Ich ist nicht Gehirn

Philosophisches zum Nachdenken
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Thaddäus
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#11 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » So 17. Jan 2016, 13:32

Pluto hat geschrieben:Dass schon viele Autoren behauptet haben, es fehle zum menschlichen Geist ein gewisses "Etwas", ist klar. Doch bisher ist es keinem gelungen dieses "Etwas" zu definieren oder zu erklären.
Ähem nein, genau umgekehrt.
Was Geist ist oder geistige Leistungen und Hervorbringungen sind, das weiß jeder und jeder der deutschen Sprache mächtige verwendet den Begriff in seiner Alltagssprache selbstverständlich und so, dass andere ihn verstehen können. Die Neurowissenschaftler und auch die reduktiv-naturalistisch argumentierenden Philosophen haben dagegen große Probleme, Geist (Bewussstein, Ich etc.) allein auf eine rein materiell-physikalische Basis zurückzuführen. Ich weiß, wovon ich hier schreibe, denn ich habe das schon selbst versucht (mich also intensiv mit dem Problem beschäftigt), musste aber feststellen, dass es mir nicht konsistent gelingt.
Nur darum halte ich die Herangehensweise von Markus Gabriel - im Augenblick - für die erfolgversprechendste und einleuchtendste. Weil alle anderen Erklärungsversuche sich mir als inkonsistenter erwiesen haben und mit erheblichen Erklärungslücken behaftet.
Und Gabriel fällt dabei nicht auf überholte cartesianisch-dualistische Positionen zurück oder muss die Erfolge der natur- und neuro-wissenschaftlichen Ergebnisse leugnen, denn er sagt (z.B. auch in dem verlinkten Radiobeitrag) deutlich, dass das Gehirn selbstverständlich die Grundlage des Denkens, des Geistes, des Bewusstseins und des Ich ist.

Was Geist oder das Geistige (das Ich, das Bewusstsein) sind, muss natürlich begrifflich konkreter gefasst werden. So ist mit Geist keine immaterielle Substanz gemeint, die neben den materiellen Entitäten im Universum existiert. Damit hat Gabriel nichts am Hut und man darf ihn so auch nicht missverstehen.
Präziser fasst man Geist (Bewussstein, Ich, Denken etc.) als mentale Zustände, mentale Ereignisse und mentale Hervorbringungen. So ist der Inhalt eines Gedankens (mündlich oder schriftlich oder wie auch immer geäußert) etwas Geistiges. Einen mathematischen oder logischen Beweis kann man nur geistig (= gedanklich) nachvollziehen und seine Plausibilität vernünftig erkennen. Der Sinn und die Pointe einer Geschichte, eines Gedichtes, eines Musikstückes, eines Gemäldes, eines Schazuges, eines Witzes usw. sind geistige Gehalte. Die Geistes-Geschichte ist die Summe aller kulturell-geistigen Erzeugnisse der Menschheit. Seit Gottlob Frege kann man Bedeutung und Sinn einer Aussage sauber voneinander unterscheiden. Die Ausdrücke Morgen- und Abendstern beziehen sich auf ein und denselben Planeten Venus. Er ist die Bedeutung dieser beiden Ausdrücke. Dennoch haben Morgenstern und Abendstern offensichtlich unterschiedlichen Sinn, denn sie stehen zwar für ein und denselben Planeten (was astronomisch erst herausgefunden werden musste), bezeichnen aber einmal die am Morgen beobachtete Venus und einmal die am Abend beobachtete Venus. Morgen- und Abendstern sind als Ausdrücke darum auch nicht austauschbar. In einem Gedicht z.B. kann der Ausdruck Morgenstern verwendet werden und wenn man ihn durch Abendstern ersetzt, verändert sich der Sinn im Gedicht erheblich.

