Undogmatischer Atheismus

Philosophisches zum Nachdenken
Novas
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#31 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Novas » Do 10. Dez 2015, 06:01

closs hat geschrieben:"Gewissheit" ist richtig - aber das ist eben NICHT Wissen (sonst könnte man auch "Wissen" sagen)

Gewissheit ist eine diplomatische Formulierung. Ich würde verschiedene Arten und Weisen des Wissens unterscheiden, wozu ich auch spirituelles Wissen zähle, wie es beispielsweise in der Herzensmystik von Augustinus sichtbar wird:

Kehret in euer Herz zurück! Durch Umherschweifen geht ihr in die Irre: kehret zurück! Wohin? Zum Herrn. Schnell! Zuerst kehre in dein Herz zurück. Ausgewandert von dir, schweifst du draußen umher; du kennst dich selbst nicht und fragst nach dem, von dem du geschaffen bist. Kehre zurück, kehre in dein Herz zurück, reiße dich los vom Leibe! Dein Leib ist deine Wohnung. Dein Herz nimmt auch durch deinen Leib wahr; aber dein Leib ist nicht, was deine Seele ist.

Kehre in dein Herz zurück! In deinem Leib fandest du anderswo die Augen, anderswo die Ohren; findest du dies etwa auch in deinem Herzen? Oder hast du in deinem Herzen keine Ohren? Welches sind also die, von denen der Herr sagte: "Wer Ohren hat zu hören, der höre!" (Lk 8,8)? Oder hast du in deinem Herzen keine Augen? Der Apostel spricht doch von "erleuchteten Augen eures Herzens" (Eph 1,18).

Kehre in dein Herz zurück! Sieh dort, was du etwa von Gott denkst, weil dort das Bild Gottes ist! Im inneren Menschen wohnt Christus, im inneren Menschen wirst du erneuert zum Bilde Gottes, in seinem Bilde erkenne dessen Urheber.


Aurelius Augustinus


Ich würde hier von einer inneren Wahrheit sprechen. Den christlichen Weg kann man beschreiben, als das Hinabsteigen vom Kopf zum Herzen, weshalb ich von einem Wissen des Herzens spreche. Das ist ein lebendiges Wissen, in welches man immer wieder neu und frisch Einsicht gewinnt.

Manchmal wird auch vom sensus fidelium („Glaubenssinn“) gesprochen, den die Menschen (von Herz zu Herz) miteinander teilen. Es gibt unsre persönliche innere Erfahrung und es gibt das Zusammenspiel mit der Überlieferung, die uns dabei helfen kann, diese Erfahrung zu deuten. Im Buddhismus gibt es das ebenso: die Übertragung des Dharma (Lehre) geschieht innerhalb der Sangha (spirituellen Gemeinschaft).
Gesprochen wird hier auch von der „Herz zu Herz Übertragung“. ;) Ein Sinnbild dafür ist die wortlose Weitergabe der Lehre von Buddha an Mahakasyapa in der sogenannten Blumen-Predigt.

Konfuzius unterschied drei Wege, um zu Weisheit zu gelangen:
* Durch Nachdenken, das ist der Edelste.
* Durch Nachahmen, das ist das Leichteste.
* Durch Erfahrung, das ist das Bitterste.
und ich würde noch hinzu fügen:
* Durch das Herz, das ist der vollkommene, weil alle Aspekte des Weges darin vereint sind und der ganze Mensch angesprochen, gemeint und herausgefordert.

Es mag schon sein, dass die eigene Erfahrung genügt - rein individualistisch und ohne Gemeinschaft - aber das kann ziemlich bitter sein und daraus kann eine frustrierende Ego-Tour werden, die nur an der Oberfläche bleibt; das Herz hingegen will sich verbinden und schafft Orte der Zugehörigkeit, wo Bewusstsein und Wissen geteilt wird und sich entfalten darf.

Die Seele der Dinge / läßt mich ahnen … // … Ich höre das Herz des Himmels / pochen / in meinem Herzen. Rose Ausländer.

* * *

Said: herr / begreife

ich will nicht unterworfen sein … // … und fürchte dich nicht vor meinem wort / denn es sucht dich mit mir zu verbinden
https://lebensraumpsalmen.wordpress.com ... a-psalmen/

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#32 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von closs » Do 10. Dez 2015, 07:42

Schön gesagt. :Herz:

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Queequeg
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#33 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Queequeg » Do 10. Dez 2015, 08:24

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Ja doch Kurt, Menschsein ist alles.Erneut: Eigentlich gehört die Bibel (vor allem das AT) nicht in die Hände des "Volks" - es kann nur verwirren. - Eigentlich sollte die Bibel nur von fitten Theologen gelesen werden (das ist übrigens der Grund, warum es einen katholischen Kathechismus gibt - den ich übrigens in vielen Punkten NICHT schätze).

