Samantha hat geschrieben:closs hat geschrieben:
Modern gesehen gibt es diese Diskussion gar nicht, weil der Materialismus neuronales Geschehen als Ursache und nicht als Abbild dieser Einflüsse versteht.
Dann wäre alles, was wir sagen, tun und denken so etwas von egal - es gäbe keine Sünden, es gäbe nur Reaktionen. Auch unser Bewusstsein ist dann eingebildet. Sind wir überhaupt da?
Die Meisten Reaktionen laufen wohl unterbewusst ab. So will ich schreiben, aber ich denke nicht darüber nach, wie ich meine Finger bewege.
Das menschliche Gehirn ist das wohl komplexeste mir bekannte Objekt im Universum. Als Laie kann ich selbstverständlich nur vergleichsweise oberflächlich hierüber sprechen. Daher scheint es mir klug zu sein, wenn ich mich bei folgenden Ausführungen auf einen Artikel von Wolf Singer (Direktor am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt) stütze, der auf einen Festvortrag basiert, der 2005 auf der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Rostock gehalten wurde.
Die folgenden Zitate sind der verlinkten PDF-Datei von Wolf Singer entnommen:
http://www.mpg.de/980045/W000_Zur-Sache_014_018.pdf
Unser Gehirn
Unsere Intuition verleitet uns zu der Annahme, es müsste eine
zentrale Instanz die Organisation im Gehirn steuern – ja unser bewusstes ICH repräsentieren. Dies liegt vermutlich darin begründet, dass unser Denken an eine mesokosmische Welt angepasst ist, in der wir es überwiegend mit linaren Systemen zu tun haben, die einer starken Kausalität unterliegen und hart determiniert sind. Solche Systeme sind prognostisierbar und somit berechenbar. Diese Kenntnisse ermöglichten es uns Menschen Technologie zu entwickeln.
Nichtlineare, hochkomplexe Systeme, die einer schwachen Kausalität unterliegen und weich determiniert sind, sind aber schwerlich berechenbar und daher nicht prognostizierbar. Für unsere Intuition ist die hochkomplexe Dynamik nichtlinearer Systeme nicht greifbar. Dies trifft insbesondere auf unser Gehirn zu. Man stelle sich ein Orchester ohne Dirigenten vor, welches im Gleichtakt, selbstorganisierend, die verblüffendste und komplexeste Symphonie in harmonischer Schönheit mit Bravour spielt.
Wie ist dies möglich? Magie? Das glaube ich nicht. Unser Gehirn scheint auf ganz natürliche Weise zu funktionieren. Natürlich kann ich keine detaillierte Beschreibung der hochkomplexen neurologischen Prozesse schildern, doch basieren diese meines Wissens auf Natrium- u. Kalium-Ionen und Neurotransmitter.
Selbst der Experte WOLF SINGER räumte in seinem Artikel auf Seite 16 (1. Absatz) ein:
… Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, die Prinzipien zu verstehen, nach denen sich verteilte Prozesse im Gehirn zu kohärenten Zuständen fügen – Zuständen, die dann als Substrate von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen dienen.
Allerdings stammt der Artikel aus dem Jahre 2005. Inwieweit sich der Forschungsstand bis heute verändert hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Allerdings spricht er u. a. auch von
Entscheidungen, die durch „verteilte Prozesse“ im Gehirn hervorgerufen werden. Offenbar kann unser distributiv arbeitendes Gehirn die Prozesse zusammenfügen und so Bilder erkennen oder Entscheidungen fällen.
So erfolgt die Wahrnehmung nicht zentral, sondern distributiv in verschiedenen Teilen des Gehirns, die parallel Teilaspekte der Wahrnehmung verarbeiten.
Sie repräsentieren Objekte der Wahrnehmung – ob visuell, akustisch oder taktil erfasste – jeweils durch eine Vielzahl gleichzeitig aktiver Neuronen, von denen jedes aber nur einen Teilaspekt des gesamten Objekts kodiert.
Diese nichtlinearen Prozesse lassen sich als hochdimensionale Prozesse beschreiben.
Besonders aufschlussreich ist die zweite Spalte auf Seite 16 des Artikels. Die distributiv kodierten Informationen werden durch Gleichtakt zu kohärenten Mustern zusammengefügt. Für die Synchronisationsphänomene bedarf es also keiner zentralen Instanz, sondern sie werden durch Gleichtakt paralleler Prozesse realisiert. Der Gleichtakt kann aber auch gestört sein, was möglicherweise die Ursache einer psychischen Erkrankung ist.
