Die Früchte des Reduktionismus.

Philosophisches zum Nachdenken
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sven23
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#101 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von sven23 » Do 25. Dez 2014, 08:39

closs hat geschrieben:Und um diese Spuren zu suchen, geht man nichts ins Wasser oder in die Luft, sondern bspw. in den Wald, nicht wahr?

Und was ist mit Schweinen im Weltall? :lol:


closs hat geschrieben: "Gefühle" ist ein irreführendes Wort - für mich klingt Gefühl wie sinnliche Wahrnehmung (ob Schmerz oder Kitzeln oder Kälte) - hier sollte man besser den Begriff "geistigen Instinkt/geistige Offenheit" (o.ä.) verwenden. - Das hat mit "Gefühl" im üblichen Sinn des Wortes nichts zu tun.

Ich glaube, hier irrst du dich gewaltig. Gläubige selbst weisen ja immer darauf hin, daß man Gott nicht mit dem Verstand finden kann. Was bleibt, sind also die Gefühle. Was du als "geistigen Instinkt" bezeichnest, sind nichts anderes als Gefühle.
Manche geben ja auch zu, daß ihnen Religion/Gott das Gefühl der Geborgenheit vermitteln oder man spricht davon, die religiösen Gefühle von jemandem zu verletzen.
Es geht um nichts anderes als um Gefühle.
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Salome23
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#102 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Salome23 » Do 25. Dez 2014, 10:03

Manche geben ja auch zu, daß ihnen Religion/Gott das Gefühl der Geborgenheit vermitteln oder man spricht davon, die religiösen Gefühle von jemandem zu verletzen.
Es geht um nichts anderes als um Gefühle.
Ich hab im Moment das Gefühl, du hast damit ins Schwarze getroffen... ;)

closs
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#103 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » Do 25. Dez 2014, 10:23

sven23 hat geschrieben:Ich würde eher sagen, daß diese geistigen Koordinaten eine menschliche Erfindung sind.
Aus Sicht Deines Weltbildes folgerichtig.

sven23 hat geschrieben:Was du dir nicht alles zusammen bastelts.
Eigentlich nicht mir, sondern Dir - es ist nicht einfach, Sachen, die einem selber klar sind, in ein anderes System zu übersetzen.

sven23 hat geschrieben: 30 jähriger Krieg war kein Religions-oder Konfessionskrieg?
De facto nein - die Religionskriege als solche waren zur Hälfe des 16. Jh. vorbei. - Der 30jährige Krieg war eine historische Folge der Religionskriege (1555 - "cuius regio, eius religio"), war aber selbst säkular begründet.

sven23 hat geschrieben: außen vor waren die Kirchen im Nationalsozialismus auch nicht
Da war keiner außen vor - auch nicht die Wissenschaftler. - Also hier braucht man keine Motivsuche in der Religion (oder in der Wissenschaft) zu suchen.

sven23 hat geschrieben:Warum tun sich eigentlich Religiöse so schwer, die versprochene Belohnung zu akzeptieren?
Viele Christen schielen tatsächlich auf diese Belohnung (ich sprach ja nur davon, dass das nicht im Sinne des Christentums ist) - was ich strikt ablehne. - Eigentlich geht es um Erkenntnis, die man vorziehen sollte, weil sie eh kommt.

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#104 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » Do 25. Dez 2014, 10:35

sven23 hat geschrieben: Gläubige selbst weisen ja immer darauf hin, daß man Gott nicht mit dem Verstand finden kann.
Das ist missverständlich - es müsste heißen: Gott kann man nicht mit dem reduktiven Verstand finden - ansonsten ist Glaube hoch-vernünftig (im Sinne von Kant).

sven23 hat geschrieben: Was bleibt, sind also die Gefühle.
Und wieder einmal wird eine Schlussfolgerung vorbereitet durch dementsprechende Voraus-Setzungen - konkret:

Wenn man Vernunft reduktiv definiert UND das, was übrig bleibt, als Gefühl" bezeichnet, bleibt einem gar nichts anderes übrig, als Glaube als reine Gefühls-Sache zu bezeichnen. Und dann kann sogar ein triumphierendes q.e.d. kommen. :devil:

Der Strickfehler dabei ist, dass im materialisten Sinn der Begriff der "spirituellen Vernunft" überhaupt nicht vorkommen kann, weshalb man auch den Unterschied zwischen Gefühl(s-Duselei) und Vernunft nicht machen kann - man reduziert das Weltbild auf seinen Horizont und rekrutiert daraus halblange intellektuelle Triumphe.

sven23 hat geschrieben:Und was ist mit Schweinen im Weltall?
Da hast Du recht - dies wirft meine diesbezügliche Argumentation komplett über den Haufen. :oops: :lol:

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sven23
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#105 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von sven23 » Do 25. Dez 2014, 10:43

closs hat geschrieben:De facto nein - die Religionskriege als solche waren zur Hälfe des 16. Jh. vorbei. - Der 30jährige Krieg war eine historische Folge der Religionskriege (1555 - "cuius regio, eius religio"), war aber selbst säkular begründet.

So eindeutig kann man das nicht sagen. Der Augsburger Religionsfrieden bewirkte einen Trend zur Konfessionalisierung der Bevölkerung. Wie immer spielen machtpolitische Einflüsse mit. Als rein säkularen Krieg kann man den 30jährigen Krieg aber nicht ansehen.

closs hat geschrieben: Viele Christen schielen tatsächlich auf diese Belohnung (ich sprach ja nur davon, dass das nicht im Sinne des Christentums ist) - was ich strikt ablehne. - Eigentlich geht es um Erkenntnis, die man vorziehen sollte, weil sie eh kommt.

Nicht nur im AT (Hiob) gibts Belohnung für Gehorsam und Unterwürfigkeit, sondern auch das NT ködert mit Belohnung.

Ob du das ablehnst ist eigentlich irrelevant. Wir wollen ja wissen, was der Fall ist und es steht geschrieben:

"Habt Acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel."
Mt 6,1

"Freut euch an jenem Tage und springt vor Freude; denn siehe, euer Lohn ist groß im Himmel. Denn das Gleiche haben ihre Väter den Propheten getan."
LK 6,23
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#106 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von sven23 » Do 25. Dez 2014, 11:09

closs hat geschrieben:Das ist missverständlich - es müsste heißen: Gott kann man nicht mit dem reduktiven Verstand finden - ansonsten ist Glaube hoch-vernünftig (im Sinne von Kant).

Wenn du uns sagst, mit welcher Form von Verstand man Gott findet, dann wären wir schon ein Stück weiter.

closs hat geschrieben: Der Strickfehler dabei ist, dass im materialisten Sinn der Begriff der "spirituellen Vernunft" überhaupt nicht vorkommen kann,

Besteht der Strickfehler nicht darin, daß "spirituelle Vernunft" von Haus aus ein Oxymoron ist?

Die junge Fachrichtung der Neurotheologie versucht der Frage nachzugehen, wo Gott "wohnt".
Die Antwort ist grob gesagt: im Kopf natürlich, genauer gesagt im präfrontalen Cortex (vorderer Schläfenlappen)

"Dysfunktionen an dieser Stelle können zu allerlei Problemen führen: Depressionen, Parkinson, Tinnitus. Und Epilepsie. Eine seltene Variante, die Herd-Epilepsie, ließ Hippokrates (ca. 460–370 v. Chr.), den bedeutendsten Arzt der Antike, den Begriff von der »heiligen Krankheit« prägen. Denn die Patienten haben während ihrer Anfälle Begegnungen mit Göttern, Geistern und Gespenstern, so berichten sie. Damals wie heute."