Die gute alte Bibel, ein gefährliches Buch, für closs..., für die christlichen Generalstäbler sowieso...

* editiert *

Benedikt XVI. alias Kardinal Ratzinger: "Der christliche Gläubige ist eine einfache Person. Aufgabe der Bischöfe ist es deshalb, den Glauben dieser kleinen Leute vor dem Einfluss von Intellektuellen zu bewahren."

Clossen, clossen, das du einer der fanatischen Dunkelmänner christlicher Zerwürgungen bist, das wissen wir ja nun.
* editiert * (Pluto)

Novas
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#34 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Novas » Do 10. Dez 2015, 09:23

"Der christliche Gläubige ist eine einfache Person. Aufgabe der Bischöfe ist es deshalb, den Glauben dieser kleinen Leute vor dem Einfluss von Intellektuellen zu bewahren."

Das christliche Leben ist geprägt von einer spirituellen Perspektive, also kann der weltliche Maßstab dann nicht mehr das Höchste sein. Es gibt tatsächlich schädliche Einflüsse vor denen man sich besser in Acht nimmt, aber das hat eher etwas mit Selbstverantwortung und selbstständiger Wahrheitssuche zu tun.

Wie stehst Du beispielsweise zum "Transhumanismus"?
Zuletzt geändert von Novas am Do 10. Dez 2015, 09:27, insgesamt 1-mal geändert.

Pluto
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#35 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Pluto » Do 10. Dez 2015, 09:26

Novalis hat geschrieben:Gewissheit ist eine diplomatische Formulierung. Ich würde verschiedene Arten und Weisen des Wissens unterscheiden, wozu ich auch spirituelles Wissen zähle, wie es beispielsweise in der Herzensmystik von Augustinus sichtbar wird:
Zur Zeit von Augustinus glaubte man an die Prämisse, dass das Herz der Sitz des Geistes ist.
Wie wir heute wissen, ist aber diese Prämisse falsch, sodass auch daraus entstehenden Schlussfolgerungen falsch sind.

Novalis hat geschrieben:Ich würde hier von einer inneren Wahrheit sprechen.
Da wir keine Wahrheiten kennen können, ist auch diese Prämisse falsch. Dies trifft dann ebenso auf etwaige daraus entstehenden Schlussfolgerungen.

Novalis hat geschrieben:Konfuzius unterschied drei Wege, um zu Weisheit zu gelangen:
* Durch Nachdenken, das ist der Edelste.
* Durch Nachahmen, das ist das Leichteste.
* Durch Erfahrung, das ist das Bitterste.
und ich würde noch hinzu fügen:
* Durch das Herz, das ist der vollkommene, weil alle Aspekte des Weges darin vereint sind und der ganze Mensch angesprochen, gemeint und herausgefordert.
Kein Zweifel... Konfuzius war sicher weise, denn er wusste dass Weisheit ohne Anstrengung nicht zu erreichen ist.

Novalis hat geschrieben:Said: herr / begreife

ich will nicht unterworfen sein … //
Das ist gut, sehr gut! :thumbup:
Jede Unterwürfigkeit ist schlecht, was nicht bedeutet, dass man stolz sein muss.

Leider gibt es selbst heute noch viel zu viele Menschen, die sich am liebsten als Sklaven des Herrn sehen möchten.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#36 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Janina » Do 10. Dez 2015, 09:27

Pluto hat geschrieben:Viele Gottgläubige Menschen scheinen zu glauben, ein Atheist sei unfähig zu meditieren oder nach seinem Gefühl zu urteilen.
Warum machen die Gottgläubigen diesen Fehler?
Hey, nicht pauschalisieren, ja! :x

Münek hat geschrieben:sicher war sie überrascht, dass ein Atheist (als solcher hatte ich mich natürlich geoutet) so lieb sein kann.
Natürlich, sonst fressen sie ja Babyfleisch! :lol:

ThomasM hat geschrieben:Als Axiome haben diese Aussagen dann ohne weitere Begründung den Status "Wahr", weil sie so offensichtlich sind, dass sie keiner Begründung bedürfen (das ist die Formulierung bei mathematischen Axiomen).
Oder man kann sie wahlweise weglassen.
Wenn man z.B. Euklids Parallelenaxiom weglässt, wird die Geometrie eben nichteuklidisch. Auch das ist nützlich.

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#37 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Pluto » Do 10. Dez 2015, 09:44

Janina hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Viele Gottgläubige Menschen scheinen zu glauben, ein Atheist sei unfähig zu meditieren oder nach seinem Gefühl zu urteilen.
Warum machen die Gottgläubigen diesen Fehler?
Hey, nicht pauschalisieren, ja! :x
Mach ich doch gar nicht. Fühlst du dich denn angesprochen?

