Was ist Hermeneutik?

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#11 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von closs » Sa 5. Sep 2015, 01:48

Savonlinna hat geschrieben:Wenn ich literarische Werke analysiere, gehe ich instinktiv davon aus, dass jedes Teil ein Aspekt des Ganzen ist, und dass das Ganze durch die Teile erschließbar wird.
Grundsätzlich einverstanden - allerdings würde ich hinzufügen: Es bedarf einer Substanz des Menschen, Teil SO zusammenzufügen, dass nicht nur Einzelteile miteinander zu einem Schneeball zusammengematscht werden, sondern dass es ein "echtes" Ganzes ergibt.

Das führt genau zu Deiner Aussage:
Savonlinna hat geschrieben:Was Hermeneutik "weltanschaulich" bedeutet, davon habe ich keinen blassen Dunst.
Die Antwort darauf wäre: Erst mal ist Hermeneutik eine Technik oder Methode - wie immer man es nennen will - ABER:

Diese Methodik kann aus meiner Sicht nicht funktionieren, wenn man nicht eine Weltanschauung hat, die "Geist" beinhaltet - denn erkennt man diesen "Geist" nicht an, kann man auch nicht "aus dem Einzelnen den Geist des Ganzen ... finden" (Ast).

Um diesen Gedanken hart zu Ende zu führen: Hermeneutik ohne Geist (im Sinne des Idealismus) geht nicht. - Es geht nur dann, indem man (wie es OFT geschieht) der Hermeneutik per Neudefinition (Semantic Shift) die Zähne zieht, wodurch (wie an anderer Stelle gesehen) plötzlich "Exegese" und "Hermeneutik" zu Synonymen werden.

Die Tatsache, dass sich Exegese und Hermeneutik nicht mehr klar begrifflich trennen lassen, ist aus meiner Sicht ein Indiz für eine materialistische Weltsicht, die den Idealismus (im philosophischen Sinne) verloren hat - gar meint, dadurch fortschrittlicher geworden zu sein.

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Andreas
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#12 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von Andreas » Sa 5. Sep 2015, 01:56

Savonlinna hat geschrieben:Dass das mit Hermeneutik zusammenhing, kann ich mich im Moment nicht besinnen.
Aber wenn plötzlich Begriffe in die Diskussion reingeschmuggelt werden, deren Bedeutung mir nicht klar ist, dann kann ich ja nicht weiterdiskutieren.

Was Hermeneutik "weltanschaulich" bedeutet, davon habe ich keinen blassen Dunst.

Das ging schon ziemlich früh bei dir und closs los. Hier zum Beispiel. Eine Seite davor und eine danach. Klingelts? "Hermeneutische Sprirale", "Heidegger", mein Brockhauszitat s.o. und was closs jetzt hier geschrieben hat.

Ich erwähne das nur dezent, damit sich das nicht wiederholen möge. Ganz unparteiisch, weil ich es selbst nicht so ganz peile. Allerdings kenne ich closs schon länger und meine seine Sichtweise in diesen Dingen einigermaßen verstanden zu haben (mühsam war's schon).

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Savonlinna
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#13 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von Savonlinna » Sa 5. Sep 2015, 02:29

closs hat geschrieben: ABER:

Diese Methodik kann aus meiner Sicht nicht funktionieren, wenn man nicht eine Weltanschauung hat, die "Geist" beinhaltet - denn erkennt man diesen "Geist" nicht an, kann man auch nicht "aus dem Einzelnen den Geist des Ganzen ... finden" (Ast).
Finde ich grundfalsch.

Hier bedürfte es eines wirklichen Nachweises.

closs hat geschrieben:Um diesen Gedanken hart zu Ende zu führen: Hermeneutik ohne Geist (im Sinne des Idealismus) geht nicht.
"im Sinne des Idealismus" ist wieder so eine Phrase, die nichts aussagt, aber elitär klingen soll.
Natürlich kann auch ein Materialist wunderbare Interpretationen bringen - man macht sich vielleicht falsche Vorstellungen von Materialisten.
Zum Beispiel sind gerade in der DDR wunderbare Orchester entstanden, der materialistische Staat legte den allerhöchsten Wert auf Kultur.


closs hat geschrieben: - Es geht nur dann, indem man (wie es OFT geschieht) der Hermeneutik per Neudefinition (Semantic Shift) die Zähne zieht, wodurch (wie an anderer Stelle gesehen) plötzlich "Exegese" und "Hermeneutik" zu Synonymen werden.
Die das tun, begreifen ja gar nicht, was Du forderst.