Pluto hat geschrieben: Ich bezweifle, dass Markus Gabriel, trotz seiner vermutlichen Schlagfertigkeit und der Kenntnisse alter Philosophen, dies kann.
Doch, denn genau darum geht es ja in diesem Buch! Gabriel kann Geist, Sinn, Denken, Bewusstsein, Ich, geistige Inhalte, fiktionale Inhalte usw.usf. deshalb sogar sehr gut und ohne die Annahme besonderer geistiger Substanzen erklären, weil er zwischen den Gegenstandsbereichen von Welt und Universum unterscheidet (Welt = alles, was in der Welt erscheint und Universum = alles was physikalisch-materiell messbar ist). Dabei "existiert" alles, was in diesen (und weiteren) Sinnbereichen erscheint. Nur existiert es auf unterschiedliche Weisen und das materiell-physikalische Existieren ist ontologisch nicht stärker, als das geistige Existieren. Ontologisch nicht stärker bedeutet: Zahlen z.B. existieren nicht weniger, als Atome oder Planeten existieren. Wenn man aber Zahlen im Universum mit Messgeräten aufspüren will, dann irrt man sich fundamental im zu untersuchenden Gegenstandsbereich. Hexen existieren natürlich in der Geistesgeschichte des Menschen. Aber zu glauben, Hexen seien reale Personen, die durch Hexerei Menschen schaden oder helfen könnten, ist ein Irrtum.

Pluto hat geschrieben: Ich werde mir das Buch besorgen, und hoffe, er kann seine Behauptungen auch mit Forschungsergebnissen belegen.
Wenn du Forschungsergebnisse der Philosophie meinst, dann kann er das. Wenn du glaubst, er hätte den Geist jetzt endlich mit einer Apperatur gemessen, dann sitzt du einem fundamentalontologischen Missverständnis auf. ;)


Es ist genau so, wie Markus Gabriel es in dem Radiobeitrag ausführt: es ist ein Missverständnis zu denken, das Radfahren(-Können) sei identisch mit dem Fahrrad.

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Halman
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#12 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Halman » Mi 3. Feb 2016, 23:40

Leider kenne ich das Buch von Markus Gabriel nicht. Allerdings kenne ich das Buch Wille und Gehirn von den Hirnforschern Hans Helmut Konrhuber und Lüder Deecke. Daraus möchte ich aus den Seiten 87-88 meiner Meinung nach für diese Diskussion sehr wichtige Gedanken zitieren:
Zitat aus Wille und Gehirn:
In der inneren Führung durch Willen im Bunde mit der schöpferischen Fähigkeit des Frontalhirns liegt die Freiheit zu neuen Lösungen, Freiheit nicht gegen, sondern mit der Natur. Ausstieg aus der Natur ist unmöglich; auch für geistige Tätigkeit, die ja Informationsverarbeitung durch Ordnungsänderung ist, ist Energie nötig. Der Wille steht nicht über dem Gehirn, der Geist sitzt nicht hinter dem Gehirn. Bei einer Verletzung der Retina des Auges z.B. sieht das Sehhirn (der visuelle Cortex) den Defekt als dunkles Skotom. Hingegen wird ein akuter Ausfall der ganzen Sehrinde (durch bilateralen Gefäßinsult der Arteria calcarina) nicht wahrgenommen: Der Patient ist blind, ohne dies zu sehen (Rindenblindheit, auch Seelenblindheit genannt). ... Das Seelische lebt nicht außer dem Gehirn, sondern es ist der Innenaspekt der Informationsverarbeitung im Menschengehirn, das bewusste Sehen ist beim Menschen eine Funktion der Hirnrinde (...). Ähnlich ist es mit dem Gewissen: wenn es durch Läsion des Frontalhirns verschwindet, merkt der Mensch den Verlust zunächst nicht; er kann sich sogar fröhlich einer Witzelsucht hingeben, durch leidvolle Erfahrung und Übung kann er aber einsichtiger werden.
Ich denke, dass diese Ausführung aufgrund ihrer Evidenz auf Basis empirischer Daten stichhaltig ist. Was meint ihr dazu?
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Pluto
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#13 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Mi 3. Feb 2016, 23:49

Halman hat geschrieben:Ich denke, dass diese Ausführung aufgrund ihrer Evidenz auf Basis empirischer Daten stichhaltig ist. Was meint ihr dazu?
Den von dir zitierten Text Das halte ich für eine sehr gute Erklärung! :thumbup:
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Thaddäus
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#14 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » Sa 6. Feb 2016, 21:29

