kognitionen versteht. Descartes zweifelt wohlgemerkt lediglich methodisch, das heißt vornehmlich im Sinne eines Gedankenexperiments und weniger ein tatsächliches Infragestellen der Wirklichkeit. Die Unternehmung lässt sich in drei Phasen gliedern:

Zweifel an den Sinnen. Da sich die physischen Sinne erfahrungsgemäß als unzuverlässig erweisen, also beispielsweise Optische Täuschungen möglich sind, können Wahrnehmungen dieser Art nicht als unbezweifelbarer Ausgangspunkt fungieren. Jede sinnliche Wahrnehmung ist womöglich unzutreffend, weshalb Descartes diese vorläufig ablegt.
Zweifel am kognitiven Zustand. Dieser Schritt wird oft als Traumargument bezeichnet. Descartes stellt fest, dass es scheinbar kein effektives Kriterium gibt, mit dem sich zuverlässig feststellen ließe, ob man gerade wach ist oder träumt oder aus sonstigen Gründen Illusionen anheimgefallen ist. Damit erweisen sich auch rationale Erkenntnisse als prinzipiell bezweifelbar.
Zweifel an der kognitiven Autonomie. Die Gültigkeit der Logik sowie der Mathematik scheint zwar in jedem kognitiven Zustand gewährleistet zu sein und universellen Charakter zu haben, jedoch wäre es denkbar, dass diese Konzepte unzutreffend sind und uns durch einen Genius malignus (lat. etwa für ‚böser Geist‘) vorgetäuscht werden.

Nachdem er diese Kognitionen vorläufig aussetzt, bleibt nur noch das zweifelnde Subjekt übrig. Aus der Tatsache des Zweifelns bzw. Denkens geht die Tatsache der Existenz des Zweifelnden evident hervor. Zusammengefasst wird dies in der Formulierung Cogito ergo sum („Ich denke, also bin ich“). Das Da-sein eines Subjektes wird von Descartes als erste unbezweifelbare Wahrheit identifiziert".


Anmerkung zum "Traumargument":
Naturwissenschaftliche Untersuchungen, die heute glauben, "Traum" und "Realität" unterscheiden zu können, helfen hier NICHT weiter, weil sie die naturalistische Realität als gegeben setzen - damit sind sie für radikal-skeptizistische Fragestellungen ungeeignet. - Dazu auch: "Res cogitans und Res extensa" bei Descartes:

"Die beiden populärsten Formulierungen des Cogito, gemeint sind die Sätze Cogito, ergo sum und Ego sum, ego existo, verlangen nach einer Wesenbestimmung des ego. Descartes vollzieht diesen Schritt, indem er das denkende Ich als ausschließlich denkende Substanz kennzeichnet, die er res cogitans nennt. Dieses denkende Ding ist strikt vom rein körperlichen Dasein getrennt und kann als solches kein Attribut der Körperlichkeit auf sich beziehen. Es ist somit von allen materiellen Dingen getrennt, die im Körper als res extensa auftreten. Die bloße Materie als res extensa ist somit auch streng getrennt von der denkenden Substanz".( Hoellending)

SilverBullet hat geschrieben:Ich habe keinen Grund ein Glaubens-Urteil zu fällen, denn ich habe meine Festlegung.
Festlegung IST ein Glaubensurteil. - Du urteilst also aus Deinem Glauben.

SilverBullet hat geschrieben:Auf Basis dieser Festlegung kann ich untersuchen, ob sich darin eine vernünftige Erklärung für meine Funktionsweise finden lässt – da dies möglich ist, ist alles in Ordnung.
DAS wiederum ist ok - aber damit machst Du nichts anderes als Descartes und jeder Hermeneutiker: Du erklärst die Welt aus Deiner Festlegung heraus - das tut Ratzinger auch.