Nach dem obigen Vier-Punkte-System ist "Hermeneutik " nach Punkt 2 tatsächlich nicht synonym mit Exgese, weil sie - mal ganz nüchtern betrachtet - nur eine Unterform von Exegese ist. Es gibt andere Formen von Exegese als die unter Punkt 2 beschriebene Hermeneutik.

closs hat geschrieben:Die Tatsache, dass sich Exegese und Hermeneutik nicht mehr klar begrifflich trennen lassen, ist aus meiner Sicht ein Indiz für eine materialistische Weltsicht, die den Idealismus (im philosophischen Sinne) verloren hat - gar meint, dadurch fortschrittlicher geworden zu sein.
Wieso lassen die sich nicht klar begrifflich trennen? Das dürfte doch kein Problem sein, wenn man sich schlau macht. Man muss halt erst mal wissen, wie "Exegese" definiert wird, und dann die vier Definitionen von Hermeneutik damit abgleichen.

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#14 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von Thomas-Reichert » Sa 5. Sep 2015, 07:48

Ich werde einmal das Kapitel 16 der "Offenbarung des Johannes" hermeneutisch deuten. Die komplette Offenbarung gibt es heute abend. :-)


Offenbarung - Kapitel 16

1 Und ich hörte eine große Stimme aus dem Tempel, die sprach zu den sieben Engeln: Gehet hin und gießet aus die Schalen des Zorns Gottes auf die Erde!

2 Und der erste ging hin und goß seine Schale auf die Erde; und es ward eine böse und arge Drüse (kranke Schilddrüse→ Einen dicken Hals bekommen → ärgerlich, wütend sein) an den Menschen, die das Malzeichen (Kreuz) des Tiers (Kirche) hatten und die sein Bild (Jesus am Kreuz) anbeteten.

3 Und der andere Engel goß aus seine Schale ins Meer (Menschenmeer); und es ward Blut wie eines Toten, und alle lebendigen Seelen (positive Gefühlswelten) starben in dem Meer (Menschenmeer).

4 Und der dritte Engel goß aus seine Schale in die Wasserströme (Menschenstrom + Zeit/Vergänglichkeit = unsere glaubende Ahnen) und in die Wasserbrunnen (Reinigung/Erneuerung); und es ward Blut. 5 Und ich hörte den Engel (Stellvertreter) der Wasser (Menschen) sagen: HERR, du bist gerecht, der da ist und der da war, und heilig, daß du solches geurteilt hast, 6 denn sie haben das Blut der Heiligen (besondere Menschen) und Propheten (Fürsprecher) vergossen, und Blut (Wein → Rauschgetränk) hast du ihnen zu trinken gegeben; denn sie sind's wert. 7 Und ich hörte einen anderen Engel aus dem Altar sagen: Ja, HERR, allmächtiger Gott, deine Gerichte sind wahrhaftig und gerecht. (Offenbarung 6.9-10) (Offenbarung 9.13)

8 Und der vierte Engel goß aus seine Schale in die Sonne, und ihm ward gegeben, den Menschen heiß (Agression) zu machen mit Feuer (Angst, Schmerz). 9 Und den Menschen ward heiß von großer Hitze, und sie lästerten den Namen Gottes, der Macht hat über diese Plagen, und taten nicht Buße, ihm die Ehre zu geben.

10 Und der fünfte Engel goß aus seine Schale auf den Stuhl des Tiers (Heiliger Stuhl); und sein Reich ward verfinstert, und sie zerbissen ihre Zungen vor Schmerzen (seine Meinung verschweigen) 11 und lästerten Gott im Himmel vor ihren Schmerzen und vor ihren Drüsen (Wut) und taten nicht Buße für ihre Werke.