Halman hat geschrieben: Allerdings kenne ich das Buch Wille und Gehirn von den Hirnforschern Hans Helmut Konrhuber und Lüder Deecke. Daraus möchte ich aus den Seiten 87-88 meiner Meinung nach für diese Diskussion sehr wichtige Gedanken zitieren:
Zitat aus Wille und Gehirn:
In der inneren Führung durch Willen im Bunde mit der schöpferischen Fähigkeit des Frontalhirns liegt die Freiheit zu neuen Lösungen, Freiheit nicht gegen, sondern mit der Natur. Ausstieg aus der Natur ist unmöglich; auch für geistige Tätigkeit, die ja Informationsverarbeitung durch Ordnungsänderung ist, ist Energie nötig. Der Wille steht nicht über dem Gehirn, der Geist sitzt nicht hinter dem Gehirn. Bei einer Verletzung der Retina des Auges z.B. sieht das Sehhirn (der visuelle Cortex) den Defekt als dunkles Skotom. Hingegen wird ein akuter Ausfall der ganzen Sehrinde (durch bilateralen Gefäßinsult der Arteria calcarina) nicht wahrgenommen: Der Patient ist blind, ohne dies zu sehen (Rindenblindheit, auch Seelenblindheit genannt). ... Das Seelische lebt nicht außer dem Gehirn, sondern es ist der Innenaspekt der Informationsverarbeitung im Menschengehirn, das bewusste Sehen ist beim Menschen eine Funktion der Hirnrinde (...). Ähnlich ist es mit dem Gewissen: wenn es durch Läsion des Frontalhirns verschwindet, merkt der Mensch den Verlust zunächst nicht; er kann sich sogar fröhlich einer Witzelsucht hingeben, durch leidvolle Erfahrung und Übung kann er aber einsichtiger werden.
Ich denke, dass diese Ausführung aufgrund ihrer Evidenz auf Basis empirischer Daten stichhaltig ist. Was meint ihr dazu?
Man kann dem Text auf dem ersten Blick leicht zustimmen. Schaut man jedoch genauer hin, kann man ihm vor allem deshalb leicht zustimmen, weil er an den entscheidenden Punkten recht oberflächlich bleibt. Drei Bemerkungen fallen mir zu diesem Text ein:

1.
Die empirischen Befunde ergeben in der Tat, dass geistige Tätigkeiten des Menschen ganz offensichtlich ohne oder mit beschädigtem Gehirn nicht oder nur eingeschränkt bzw. verändert möglich sind. Mentale Zustände und geistige Aktivitäten hören auf, wenn das Gehirn abstirbt und wird es verletzt oder durch Krankheit in seiner Funktionsweise beeinträchtigt, ändern sich Verhaltensweisen, die Intelligenz kann eingeschränkt werden, der Charakter eines Menschen kann sich verändern, Sprache kann verloren gehen und erst durch Übung wieder erworben werden usw.usf. Dies alles deutet darauf hin, dass mentale Zustände, geistige Tätigkeiten, der Charakter und das Verhalten eines Menschen etc. direkt von Funktionen in seinem Gehirn und also vom Gehirn selbst abhängig sind.

2.
Freiheit ist ein zu komplexer Begriff, als das man ihn durch die Verortung in den Frontallappen bereits hinreichend erklärt hätte.
Freiheit gemäß der Natur wurde bereits von den Epikureern (die lange vor dem Auftreten Jesu Atomisten waren und eine atomistische Physik vertraten) in ein schönes erklärendes Bild gefasst. Sie sprachen davon, man solle sich einen Hund vorstellen, der an einen Wagen angeleint ist. Setzt jemand den Wagen (mit einem Pferd) in Bewegung, muss der Hund ihm folgen. Er kann nun zweierlei tun: sich gegen diesen "natürlichen Zwang" sträuben, dann wird er trotzdem dahin gezogen, wo der Wagen hinfährt. Nur geht es dem Hund dabei schlecht. Oder er folgt dem Wagen "freiwillig" und wird dann zwar immer noch in die Richtung des Wagens gezogen, aber es geht ihm dabei besser, weil er keine Kräfte aufwendet, um sich zu sträuben, und er wird nicht durch den Staub geschleift, was für den Hund nur Leid (Schmerz/Unlust) und Unglück bedeutet. "Freiheit" hat er freilich nur innerhalb der Grenzen seiner Leine. Aber eine gewisse Freiheit hat er.

