closs hat geschrieben:Der eine sieht die Freiheit in der Aufhebung des Ichs in Gott - der andere versteht unter Freiheit die Stärkung des Anthropozentrischen. - Beide Ansätze sind in sich schlüssig, aber halt weltanschaulich komplett unterschiedlich. - Streng genommen kann der Anhänger der Neo-Aufklärung überhaupt nicht Christ sein (es sei denn, er trennt - ohne es zu wissen - seine Überzeugung von seinem Wesen).
Ja, das ist wohl der Denkfehler. Ohne das spirituelle Bewusstsein – der Verbundenheit von Mensch, Kosmos und dem Urgrund allen Seins – und dem Einssein darin, ist die Stärkung des Anthropozentrischen nur eine Verschönigung des Festsitzens im eigenen Egotunnel. Der Mensch wird gestärkt, wenn er sich seiner höheren Verbundenheit bewusst wird. Wir sehen schließlich tagtäglich wohin die auf das Ego verengte Perspektive führt.
Das, was man vulgär "esoterisch" nennt, sind dagegen üblicherweise Spielwiesen INNERHALB der Anthropozentrik - also NICHT "Wie lasse ich mich aufheben?", sondern "Welchen Selbst-Verwirklichungs-Varianten INNERHALB meiner neo-aufgeklärten Anthropozentrik wende ich mich zu".
Esoterik ist rein philosophisch gesehen die vergleichende Studie der tieferen Innerlichkeit ( gr. Esos ) des Menschen, wie sie sich in ihren symbolischen Bedeutungzusammenhängen darstellt, gegenüber den äußeren Elementen und Begebenheiten – den exoterischen Aspekten des menschlichen Lebens. Heute wissen natürlich viele Menschen gar nicht mehr, was das bedeutet, maßen sich aber an selbst Esoteriker zu sein oder halten ein bisschen stumpfe Polemik für einen angemessenen Umgang. Ganz anders der Umgang von Rene Guenon, der eine vergleichende Studie der universalen Symbolik angefertigt hat. Solche
wissenschaftlichen Arbeiten werden aber kaum wahrgenommen. Warum? Irgendwie haben die Menschen heutzutage große Angst die INNERLICHKEIT (!) wahrzunehmen, vorallem wenn das aus einer wissenschaftlichen Perspektive geschieht. Dann genügt der Begriff "Esoterik", um sich gar nicht mehr damit zu beschäftigen. Offenbar ist jede Äußerlichkeit mehr oder weniger rechtens, während man jeder kleinsten inneren Erfahrung absolut kritisch gegenübersteht. Nicht umsonst hört man heute im alltäglichen Sprachgebrauch kaum noch das Wort "Muße". Das sagt doch alles, nicht wahr?
closs hat geschrieben:Vielleicht meint er das AUCH. - Aber rezipiert wird er ganz anders. Was bei Sartre bleibt, ist das "Erfinde Dich selbst" (da es Gott nicht gibt, also eine Wesensbestimmung gar nicht vorgesehen ist).
So kann man Sartre verstehen, aber ich würde ihm generell mehr philosophische Tiefe zusprechen. Man muss halt sehen, auf welcher Hintergrundfolie er seine Philosophie entwickelte. Das ist der Verlust des christlichen Glaubens, der seit Jahrhunderten das europäische Geistesleben prägte, Nietzsches Verkündigung vom „Tod Gottes“ und die Erkenntnis einer fundamentalen Krise, deren Ende auch heute noch lange nicht abzusehen ist.
Der Philosoph erfindet nicht nur beliebig irgendeine eigene Philosophie, sondern er spiegelt die Probleme und Möglichkeiten der Zeit. So ist der Existenzialismus bis heute eine Denkaufgabe an die Religion, die oft gar nicht mehr imstande ist echte Lösungen anzubieten, eben weil die existenzielle Quelle gar nicht mehr mit den Begriffen begriffen wird. Die Aufgabe besteht nun (meiner bescheidenen Meinung nach) darin von den theologischen Begriffen wieder zum spirituellen Ergriffensein zu kommen. Die Innerlichkeit/das Bewusstsein müsste also thematisiert werden.