Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Philosophisches zum Nachdenken
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Savonlinna
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#301 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Savonlinna » Sa 6. Dez 2014, 16:52

sven23 hat geschrieben:In diesem Dilemma sind die Götter entstanden.
Woher weiß man das so genau? Wie kannst Du das belegen?
Und warum spricht man von "Gottern", wo es doch im Christentum eindeutig nicht um Götter geht, sondern um den Einen Gott, der allem zugrunde liegt?

Ich verstehe Dich so, dass Du die "Götter" als Ergebnis von Verstehenslücken siehst, die der Mensch sich ausgedacht hat. Meintest Du das so?

Aber "Gott" kann nur ein anderes Wort sein für das, was in uns allen liegt. Man bekämpft dann eigentlich nur Phantome, die es gar nicht gibt.
Ich lehne zwar auch Phantome ab, die es meiner Meinung nach gar nicht gibt - "Begriffshülsen", die nur Produkt logischen Denkens sind -, aber die Gottesvorstellungen sind schon sehr oft aus dem Material, das potentiell in jedem liegt.

closs
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#302 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von closs » Sa 6. Dez 2014, 17:11

sven23 hat geschrieben: Diese Fragen kann der Mensch auf Grund seiner Hirnleistung stellen
Hirnleistung kann sich auch dadurch ausdrücken, dass man immer komplizierte Raketen baut, etc. - Wozu sollte sich überhaupt eine Hirnleistung entwickeln für etwas, was es nicht gibt?

sven23 hat geschrieben: nicht zu verwechseln mit Entwurzelung
Eben - darum geht es mir.

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Andreas
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#303 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Andreas » Sa 6. Dez 2014, 18:09

closs hat geschrieben:Im Sinne der Diskussion hieße dies, dass es nicht "zwei Geister" geben muss (hat eigentlich auch keiner behauptet), sondern dass es funktional verschiedene Dimensionen des Geistes gibt - käme das hin?
Damit könnte ich leben, andere nicht. Man kann sich verschiedene Chiffren oder Modelle für Gott und die Welt ausdenken. Aus deiner ontologisch-dialektischen Blickrichtung ergibt sich dein überdimensionales, transzendentes Modell - mit Stärken (innere Konsistenz) und Schwächen (Vermittelbarkeit).

Ich könnte mir auch ein Modell vorstellen, in dem sich das Gott-Eine ähnlich dem Urknall in die Vielfalt der Gott-Welt manifestiert hat - in der festen Ur-(Sprungs-)Gewissheit, dass es sich selbst wiederfinden, wiedererkennen wird und zwangsläufig zu seiner ursprünglichen Einheit zurückkehrt. Da gäbe es momentan nur die naturalistische Welt, nur Dasein, dass sich langsam immer mehr "transzendiert". Da wäre nicht nur Jesus Fleisch geworden sondern der ganze "Gott" - der ganze Logos. Eine andere Sichtweise der Dreifaltigkeit.

Alles Spekulation, nicht beweisbar. Ich muss das auch gar nicht alles so genau wissen. Ich kann das mitempfinden und mitwissen:
Savonlinna hat geschrieben: Ich kann es (nur im Höchstfalle) als etwas Wohlwollendes beschreiben, weil der Schorf heilen will, weil die Kunst heilen will, weil die Entwicklung der Geschichte und des Individuums heilen will.
Vielleicht sollte man sich wirklich kein (zu genaues) Gottesbild machen - und dieses wundervolle Geheimnis andächtig bewahren, bewahrheiten und ausleben.

Aber wie will man das vermitteln? Gemeinsam würden wir schneller heil. Eine gemeinsame Sprache zu finden ist schwierig, weils dann wieder ideologisch wird - selbst dann, wenn die verbindende Idee "Heilung" heißt.

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sven23
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#304 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von sven23 » Sa 6. Dez 2014, 19:14

Savonlinna hat geschrieben: Woher weiß man das so genau? Wie kannst Du das belegen?
Und warum spricht man von "Gottern", wo es doch im Christentum eindeutig nicht um Götter geht, sondern um den Einen Gott, der allem zugrunde liegt?