Allerdings ist der Mensch in einer viel radikaleren Weise frei, als es dieses Bild nahe legt.
Wie alle Lebewesen hat auch der Mensch vielfältige Bedürfnisse. Einige sehr elementare wie z.B. Hunger und Durst, die, wenn sie nicht gestillt werden, zum Tode des Menschen führen. Und er hat einige weniger elementare Bedürfnisse, wie den Sexualtrieb, das Schlafen, den Wunsch nach Anerkennung usw. (obwohl fortgesetzter Schlafentzug einen Menschen vermutlich auch töten kann).
Nur der Mensch ist aber in der Lage, sich sogar über seine elementaren Bedürfnisse hinwegzusetzen. Stellt man einem hungrigen Hund einen Napf mit Fressen hin, dann muss man ihn mit Gewalt davon abhalten, zu diesem Napf zu laufen und daraus zu fressen. Der Hund hat keine Möglichkeit, nicht zum Napf zu laufen und zu fressen!
Ein Mensch kann kurz vor dem Hungertod stehen, aber weil er sich zu einem Hungerstreik entschlossen hat, ist es ihm wegen seines Entschlusses und wegen seiner Überzeugung (und mit der entsprechenden Willenstärke) möglich, ihm hingestelltes Essen trotz starkem Hunger nicht zu essen, - z.B. weil er sich einem bestimmten politischen System nicht beugen will oder er kämpft für bessere Haftbedingungen (wenn er z.B. ein Strafgefangener ist) usw.
Der Mensch ist das einzige uns bekannte Lebewesen, welches bewusst seinen eigenen Tod in Kauf nimmt (z.B. für eine politische Idee) oder Suizid begehen kann. Damit ist der Mensch das einzige Lebewesen, welches sich über die ihm unmittelbar gegebenen biologischen Zwänge hinwegsetzen kann. Der Mensch ist das einzige uns bekannte Lebewesen, welches "Nein!" sagen kann und danach handeln, auch, wenn es seinen Tod bedeuten sollte. Ein Entschluss von ihm - also ein geistiger Akt - kann also einen Menschen dazu bewegen, sich unmittelbar gegebenen biologischen Zwängen zu entziehen und sei es, durch die Einwilligung in den eigenen Tod. "Ausstieg aus der Natur" ist also sehr wohl dem Menschen möglich! Auch das ist ein empirisch belegter Befund.

3.
Man kann das Seelische des Menschen, seine mentalen Zustände und geistigen Tätigkeiten durchaus als "Innenaspekt der Informationsverarbeitung im Menschengehirn" definieren, wie es der obige Text tut. Aber genau dieser "Innenaspekt der Informationsverarbeitung im Menschengehirn" ist ja das Rätsel des Bewusstseins!
Ein herkömmlicher Computer verarbeitet Informationen und zeigt dann ein bestimmtes Verhalten (spielt Schach oder übersetzt die eine Sprache in eine andere wie Google-Translate etc.). Aber wie es zu einem Innenaspekt dieser Informationsverarbeitung kommen könnte und wie man einen solchen Innensapekt einem Computer beibringen kann, das ist gerade das große Problem der KI, an denen sich die KI-Informatiker immer noch abarbeiten. Offenbar ist es nicht ganz so einfach, einem Computer Innenaspekte seiner Informationsverarbeitung beizubringen.
Das bedeutet, der obige Text lässt diese entscheidende Frage gerade außen vor. Klar kann man sagen, das Seelische und Geistige seien Innenaspekte der Informationsverarbeitung. Aber was das genau bedeutet und wie man es simulieren kann, das ist eben nicht so leicht zu klären. Ein Schachcomputer spielt eigentlich kein Schach, weil er nicht weiß, was er tut, wenn er Schach spielt. Er hat gar keine Ahnung von Schach. Ebenso wenig versteht der Google-Spanisch-Translater etwas vom Spanischen. Der Translater wendet sehr intelligent programmierte Regeln an, aber er versteht trotzdem kein Spanisch (vgl. John Searles "Chinesisches Zimmer").