12 Und der sechste Engel goß aus seine Schale auf den großen Wasserstrom Euphrat; und das Wasser vertrocknete, auf daß bereitet würde der Weg den Königen vom Aufgang der Sonne (Neuanfang). 13 Und ich sah aus dem Munde 7 des Drachen (Böse) und aus dem Munde des Tiers (römische-katholische Kirche) und aus dem Munde des falschen Propheten (Papst) drei unreine Geister gehen, gleich den Fröschen (unkeusch, dreckig, abstossend)*; (Offenbarung 12.3) 14 denn es sind Geister der Teufel (Böse), die tun Zeichen und gehen aus zu den Königen auf dem ganzen Kreis der Welt, sie zu versammeln in den Streit auf jenen Tag Gottes, des Allmächtigen. 15 Siehe, ich (Johannes → Weisheit) komme wie ein Dieb (leise, bei Nacht). Selig (glücklich) ist, der da wacht und hält seine Kleider, daß er nicht bloß wandle und man nicht seine Schande sehe. 16 Und er hat sie versammelt an einen Ort, der da heißt auf hebräisch Harmagedon d.i. "Berg von Megiddo". 17 Und der siebente Engel goß aus seine Schale in die Luft; und es ging aus eine Stimme vom Himmel aus dem Stuhl, die sprach: Es ist geschehen. 18 Und es wurden Stimmen und Donner und Blitze; und ward ein solches Erdbeben, wie solches nicht gewesen ist, seit Menschen auf Erden gewesen sind, solch Erdbeben also groß. 19 Und aus der großen Stadt (Vatikan/Rom) wurden drei Teile (zerstört), und die Städte der Heiden fielen. Und Babylon (Vatikan/ Rom), der großen, ward gedacht vor Gott (Menschheit), ihr zu geben den Kelch des Weins (Rauschgetränk → konstruierten Aberglauben) von seinem grimmigen Zorn. (Offenbarung 14.8-10) 20 Und alle Inseln entflohen, und keine Berge wurden gefunden. (Offenbarung 6.14) 21 Und ein großer Hagel, wie ein Zentner (50 Kilo), fiel vom Himmel auf die Menschen; und die Menschen lästerten Gott über die Plage des Hagels, denn seine Plage war sehr groß.


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#15 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von Pluto » Sa 5. Sep 2015, 09:27

Thomas-Reichert hat geschrieben:Ich werde einmal das Kapitel 16 der "Offenbarung des Johannes" hermeneutisch deuten. Die komplette Offenbarung gibt es heute abend. :-)
Und...
Wo ist die Deutung?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#16 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von closs » Sa 5. Sep 2015, 10:39

Savonlinna hat geschrieben:Hier bedürfte es eines wirklichen Nachweises.
Das war meinerseits erst mal eine Schlussfolgerung aus Asts Definition von H. - Diese Definition kann man natürlich falsch finden (ist ja auch schon 200 Jahre alt).

Savonlinna hat geschrieben:Natürlich kann auch ein Materialist wunderbare Interpretationen bringen - man macht sich vielleicht falsche Vorstellungen von Materialisten.
Aus meiner Sicht liegt das daran, dass "Materialismus" eine Ideologie ist, die am Wesen des Menschen nichts ändert - spirch: Auch ein sich selbst als "Materialist" Bezeichnender hat nicht weniger Geist als ein sich als "Idealist" Bezeichnender.

Savonlinna hat geschrieben:Nach dem obigen Vier-Punkte-System ist "Hermeneutik " nach Punkt 2 tatsächlich nicht synonym mit Exgese, weil sie - mal ganz nüchtern betrachtet - nur eine Unterform von Exegese ist.
Interessant: Aus meiner Sicht ist Exegese ein Wasserträger für Hermeneutik.

Savonlinna hat geschrieben:Wieso lassen die sich nicht klar begrifflich trennen?
In der Praxis scheint das ohnehin zu sein. - Und Pluto hat eine Quelle genannt, in der beide de fact als deckungsgleich definiert werden.

Savonlinna hat geschrieben:Man muss halt erst mal wissen, wie "Exegese" definiert wird, und dann die vier Definitionen von Hermeneutik damit abgleichen.
Das wäre jetzt der Ansatz, wie man das heute strukturiert macht. - Kann ja gut sein. - Am Ende wird sich zeigen, ob sich damit wissenschaftliche Beobachtung und weltanschauliche Interpretation unterscheiden lassen.

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#17 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von Savonlinna » Sa 5. Sep 2015, 11:41

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Hier bedürfte es eines wirklichen Nachweises.
Das war meinerseits erst mal eine Schlussfolgerung aus Asts Definition von H. - Diese Definition kann man natürlich falsch finden (ist ja auch schon 200 Jahre alt).
Ich werd mir das mal angucken, was Herr Ast geschrieben hat, und auf welcher Basis seine Aussagen ruhen könnten.

