Ich weiß, dass ich nichts weiß

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#11 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von closs » Fr 19. Sep 2014, 08:50

Pluto hat geschrieben:Es existiert keine einheitliche Definition des Begriffs Erkenntnis.
Das ist ein wissenschaftliches Problem, aber keines in der Praxis.

Christlich würde man "Erkenntnis" - in Anlehnung an den wiki-Beitrag - als durch Einsicht oder Erfahrung gewonnene "Gewissheit" bezeichnen. - In der Praxis läuft es so: Man merkt, ob man etwas verstanden hat oder nicht - man spürt, wie einem etwas klar wird - man merkt, dass es immer wieder funktioniert, wenn man es einmal kapiert hat - man kann diese Erkenntnis teilen mit Menschen, die dieselbe Erkenntnis haben.

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Magdalena61
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#12 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von Magdalena61 » Fr 19. Sep 2014, 11:04

Pluto hat geschrieben:Erinnerst du dich an Sokrates?
Ich weiß, dass ich nichts weiß, und an meine Argumentation, dass er die Menschen vor dem Hochmut warnen wollte, zu meinen, sie wüssten zu viel?
Wenn Sokrates Menschen erziehen und überzeugen wollte, dann hätte er bei der Wahrheit bleiben müssen.

"Nichts wissen" -- ist schamlos untertrieben. Natürlich "weiß" der denkende Mensch "etwas", er hat Informationen in seinem Kopf gespeichert, er hat "etwas gelernt", es ist nur nicht genug, um alle schweren Fragen zufriedenstellend beantworten zu können.

Es ging ihn nämlich darum, ob wir trotz der Einsicht, dass wir nichts wissen können, vielleicht dennoch etwas über die Welt in der wir leben, erkennen und erfahren können, ob wir uns wenigstens ein bisschen den Schleier der Realität lüften können
Na klar... wir können die physischen Abläufe, nach denen die Welt funktioniert erkennen, studieren und erklären.
oder ob wir in Ewigkeit verdammt sind im Unwissen zu verharren?
Wer noch eine weitere Disziplin dazu nimmt, nämlich die Geistliche, der ist den säkularen Philosophen einige Schritte voraus.
Wieso Ewigkeit?

Wer nicht an eine spirituellen Parallelwelt glaubt, der glaubt doch auch nicht an ein Weiterleben nach dem Tod. Wo ist das Problem?
LG
God bless you all for what you all have done for me.

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#13 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von Pluto » Fr 19. Sep 2014, 11:25

Magdalena61 hat geschrieben:"Nichts wissen" -- ist schamlos untertrieben. Natürlich "weiß" der denkende Mensch "etwas", er hat Informationen in seinem Kopf gespeichert, er hat "etwas gelernt", es ist nur nicht genug, um alle schweren Fragen zufriedenstellend beantworten zu können.
Natürlich meinen wir alle etwas zu Wissen, aber was wissen wir wirklich sicher?
Es ist nun mal eine Tatsache, dass all unser vermeintliches Wissen auf Annahmen, das was closs "Setzungen" nennt, aufbaut.

Magdalena61 hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:oder ob wir in Ewigkeit verdammt sind im Unwissen zu verharren?
Wer noch eine weitere Disziplin dazu nimmt, nämlich die Geistliche, der ist den säkularen Philosophen einige Schritte voraus.
Mit welcher Begründung denn?
Wieso Ewigkeit?
Naja. Gute Frage... :oops:
Dann halt so lange, wie es Menschen auf der Erde gibt. ;)

Magdalena61 hat geschrieben:Wer nicht an eine spirituellen Parallelwelt glaubt, der glaubt doch auch nicht an ein Weiterleben nach dem Tod. Wo ist das Problem?
Es ging mir nicht so sehr um einzelne Personen, sondern um die Menschheit als Ganzes, und die ist noch quietschlebendigl.

Zumindest war sie es, als ich das letzte Mal nachschaute — 7 Milliarden Exemplare:- Tendenz steigend. :mrgreen:
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#14 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von closs » Fr 19. Sep 2014, 11:30

Magdalena61 hat geschrieben:Natürlich "weiß" der denkende Mensch "etwas", er hat Informationen in seinem Kopf gespeichert, er hat "etwas gelernt"
Das wusste Sokrates auch - schließlich war er einer der Schlauesten seiner Zeit. - Was er meint, ist, dass alles Wissen des Menschen unter Vorbehalt steht - dass er also nur Wissen innerhalb SEINER Systeme hat, von denen er nicht weiss, ob sie überhaupt richtig sind.