closs
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#15 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von closs » Sa 6. Feb 2016, 22:10

Thaddäus hat geschrieben:Gabriel kann Geist, Sinn, Denken, Bewusstsein, Ich, geistige Inhalte, fiktionale Inhalte usw.usf. deshalb sogar sehr gut und ohne die Annahme besonderer geistiger Substanzen erklären, weil er zwischen den Gegenstandsbereichen von Welt und Universum unterscheidet (Welt = alles, was in der Welt erscheint und Universum = alles was physikalisch-materiell messbar ist). Dabei "existiert" alles, was in diesen (und weiteren) Sinnbereichen erscheint.
Kleiner Hinweis: In der letzten ZEIT war eine Rezension Gabriels Buch - er kam NICHT gut dabei weg. - Er sei zu oberflächlich.

Ich kann es nicht beurteilen, glaube aber auch hier, dass hier "Schulen" gegeneinander kämpfen. - EINES ist mir bei den Qualia allerdings auch nicht klar: Wie will man sie begründen, wenn nicht naturalistisch (wenn auch über Bande), wenn man keine Alternative dazu hat? - Denn "Geist" erhält nicht dadurch einen eigenen Charakter, dass man ihn nicht reduktionistisch-naturalistisch erklärt.

Insofern scheint mir der reduktionistisch-naturalistische Ansatz wenigestens zu Ende gedacht - wenn auch nach meiner Auffassung am falschen Ende.

Pluto
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#16 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » So 7. Feb 2016, 08:47

Thaddäus hat geschrieben:Der Mensch ist das einzige uns bekannte Lebewesen, welches bewusst seinen eigenen Tod in Kauf nimmt (z.B. für eine politische Idee) oder Suizid begehen kann. Damit ist der Mensch das einzige Lebewesen, welches sich über die ihm unmittelbar gegebenen biologischen Zwänge hinwegsetzen kann. Der Mensch ist das einzige uns bekannte Lebewesen, welches "Nein!" sagen kann und danach handeln, auch, wenn es seinen Tod bedeuten sollte. Ein Entschluss von ihm - also ein geistiger Akt - kann also einen Menschen dazu bewegen, sich unmittelbar gegebenen biologischen Zwängen zu entziehen und sei es, durch die Einwilligung in den eigenen Tod. "Ausstieg aus der Natur" ist also sehr wohl dem Menschen möglich! Auch das ist ein empirisch belegter Befund.
Wie bei den drei Musketieren? Einer für alle?
Wie erklärt man das Verhalten eines Erdmännchens, welches für die Kolonie Wache steht, und sich den Greifvögeln stellt? Es ist bereit sich für das Wohl der "Truppe" aufzuopfern.
Ist das nicht Altruismus?

Thaddäus hat geschrieben:Ein herkömmlicher Computer verarbeitet Informationen und zeigt dann ein bestimmtes Verhalten (spielt Schach oder übersetzt die eine Sprache in eine andere wie Google-Translate etc.). Aber wie es zu einem Innenaspekt dieser Informationsverarbeitung kommen könnte und wie man einen solchen Innensapekt einem Computer beibringen kann, das ist gerade das große Problem der KI, an denen sich die KI-Informatiker immer noch abarbeiten. Offenbar ist es nicht ganz so einfach, einem Computer Innenaspekte seiner Informationsverarbeitung beizubringen.
Wer sagt denn, dass es einfach sein soll, eines der komplexesten Computer die die Natur hervorgebracht hat, zu simulieren?
Die Frage ist nicht, ob es schwierig ist, sondern ob es prinzipiell MÖGLICH ist.

