Savonlinna hat geschrieben:Aber es spielt keine Rolle. Autoritäten haben bei mir keinen Vorrang. Ich muss selber verstehen, selber ganz von vorne philosophieren.
So ist es - wir wollen hier nicht Descartes gerecht werden, sondern seine Gedanken zur Kenntnis nehmen und sie aus unserer Sicht verwerten.
Savonlinna hat geschrieben:Ich versuchte damit deutlich zu machen, dass Descartes' Versuch, aus seinem Zweifel herauszukommen - falls er überhaupt wirklich einen hatte -, psychologisch zu verstehen ist, nicht philosophisch.
Dass Du das meinst, kam mir, während ich Deinen Beitrag gelesen habe - jetzt hast Du es selber so analysiert.
Natürlich gibt es nichts, was ein Mensch macht, was nicht irgendwie mit seiner Psyche zu tun hätte - jedes Werk in Literatur und Musik ist biografistisch koloriert. Aber deswegen macht man so etwas nicht. - In diesem Sinne: Dass Descartes auf dieses sein Thema gestoßen ist, mag man psychologisch begründen - aber das heisst nicht, dass seine Aussagen psychologischer Natur sind. - In anderen Worten: Descartes meint seine Worte genauso philosophisch wie Augustinus, der 1000 Jahre zuvor fast wörtlich auf das selbe Ergebnis kommt.
Und jetzt sind wir exakt beim Unterschied zwischen Metaebene und Disziplin - auf der Metaebene versucht man zu klären, wie Systeme funktionieren und auf welchen Voraussetzungen sie fußen. - Auf der Disziplinsebene versucht man zu klären, wie ein Sachverhalt im Sinne des eigenen Wahrnehmungsausschnitts zu bewerten ist.
In diesem Sinne ist die Feststellung, dass es ein Zusammenfallen von Subjekt und Objekt gibt, wenn das Ich das Ich ontologisch bewertet, ein nüchterner logischer Vorgang - die Frage lautet NICHT "Wer bin ich?", sondern "Bin ich?". - Und die Antwort auf die Frage "Bin ich?" ist - das wäre die Kernaussage - die einzige Seins-Frage, die für den Menschen sicher mit "JA" beantwortet werden kann.
Lautete die Frage "Stimme ich im Alltag mit mir überein?" wäre das eine psychologische Frage und keine ontologische mehr - dementsprechend könnte man sie psychologisch oder theologisch oder sozialwissenschaftlich beantworten (lassen).
Was hier wieder durchbricht (auch das wäre ein ganz neues Thema), ist folgendes: Beim genauen Durchlesen des AT in der Buber-Übersetzung ist mir im Vergleich mit üblichen renommierten Übersetzungen aufgefallen, dass Buber phänomenologisch übersetzt ("Es-ist-so"), während die üblichen europäischen Übersetzungen wertend übersetzen ("Es-ist-so-weil"). - Ersteres wäre (im Sinne der hier verwendeten Begriffsbesetzung) ontologisch übersetzt, das andere nicht.
Das genau scheint ein Problem unserer Epoche zu sein: Man lässt Sachen nicht stehen, sondern siebt sie erst mal durch sich als Ego durch - es geht einem nicht um ehrfürchtiges "Mit-Wissen" ("con-scientia") dessen, was man wahrnimmt, sondern man zieht es neurotisch oder einfach über Generationen eingeübt durch den eigenen Senf und sagt DANACH: "Da steht es doch".
Das kann individualistisch erfolgen - "Wir haben Meinungsfreiheit - deshalb vertrete ich die Meinung (so wie ein Rechtsanwalt einen Mandanten utilitaristisch vertritt), dass Uli Höneß nicht 3, sondern 10 Jahre hätte bekommen sollen". - Vorher klärt man das mit dem gesellschaftlichen Spielraum ab, in dem eine Meinung akzeptiert ist - und schon ist man wer. - Es geht also ums Ich und nicht um die Wahrheit. - Das kann auch systematisch erfolgen. - Da ist die Welt, die ich naturalistisch beobachte - anderen Systemen, die nicht objektivierbar sind, bin ich mit meinem System überlegen.
Das kann man alles machen (und tut es unwillkürlich im Alltag auch) - aber: Man darf es eben nicht mit dem Etikett "ontologisch" versehen. - "Ontologisch" wäre: "Das Ich IST, wenn es in der Lage ist, das Ich zu reflektieren" - Punkt - egal mit welchen Konsequenzen - es "ist" so. - "Ontologisch" wäre auch, dass der Naturwissenschaftler sagt: "Es ist naturwissenschaftlich objektivierbar, dass ein rohes Ei zerspringt, wenn man es aus 3 Metern Höhe auf einen Steinboden fallen lässt" - es "ist" so.
Nicht-ontologisch, sondern disziplinär gefärbt wäre, wenn man sagen würde: "Was sehe ich eigentlich unter psychologischen Gesichtspunkten, wenn ich micht reflektiere?". Nicht-ontologisch wäre auch, wenn man sagen würde "Was nicht prinzipiell falsifizierbar ist, ist nicht Sein/"Realität"". - In beiden Fällen ersetzt man die nüchterne Beschäftigung mit Sein oder Nicht-Sein durch eine disziplinär kolorierte Form der Beschäftigung. - Das kann man tun, muss man sogar tun, wenn man pragmatisch weiterkommen will - das ist nicht das Problem. - Das Problem scheint zu sein, dass es außer Mode geraten ist, die unterschiedliche Kategorialität dieser Denkweisen "ontologisch - nicht-ontologisch" zu erkennen.
Und das hat dann sehr wohl mit der (Thread-)Frage zu tun, was (im christlichen Sinne: ebenbildlicher) Geist ist. - Denn im christlichen Sinne wäre dieser Geist diejenige Kraft, die den Menschen vom Ego wegführt in das "Mit-Wissen" ("con-scientia" = Mit-Wissen/Bewusstsein/Gewissen) bezüglich der Schöpfung und somit in das "Mit-Wissen" an Gott. - Und das funktioniert NICHT, wenn man disziplinäre Systeme zum Maßstab nimmt - sie sind als Hilfsmittel gemeint. - Es funktioniert nur über das ich-distanzierte "Was IST?"/"Was strömt auf mich ein?"/"Wie lasse ich es sein, was es ist, ohne es durch eigenes Dazwischendrängen zu kontaminieren?".
Sind solche Gedanken im 21. Jh. noch vermittelbar?