Unter anderen haben Augustinus und Descartes diesen Gedanken auf den Punkt gebracht, indem sie sagten: "Das einzige, was wir WIRKLICH wissen, ist, dass es das ICH gibt". - "Ich bin" ist ein Satz, der absolut sicher ist. - Alles andere, was wir sonst wahrnehmen, ist unter Vorbehalt. - Denn die Natur könnte Täuschung sein, weil wir sie uns nur einbilden - das Gegenüber könnte Einbildung sein, weil wir es uns nur einbilden. - Wir müssen also "annehmen" (da wir nicht wissen KÖNNEN), dass es die Natur und das Gegenüber gibt. - Und wir tun das auch, weil uns unser Geist das sagt: "Nimm es an".

So ist es auch mit Gott. - Er ist nicht wissbar, aber annehmbar, weil es unser Geist so sagt.

Das Problem heute ist, dass man gerne trennt zwischen a) Naturwissen und b) geistigem Wissen (Gott). - a) sei sicher und wissbar, b) nicht. - Sokrates, Augustinus und Descartes (und viele andere geistigen Leute) waren da weiter: Sie wussten, dass weder a) noch b) wissbar, sondern nur annehmbar sind. - Insofern hat Sokrates schon recht - aber eben in dieser Interpretation, wie eben dargelegt.

Pluto
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#15 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von Pluto » Fr 19. Sep 2014, 14:32

closs hat geschrieben:Was er meint, ist, dass alles Wissen des Menschen unter Vorbehalt steht - dass er also nur Wissen innerhalb SEINER Systeme hat, von denen er nicht weiss, ob sie überhaupt richtig sind.
Hat (IMO) mit System überhaupt NICHTS zu tun. Ganz egal in welchem System man ist: Es gibt KEIN , garantiertes Wissen! Vermutlich hat Sokrates es auf diese Weise gemeint.

Unter anderen haben Augustinus und Descartes diesen Gedanken auf den Punkt gebracht, indem sie sagten: "Das einzige, was wir WIRKLICH wissen, ist, dass es das ICH gibt". - "Ich bin" ist ein Satz, der absolut sicher ist.
Nee, nee... Nicht einmal das ist gesichert.
Nicht umsonst postuliert Descartes in seinen Meditationen gerade deshalb einen wohlwollenden Gott, der sein Gehirn/Seele nicht bewusst falsch beeinflusst.
Auch Descartes muss eine Annahme treffen, um seinem cogito ergo sum den gewünschten Sinn zu geben. ;)

Denn die Natur könnte Täuschung sein, weil wir sie uns nur einbilden
Nicht wegen der Einbildung, sondern weil wir die Realität nicht genau genug kennen. Allerdings können wir uns der Realtät annähern. Solltest du immer noch der Meinung sein Realität könne auch Einbildung sein, stell dir vor, du stehst mitten in einem Wald und meinst zu dir selber, "Die Bäume sind nur Einbildung; es gibt sie nicht wirklich".
Um dein Postulat zu überprüfen läufst du nun ein Stück weit in eine beliebige Richtung. Es wird nicht lange dauern, da wirst du gegen einen Baum stoßen, und merken, dass deine Einbildung, es gäbe möglicherweise keine Bäume, schmerzhaft widerlegt wurde.

So ist es auch mit Gott. - Er ist nicht wissbar, aber annehmbar, weil es unser Geist so sagt.
Mit Gott ist das ganz anders; Gott lässt sich überhaupt nicht auf diese Weise bestätigen oder widerlegen.
Auf die Frage, "Wie lässt sich Gott bestätigen?" habe ich bisher zumindest, noch keine rationale Antwort erhalten.

Das Problem heute ist, dass man gerne trennt zwischen a) Naturwissen und b) geistigem Wissen (Gott). - a) sei sicher und wissbar, b) nicht.
Wie man oben unschwer erkennen kann, handelt es sich um zwei völlig unterschiedliche Dinge. Realität lässt sich widerlegen, bzw. bestätigen, Gott nicht.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#16 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von closs » Fr 19. Sep 2014, 15:14

Pluto hat geschrieben: Es gibt KEIN , garantiertes Wissen!
Richtig - das ist auch meine Meinung. - Mit system-intern meine ich, dass man beispielsweise "weiss", dass 2+2 = 4, WENN man die Setzungen der Mathematik akzeptiert. - Man "weiss" auch, dass Wasser bei Normaldruck und beo 20° C flüssig ist, wenn man die Definitionen der Aggregatszustände akzeptiert - etc.

Pluto hat geschrieben:Nicht umsonst postuliert Descartes in seinen Meditationen gerade deshalb einen wohlwollenden Gott, der sein Gehirn/Seele nicht bewusst falsch beeinflusst.
Aus meiner Sicht ist dieses Postulat unnötig - auch wenn uns Gott in Täuschungs-Absicht ein ICH vorgaukeln würde, wäre es trotzdem ein ICH, weil es auch als Täuschung ein ICH ist. *hiiiilfe* :lol:

Pluto hat geschrieben:Um dein Postulat zu überprüfen läufst du nun ein Stück weit in eine beliebige Richtung. Es wird nicht lange dauern, da wirst du gegen einen Baum stoßen, und merken, dass deine Einbildung, es gäbe möglicherweise keine Bäume, schmerzhaft widerlegt wurde.
Das wiederholst Du ständig - und es ist falsch. - Denn nicht nur die Natur wäre in dem (von uns als höchst unwahrscheinlich angesehenen) Fall Projektion, sondern auch die Effekte, die daraus resultieren (Kopf am Baum anstoßen, an der Pest sterben, etc.).