Na ja, weil es Jahrtausende vor dem christlichen Gott eine Unzahl von Göttern in anderen Kulturen gab, die teils sehr gut bekannt sind (Griechenland, Ägypten, Sumerer usw.), aber größtenteils als Wald- und Wiesengötter von Naturvölkern für immer im Dunkeln bleiben werden.

Savonlinna hat geschrieben: Ich verstehe Dich so, dass Du die "Götter" als Ergebnis von Verstehenslücken siehst, die der Mensch sich ausgedacht hat. Meintest Du das so?

Genau so. Aber der Mensch hat sich die Verstehenslücken nicht ausgedacht, sondern sie waren halt eine Tatsache. Götter sind aus dem Unverständnis des Menschen über die Welt entstanden. Das ist kein Vorwurf, sondern lediglich eine Erklärung.
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sven23
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#305 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von sven23 » Sa 6. Dez 2014, 19:19

closs hat geschrieben:Hirnleistung kann sich auch dadurch ausdrücken, dass man immer komplizierte Raketen baut, etc. - Wozu sollte sich überhaupt eine Hirnleistung entwickeln für etwas, was es nicht gibt?

Nun, Raketen bauen zu können ist ja eine relativ neue Fähigkeit in der Evolutionsgeschichte des Menschen.
Hirnleistung für etwas, was es nicht gibt, ist kein Argument. Micky Mouse gibts auch nicht, trotzdem können wir sie uns ausdenken und vor unserem geistigen Auge agieren lassen. Nennt man Phantasie in Fachkreisen. ;)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Savonlinna
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#306 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Savonlinna » Sa 6. Dez 2014, 19:34

sven23 hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben: Ich verstehe Dich so, dass Du die "Götter" als Ergebnis von Verstehenslücken siehst, die der Mensch sich ausgedacht hat. Meintest Du das so?
Genau so. Aber der Mensch hat sich die Verstehenslücken nicht ausgedacht, sondern sie waren halt eine Tatsache. Götter sind aus dem Unverständnis des Menschen über die Welt entstanden. Das ist kein Vorwurf, sondern lediglich eine Erklärung.
Meine Frage war so gemeint:
Wie kannst Du das belegen, dass sie so entstanden sind? Und vor allem: dass sie alle so entstanden sind?

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#307 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von closs » Sa 6. Dez 2014, 19:46

Andreas hat geschrieben:Ich könnte mir auch ein Modell vorstellen, in dem sich das Gott-Eine ähnlich dem Urknall in die Vielfalt der Gott-Welt manifestiert hat - in der festen Ur-(Sprungs-)Gewissheit, dass es sich selbst wiederfinden, wiedererkennen wird und zwangsläufig zu seiner ursprünglichen Einheit zurückkehrt.
Auch das ist ok - das "Problem": Wenn man dieselbe Sache erkannt hat, akzeptiert man viele Beschreibungen dafür - solange sie passend sind, aber das erkennt man ja.

Das eigentliche Problem ist:
Andreas hat geschrieben:Aber wie will man das vermitteln?
Genau das ist das Problem: Wie vermittelt man etwas nach außen, was man nach innen gar nicht vermitteln muss, weil es eh klar ist. - "Warum spreche ich in Gleichnissen", heisst es in der Bibel - und das Volk hört zu und versteht nichts. - Meine Hoffnung ist immer noch, dass es eine intellektuelle Brücke gibt, die auch der Agnostiker begehen kann, weil sie logisch klar konstruiert ist - die Hoffnung stirbt zuletzt.

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#308 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von closs » Sa 6. Dez 2014, 19:48

sven23 hat geschrieben:Micky Mouse gibts auch nicht, trotzdem können wir sie uns ausdenken und vor unserem geistigen Auge agieren lassen.
Trotzdem ist es ein kategorialer Unterschied, ob man Daseins-Dinge erfindet oder Transzendentes findet.

