Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Philosophisches zum Nachdenken
ThomasM
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#21 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von ThomasM » Do 22. Jan 2015, 09:22

Ich muss die Formulierung "erkenntnisbasierte Spiritualität" ablehnen.

Begründung:
Dieser Ausdruck impliziert, dass jemand, der "Erkenntnis" hat, jemand anderem etwas voraus hat. Er will ausdrücken, dass diese Erkenntnis ein Mittel der Hierarchie ist mit dem Ziel zu sagen "ich bin besser/klüger/reifer/erlöster/höherwertiger als du, weil ich Erkenntnis habe und du nicht".

So wurde dieser Begriff auch immer verwendet, bei der Gnosis und den fernöstlichen Guru-Traditionen.

Daraus entwickeln sich dann Lehrer-Schüler Abhängigkeiten, die Schüler werden trainiert, die "Erkenntnisse" ihres Meisters nachzuvollziehen. Es kommt zu einem Wettbewerb der Äußerlichkeiten. Es kommt zu Zwang und Unterdrückung, wie die vielen Beispiele von Sektenopfern zeigen.

Schon Paulus setzt der "Erkenntnis" den Glauben entgegen. Statt auf irgendwelche Luftschlösser setzt er auf Beziehungen, Beziehungen zu Gott, Beziehungen zwischen den Menschen. Natürlich hat man in diesem Zusammenhang auch Erkenntnisse, natürlich wird in diesem Zusammenhang auch Spiritualität gelebt. Aber es ist eben keine erkenntnisbasierte Spiritualität.

Nun ist Erkenntnis ein weites Wort. Es kommt halt auf die Basis an. In moderner Zeit ist Erkenntnis oft Evidenzbasiert. Man könnte ja versuchen eine "evidenzbasierte Spiritualität" zu formulieren. Aber gerade das will Spiritualität nicht.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#22 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von closs » Do 22. Jan 2015, 11:17

ThomasM hat geschrieben:Ich muss die Formulierung "erkenntnisbasierte Spiritualität" ablehnen.
da wäre jetzt einiges an Definitions-Arbeit fällig.

ThomasM hat geschrieben:. Man könnte ja versuchen eine "evidenzbasierte Spiritualität" zu formulieren. Aber gerade das will Spiritualität nicht.
Wie nennt man es, wenn eine Sache erkannt ist, aber nicht objektiv vermittelbar ist? (Ich weiss es echt nicht). - "Glaube" ist mir da zu wenig - ich kann auch "glauben", dass Dortmund nicht absteigt.

Die Praxis ist doch so, dass authentische Christen wirklich etwas Substantielles erleben und damit natürlich auch erkennen - während andere Menschen sich für Glauben oder sonstwas "entscheiden" (also bar jeglichen Erlebens/Erkennens sagen: "Das machemer jetzt so"). - Wie will man solche Unterschiede so nach außen (!) kommunizieren, dass sie verstanden werden?

Pluto
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#23 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von Pluto » Do 22. Jan 2015, 11:39

closs hat geschrieben:Die Praxis ist doch so, dass authentische Christen wirklich etwas Substantielles erleben und damit natürlich auch erkennen - während andere Menschen sich für Glauben oder sonstwas "entscheiden" (also bar jeglichen Erlebens/Erkennens sagen: "Das machemer jetzt so"). - Wie will man solche Unterschiede so nach außen (!) kommunizieren, dass sie verstanden werden?
Wenn man sich allein uf Grund seines Glaubens als besonders bevorzugt sieht, wie es viele Christen ja selbstverständlich tun, dann setzen sie sich damit ungerechtfertigterweise auf eine höhere moralische Ebene. Das nenne ich dann Anmaßung.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#24 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von closs » Do 22. Jan 2015, 11:49

Pluto hat geschrieben:Wenn man sich allein uf Grund seines Glaubens als besonders bevorzugt sieht
Im Sinne von "begnadet" mag das stimmen - Christen bezeichnen sich oft als "beschenkt".

Pluto hat geschrieben:dann setzen sie sich damit ungerechtfertigterweise auf eine höhere moralische Ebene.
Das darf nicht sein - echte Christen stellen sich damit nicht höher, sondern tiefer. - "Demut" ist ein ernstes Wort. - Ich habe noch nie einen reifen Christen erlebt, der sich über andere Menschen gestellt hat - das wäre ein Oxymoron. - Allerdings gibt es unter sogenannten "Christen" sehr, sehr viel Spreu.

JackSparrow
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#25 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von JackSparrow » Do 22. Jan 2015, 11:54

Novalis hat geschrieben:Dies hat zur Konsequenz, dass in der Öffentlichkeit nur das als wirklich und real gilt, was äußerlich erkennbar und durch Messung beschreibbar ist
Das wäre die optimale Lösung, hat sich aber noch nicht überall durchgesetzt. Weil es sich in der Geschichte der Menschheit stets als sehr gewinnbringend erwiesen hat, die Ängste der Mitmenschen auszunutzen und Fantasien als real zu verkaufen.

