Halman hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:
Genau darum habe ich übrigens ein Problem mit jeder Form von "wahrem Glauben". Zumeist findet sich hier nicht die grundsätzliche Bereitschaft, den eigenen Glaubensstandpunkt auch fallen lassen zu können.
Dies ist meiner Meinung nach weitaus schwieriger als bei wissenschaftlichen Theorien,
weil bei religiösen Überzeugungen ein viel tieferer emotionaler Kern berührt wird.
Es könnte sein, dass ich das, was ich gleich antworten werde, hier schon einmal geschrieben habe. Man möge es mir nachsehen, denn ich habe längst den Überblick darüber verloren, wo ich was wann schon in Foren geschrieben habe und was nicht ...
Es gibt eine spannende Analyse des Philosophen Ludwig Wittgenstein über (christlich-)religiöse Sprache. Er kommt in dieser Analyse zu dem - etwas niederschmetternden - Ergebnis, dass man sich mit religiösen Menschen eigentlich nicht unterhalten kann, jedenfalls dann nicht, wenn ein Ergebnis dabei herauskommen soll. Das meinte Witgenstein aber nicht etwa böse in dem Sinne, dass es sich nicht lohne, sich mit religiösen Menschen zu unterhalten, weil sie buchstäblich unbelehrbar seien. So dämlich war er nicht. Es war einfach das Ergebnis seiner sprachphilosophischen Analyse.
Das Ergebnis der Analyse bestand konkreter und verkürzt darin, dass er feststellte, dass (christlich-) religiöse Menschen
ihr ganzes Leben von ihrem Glauben (an für sie zentrale Glaubensaussagen) abhängig machen. Wenn man ihnen widerspricht, empfinden sie dies offenbar als einen Angriff auf ihre komplette Lebensgestaltung. Einen religiösen Menschen auf der religiösen Ebene zu widersprechen, bedeutet für sie, dass man
ihre ganze Art und Weise, wie sie ihr komplettes Leben ausrichten und was sie für wichtig und wertvoll halten mit seiner Kritik infrage stellt. Deshalb reagieren religiöse Menschen auf solche Kritik so wahnsinnig empfindlich.
Wittgenstein machte das fest an der Analyse des kleinen unscheinbaren Wörtchens "glauben". Er brachte folgendes Beispiel (sinngemäß wiedergegeben):
"Wenn ich am Himmel ein Flugzeug sehe und ich sage: <Ich glaube, dies ist eine deutsches Flugzeug> (Wittgenstein schrieb dies während des 2. Weltkrieges, als er sich in Cambridge befand) und jemand steht bei mir und der antwortet: <Ich glaube das nicht, Ich glaube, es ist ein englisches Flugzeug>, dann würde man nicht sagen, dass uns ein großer Graben trennt. Wir sind zwar unterschiedlicher Meinungen, aber der Unterschied unserer Ansichten ist nicht so bedeutsam. Stellte sich heraus, es war ein englisches Flugzeug, dann würde man einfach sagen: <Oh, da habe ich mich wohl geirrt< und dieses Eingeständnis wäre nicht tragisch oder besonders bedeutsam. Sagt aber jemand: <Ich glaube an das jüngste Gericht> und ein anderer erwiderte: <Nein, ich glaube nicht, dass es so etwas gibt, wie das jüngste Gericht>, dann würde uns ein sehr tiefer und breiter Graben trennen. Mit meinem Widerspruch würde ich das Leben und alles, was der andere für wichtig hält, fundamental infrage stellen. Es scheint so, dass der Gläubige hier das Wörtchen "glauben" in einem ganz anderen Sinne verwendet, als es der Fall ist, wenn man sich nur über deutsche und englische Flugzeuge unterhält."
Wittgenstein hat deshalb den Begriff der "Lebensform" in seine Spätphilosophie aufgenommen. Wie Sprachspiele funktionieren, die wir täglich im Austausch mit anderen spielen, hängt wesentlich davon ab, welche "Lebensform" jeder für sich
gewählt hat. Insbesondere, ob es z.B. eine religiöse oder atheistische, ob es eine muslimische oder christliche, ob es eine evangelische oder katholische Lebensform (und Weltanschauung) ist usw. Auch der Terminus "Beweis" z.B. bedeutet etwas ganz anderes, ob man als religiöser Mensch von "Beweisen" spricht oder ob man als methodisch-atheistischer Naturwissenschaftler oder Mathematiker von Beweisen spricht. Für einen religiösen Menschen kann es ein Beweis für Gott darstellen, wenn er glaubt, bestimmte Erfahrungen mit Gott gemacht zu haben. Für einen Naturwissenschaftler oder Mathematiker ist die persönliche Erfahrung völlig irrelevant, wenn es um "Beweise" geht.
Wittgenstein selbst hat stets betont, dass man Sprachspiele dieser Art nur analysieren kann, man aber keine Prioritäten der Sprachspiele konstatieren darf. Das naturwissenschaftliche Sprachspiel mit seiner Verwendung der Begriffe "Beweis" oder "gute Begründung" oder "glauben" oder "meinen" usw. ist anderen also nicht überlegen. Aber er konstatiert eben auch, dass man sich mit religiösen Menschen, die bestimmte Begriffe in einer ganz eigenen Weise - und nicht mehr in einer
normalsprachlichen Weise verwenden, eigentlich nicht unterhalten kann.
