Die Früchte des Reduktionismus.

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#31 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » Mo 22. Dez 2014, 13:17

sven23 hat geschrieben: Warum fällt es dir eigentlich so schwer einzugestehen, daß wir optischen Sinnestäuschungen erliegen.
Hast Du mein Beispiel nicht verstanden?

Pluto
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#32 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » Mo 22. Dez 2014, 13:49

closs hat geschrieben:Bei 10° C ist ein Speiseeis zu warm, eine Suppe aber zu kalt. - Das Gehirn sagt also: "Selbst wenn die Temperatur objektiv dieselbe ist, ist sie im einen Fall zu hoch und im anderen zu niedrig". - Und da lässt sich das Gehirn auch nicht umstimmen, obwohl es kognitiv erkennt, dass es in beiden Fällen 10°C sind. - Das ist kein Mangel, sondern ein Vorteil des Gehirns - es denkt holistisch.
Nicht ganz.
Gefühle sind in der Regel holistisch. Der Verstand arbeitet aber in der Regel reduktiv. Das geht auch sehr klar aus deinem Beispiel mit der Suppe und dem Eis hervor.


PS: Magst du denn kein Gazpacho?
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closs
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#33 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » Mo 22. Dez 2014, 13:59

Pluto hat geschrieben:Das geht auch sehr klar aus deinem Beispiel mit der Suppe und dem Eis hervor.
Moment - aber hier ist es doch gerade das Gehirn, das begreift, dass 10° (die reduktiv immer 10° sind) in einem Fall zu kalt und im anderen Fall zu warm sind - das würde ich holistisch nennen.

Oder nimm Svens Beispiel mit den Quadraten A und B - sie sind reduktiv die gleiche Farbe, wären jedoch im jeweiligen Kontext zu dunkel oder zu hell - also hilft das Gehirn holistisch nach. - Oder nimm Deinen "rosa Kreis" - reduktiv ist es kein Kreis, holistisch ist es jedoch ein Kreis, weil die Einzelteile insgesamt die Silhouette eines Kreises bilden.

Diese Diskussion könnte man mühelos übertragen auf "historisch-kritische Exegese" (reduktiv) und "gleichnishafte/geistige Exegese" (holistisch). - Und da würde ein geistiger Mensch sagen: Das Holistische ist das, was aus reduktiven Vorlagen Sinn macht - also die reduktiven Vorlagen nicht als Eigen-Sinn anerkennt. - Ich glaube, wir kommen mit diesem Bild in den Kern der Sache.

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#34 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » Mo 22. Dez 2014, 14:27

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das geht auch sehr klar aus deinem Beispiel mit der Suppe und dem Eis hervor.
Moment - aber hier ist es doch gerade das Gehirn, das begreift, dass 10° (die reduktiv immer 10° sind) in einem Fall zu kalt und im anderen Fall zu warm sind - das würde ich holistisch nennen.

Oder nimm Svens Beispiel mit den Quadraten A und B - sie sind reduktiv die gleiche Farbe, wären jedoch im jeweiligen Kontext zu dunkel oder zu hell - also hilft das Gehirn holistisch nach. - Oder nimm Deinen "rosa Kreis" - reduktiv ist es kein Kreis, holistisch ist es jedoch ein Kreis, weil die Einzelteile insgesamt die Silhouette eines Kreises bilden.
Du sprichst von "Gehirn", meinst aber Gefühle. Gefühlt sind die Quadrate einmal schwarz und einmal weiß. Auch die Illusion des lila Rings ist ein Gefühl.
Der Vestand arbeitetet reduktionistisch. Deshalb weiß er dass kein Ring da ist, dass die Quadrate gleich sind, und Suppe und Eis beide 10 Grad warm sind.