Pluto
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#309 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Pluto » Sa 6. Dez 2014, 20:06

Savonlinna hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:In diesem Dilemma sind die Götter entstanden.
Woher weiß man das so genau? Wie kannst Du das belegen?
Wie viele Götter und Götzen die Menschheit in ihrer Geschichte schon hervorgebracht hat weiß man nicht, aber die Schätzungen überschreiten die zehntausend.

Savonlinna hat geschrieben:Und warum spricht man von "Gottern", wo es doch im Christentum eindeutig nicht um Götter geht, sondern um den Einen Gott, der allem zugrunde liegt?
Wer weiß das schon?
Die Ägypter haben gezeigt, wie man vom Polytheismus zum Monotheismus wechselt, nämlich per Dekret des Pharao.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Savonlinna
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#310 Re: Ontologie & Sein - Descartes, Plato und Heidegger

Beitrag von Savonlinna » Sa 6. Dez 2014, 20:10

Andreas hat geschrieben:Ich könnte mir auch ein Modell vorstellen, in dem sich das Gott-Eine ähnlich dem Urknall in die Vielfalt der Gott-Welt manifestiert hat - in der festen Ur-(Sprungs-)Gewissheit, dass es sich selbst wiederfinden, wiedererkennen wird
Diese Sicht kommt der meinen nahe. Denn Menschen wollen sich wiedererkennen in ihrer Einheit, auch wenn das fast immer gegenteilige Formen annimmt. Aber das Bedürfnis, sich als eins zu erkennen, kann als stets dahinterstehend wahrgenommen werden, möglicherweise in sämtlichen Bestrebungen der Menschen.

Andreas hat geschrieben:und zwangsläufig zu seiner ursprünglichen Einheit zurückkehrt.
Das allerdings sehe ich eher als Ausfluss kultureller Überlieferung. Da wird oft gesagt, dass man alles rückgängig machen will, damit die ursprüngliche Einheit wieder hergestellt wird.
Ich kann das nicht beobachten. Alles, was ich bei Lebendigem wahrnehmen kann, "wächst", will wachsen, muss wachsen.
Es ist schöpferisch, alles Lebendige ist schöpferisch. Darum nehme ich das Geschehen eher so wahr, dass sich neue Einheiten herauskristallisieren.
Möglicherweise meinst Du das auch so, denn ich meine, bei Dir sowas schon mal gelesen zu haben. Welche Seinsformen der Mensch noch erreichen wird, wissen wir nicht, aber er ist ewig am Tun und Machen, neue Seinsformen zu erschließen.
Das ganze Internet ist entstanden, um uns miteinander zu verbinden.

Andreas hat geschrieben:Aber wie will man das vermitteln? Gemeinsam würden wir schneller heil. Eine gemeinsame Sprache zu finden ist schwierig, weils dann wieder ideologisch wird - selbst dann, wenn die verbindende Idee "Heilung" heißt.
Man muss es nicht vermitteln. Es genügt, es niederzuschreiben. Wer schon ähnliche Erfahrungen gemacht hat, wird darauf sofort anspringen. Ich habe meine stärksten Hilfen durch Bücher bekommen, deren Autoren schon längst verstorben sind. Da konnte ich nach dem suchen, was ich brauchte.

Ich meinte das mit dem Heilwerden auch eher in dieser Richtung. Irgend ein Etwas führt einem etwas zu, das einen weiterbringt. Wenn wir wirklich alle aus einem Mus-Pott kommen, dann kann man sich doch einen Riesencomputer vorstellen, in dem alle Gedanken und Empfindungen aller Menschen herumschwirren und einander beeinflussen.
Das wäre dann - für mich - dieses große "Ich bin". "Ich" bin alles, was da in diesem Riesencomputer rumschwirrt, alles davon ist mir zugänglich. Was davon mein Spatzenhirn erreicht, weiß ich nicht, man rechnet jedenfalls aus Gewohnheit alles seinem kleinen Ich zu.

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