Novalis hat geschrieben:Das ist eine ganz falsche Fährte. Es geht im christlichen Glauben um Liebe, den Weg der Menschwerdung, nicht um moralische Perfektion. Selbst die liebsten und besten Menschen sind alles andere als fehlerlos.
Denk bitte nicht digital, schwarz oder weiß. Niemand hat was von fehlerlos gesagt, auch ich nicht.
Ich drücke es dann etwas anders aus: wer ständig die Worte Liebe und Nächstenliebe in den Mund nimmt, sollte auch in irgendeiner Weise liebevoll rüberkommen.
Als Jesus gut genannt wird, so ist seine Antwort, dass alleine Gott vollkommen und gut ist (Markus 10,18).
Erneut digitale Denke. Wo hat irgendwer behauptet, Christen müssten vollkommen sein?
Die Pharisäer und Schriftgelehrten haben sich die höchste Moral auf die Fahnen geschrieben, aber gerade diese kritisierte Jesus.
Dann sind sehr viele hier Pharisäer.
Bei Jesus geht es darum, dass der Mensch sein wahres Selbst und Sein-in-Gott realisiert, nicht um moralische Perfektion.
Und erneut das Wort Perfektion... Da du sehr digital denkst, frage ich nach: Hat Christsein dann gar nichts mit Moral zu tun?
Augustinus sagte: Liebe und tu, was Du willst. Denn aus der Liebe entspringt mühelos und spontan die richtige Moral. Das "Böse" ist umgekehrt ein Mangel an Liebe bzw. die Verweigerung der Selbsttranszendenz.
Augustinus hatte vor allem im Alter ein sehr negatives Menschenbild ("massa damnata") - fast alle sind verdammt... Endlose Folter und Qual für die meisten Menschen... Davon ging er aus. Ob ich da viel seiner Liebe erkennen kann? Aber Augustinus ist ein Thema für sich.
Die Funktion von Religion besteht darin, dass sie den Menschen über seinen egozentrischen Tellerrand hinaus führt.
Diese These halte ich für sehr überheblich - das würde bedeuten, alle nicht religiösen Menschen wären zwangsläufig Egozentriker. Das bezweifle ich.
Es ist eine anthropologische Tatsache, dass der Mensch ein tiefes inneres Bedürfnis nach Transzendenz in sich trägt. Um diese Transzendenz geht es primär, moralische Systeme sind eher sekundär. Trotzdem sind sie nötig, so wie eine Straßenverkehrsordnung.
Um allgemeine Transzendenz ging es mir nicht. Dass wir einen Hang zur Mystik besitzen, ist klar. Nur was kann man daraus folgern? Folgt daraus, dass Atheisten die Sündenböcke für alles sind? Das sehe ich eben nicht so.
Wie viele Atheisten behaupten, im alleinigen Besitz der Vernunft zu sein? Alle? Viele?
Ja, ständig wird religiösen Menschen die Vernunft abgesprochen. Nicht immer wird das offen und direkt gesagt, aber es ergibt sich aus der Argumentationsweise.
Ich habe die Frage direkt mit einer Parallelfrage verknüpft. Isoliert ergibt sich ein anderer Sinn. Das ist dir vermutlich nicht aufgefallen?
Beispielsweise wenn der Gottesglaube mit dem Verweis auf das Spaghettimonster lächerlich gemacht wird. Die implizite Aussage ist: "euer Glaube ist genau so lächerlich, genau so dumm und unvernünftig, aber wir erklären nun, wie vernünftige Menschen die Welt zu betrachten haben"
Ich sehe nicht, wo dein Glaube vernünftiger als der Glaube an das Spaghettimonster ist. Beides ist irrational. Und eigentlich geht es ja auch darum - man soll glauben, ohne zu wissen. Man soll sich in das Irrationale stürzen, es wird ja quasi verlangt. Dann kann man aber nicht beleidigt sein, wenn jemand Glaube als irrational bezeichnet. Das verstehe ich nicht.
Ich würde erwarten, dass Christen im Durchschnitt zumindest weniger Leid als Nichtchristen verursachen / verursachten.
Wenn jemand den spirituellen Weg geht, der zu einer inneren Transformation des Menschen führt, dann stimmt das auch.
Möglich, aber auch das wäre zu begründen. Ich sehe, dass meist oder zumindest sehr oft das, was der Gläubige für sich erkennt, entscheidet, was er als gut und böse, als richtig und falsch ansieht, auf andere projeziert und von diesen die gleichen Maßstäbe verlangt. Sonst würden nicht so viele Christen Homosexuelle diskriminieren (insbesondere die russich orthodoxe und die katholische Kirche, aber noch mehr evengelikale Strömungen).
Im östlichen orthodoxen Christentum wird von der Vergöttlichung gesprochen. Die Bestimmung des Menschen, die Zielrichtung seiner spirituellen Evolution, ist die „Teilhabe an der göttlichen Natur“, wenn wir das mit dem christlichen Wortschatz sagen. Das bedeutet tatsächlich, dass der Mensch friedlicher und liebevoller wird.
Ich erlebe leider eher das Gegenteil. Friedlich und liebevoll erlebe ich meist Menschen, die (zum Glück) nur latent glauben, die sich nicht zu sehr in die Bibel vertiefen, die nicht alles zu ernst nehmen und sich einfach in ihrem Gottesbild geborgen fühlen. Sobald die Beschäftigung mit der Bibel beginnt, hört oft die Freundlichkeit auf und wird durch eine Scheinfreundlichkeit ersetzt. Jedenfalls erlebe ich das oft so. Und dann kippt das Liebevolle auch schnell weg. Leider!
Ich kenne sehr liebevolle Gläubige - darunter auch Menschen, die intensiv glauben. Aber das sind dann Ausnahmen (und darunter sind keine bibeltreuen Christen - ich habe erst einen bibeltreuen Christ kennengelernt, den ich wirklich als zutiefst menschlich und nett empfand - aber selbst er kann umschalten und sehr hart werden, wenn es um Dinge geht, die gesellschaftlich erlaubt sind, aber für ihn verboten).
Nein, ich kenne wirklich nur sehr wenige Menschen, denen ich abnehme, dass sie wegen ihres christlichen Glaubens liebevoll sind - vielleicht sind sie auch von sich aus sehr nett, freundlich, liebevoll und ihr Glaube unterstützt sie da. Ich kenne aber sehr viele, die aus ihrem Glauben heraus die Moralkeule schwingen und für mich das Gegenteil ausstrahlen. Sie sind oberflächlich nett, aber wehe, die Maske fällt.