Thaddäus hat geschrieben:Aber was das genau bedeutet und wie man es simulieren kann, das ist eben nicht so leicht zu klären. Ein Schachcomputer spielt eigentlich kein Schach, weil er nicht weiß, was er tut, wenn er Schach spielt. Er hat gar keine Ahnung von Schach. Ebenso wenig versteht der Google-Spanisch-Translater etwas vom Spanischen. Der Translater wendet sehr intelligent programmierte Regeln an.
Weiß denn ein Schachspieler was Schach bedeutet? Verstehen Schachspieler das Spiel besser als ein solcher Computer? Was bedeutet es, wenn Jemand Großmeister ist? Bedeutet das nicht lediglich, dass seine Erkennungsfähigkeit für komplexe Muster auf dem Schachbrett, besser ist als das des durchschnittlichen Menschen?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#17 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » So 7. Feb 2016, 14:09

Pluto hat geschrieben: Wie bei den drei Musketieren? Einer für alle?
Wie erklärt man das Verhalten eines Erdmännchens, welches für die Kolonie Wache steht, und sich den Greifvögeln stellt? Es ist bereit sich für das Wohl der "Truppe" aufzuopfern.
Ist das nicht Altruismus?
Ja, gerne. Wenn Menschen ihr Leben für andere bereit sind zu opfern, ist das sicherlich altruistisch und es mag einen evolutionären Vorteil gebracht haben, wenn sich manche so verhalten.
Dennoch sind Menschen fähig und bereit, für Ideen zu sterben, die ihnen etwas bedeuten. Das tun Erdmännchen nicht. Wenn Altruismus einen evolutionären Vorteil bringen sollte, so können sich Menschen freilich auch ganz bewusst dagegen entscheiden und rein egoistisch handeln, selbst wenn sie wissen, dass sie damit unter Umständen nicht evolutionär sinnvoll handeln. Es ist auch evolutionär sinnvoll, wenn allen Männchen daran gelegen ist, ihre Gene möglichst breit zu streuen, indem sie möglichst viele Sexualpartner haben. Ist fremdgehen (in einer Paarbeziehung) darum moralisch in Ordnung? Ein Menschen-Männchen kann sich auch gerade dagegen entscheiden, fremd zu gehen, weil er seine Paarbindung nicht gefährden will oder einfach, weil er seine Partnerin liebt.
Und Suizid zu begehen, aus welchen Gründen auch immer, bringt ganz sicher keinen evolutionären Vorteil, sonst wäre es im Tierreich weit verbreitet.

Pluto hat geschrieben:Wer sagt denn, dass es einfach sein soll, eines der komplexesten Computer die die Natur hervorgebracht hat, zu simulieren?
Die Frage ist nicht, ob es schwierig ist, sondern ob es prinzipiell MÖGLICH ist.
Es ist irreführend, das Gehirn mit einem Computer zu vergleichen, denn beide arbeiten völlig unterschiedlich. Gleichwohl ist das Gehirn ein hoch komplexes Informationsverarbeitungssystem. Und wenn es die Evolution hervorgebracht hat, dann kann man es prinzipiell auch nachbauen. Mentale Prozesse zu simulieren ist auch vergleichsweise einfach, wenn sie nicht zu komplex sind. Ein Schachcomputer spielt ja offensichtlich Schach.

Pluto hat geschrieben:Weiß denn ein Schachspieler was Schach bedeutet? Verstehen Schachspieler das Spiel besser als ein solcher Computer? Was bedeutet es, wenn Jemand Großmeister ist? Bedeutet das nicht lediglich, dass seine Erkennungsfähigkeit für komplexe Muster auf dem Schachbrett, besser ist als das des durchschnittlichen Menschen?
Ja, ein Großmeister kann deshalb wesentlich besser Schach spielen als ein Laie, weil er viel besser komplexe Muster erkennen kann und seine Spielerfahrung sowie seine Fähigkeit, präzise Stellungen zu berechnen, sagen ihm, was er als besten Zug spielen muss. Die besten Schachprogramme können nur von wenigen Großmeistern noch geschlagen werden. Sie verlieren aber auch gegen diese Programme oft genug.
Im Gegensatz zu einem Schachprogramm kann ein Großmeister allerdings begründen, warum er einen Zug macht und manchmal kann er es auch nicht exakt begründen und macht gleichwohl den richtigen Zug, weil sein Stellungsgefühl ihm sagt, dass es der richtige Zug ist. Wenn ein Mensch Schach spielt, dann weiß er auch, dass er Schach spielt und es bedeutet ihm etwas, zu gewinnen oder zu verlieren. Ein Schachprogramm weiß weder, dass es Schach spielt, noch hat es irgendeine Bedeutung für es, zu gewinnen oder zu verlieren. Dies liegt daran, weil es eben nicht Schach spielt, sondern Schachspielen nur simuliert.