JackSparrow
Beiträge: 5501
Registriert: Mi 30. Okt 2013, 13:28

#317 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von JackSparrow » Mi 5. Apr 2017, 23:28

closs hat geschrieben:Atmest Du "in echt", oder beobachtest Du aus Sicht eines geistiges Wesens, das gar nicht atmen muss, eine materielle Ableitung Deiner Existenz beim Atmen. - Diese Frage ist von NIEMANDEN beantwortbar
Dass du eine Existenz bist, von der materielle Dinge abgeleitet sind, muss dir erst ein Esoteriker beibringen. Von selbst würden dir solche Sprüche nicht einfallen.

In standardmäßigem Hochdeutsch (also dem, das man einem Ausländer beibringen würde), lautet die korrekte Aussage daher "ich atme" (wenn der Satz vom Sprecher selbst handelt - 1. Person) beziehungsweise "du atmest" (wenn der Satz vom Angesprochenen handelt - 2. Person).

Je nach Bedarf lässt sich der Satz anschließend beliebig künstlerisch ausschmücken: Ich beobachte aus Sicht eines Mittelfußknochens die Atmung desjenigen Brustkorbes, welcher mittels einer unteren Extremität in kranialer Richtung an mir befestigt ist.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#318 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Do 6. Apr 2017, 06:02

JackSparrow hat geschrieben:Dass du eine Existenz bist, von der materielle Dinge abgeleitet sind, muss dir erst ein Esoteriker beibringen.
Extrem falsch. - Das sagt Dir jeder, der in der Philosophie zu Ende denkt - vom Grundsatz her fängt das spätenstens mit Platon an.

JackSparrow hat geschrieben:In standardmäßigem Hochdeutsch (also dem, das man einem Ausländer beibringen würde), lautet die korrekte Aussage daher "ich atme" (wenn der Satz vom Sprecher selbst handelt)
Absolut richtig - das würde auch Descartes so sehen. - Aus folgenden Gründen:

1) Innerhalb der Beobachtungsebene stimmt das ohnehin.
2) Es handelt sich hier um einen METHODISCHEN Zweifel - will heißen: "Egal, was wir selber glauben, lautet die Frage: Könnten wir Virtualität feststellen, wenn wir selber virtuell wären? - Antwort: Nein". - Und das hat eben Folgen für die Beurteilung der Frage: "Gibt es etwas, was wir OHNE vorlaufenden Glauben erkennen können?" - Die Antwort ist: "Nein".
3)Hinzu kommt: Selbst wenn der Mensch eine an sich geistige Existenz ohne notwendige Anbindung an Materie ist, ist diese Anbindung vorhanden, solange der Mensch im materiellen Raum existent ist.

In anderen Worten:
Unterm Strich ist das alles gar nicht so dramatisch - aber diese Gedanken sind wichtig zur Einordnung materialistischer, besonders kritisch-rationaler Weltbilder.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#319 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von Pluto » Do 6. Apr 2017, 08:31

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Dann muss auch die Frage erlaubt sein, wo ist dann bei dir noch Platz für Hermeneutik und Spiritualität?
In der Auslegung - lege ich die naturwissenschaftlichen Evidenzen so aus, als wären sie der Ausgangspunkt von Geist - oder lege ich die selben naturwissenschaftlichen Evidenzen so aus, als wären sie Folge von Geist.
Nach allem was wir WISSEN, ist der Geist ein körperlicher Prozess. Somit sind das keine Alternativen, sondern im Grunde genommen dasselbe.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn aber das Wort Glaube Gewissheit bedeutet, wie dies bei einem spirituellen oder religiösen Menschen die Regel ist, so bereitet mir das grundlegend Probleme. Zweifelt man an dieser Vermutung, kommt dann die Antwort, "Spirituelle Aussagen sind nicht falsifizierbar".
So ist es
So falsch es auch sein mag?