Pluto hat geschrieben: Realität lässt sich widerlegen, bzw. bestätigen, Gott nicht.
Jetzt fällst Du wieder in Deine alten Muster - als sei es nicht möglich, dass Gott "Realität" wäre.

Mein Ansatz ist ein anderer: Das, was der Fall ist, ist es völlig unabhängig davon, ob wir es widerlegen oder bestätigen können.

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#17 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von R.F. » Fr 19. Sep 2014, 15:56

Pluto hat geschrieben: - - -
Erinnerst du dich an Sokrates?
Ich weiß, dass ich nichts weiß, und an meine Argumentation, dass er die Menschen vor dem Hochmut warnen wollte, zu meinen, sie wüssten zu viel?

Die Frage von Sokrates ist allerdings noch viel tiefschürfender:
Es ging ihn nämlich darum, ob wir trotz der Einsicht, dass wir nichts wissen können, vielleicht dennoch etwas über die Welt in der wir leben, erkennen und erfahren können, ob wir uns wenigstens ein bisschen den Schleier der Realität lüften können, oder ob wir in Ewigkeit verdammt sind im Unwissen zu verharren?
1. Korinther 13,9 (Luther):

Denn unser Wissen ist Stückwerk...

Klingt das für Dich bescheiden genug, lieber Pluto?

Lena
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#18 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von Lena » Fr 19. Sep 2014, 16:21

closs hat geschrieben:Besser wäre, dass man dann GAR NICHTS annimmt, sondern offenlässt

Ganz bestimmt wäre das besser. Nur habe ich da leider meine Probleme. Die ganze Zeit nehme ich irgendetwas an ohne zu wissen ob es stimmt. Es funkt in meinem Kopf einfach so. Ich sehe etwas und dann läuft das Programm in windeseile und schon steht ein Gedanke vor dem offen lassen....
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

Wind
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#19 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von Wind » Fr 19. Sep 2014, 16:37

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Realität lässt sich widerlegen, bzw. bestätigen, Gott nicht.
Jetzt fällst Du wieder in Deine alten Muster - als sei es nicht möglich, dass Gott "Realität" wäre.

Mein Ansatz ist ein anderer: Das, was der Fall ist, ist es völlig unabhängig davon, ob wir es widerlegen oder bestätigen können.

Was im Grunde aussagt, dass Gott keine Realität ist. Er ist mehr als das.
Realität ist greifbar, sichtbar, mit den Sinnen wahrnehmbar. Das ist Gott nicht.

Darum kann man ihn als Mensch auch nicht beweisen. Das kann nur Gott alleine. Und ich meine, er tut es auf eine Weise, die von der menschlich verstandenen Realität stark abweicht.
Pluto hat geschrieben:Es wird nicht lange dauern, da wirst du gegen einen Baum stoßen, und merken, dass deine Einbildung, es gäbe möglicherweise keine Bäume, schmerzhaft widerlegt wurde.

Gott benutzt keine "Bäume", um sich zu beweisen. Sondern besonders Wege, die nicht berechenbar sind, so dass es Menschen gäbe, die behaupten können, sie würden die Wahrheit über ihn besitzen. Das macht die Sache ja so unberechenbar. Und daran scheitern sogar die Gläubigen oft. Weil sie meinen, dass ein bestimmtes Muster, das sie mit Gott in Zusammenhang bringen, auf Gott zutrifft und dann erschüttert sind im Glauben, wenn das Muster plötzlich nicht mehr wirkt. Auch dann nicht, wenn es eine lange Zeit so funktioniert hat.
Zuletzt geändert von Wind am Fr 19. Sep 2014, 16:39, insgesamt 1-mal geändert.

Salome23
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#20 Re: Ich weiß, dass ich nichts weiß

Beitrag von Salome23 » Fr 19. Sep 2014, 16:38

Pluto hat geschrieben:Natürlich meinen wir alle etwas zu Wissen, aber was wissen wir wirklich sicher?
Die Kunst der joint attention:


Bild

Ich sehe den Blumenstrauß - du siehst den Blumenstrauß

Ich weiß, dass du den Blumenstrauß siehst...
Du weißt, dass ich den Blumenstrauß sehe...

Ich weiß, dass du weißt, dass ich weiß, dass du den Blumenstrauß siehst....
Du weißt, dass ich weiß, dass du weißt, dass ich den Blumenstrauß sehe...

Das wissen wir ganz sicher!!!! ;)

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