Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Philosophisches zum Nachdenken
Pluto
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#11 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von Pluto » Sa 21. Mär 2015, 16:42

Novalis hat geschrieben:Wie kann aus vermeintlich "toter" Materie plötzlich Leben und Bewusstsein entstehen? Da braucht es ein sinnvolles Paradigma.
In seiner Monadologie schrieb Leibniz

Man ist außerdem genötiget zu bekennen daß die perception und dasjenige was von ihr dependieret auf mechanische Weise das ist durch die Figuren und durch die Bewegungen nicht könne erkläret werden. Und erdichteten Falls daß eine Machine wäre aus deren Structur gewisse Gedanken Empfindungen Perceptionen erwüchsen; so wird man dieselbe denkende Machine sich concipieren können als wenn sie ins große nach einerlei darinnen beobachteter Proportion gebracht worden sei dergestalt daß man in dieselbe wie in eine Mühle zugehen vermögend wäre. Wenn man nun dieses setzet so wird man bei ihrer innerlichen Besichtigung nichts als gewisse Stücke deren eines an das andere stosset niemals aber etwas antreffen woraus man eine Perception oder Empfindung erklären könnte. Dahero muß man die Perception in der einfachen Substanz und keines weges in dem Composito oder in der Machine suchen.

[Gottfried Wilhelm Leibniz 1714: Monadologie §17]
Du hast etwas mit Leibniz gemein. Auch er konnte wegen seinem vorgefassten Weltbild nicht fassen, was schon Spinoza gelang: nämlich den Ursprung des Geistes im Körper zu finden.

Ähnliche Zweifel an der Metaphysik findet man auch bei Kant:
Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Pluto
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#12 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von Pluto » Sa 21. Mär 2015, 16:50

closs hat geschrieben:Allerdings bedingt diese Einigkeit ein Opfer - nämlich dass man damit eingesteht, dass Wissenschaft sowie zeitgenössische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie nur einen Teil dessen abbilden können, was für den Menschen der Fall ist (einfachstes Beispiel: "Gott" könnte der Fall sein). - Solange Wissenschaft sowie zeitgenössische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie dies erkennen, kann es ein gutes Einvernehmen zwischen Metaphysik und Wissenschaft geben - weil beides nicht interferiert.
Das ist nicht ganz einfach, zumal die wissenschaftlichen Erkenntnisse immer öfter dem alten metaphysischen Glauben widersprechen.
Anstatt die Erkenntnisse anzuerkennen, machen sich Anhänger der Metaphysik die Wissenschaft zum Zerstörer ihrer Glaubensbekenntnisse:
Was nicht sein darf, kann auch nicht sein.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#13 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von closs » Sa 21. Mär 2015, 16:55

Pluto hat geschrieben:Auch er konnte wegen seinem vorgefassten Weltbild nicht fassen, was schon Spinoza gelang: nämlich den Ursprung des Geistes im Körper zu finden.
Das war kein "Gelingen", sondern die Eröffnung einer neuen Perspektive. - Natürlich kann man aus Sicht der Materie versuchen, den Geist zu begreifen - das macht heute jeder Neurowissenschaftler. - Aber man kann diese EINE Perspektive nicht zu "Wissen" machen, das dem "Glauben" der anderen Perspektive qualitativ überlegen wäre. - Denn BEIDES ist Glaube.

Pluto hat geschrieben:Was nicht sein darf, kann auch nicht sein.
Dieser Vorwurf ist gegenseitig.

Pluto hat geschrieben:Das ist nicht ganz einfach, zumal die wissenschaftlichen Erkenntnisse immer öfter dem alten metaphysischen Glauben widersprechen.
Das kann nur dann passieren, wenn mindestens eine der beiden Seiten im Sinne seines Wahrnehmungs-Systems undiszipliniert ist. - Wenn es beide richtig machen, interferieren sie nicht - weil sie auf ganz anderen Ebenen arbeiten.