closs hat geschrieben:Denn gerade AUS der Begrenztheit unseres Wissens erwächst Glaube - sonst wäre dies ja Wissen.
Meinst du damit Vermutung, oder meinst du Gewissheit?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:sie ist für mich inakzeptabel weil Glaube dann zu einer unbegründete Behauptung erhoben wird.
Stimmt ja ebenfalls nicht - Glaube (im theologischen Feld) ist extrem umfassend begründet - nur eben nicht in naturalistischer Art.
Äh... Ich denke, du lebst dein Leben nach Evidenzen...
Für die Bestätigung des Glaubens, vermag ich keinerlei Evidenzen zu erkennen. Sagtest du nicht, du wolltest dein Leben nach Evidenzen gestalten?

closs hat geschrieben:1) Es gibt in der Tat Fälle, bei denen im Glauben echte Irrtümer mitgeschleift werden - das sind Fehlleistungen.
2) Andererseits darf man Mängel aus Sicht ANDERER (also eigener) Definitionen von "gut"/"böse"/"Moral"/"Geist"/"Bewusstsein" nicht einem Glaubens-System anlasten, dem man gegenübersteht. -
Kann man so sehen... Aber wie willst du das (1) von (2) unterscheiden? Welche Basis haben wir, außer der Evidenz?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#320 Re: Jenseits von Gut und Böse?

Beitrag von closs » Do 6. Apr 2017, 09:36

Pluto hat geschrieben:Nach allem was wir WISSEN, ist der Geist ein körperlicher Prozess.
Nach allem, was wir naturwissenschaftlich wissen, sind geistige Prozesse materiell abgebildet, solange der Mensch lebt. - Das heisst: Wäre Ratzinger in Personalunion Papst und anerkannter Neurowissenschaftler, würde er zum selben Ergebnis kommen wie die Neurowissenschaftler, auf die Du Dich berufst. - DAS ist nicht das Problem.

Pluto hat geschrieben:So falsch es auch sein mag?
Es ist ja nicht falsch. - Um im Beispiel zu bleiben: Würde sich der christlich konservative Neurowissenschaftler mit seinen Kollegen besprechen, würden sie
a) die selben neurowissenschaftlichen Ergebnisse haben, und
b) nicht entscheiden können, ob der Geist vor der Materie oder die Materie vor dem Geist "ist", da dies nicht falsifizierbar ist.

Pluto hat geschrieben:Meinst du damit Vermutung, oder meinst du Gewissheit?
Das ist kategorial dasselbe - persönliche Gewissheit ist eine extrem starke Vermutung.

Pluto hat geschrieben:Für die Bestätigung des Glaubens, vermag ich keinerlei Evidenzen zu erkennen.
Weil Du "Evidenz" rein naturwissenschaftlich definierst. - Der Punkt: "Transzendenter Glaube" (es geht ja nicht um Glauben im Sinne von "Ich glaube, dass es dunkle Materie gibt", sondern "Ich glaube, dass es etwas über das naturwissenschaftlich Erfassbare hinaus gibt") kann im naturwissenschaftlichen weger evident noch un-evident sein - er ist a-evident. (Das Problem: Eigentlich heisst "evident" "augenscheinlich" (von lat. "videre" = "sehen) und ist somit per Definition rein materiell zu verstehen. Dann ist dieses Wort prinzipiell nicht für geistige Sachen zu verwenden, selbst wenn sie als Entität "sind").

Pluto hat geschrieben:Kann man so sehen... Aber wie willst du das (1) von (2) unterscheiden?
Hier gibt es zwar einen objektiven Unterschied (nach christlichem Sprech: "definiert von Gott"), der aber mit UNSEREN Mitteln nicht intersubjektiv darstellbar ist, da "intersubjektiv" impliziert, dass jeder sieht "So ist es". - Und das funktioniert bei unterschiedlichen geistigen Erkenntnisstufen nicht.

Pluto hat geschrieben:Welche Basis haben wir, außer der Evidenz?
Evidenz in DEINEM Sinne ist hier NICHT die Basis.

Antworten