Pluto hat geschrieben:Das ist eine reine Vermutung von dir. In Wirklichkeit hast du keine Ahnung, was der Poet gerade dachte, als er seine Dichtung niederschreib.
Das ist auch völlig irrelevant. Wenn ich ein Gedicht lese oder ein Bild betrachte, so werde ich von den dargestellten Szenen ergriffen, bei guter Kunst. Auch wenn der Dichter oder Maler beim Schreiben ständig dachte "oh mann ist das heiss heute und die Flöhe zwicken mich!"
"Exakt" ist was anderes; es ist viel mehr noch, als nur naturgetreu oder so was ähnliches.
"die Leiden des jungen Werther" zum Beispiel übermitteln sehr exakt ein Gefühl von Verliebtheit und dessen Tragik. So gut, dass dieses Buch sehr viele junge Menschen in den Selbstmord trieb. Es hat nicht messbar aber exakt diesen bestimmten Geisteszustand evoziert. Und das alles ist nicht quantifizierbar im Werk selbst; bloss Wirkungen sind quantifizierbar, zB Absatzzahlen und Selbstmordzahlen und deren Relation.
Exakt bedeutet für mich identisch und quantifizierbar, nicht mehr oder weniger gleich.
Wenn ein Kunstwerk die Liebe zwischen Mutter udn Kind evoziert - was genau willst du da quantifizieren? Auf der nach oben offenen Liebesskala, wo steht die LIebe zwischen dir und deiner Frau und wie misst du das?
Und das ist unmöglich, da du ein anderer Mensch bist, der anders auf die Nuancen der Worte reagiert, allein schon deswegen, weil du den Text an einem ganz anderen Ort, vielleicht Jahre später erst liest. Du hast nicht dieselben Erfahrungen wieder Dichter, deshalb kann es gar nicht anders sein.
natürlich bin ich ein anderer Mensch, aber das allgemein-Menschliche bleibt sich über sehr sehr lange Zeit gleich. Und kann evoziert werden. Noch heute berührt mich die Geschichte des Odysseus, obwohl mehrere tausend Jahre dazwischen liegen - ich kann problemlos nachvollziehen, wie es Penelope ging, die zwanzig Jahre lang auf ihren Mann wartet. Auch wenn ich nicht Penelope bin und nicht zwanzig Jahre warten musste.
Das ist meine Rede!
Ein Urteil beruht immer auf einer subjektiven Intepretation der Sachlage. Man kann einen Mord nicht wiederholen, sondern nur mehr oder weniger "rekonstruieren".
man soll ihn auch wiederholen - doch auch bei diesen subjektiv zu beurteilenden Lagen wir von einem Gericht erwartet, dass in den Urteilen Konsistenz herrscht und ähnliche Taten auf ähnliche Weise geahndet werden.
Weil es so etwas gibt wie eine professionelle Beurteilung, wo Fachleute auf ähnliche Resultate kommen im selben Fall.
Um wie viel mehr gilt das, wenn es sich um Emotionen, Empfindungen oder Erlebnisse handelt? Das sind die Qualia, über die wir Beide schon öfters diskutiert haben. Sie entstehen in unserem Geist; sind unsere jeweilige Privatsache, was so bedeutet sie sind niemals meßbar oder übertragbar auf andere....
oh, messbar sind sie nicht direkt, übertragbar auf andere sehr wohl - durch Körperkontakt, zum Beispiel. Das ist die einfachste Möglichkeit. Die Übertragung durch Kunst ist anspruchsvoller und weniger leicht, aber durchaus auch möglich. und wird auch gemacht.
Unsere Empfindungen (Qualia?) sind Chimären die nur in den Windungen unseres Gehirns ein flüchtiges ständig wechselndes Dasein fristen, um bald danach wie eine Blume zu verblühlen und zu verblassen.
und doch sind sie das Einzige, was wir als Grundlage für unser ganzes Handeln haben. Das Einzige, was uns direkt zugänglich ist, ohne Umwege, einfach so. Auf diesem Fundament bauen wir den ganzen Rest auf. Ja, auch die Naturwissenschaft und deren Bräuche.
gruss, barbara