"Heute ist die Medizin in der Lage, auch bei Nicht-Epileptikern religiöse Regungen und Erlebnisse göttlicher Gegenwart hervorzurufen, indem sie diese Hirnregion künstlich stimuliert."
Quelle: PM

Gott läßt sich sozusagen künstlich erzeugen, das ist schon sehr erstaunlich.

Die wichtige Botschaft ist:
"Visionen und mystische Erfahrungen, so die Hirnforscher, erreichen uns nicht von außen, sondern entstehen in einem handtellergroßen Areal des Gehirns"
Quelle: PM

"Singer*, Festredner bei Angela Merkels 50. Geburtstag (Thema: »Das Gehirn – ein Beispiel zur Selbstorganisation komplexer Systeme«), hat eine Weile unter Eremitenmönchen auf dem Berg Athos in Griechenland verbracht und ihre Visionen und Kontakte mit Göttlichem beobachtet. Sein Ergebnis: »Das ist aus neurobiologischer Sicht erstaunlich, es ist das typische Ergebnis von Schlafentzug und Hyperventilation. Auch das Jesus-Syndrom kann auftreten, ein epileptisches Krankheitsbild, bei dem die Patienten wunderbare Gefühle haben, sich eins mit der Welt und erleuchtet fühlen. Da krampft sich ein Stück Hirn zusammen, das normalerweise als innerer Zensor fungiert."
Quelle: PM

*Wolf Singer ist Neurophysiologe
Von ihm gibt es einen interessanten Artikel in der Zeit.
"Das Gehirn hat völlig falsche Vorstellungen"

http://www.sueddeutsche.de/wissen/wolf- ... n-1.171628

Singer endet mit einem sehr schönen Satz:

"Wir haben eben diesen Begründungszwang. Wir wollen, dass nichts ohne Ursache geschieht. Manchmal, wenn wir die eigentliche nicht erkennen, erfinden wir eine."
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#107 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von Pluto » Do 25. Dez 2014, 13:57

closs hat geschrieben:Die Aussage ist, dass die Wahrnehmung des Menschen aus gutem Grund holistisch angelegt ist, und dass es provozierte Einzelfälle geben kann, bei denen diese Wahrnehmungs-Art ausgehebelt werden kann.
Das mag deine Sicht der Dinge sein, aber das ist mir persönlich zu einseitig. Ich sage da: Jedem Topf seinen Deckel, also für jedes Problem das geeignete Mittel. Der Holismus ist nun man in den allermeisten Fällen zur Erklärung der Welt die unterlegene Methode.

closs hat geschrieben:Es gibt sicherlich geistige Schutzräume, die dies verhindern - das habe ich mit "Verdrängung" gemeint.
Verdrängung ist meist das Ergebnis einer zu starken Vereinfachung der Welt, wie sie sich aus einer holistischen Sicht der Welt meistens ergibt. Man sieht den schattenspendenen Wald und denkt nicht weiter nach, woher er kommt oder woraus er besteht.

Vor lauter Entzückung über den Wald, erkennt man nicht dass er aus Bäumen besteht.

closs hat geschrieben:In den letzten ca. 400 Jahren waren alle Kriege Europas primär säkular bedingt.
Solche Vorstellungen sind natürlich Unsinn und das Ergebnis einer zu intensiven Nabelschau.
Da grefit ein Außenstehender sich fassungslos an den Kopf Bild, und fragt wie dick denn die rosa gefärbte Brille eigentlich sein muss, um die Fakten der Geschichte derart zu ignorieren?
Ich könnte dir auf Anhieb ein halbes Dutzend Kriege nennen, die NUR aus religiösen Gründen ausgetragen wurden, angefangen mit dem 30-Jahre währenden Krieg von 1618 bis 1648, bis hin zum versuchten Völkermord an den bosnischen Muslimen in den 90-er Jahren.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#108 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von sven23 » Do 25. Dez 2014, 16:06

closs hat geschrieben:Es ist die Vernunft, die selber (!) erkennt, dass sie Grenzen hat, weil jenseits von ihr etwas Wichtigeres ist - genau die Auffassung von Kant.