Fazit:
Es ist offenbar manchmal schwierig Gefühl und Verstand auseinander zu halten. Deshalb ist eine reduktive Betrachtungsweise so enorm wichtig, will man die Welt wirklich verstehen.

closs hat geschrieben:Diese Diskussion könnte man mühelos übertragen auf "historisch-kritische Exegese" (reduktiv) und "gleichnishafte/geistige Exegese" (holistisch). - Und da würde ein geistiger Mensch sagen: Das Holistische ist das, was aus reduktiven Vorlagen Sinn macht - also die reduktiven Vorlagen nicht als Eigen-Sinn anerkennt. - Ich glaube, wir kommen mit diesem Bild in den Kern der Sache.
Genau das war mein Hintergedanke, als ich diesen interessanten Thread abtrennte. ;)
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#35 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » Mo 22. Dez 2014, 16:12

Pluto hat geschrieben:Du sprichst von "Gehirn", meinst aber Gefühle.
Nein - es ist pure Vernunft, wenn das Gehirn holistisch agiert. - Die Wahrnehmung, dass die reduktiv gleiche Farbe im Kontrast zu x heller als im Kontrast y ist, ist eine rationale Leistung. - Der Verstand/die Vernunft soll doch gerade in der Lage sein, reduktive Puzzles in einen vernünftigen Kontex zu bringen - wäre Vernunft reduktives Puzzling, könnte das auch ein Komputer machen - dann bräuchten wir keinen Verstand.

Pluto hat geschrieben:Es ist offenbar manchmal schwierig Gefühl und Verstand auseinander zu halten.
Gefühl ist etwas ganz anderes - etwa: "Ist dieses Hellgrau aber schön".

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#36 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » Mo 22. Dez 2014, 16:47

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Du sprichst von "Gehirn", meinst aber Gefühle.
Nein - es ist pure Vernunft, wenn das Gehirn holistisch agiert.
Nein. Das ist gefühlsmäßig intepretiert. Vernunft ist hingegen die Folge eingehender Prüfung und Analyse.

closs hat geschrieben:Die Wahrnehmung, dass die reduktiv gleiche Farbe im Kontrast zu x heller als im Kontrast y ist, ist eine rationale Leistung.
Die Wahrnehmung dass die reduktiv gleiche Farbe im Kontrast zu x heller als im Kontrast y ist, ist eine Wahrnehmung. Punkt.
Das Gehirn wird hier düpiert. Erst mit der Vernunft der Analyse erkennen wir, dass die Grautöne gleich sind.

closs hat geschrieben:Der Verstand/die Vernunft soll doch gerade in der Lage sein, reduktive Puzzles in einen vernünftigen Kontex zu bringen
Es ist doch wegen der Komplexität der Wahrnehmung eben nicht.
closs hat geschrieben:wäre Vernunft reduktives Puzzling, könnte das auch ein Komputer machen - dann bräuchten wir keinen Verstand.
So ist es in der Tat.
Unser Verstand arbeitet wie ein Computer, nur der Computer ist genauer.
Gefühlt sind die Quadrate schwarz/weiß. Die Vernunft (unser Computer) sagt uns aber, dass der Grauton derselbe ist.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Es ist offenbar manchmal schwierig Gefühl und Verstand auseinander zu halten.
Gefühl ist etwas ganz anderes - etwa: "Ist dieses Hellgrau aber schön".
Auch das, ja. Aber nicht nur...
Wahrnehmen tun wir mit unseren Sinnen. Danach kommt der erste Eindruck (schwarzes. bzw. weißes Quadrat, oder "ach ist das schön"), und dann erst die verstandesmäßige Erkenntnis (Hä! die Quadrate sind doch gleich). Das ist beim "lila Ring" so, und auch beim Mann im Mond.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#37 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » Mo 22. Dez 2014, 17:12

Pluto hat geschrieben:Nein. Das ist gefühlsmäßig intepretiert. Vernunft ist hingegen die Folge eingehender Prüfung und Analyse.
Interessant - da haben wir doch wiedermal was aufgedeckt.