JackSparrow
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#18 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von JackSparrow » So 7. Feb 2016, 18:41

Thaddäus hat geschrieben:Stellt man einem hungrigen Hund einen Napf mit Fressen hin, dann muss man ihn mit Gewalt davon abhalten, zu diesem Napf zu laufen und daraus zu fressen.
Beziehungsweise durch Androhung von Gewalt. Ob Wolf, Schimpanse, Mensch oder Haushuhn - jedes Tier kennt seinen Platz und weiß wann es fressen darf und wann es zu warten hat.

Der Hund hat keine Möglichkeit, nicht zum Napf zu laufen und zu fressen!
Würde er sich aufgrund seines Hungers gegen sozial höher gestellte Tiere auflehnen, bestünde das Risiko, komplett aus dem Rudel ausgestoßen zu werden. Da dies in freier Wildbahn dem Verhungern gleichkäme, wählt man im Zweifelsfall dann doch lieber das geringere Übel.

Ein Entschluss von ihm - also ein geistiger Akt - kann also einen Menschen dazu bewegen, sich unmittelbar gegebenen biologischen Zwängen zu entziehen und sei es, durch die Einwilligung in den eigenen Tod.
Solche Menschen wollen ihre biologische Zwänge sozusagen durch Erpressung erfüllen. Für so viel Hinterhältigkeit sind beim Hund vermutlich die Hirnkapazitäten nicht ganz ausreichend.

Ein herkömmlicher Computer verarbeitet Informationen und zeigt dann ein bestimmtes Verhalten
Geht mir auch so.


Pluto hat geschrieben:Wie erklärt man das Verhalten eines Erdmännchens, welches für die Kolonie Wache steht, und sich den Greifvögeln stellt? Es ist bereit sich für das Wohl der "Truppe" aufzuopfern.
Ist das nicht Altruismus?
Ja. Wenns eine fremde Truppe wäre und nicht die, von der das eigene Überleben abhängt.

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#19 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » So 7. Feb 2016, 19:41

JThaddäus hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben: Der Hund hat keine Möglichkeit, nicht zum Napf zu laufen und zu fressen!
Würde er sich aufgrund seines Hungers gegen sozial höher gestellte Tiere auflehnen, bestünde das Risiko, komplett aus dem Rudel ausgestoßen zu werden. Da dies in freier Wildbahn dem Verhungern gleichkäme, wählt man im Zweifelsfall dann doch lieber das geringere Übel.
Der Hund "wählt" vermutlich gar nicht, sondern folgt einfach seinem Instinkt, der ihm sagt, dass er, wenn er dem Alpha-Tier beim Fressen in die Quere kommt, mit einem Angriff rechnen muss. Dass dieser Kampf dann nicht zu seinen Gunsten ausgehen wird: diese Erfahrung hat der Hund in vorherigen Rangkämpfen gemacht.