Eine ihrer vielleicht spannendsten Implikationen liefern jüngste Untersuchungen an Patienten mit Schizophrenie: Sie legen nahe, dass die Synchronisation neuronaler Aktivitäten bei diesen Kranken gestört und unpräzise ist.
Eingangs hatte ich schon erwähnt, dass unser Gehirn das komplexeste, bekannte Objekt im Universum ist. Daher sind wir auch weit davon entfernt, bereits alles darüber zu wissen.
Fest steht schon heute, dass die dynamischen Zustände der vielen Milliarden miteinander verknüpften und wechselwirkenden Neuronen der Großhirnrinde ein Maß an Komplexität offenbaren werden, das unser Vorstellungsvermögen übersteigt.
Dieses dynamische Geflecht – unser Gehirn – unterscheidet sich sehr von linearen Systemen, die uns aus unserer Erfahrungswelt bekannt sind. Besonders aufschlussreich ist der zweite Absatz auf Seite 17:
Unserer Intuition erscheint es fremd, dass das neuronale Korrelat dessen, was wir als solides, „greifbares“ Objekt wahrnehmen, ein hoch abstraktes, räumlich und zeitlich strukturiertes Erregungsmuster sein soll – und dass auf diese Weise nicht nur dreidimensionale Gegenstände, sondern ebenso Gerüche, Gefühle oder Handlungsintentionen repräsentiert werden. Dabei entspricht jede solche Repräsentation einem bestimmten Zustand unter nahezu unendlich vielen möglichen. Oder anders ausgedrückt: Das System Großhirnrinde bewegt sich in einem unvorstellbar hochdimensionalen Raum fortwährend von einem Punkt zum nächsten. Dabei hängt die Trajektorie, also die Spur dieser Bewegung, von der Gesamtheit aller inneren und äußeren Einflüsse ab, die auf das System einwirken.
Diese Beschreibung erinnert mich ein wenig an die hochdimensionalen Räume der Quantenmechanik. Anstelle einer „magischen“ zentralen Instanz finden wir ein hochdimensionales Erregungsmuster. Im nächsten Absatz wird ausgeführt:
Während seiner Wanderung durch diesen hochdimensionalen Zustandsraum verändert sich das System dauernd, weil seine funktionelle Architektur ständig durch die „unterwegs“ gemachten Erfahrungen verändert wird. Es kann deshalb niemals an ein und denselben Ort in diesem Raum zurückkehren. Darin liegt begründet, dass wir Zeit als nicht umkehrbar erleben. So bewirkt ein bestimmtes Objekt, wenn es zum zweiten Mal gesehen wird, einen anderen dynamischen Zustand als beim ersten Mal: Es wird zwar als das Gleiche erkannt, doch in dem neuen Zustand wird mitkodiert, dass es schon einmal gesehen wurde.
Dies ist auch der Grund, warum wir einen Film oder eine TV-Serie beim ersten Mal immer anders erleben als in der Wiederholung.
Dass unser Gehirn als hochdimensionaler Zustandsraum beschrieben werden kann, ist wirklich interessant. Ein solches Objekt ist in der Tat für unsere Intuition schwerlich greifbar. Auf der 2. Spalte auf Seite 17 erklärt Wolf Singer diesbezüglich:
Und in dieser Welt gelten die Gesetze der klassischen Physik, die vermutlich aus dem Grund auch vor den Gesetzen der Quantenphysik entdeckt wurden. Die klassische Physik beschreibt die Welt der soliden Körper, der kausalen Wechselwirkungen und der nicht relativierbaren Koordinaten von Raum und Zeit: die Welt, in der lineare Modelle genügen, um den Großteil aller für unser Leben wichtigen Prozesse zu verstehen.
Hingegen fällt es uns außerordentlich schwer komplexe, nichtlineare Systeme zu verstehen, da ihre Dynamiken nur eine schwache Kausalität aufweisen. Dies gilt insbesondere für das hochkomplexeste Gebilde überhaupt.
Das menschliche Gehirn verkörpert fraglos das komplexeste System im uns bekannten Universum – wobei komplex nicht einfach für kompliziert steht, sondern im Sinne der Komplexitätstheorie als terminus technicus spezifische Eigenschaften eines Systems benennt, das aus sehr vielen aktiven, miteinander auf besondere Weise interagierenden Einzelelementen besteht.
Der 2. Teil folgt später ...