"Vernunft" im geistigen Sinn ist holistisch gemeint und eben NICHT "Computer-Arbeit". - Das Reduktive ist objektiv, handwerklich, genau, unreflektierend - dieses würde ich nie das Attribut "Vernunft" versehen. - "Vernunft" ist das, was man mit Geist draus macht.

Jetzt verstehe ich aber wenigstens, warum der Begriff der spirituellen Vernunft gelegentlich auf Widerstand stößt. - Der eine meint, dass das Reduktive "vernünftig" ist - der andere meint, dass mit dem Vorliegen des Reduktiven überhaupt erst die Vernunft im Sinne einer geistigen Gestaltung bzw. Interpretation anfängt.

"Die theoretische Vernunft ist nach Kant die Fähigkeit, Schlüsse zu ziehen, sich selbst zu prüfen und unabhängig von der Erfahrung zu den apriorischen Vernunftsideen (Seele, Gott, Welt) zu gelangen" (wik).

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#38 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » Mo 22. Dez 2014, 17:28

closs hat geschrieben:"Vernunft" im geistigen Sinn ist holistisch gemeint und eben NICHT "Computer-Arbeit". - Das Reduktive ist objektiv, handwerklich, genau, unreflektierend - dieses würde ich nie das Attribut "Vernunft" versehen. - "Vernunft" ist das, was man mit Geist draus macht.
Wie ich schon zuvor sagte, es ist manchmal schwierig Vernunft von Gefühl zu trennen. Das gilt vor allem dann wenn es sich um Illusionen handelt, wie im Fall von Svens Schachbrettmuster. Aber was solls... bleiben wir bei deinen Definitionen.
Das was du "Vernunft" nennst, vermittelt den Eindruck, dass die Quadrate schwarz/weiß sind. Eine Messung der tatsächlichen Lichtreflektion zeigt uns, dass es sich hierbei um eine Illusion handelt.

Es hat wieder mal mit dem alten Thema zu tun: Wahrnehmung vs. Realität.

closs hat geschrieben:Jetzt verstehe ich aber wenigstens, warum der Begriff der spirituellen Vernunft gelegentlich auf Widerstand stößt. Der eine meint, dass das Reduktive "vernünftig" ist - der andere meint, dass mit dem Vorliegen des Reduktiven überhaupt erst die Vernunft im Sinne einer geistigen Gestaltung bzw. Interpretation anfängt.
Die oben beschriebene Messung zeigt uns wie leicht sich das Gehirn trotz seiner angeblichen Vernunft, zu falschen Schlussfolgerungen verleitet werden kann.
Mehr noch... sie tut dies ganz ohne die Reduktion zu bemühen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#39 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » Mo 22. Dez 2014, 19:09

Pluto hat geschrieben:Wie ich schon zuvor sagte, es ist manchmal schwierig Vernunft von Gefühl zu trennen.
Es liegt nicht an der Schwierigkeit, Vernunft von Gefühl zu unterscheiden, sondern an einer reduktiven Definition von Vernunft.

Pluto hat geschrieben:Das was du "Vernunft" nennst, vermittelt den Eindruck, dass die Quadrate schwarz/weiß sind.
Nein - sondern dass aufgrund der jeweiligen Hintergründe das Gehirn vernünftigerweise die Kontraste verstärkt.

Pluto hat geschrieben:Eine Messung der tatsächlichen Lichtreflektion zeigt uns, dass es sich hierbei um eine Illusion handelt.
Im Vergleich zu den jeweiligen Hintergründen ist es keine Illusion - im Vergleich der beiden Quadrate ist es eine Illusion.

Pluto hat geschrieben:Die oben beschriebene Messung zeigt uns, wie leicht sich das Gehirn trotz seiner angeblichen Vernunft, zu falschen Schlussfolgerungen verleitet werden kann.
Du übersiehst, dass dies keine Fehlleistung, sondern absichtlich ist. Es dient der Verdeutlichung der jeweiligen Kontraste.