Aber auch, wenn der hungrige Hund in gar keinem Rudel lebt, kann man ihn nur mit Gewalt davon abhalten, zum Napf zu laufen und zu fressen. Er kann sich nicht vor seinen Napf setzen und die Nahrung verweigern, weil er denkt, dass sein Herrchen ein Idiot ist. Aber willensstarke Menschen, die können das! ;)

Ich habe kürzlich einen Artikel von einer Frau zu den Vorkommnissen in Köln in der Silvesternacht gelesen, die die interessante Frage stellte, warum die durchaus anwesenden Männer ihre Frauen nicht beschützt haben gegen die Angreifer. Vielleicht sind viele deutsche Männer einfach ein bisschen verweichlicht. :lol:
Biologistisch gesehen ist die Sache einfach: Jahrhundertausende lang haben Hominiden-Männchen ihre Weibchen gegen Angriffe verteidigt. Sowohl allein, als auch in Gruppen, wenn andere Gruppen die eigene Horde und vor allem die Weibchen und die Nachkommen bedrohten. Das war dann Krieg. Dafür erhielten sie im Gegenzug Sex mit ihren Weibchen und zwar zu jeder Zeit, denn Hominiden-Weibchen haben keine Zeit der Hitze, wie es bei den meisten anderen Säugetieren der Fall ist. Prinzipiell besteht bei den Hominiden-Weibchen eine ganzjährige Paarungsbereitschaft und bei den Hominiden-Männchen sowieso. Für den Sex mussten die Hominiden-Männchen aber bereit sein, im Ernstfall ihr Leben einzusetzen und zu riskieren. Das Risiko des eigenen Todes also als Einsatz für die sexuelle Befriedigung und jederzeitige Nachkommenszeugung.
Es gibt das Bild einer britischen Frau, die in einem britischen Hafen am Kai steht und ihren Mann verabschiedet, einen britischen Matrosen, der sich auf einem Kriegsschiff zum Einsatz bei den Falkland-Inseln aufmacht. Die Frau entblößt auf dem Bild ihre Brüste für ihren Mann, (der schon auf dem Schiff, ist, welches den Hafen verlässt. Leider konnte ich das BIld im Netz nicht finden.) Diese Geste ist das Sinnbild genau dieses Prinzips.
Nun ja, bei den Kölner Männern scheint dieses uralte Agreement jedenfalls nicht mehr zu funktionieren. Man kann sich nun die Frage stellen, ob die Kölner Männer unter biologistischen Gesichtspunkten besonders degeneriert sind oder im Gegenteil besonders fortschrittlich. ;)

Thaddäus hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Ein Entschluss von ihm - also ein geistiger Akt - kann also einen Menschen dazu bewegen, sich unmittelbar gegebenen biologischen Zwängen zu entziehen und sei es, durch die Einwilligung in den eigenen Tod.
Solche Menschen wollen ihre biologische Zwänge sozusagen durch Erpressung erfüllen. Für so viel Hinterhältigkeit sind beim Hund vermutlich die Hirnkapazitäten nicht ganz ausreichend.
Der Mensch muss überhaupt keine biologischen Zwänge erfüllen außer der Darmentleerung, Nießen, Husten und Blinzeln.
Ansonsten kann er sich allen vermeintlichen Zwängen verweigern, - und sei es durch den Freitod.

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Ein herkömmlicher Computer verarbeitet Informationen und zeigt dann ein bestimmtes Verhalten
Geht mir auch so.
Es ist interessant, dass manche Menschen so wahnsinnig gerne eine Maschine sein möchten. :)
Markus Gabriel vermutet, dass ihnen ihre Freiheit eine Bürde und Last ist, die ihnen Angst macht und von der sie sich befreien möchten. Es ist alles so viel einfacher, wenn man nicht selbst für seine Misere verantwortlich ist ... ;)
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 7. Feb 2016, 19:59, insgesamt 6-mal geändert.

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#20 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » So 7. Feb 2016, 19:52

Thaddäus hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Ein herkömmlicher Computer verarbeitet Informationen und zeigt dann ein bestimmtes Verhalten
Geht mir auch so.
Es ist interessant, dass manche Menschen so wahnsinnig gerne eine Maschine sein möchten. :)
Sind wir wieder neim Homunculus im Schädel angelangt? :o

Was bringt dich auf die kuriose Idee, dass einige von uns das möchten?
Es ist nicht so sehr, das "möchten", sondern dass wir (sehr komplexe) Maschinen sind. Es gibt in der gesamten Neurobiologie keinen einzigen Hinweis, dass irgend eine steuernde Kraft fehlen würde.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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