Kant stand ja nur das begrenzte Wissen seiner Zeit zur Verfügung. Ob er heute so urteilen würde, ist natürlich reine Spekalation.

closs hat geschrieben: Wenn der Mensch von Gott etwas wahrnimmt, tut er das selbstverständlich im Kopf - und wenn Neurowissenschaftler herausfinden, wo genau im Gehirn, ist das sicherlich interessant. - Aber es sagt nichts darüber aus, ob Gott dort ge-funden oder er-funden wird.

Da wäre ich mir überhaupt nicht so sicher. Wenn man die entsprechenden Gehirnareale künstlich stimuliert und damit "Gotteserfahrungen" provoziert, dann ist das schon ein sehr deutliches Zeichen, wo der Hase im Pfeffer liegt.
Das Gehirn schafft sich seine eigene Realität, wie Prof. Singer sagt.

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#109 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von sven23 » Do 25. Dez 2014, 16:11

closs hat geschrieben:Das sind wir unterschiedlicher Meinung. - Natürlich kann man reduktiv Einzelbestandteile besser isolieren und beschreiben - aber komplex erklären kann man damit nicht. -

Warum soll man damit nicht komplex erklären können? Was man reduktiv untersucht kann man doch wieder im Gesamtkontext einer Aufgabenstellung einordnen und somit auch das Gesamte besser verstehen.

closs hat geschrieben: Dein Satz ist dann zutreffend, wenn man Phänomene, die über den reduktiven Zugriff hinausgehen, ignoriert.

Welche Phänomene wären das denn, die den Namen verdienen in Abgrenzung zur Fantasie?
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#110 Re: Die Früchte des Reduktionismus.

Beitrag von closs » Do 25. Dez 2014, 16:57

sven23 hat geschrieben:Kant stand ja nur das begrenzte Wissen seiner Zeit zur Verfügung.
Das hat nichts mit Sachwissen einer Wissenschafts-Disziplin zu tun - hier geht es um grundsätzliche Dinge, die seit spätestens Plato erkannt werden oder nicht.

sven23 hat geschrieben:Das Gehirn schafft sich seine eigene Realität, wie Prof. Singer sagt.
Das AUCH - und damit wären wir wieder bei der "Unterscheidung der Geister". - Es gibt nichts, das in einer Welt der Dialektik keine Anti-These hat.

sven23 hat geschrieben:Was man reduktiv untersucht kann man doch wieder im Gesamtkontext einer Aufgabenstellung einordnen und somit auch das Gesamte besser verstehen.
So sollte es auch sein - aber es ist oft halt NICHT so - ein Beispiel:

Sämtliche trendigen Untersuchungen zur Entwicklung des Kindes "weisen nach", dass es kein Problem ist, Kinder vor dem 3. Lebensjahr in KiTas zu schicken. - Warum? Weil die dazu gehörigen Begrifflichkeiten so definiert sind, dass es nachweisbar sind. :devil: Und somit kann man einen reduktiv erworbenen Hinweis nach dem anderen dazu finden. - Eine instinkt-intakte (also holistisch funktionierende) Mutter weiss, dass das falsch ist.

Was wird passieren? - Wenn sich wieder einmal der gesellschaftliche Wind gedreht hat, wird es in dessen Folge irgendwann neueste wissenschaftliche Erkenntnisse :devil: geben, dass die Mütter recht haben.

sven23 hat geschrieben:Welche Phänomene wären das denn, die den Namen verdienen in Abgrenzung zur Fantasie?
Transzendente Phänomene (fängt bei der Ideen-Lehre Platons an), die man nicht er-findet, sondern findet. - Mathematik-Philosophen (mir fällt da gerade Livio ein - bei Gödel war es meines Wissens genauso - bei Poincaré wird es genauso sein - Stephen Hawkins vermute ich auch) sind beleidigt, wenn man sie dafür lobt, etwas Neues in der Mathematik er-funden zu haben.

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