Was man dem Gehirn "vorwerfen" könnte, wäre, dass es nicht auf die Idee kommt, die beiden Quadrate in Relation zu setzen. - Wahrscheinlich tut es das nicht, weil es auf reale Lebens-Situationen genormt ist, denen es gerecht werden will. - Und so wird es reduktiv in der Tat hinters Licht geführt. - In einer nicht-konstruierten ähnlichen Situation würde es genau denselben "Fehler" wiedermachen, weil es guten Grund hat, die Wahrnehmung korrelierender Teile (Quadrat - Zylinder) zu verdeutlichen - der Vergleich "Quadrat - Quadrat" wäre dagegen unwahrscheinlich (im wirklichen Leben).

Dass Du reduktiv recht hast, steht überhaupt nicht zur Disposition - es geht um die Wertung. - Und diese Wertung ist unterschiedlich: Du sagst, dass das Gehirn einen gefühlsmäßigen Fehler macht - ich sage, dass das Gehirn seine Urteilskraft einsetzt, in diesem Fall aber aufgrund dessen natur-fernen Konstruktion hinters Licht geführt wird. - In 999 von 1000 Fällen wird diese Urteilskraft vernünftig sein.

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#40 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » Mo 22. Dez 2014, 20:03

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das was du "Vernunft" nennst, vermittelt den Eindruck, dass die Quadrate schwarz/weiß sind.
Nein - sondern dass aufgrund der jeweiligen Hintergründe das Gehirn vernünftigerweise die Kontraste verstärkt.
Du übersiehst das Wesentliche.
Das Interessante an Svens Illustration ist die Illusion der schwarz/weißen Quadrate, die in Wirklichkeit (beim Nachmessen) gleich sind.

closs hat geschrieben:Du übersiehst, dass dies keine Fehlleistung, sondern absichtlich ist.
Ob Absicht oder nicht, jeder fällt auf die Illusion rein.

closs hat geschrieben:Was man dem Gehirn "vorwerfen" könnte, wäre, dass es nicht auf die Idee kommt, die beiden Quadrate in Relation zu setzen. - Wahrscheinlich tut es das nicht, weil es auf reale Lebens-Situationen genormt ist, denen es gerecht werden will.
Genau! Das ist die einzig richtige Interpretation.

closs hat geschrieben:Und so wird es reduktiv in der Tat hinters Licht geführt.
Es hat mit Reduktion nichts zu tun, sondern mit Wahrnehmung.
Svens Bild soll einfach zeigen, wie leicht sich das Gehirn "veräppeln" lässt.

closs hat geschrieben:Dass Du reduktiv recht hast, steht überhaupt nicht zur Disposition - es geht um die Wertung. - Und diese Wertung ist unterschiedlich: Du sagst, dass das Gehirn einen gefühlsmäßigen Fehler macht
Nein! Ich rede überhaupt (noch) nicht von den eigentlichen Fähigkeiten eines reduktionistischen Vorgehens.

Nochmals: Das Bild vom Schachbrett und vom "lila Ring" sind praktische Beispiele die bewesen wie leicht wir von unserer eigenen Wahrnehmung getäuscht werden können.

closs hat geschrieben:- ich sage, dass das Gehirn seine Urteilskraft einsetzt, in diesem Fall aber aufgrund dessen natur-fernen Konstruktion hinters Licht geführt wird. - In 999 von 1000 Fällen wird diese Urteilskraft vernünftig sein.
Wo nimmst du bloß solche Zahlen her? :o
Anhand der einfachen Beispiele lässt sich erkennen, wie leicht es ist falsche Schlüsse aus der Wahrnehmung zu ziehen. Das gilt vor allem im richtigen Leben wo doch die Situationen um ein Vielfaches komplexer sind als diese realtiv einfachen Bilder.
Geh einfach in der Dämmerung in den Wald. Du wirst staunen, was du alles für merkwürdige Gestalten du in den Gebüschen vermutest.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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