Janina hat geschrieben:Natürlich, sonst fressen sie ja Babyfleisch! :lol:
Ist sicher auch viel gesünder.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#38 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Novas » Do 10. Dez 2015, 09:46

Pluto hat geschrieben:Zur Zeit von Augustinus glaubte man an die Prämisse, dass das Herz der Sitz des Geistes ist. Wie wir heute wissen, ist aber diese Prämisse falsch

Die entscheidende Frage ist doch, was mit „Herz“ gemeint ist, wenn solch ein Wort in einem geistlichen Kontext gebraucht wird und weshalb Menschen auf solche Worte kommen, wenn sie das Wesentliche des menschlichen Lebens beschreiben. Sie sind halt keine Roboter..... :wave:

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#39 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Novas » Do 10. Dez 2015, 09:51

Pluto hat geschrieben:Leider gibt es selbst heute noch viel zu viele Menschen, die sich am liebsten als Sklaven des Herrn sehen möchten.

Irgendeinem „Herren“ dient man immer. Die Frage ist: was ist der deine? Viel Auswahl gibt es da nicht: entweder lebe ich eher aus dem Ego (und verbleibe im Ego-Tunnel) oder ich folge dem Heiligen Geist (was bedeutet, dass ich den Tunnel verlasse! ;) )
Zuletzt geändert von Novas am Do 10. Dez 2015, 09:55, insgesamt 2-mal geändert.

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#40 Re: Undogmatischer Atheismus

Beitrag von Queequeg » Do 10. Dez 2015, 09:52

Hemul hat geschrieben:
Münek hat geschrieben: Solche Gelegenheiten ergeben sich immer wieder im Alltag...(mal jeden Tag, mal alle paar Wochen)
Neulich lief ich an einem regnerischen Tag an einer alten Frau (85 Jahre) vorbei, die an einer verkehrsbelebten Straße geschützt unter dem Vordach eines Discounters völlig allein ihren in Plastik eingehüllten "Wachtturm" und "Erwachet" vor sich hielt. Starr wie eine Statue.
Also `ne Zeugin Jehovas.
Ich kehrte um und habe sie einfach angesprochen (weil es ja sonst keiner tat) und dann kamen wir ins Gespräch. Erst wollte sie mich missionieren: "Denken Sie nicht auch angesichts der schreckliche Kriege, dass..." Habe ich weggedrückt und sie gefragt, wie alt und wie lange sie denn schon bei den "Zeugen Jehovas" sei.
"Ich bin 85 und schon seit 55 Jahren bei den Zeugen Jehovas." Wir haben uns noch eine viertel Stunde gemütlich unterhalten. Und ich habe mich nicht gescheut, dieser alten, mir völlig fremden Frau wie vertraut meinen Arm begütigend/beschützend/liebevoll um ihre Schulter zu legen - und wir haben auch viel gelacht. Sie fühlte sich sehr wohl - und ich wollte ihr auch dieses Gefühl des Wohlfühlens auch vermitteln. Mitten in der umtriebigen Stadt.
Ich kehrte kurz darauf zurück und natürlich ging ich nochmal auf diese nette 85jährige tapfere alte Dame zu (sie hat im Stehen und im Sitzen Schmerzen) und wir redeten noch ein bisschen - und sicher war sie überrascht, dass ein Atheist (als solcher hatte ich mich natürlich geoutet) so lieb sein kann.
Warum hast Du Wolf im Schafspelz Dich nicht als der geoutet der Du in Wirklichkeit bist-nämlich als Gottes u. ZJ Hasser? :roll:

Warum hast Du der Oma eigentlich folgende Wahrheit vorenthalten?
Münek hat geschrieben:Unglaublich!! Tolle Sektenbosse, die die Kinderschänder in ihren eigenen Reihen schützen... :chapeau:
Jehova freut sich angesichts der Missbrauchsopfer :thumbup: und Jesus ist ganz begeistert! :clap:
Für Deine Offenheit wäre sie Dir sicherlich sehr dankbar gewesen-meinste nicht auch? :roll:

Münek hat einfach in dieser Frau, trotz ZJ, den Menschen als Menschen gesehen.

Das wirst du, aus der Spezies der sektiererischen Crashtest-Dummys zwar niemals verstehen können, aber Müneks Beitrag hat immerhin deutlich aufgezeigt, wie man sich als Atheist/Agnostiker/Humanist auch gegenüber den Zeugen Jehovas verhalten kann.

Das ist eben immer der Unterschied, als gläubiger Mensch auch Mensch geblieben sein, wie die alte Frau, oder als fanatischer, ewig schlecht gelaunter und ewig hassender Christ sinnenlos durch die Welt zu wanken, so wie du.
Zuletzt geändert von Queequeg am Do 10. Dez 2015, 09:53, insgesamt 1-mal geändert.

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