So, wie es klang, lag dem etwas zugrunde, von dem ich hoffe, dass wir es eigentlich überwunden haben:
dass man bestimmten Menschen den "Geist" abspricht und dann ihnen die Berechtigung abspricht, etwas "richtig" zu interpretieren.
Da liegt ein Hochmut drin verborgen, den ich nicht akzeptieren kann.

Aber auch, wenn man "Geist" und "Materie" einander gegenüberstellen will: als systematisierenden Ansatz finde ich das noch in Ordnung, also wenn man Physisches von Geistigem unterscheidet.
Aber in der PRAXIS ist es im Menschen immer gemischt: wir können nichts Materielles wahrnehmen, ohne dass wir das mit dem mens, der Vernunft, also dem Geist, tun; und wir können keine geistige Tätigkeit ausüben, ohne dazu Materie zu benutzen.

Und das dritte: dass man denen, die behaupten, es gäbe keinen Geist, sondern nur Materie, ebenfalls die Fähigkeit abspricht, "geistvolle" Interpretationen zu machen. Aber siehe dazu die nächste Replik.

Im Grunde müsste man noch einen Thread eröffnen, wo man die verschiedenen Bedeutungen von "Geist" und vor allem "geistig" durchreflektiert.
Da werden hier im Forum nämlich auch verschiedene Bedeutungen abwechselnd gebraucht, und man weiß nie richtig, was die Aussage ist.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Natürlich kann auch ein Materialist wunderbare Interpretationen bringen - man macht sich vielleicht falsche Vorstellungen von Materialisten.
Aus meiner Sicht liegt das daran, dass "Materialismus" eine Ideologie ist, die am Wesen des Menschen nichts ändert - spirch: Auch ein sich selbst als "Materialist" Bezeichnender hat nicht weniger Geist als ein sich als "Idealist" Bezeichnender.
Das finde ich sehr schön gesagt.

Ich hatte als Studentin mal verblüfft festgestellt, dass in dem Buch "Weltall Erde Mensch" - ein Buch, das man denen schenkte, die die "Jugendweihe" (kommunistrisches Pendant zur Konfirmation) gerade vollzogen hatten - den Schülern erklärt wurde, wie falsch der Idealismus sei und wie richtig der Materialismus sei, und dann kam fast schwärmerisch die Definition von "Materie", der ewigen und sich ewig wandelnden Materie, die uns alle trage:

ich musste also verblüfft feststellen, dass man die Materie genauso definierte, wie man anderswo im Idealismus "Geist" definierte.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Nach dem obigen Vier-Punkte-System ist "Hermeneutik " nach Punkt 2 tatsächlich nicht synonym mit Exgese, weil sie - mal ganz nüchtern betrachtet - nur eine Unterform von Exegese ist.
Interessant: Aus meiner Sicht ist Exegese ein Wasserträger für Hermeneutik.
Mir liegt ja nun gerade daran, dass man systematisch die verschiedenen Bedeutungen von Hermeneutik überhaupt erst mal feststellt.
Wenn der theologische Artikel, auf den ich mich im Moment beziehe, erläutert, dass Hermeneutik in EINER Bedeutung eine bestimmte Form der Exegese sei - wenn ich das überhaupt richtig verstanden habe -, dann muss man nachgucken, ob DEINE Auffassung in den vier Punkten enthalten ist.
Wenn nein, muss man gucken, ob der Artikel von bibelwissenschaft. de Deine Bedeutung unterschlagen hat, und wenn ja, warum.
Möglicherweise ist sie aber doch in den vier Punkten enthalten, oder sie wird normal gar nicht angewandt.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Wieso lassen die sich nicht klar begrifflich trennen?
In der Praxis scheint das ohnehin zu sein. - Und Pluto hat eine Quelle genannt, in der beide de fact als deckungsgleich definiert werden.
Könntest Du die Quelle finden und hier posten?

Noch eine Bitte an Dich: dass Du aussagekräftiger zitierst.
Ich weiß jetzt überhaupt nicht mehr, worauf sich das "die" bezieht, die sich begrifflich nicht klar trennen können.
Ich habe so oft eine Suchaktion starten müssen, um zu finden, worauf Du Dich beziehst, das raubt furchtbar viel Zeit - und oft fand ich es gar nicht mehr und musste dann den ganzen Vorgang unkommentiert lassen.