Novas
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#14 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von Novas » Sa 21. Mär 2015, 17:01

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Ich erkenne weder die Notwendigkeit transzendenter Metaphysik für die Wissenschaft, noch sehe ich in der zeitgenössischen Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie eine Begründung dafür.
Im Sinne der Definition dessen, was Wissenschaft ist, erkenne ich ebenfalls keine Notwendigkeit. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die zeitgenössische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. - Insofern sind wir uns einig.

So ist es. Rein methodisch vollkommen verständlich - und da würde ich mich sogar auf die Seite der skeptischen Empiristen stellen - haarig wird es, wenn Physikalisten exklusivistisch und strenggläubig ihr Weltbild vertreten.

Anton B.
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#15 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von Anton B. » Sa 21. Mär 2015, 17:06

Novalis hat geschrieben:Vielen Dank für deine erlesenen Gedanken, lieber Anton.
Vielen Dank, Novalis. Aber ich nehme mal an, Du meinst "erlesen" doch in einem sehr verschmitzten Sinne (nämlich in des Worte engster Bedeutung: also mehr "gelesen" als "selber gedacht") und damit dürftest Du auch Recht haben.

Novalis hat geschrieben:Ich bin der Ansicht, dass Menschen ihrem Denken immer ein metaphysisches Paradigma zugrunde legen - sobald wir ein Weltbild formulieren und uns eine bestimmte Vorstellung vom Sein machen - sei es spirituell oder materialistisch.
Das nehme ich auch an. Und ich könnte mir vorstellen: ein mehr oder weniger persönlich ausgeprägtes metaphysisches Paradigma.

Novalis hat geschrieben:Wenn Pluto behauptet, dass das materialistische Weltbild wahr ist, dann weil er selbst von bestimmten Vorannahmen ausgeht, die er allen weiteren Schlussfolgerungen zugrunde legt.
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe, bezieht Pluto eine "naturalistische Position".

Während ein "materialistisches Weltbild" eben ein Weltbild ist, sind "naturwissenschaftliche Theorien" eben naturwissenschaftlice Theorien und "wissenschaftliches Wissen" eben wissenschaftliches Wissen. Die Weltbildfrage gäbe es nicht, wären diese Theorien und dieses Wissen so "offensichtlich" erfolgreich.

Die Auseinandersetzung damit ist daher kaum zu vermeiden. Die Antworten darauf reichen gar bis in den Bereich persönlicher Sinnstiftung.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#16 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von Anton B. » Sa 21. Mär 2015, 17:16

closs hat geschrieben:Allerdings bedingt diese Einigkeit ein Opfer - nämlich dass man damit eingesteht, dass Wissenschaft sowie zeitgenössische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie nur einen Teil dessen abbilden können, was für den Menschen der Fall ist (einfachstes Beispiel: "Gott" könnte der Fall sein). - Solange Wissenschaft sowie zeitgenössische Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie dies erkennen, kann es ein gutes Einvernehmen zwischen Metaphysik und Wissenschaft geben - weil beides nicht interferiert.
Wo liegt denn das Problem? Seitdem ich die Fachpublikationen (allerdings mit den Schwerpunkten Geologie und Biologie) verfolge, wurde dort niemals das Thema "Gott" thematisiert.

Haben die Physiker vielleicht Neues publiziert und sich dabei in verbotenes Terrain bewegt?
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#17 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von closs » Sa 21. Mär 2015, 17:31

Anton B. hat geschrieben:Haben die Physiker vielleicht Neues publiziert und sich dabei in verbotenes Terrain bewegt?
Lieber Anton: Würde DEIN Wissenschaftsbegriff verbindlich sein, gäbe es keinen Streit. - Das Problem ist, dass mit Verweis auf Physik Weltanschauung betrieben wird - und zwar auf breiter Front.

Anton B. hat geschrieben:Während ein "materialistisches Weltbild" eben ein Weltbild ist, sind "naturwissenschaftliche Theorien" eben naturwissenschaftlice Theorien und "wissenschaftliches Wissen" eben wissenschaftliches Wissen.
"Innerhalb eines selbst-gemachten Modells", dürfte man in Deinem Sinne hinzufügen. - An der Richtigkeit innerhalb dieses Systems zweifelt kein Außenstehender (sollte es zumindest nicht).