Wie willst Du denn beweisen, dass Bewusstsein nur eine Funktion des Körpers ist,
A) Barbituriate sind Schlafmittel. Sie schalten das Bewusstsein aus.
B) Barbituriate wirken, indem sie die Erregbarkeit der Nervenzellen herabsetzen.
C) Nervenzellen sind körperlich.

Hier können wir transitiv folgern: Bewusstsein ist körperlich. Q.e.d.


ThomasM hat geschrieben:Dieser Ausdruck impliziert, dass jemand, der "Erkenntnis" hat, jemand anderem etwas voraus hat.
So ist es. Ich bin erleuchtet, und du hast mich zu verehren, denn ich bin in jeder Hinsicht viel besser als du.


closs hat geschrieben:Die Praxis ist doch so, dass authentische Christen wirklich etwas Substantielles erleben
Alle Menschen erleben substantielle Dinge. Christen nutzen nur eine sehr spezielle Fachsprache, damit sie das Erlebte irgendwie mit der Bibel in Verbindung bringen können.

Pluto
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#26 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von Pluto » Do 22. Jan 2015, 11:54

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn man sich allein uf Grund seines Glaubens als besonders bevorzugt sieht
Im Sinne von "begnadet" mag das stimmen - Christen bezeichnen sich oft als "beschenkt".
Womit "beschenkt"?

closs hat geschrieben:"Demut" ist ein ernstes Wort.
Ja und dazu eines der am häufigsten missbrauchten. Ich kenne viele Leute die mit ihrer "Demut" prahlen.

closs hat geschrieben:Ich habe noch nie einen reifen Christen erlebt, der sich über andere Menschen gestellt hat - das wäre ein Oxymoron. - Allerdings gibt es unter sogenannten "Christen" sehr, sehr viel Spreu.
Das wirft eine interessante Frage auf: Wie erkennt man einen "reifen" Christen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#27 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von Salome23 » Do 22. Jan 2015, 12:01

@closs
Ich habe noch nie einen reifen Christen erlebt, der sich über andere Menschen gestellt hat
a-um das beurteilen zu können, müsstest du jeden Tag 24 Stunden mit dieser Person verbringen
b- vielleicht tut er es gedanklich und zeigt nur nach aussen hin Demut, um vor anderen einen guten Eindruck zu erwecken ;)

closs
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#28 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von closs » Do 22. Jan 2015, 12:12

Pluto hat geschrieben:Womit "beschenkt"?
Mit einer inneren Erkenntnis, die objektiv nicht vermittelbar ist, aber gleichzeitig universal ist.

Konkretes Beispiel: Als ich mal dienstlich nach Kasachstan geflogen bin, habe ich dort bei einem Empfang einen usbekischen Moslem kennengelernt - uns war nach 5 Minuten klar, dass wir geistig auf demselben Level sind (völlig business-fremd - da reicht EINE Bemerkung, die man nur machen kann, wenn man eine dazu nötige Position einnimmt - selbst wenn man im Moment gar nicht vorhat, "geistige" Diskussionen zu führen). - Dasselbe ist mir letztes Jahr mit einem wildfremden Gärtner und einer Physiotherapeutin passiert - dasselbe ist meiner Frau vor eineinhalbjahren mit einer bis dato wildfremden Dame am Bodensee passiert, die uns dort mit Begleitung auf dem Campingplatz besucht hat :angel: .

Pluto hat geschrieben:Das wirft eine interessante Frage auf: Wie erkennt man einen "reifen" Christen.
Nur gegenseitig - Geist erkennt sich gegenseitig.

Pluto hat geschrieben: Ich kenne viele Leute die mit ihrer "Demut" prahlen.
Tja - das ist Fleisch, das überall schwach ist.

closs
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#29 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von closs » Do 22. Jan 2015, 12:16

Salome23 hat geschrieben:um das beurteilen zu können, müsstest du ...
Natürlich wird es auch schwache Momente geben - aber die werden (hoffentlich) nachträglich erkannt.

Salome23 hat geschrieben:einen guten Eindruck zu erwecken
Diejenigen, die ich meine, treten öffentlich meistens überhaupt nicht in Erscheinung, was "Geistiges" angeht - sie wissen (besser als ich), dass man nur vorleben kann und ansonsten besser die Klappe hält, wenn man nicht ausdrücklich gefragt wird.

Salome23
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#30 Re: Ein Plädoyer für eine erkenntnisbasierte Spiritualität

Beitrag von Salome23 » Do 22. Jan 2015, 13:05

[b][color=#800000]closs[/color][/b] hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Das wirft eine interessante Frage auf: Wie erkennt man einen "reifen" Christen.
Nur gegenseitig - Geist erkennt sich gegenseitig.
Durch Vorleben? Ohne sich über den Glauben verbal auszutauschen?
Wenn die sich nur gegenseitig erkennen, wo bleibt dann "das Licht" für die Welt?
closs hat geschrieben:Diejenigen, die ich meine, treten öffentlich meistens überhaupt nicht in Erscheinung
Woran erkennt man denn das Licht, dass sie (die Schäfchen) sein sollen?
An ihrer tollen persönlichen spirituellen Erkenntnis?

Ein kluger Pastor sagte mal, sobald du eine Erkenntnis hast, verwirf sie gleich wieder , damit du nicht Gefahr läufst, hochmütig zu werden....

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