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Man muss halt erst mal wissen, wie "Exegese" definiert wird, und dann die vier Definitionen von Hermeneutik damit abgleichen.
Das wäre jetzt der Ansatz, wie man das heute strukturiert macht. - Kann ja gut sein. - Am Ende wird sich zeigen, ob sich damit wissenschaftliche Beobachtung und weltanschauliche Interpretation unterscheiden lassen.
Aber der Begriff Hermeneutik ist doch nicht dazu, um wissenschaftliche Beobachtung und weltanschauliche Interpretation unterscheiden zu können?
Das hast Du schon mal geschrieben, und das habe ich überhaupt nicht verstanden.

Welche der vier Bedeutungen würde denn Deiner Meinung nach diese Funktion erfüllen?

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#18 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von Savonlinna » Sa 5. Sep 2015, 11:57

Andreas hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Dass das mit Hermeneutik zusammenhing, kann ich mich im Moment nicht besinnen.
Aber wenn plötzlich Begriffe in die Diskussion reingeschmuggelt werden, deren Bedeutung mir nicht klar ist, dann kann ich ja nicht weiterdiskutieren.

Was Hermeneutik "weltanschaulich" bedeutet, davon habe ich keinen blassen Dunst.

Das ging schon ziemlich früh bei dir und closs los. Hier zum Beispiel. Eine Seite davor und eine danach. Klingelts? "Hermeneutische Sprirale", "Heidegger", mein Brockhauszitat s.o. und was closs jetzt hier geschrieben hat.

Ich erwähne das nur dezent, damit sich das nicht wiederholen möge. Ganz unparteiisch, weil ich es selbst nicht so ganz peile. Allerdings kenne ich closs schon länger und meine seine Sichtweise in diesen Dingen einigermaßen verstanden zu haben (mühsam war's schon).
Dass in der damaligen Diskussion Heidegger und Ontologie eine entscheidende Rolle spielten, das weiß ich; dass auch Hermeneutik eine Rolle spielte, hatte ich nicht mehr so drauf.

Wir sind in der Diskussion jetzt aber insofern etwas weiter, als wir Begriffe klären.
Wenn Begriffe, die weltanschaulich besetzt sind, nicht geklärt werden, dann ist Sackgasse in der Diskussion.
Dass eine nüchterne Klärung von weltanschaulich besetzten Begriffen weh tun kann und man sich dagegen mit Händen und Fußen sträubt, hatte ich vielleicht nicht genügend berücksichtigt.

Was Deinen Brockhaus-Artikel betrifft:
Vielleicht kann man ihn, wenn man die vier erwähnten Bedeutungen von Hermeneutik klar hat, auf diese vier Bedeutungen hin untersuchen?

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#19 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von closs » Sa 5. Sep 2015, 14:55

Savonlinna hat geschrieben:So, wie es klang, lag dem etwas zugrunde, von dem ich hoffe, dass wir es eigentlich überwunden haben: dass man bestimmten Menschen den "Geist" abspricht und dann ihnen die Berechtigung abspricht, etwas "richtig" zu interpretieren. Da liegt ein Hochmut drin verborgen, den ich nicht akzeptieren kann.
So gesehen folge ich Dir.

Persönlich bin ich der Meinung, dass man von "Geist-Aktivierung" des Menschen sprechen sollte - jeder Mensch hat Geist (hat nichts mit Intellektualität zu tun), der unterschiedlich aktiviert sein kann.

Savonlinna hat geschrieben:Im Grunde müsste man noch einen Thread eröffnen, wo man die verschiedenen Bedeutungen von "Geist" und vor allem "geistig" durchreflektiert.
Richtig - hier im Forum ist der Status, dass die moderne Definition von Geist als neurologische Phänomen (Geist = Folge von Materie) ein Fortschritt gegen frühere Definitionen ist. :|

Savonlinna hat geschrieben:ich musste also verblüfft feststellen, dass man die Materie genauso definierte, wie man anderswo im Idealismus "Geist" definierte.
So ist es - deshalb ist Materialismus aus meiner Sicht eine Religion. - Besonders in unseren (Nach-DDR-)Zeiten.

Savonlinna hat geschrieben:Mir liegt ja nun gerade daran, dass man systematisch die verschiedenen Bedeutungen von Hermeneutik überhaupt erst mal feststellt.
Herkules-Arbeit. - Da bin ich fauler und ziehe vor, diejenige Bedeutung von Hermeneutik zu nutzen, die bei geistigen Fragestellungen was bringt.