Anton B. hat geschrieben:Die Weltbildfrage gäbe es nicht, wären diese Theorien und dieses Wissen so "offensichtlich" erfolgreich.
Wenn ich Dich recht verstehe, ist das (zumindest meistens) falsch. - Denn "Weltbild" ist immer die Universalisierung eines Modells - und wenn man ein Modell universalisiert, verlässt man den Modell-Charakter der Wissenschaft.

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#18 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von Novas » Sa 21. Mär 2015, 17:34

Anton B. hat geschrieben:Wo liegt denn das Problem? Seitdem ich die Fachpublikationen (allerdings mit den Schwerpunkten Geologie und Biologie) verfolge, wurde dort niemals das Thema "Gott" thematisiert

Mein Hauptinteresse ist die Verteidigung und Bestärkung der geistig-idealistischen Denkweise, als eine mögliche Option. Wenn sichtbar wird, dass wir auch ganz anders über die Welt nach-denken können, dann wäre schon viel gewonnen. Am Anfang steht die Erfahrung und auf diese Erfahrung folgt das Denken, weshalb wir eigentlich immer Nach-Denken.

Da könnte man den Skeptizismus sogar weiter treiben: ab wann wissen wir, dass unsre Gedanken mit der Realität identisch sind, wenn sie im Grunde nur eine interpretative "Antwort" auf erlebte Erfahrungen sind?

"Der Physikalismus ist in der Philosophie die metaphysische These, dass alles, was existiert, physisch sei, oder dass zwischen den Eigenschaften aller real existierenden Objekte und deren physikalischen Eigenschaften eine Supervenienz-Beziehung herrsche. Der Physikalismus ist damit eine monistische Position, die im Gegensatz zu dualistischen, pluralistischen und idealistischen Positionen steht"
https://de.wikipedia.org/wiki/Physikalismus_(Ontologie)

Das ist also auch Metaphysik.

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#19 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von Anton B. » Sa 21. Mär 2015, 17:42

closs hat geschrieben:
Anton B. hat geschrieben:Die Weltbildfrage gäbe es nicht, wären diese Theorien und dieses Wissen so "offensichtlich" erfolgreich.
Wenn ich Dich recht verstehe, ist das (zumindest meistens) falsch. - Denn "Weltbild" ist immer die Universalisierung eines Modells - und wenn man ein Modell universalisiert, verlässt man den Modell-Charakter der Wissenschaft.
Oh nein! Es sollte natürlich heißen:

Anton B. hat geschrieben:Die Weltbildfrage gäbe es nicht, wären diese Theorien und dieses Wissen nicht so "offensichtlich" erfolgreich.
Aber Du hast trotzdem recht:
closs hat geschrieben:Denn "Weltbild" ist immer die Universalisierung eines Modells - und wenn man ein Modell universalisiert, verlässt man den Modell-Charakter der Wissenschaft.
Wobei es sich nicht direkt an den Modellen sondern an der Methode festmacht: Die Methode wird universalisiert.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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#20 Re: Metaphysik und das Verhältnis zur Wissenschaft

Beitrag von Pluto » Sa 21. Mär 2015, 17:53

closs hat geschrieben: Aber man kann diese EINE Perspektive nicht zu "Wissen" machen, das dem "Glauben" der anderen Perspektive qualitativ überlegen wäre.
Natürlich ist nichts beweisbar, aber die Tastsache, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse funktionieren erlaubt es uns anzunehmen etwas sei richtig wenn es in der Praxis funktioniert.

Bestes Beispiel ist, wenn Kirchtürme dem Glauben zum Trotz, mit Blitzableitern versehen werden.

closs hat geschrieben:Das kann nur dann passieren, wenn mindestens eine der beiden Seiten im Sinne seines Wahrnehmungs-Systems undiszipliniert ist.
So ist es. Du darfst raten, welche wohl die disziplinierte Methode ist.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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