Savonlinna hat geschrieben:Wenn nein, muss man gucken, ob der Artikel von bibelwissenschaft. de Deine Bedeutung unterschlagen hat, und wenn ja, warum.
Mein parteiischer und spitz formulierter Verdacht: Die Grundlagen dessen, wofür die Hermeneutik da ist, sind so vergessen, dass man irgendwelche Definitionen braucht, die für den Rest brauchbar sind. - Das ist so, als würde man einen untauglichen Mitarbeiter, dem man nicht kündigen kann, einen Job in irgendeinem Hinterzimmer geben.

Savonlinna hat geschrieben:Könntest Du die Quelle finden und hier posten?
Ich gebe die Frage an Pluto weiter, der sie verlinkt hat - ich weiss aber nicht mehr, in welchem Thread das war.

Savonlinna hat geschrieben:Noch eine Bitte an Dich: dass Du aussagekräftiger zitierst.
OK - kann ich machen. - Manchmal nehme ich nur einen Satz, um Full-Quotes zu vermeiden.

Savonlinna hat geschrieben:Aber der Begriff Hermeneutik ist doch nicht dazu, um wissenschaftliche Beobachtung und weltanschauliche Interpretation unterscheiden zu können? - Das hast Du schon mal geschrieben, und das habe ich überhaupt nicht verstanden.
Wir haben es früher unterm Strich so gehandhabt - allerdings muss ich gestehen, dass die Unis damals nicht so intensiv auf Wissenschafts-Theorien ausgerichtet waren. - Im Gegenteil - der Spott, den ich in England gehört habe, war oft: "Ihr Deutschen braucht zwei Drittel eines Buches für Theorie, um Euch dann im letzten Drittel zu bequemen, den Lesern zu sagen, worum es eigentlich inhaltlich geht".

Bei uns ging es ausschließlich darum, einvernehmlich definiertes Handwerkszeug zu haben, dass man möglichst schnel in medias res gehen kann. - Und da war eben die "Exegese" (= alles, was man archäologisch, historisch, sprachlich, quellen-bezogen, rezeptions-bezogen zu untersuchen hat, bevor man überhaupt anfängt, den Text zu inhaltlich bewerten) - und da war die Hermeneutik ("wie gehe ich heran, um den Text einer wissenschafts-konformen, also exegese-konformen, Interpretation zuzuführen").

In wiki heisst es dazu:
"Hermeneutik und Exegese sind voneinander zu unterscheiden. Biblische Exegese bezeichnet die konkrete Auslegung eines bestimmten biblischen Textes, Hermeneutik dagegen beleuchtet die Voraussetzungen und Ziele der Auslegung. ... Exegese ... hat ... eine bestimmte Hermeneutik zur Grundlage"

Ich kämpfe überhaupt nicht um meinen Hermeneutik-Begriff. - Mir würde es reichen, wenn man begriffsfrei sagt: "Historische, auktoriale, textliche und rezeptionelle Analyse sind streng zu trennen von Schlussfolgerungen daraus". - Das klingt zwar nach Hausfrauen-Wissenschafts-Theorie, aber es blendet wenigstens nicht die Hauptsache aus - die Trennung zwischen Wissenschaft und Weltanschauung/Ideologie.

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#20 Re: Was ist Hermeneutik?

Beitrag von Andreas » Sa 5. Sep 2015, 15:14

closs hat geschrieben:Richtig - hier im Forum ist der Status, dass die moderne Definition von Geist als neurologische Phänomen (Geist = Folge von Materie) ein Fortschritt gegen frühere Definitionen ist.
Das wollte ich dir schon seit langem mal sagen: Hier sind auch noch die letzten Christ-Mohikaner unterwegs und noch ein paar andere "geistig Aktivierte". Deine Perspektive scheint leicht verzerrt zu sein, weil du dich hauptsächlich mit unseren Neo-Athis auseinandersetzt. Was dir hier im Forum begegnet, solltest du auch nicht auf den Rest der Gesellschaft in Deutschland hochrechnen, was du leider auch manchmal tust. So "mächtig" ist diese kleine Minderheit nämlich gar nicht. Die sind bloß hier so laut.

Howgh, ich habe gesprochen.

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