Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

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Munro
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#11 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Mi 18. Sep 2019, 19:20

Laodizea hat geschrieben:
Mi 18. Sep 2019, 18:05
Ich lese ganz gespannt mit :thumbup:

so kann ich zum ersten mal im Geiste hinein schauen und
durch deine Erzählart nacherleben.
Das ist sehr schön!

Gruss,Laodicea :engel:

Das freut mich! Ich werde nun weiter erzählen! :idea: :wave:
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Die Sanftmütigen werden die Erde besitzen, aber nicht die Schürfrechte.

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#12 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Mi 18. Sep 2019, 19:24

Gesagt, getan. Ich ging zum jüdischen Samstagsgottesdienst.
Und da erlebte ich eine nette Begebenheit, die ich so ankündigen könnte:
Wie ich einen kleinen Faux-Pas beging - und enttarnt wurde!
Doch man hat mir verziehen ......

So war es an jenem Samstag:

Als ich auf die Synagoge zuging, sah ich schon von weitem den orthodoxen Gast-Rabbiner. Er kam über eine Fußgängerbrücke auf mich zu, hoch über mir. Und so hob sich sein großer schwarzer Hut und sein schwarzer Mantel besonders eindrucksvoll gegen den Winterhimmel ab. Ein Bild, das sich mir fest eingeprägt hat.

Dabei hatte er seine beiden kleinen Kinder, ein Mädchen und einen Jungen, beide etwa im Alter von drei Jahren.

Und für mich waren diese beiden Kinder später dann eines der Highlights des Gottesdienstes!

Diese beiden Kinder - und die prächtigen Thora-Rollen!
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#13 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Mi 18. Sep 2019, 19:24

Am Samstag war der Gottesdienst nicht nur rein hebräisch, es gab auch eine Ansprache auf Deutsch.

Das war fast wie ein kleiner Dialog des Kantors mit der Gemeinde. Man konnte da auch Fragen stellen oder was kommentieren.

Ich fand das höchst interessant und habe mich auch keine Sekunde gelangweilt, wie sonst oft bei Predigten.

Und es ist auch so, dass man während des Gottesdienstes aufstehen kann und quer durch den Raum zu einem Bekannten gehen kann, um ihn zu grüßen und sich mit ihm zu unterhalten.

Die Tür des Raumes steht auch immer weit offen. Man kann raus und reingehen, wie man will - eine Zigarette rauchen draußen, einen Kaffee trinken, oder was auch immer.

Und das Schönste: Das wirkt überhaupt nicht störend!
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#14 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Mi 18. Sep 2019, 19:25

Und so haben auch die beiden Kinder des Gast-Rabbiners nicht gestört.
Das Mädchen und der Junge futterten Chips aus einer Tüte und spazierten im Raum umher.
Ab und zu gingen sie zum Altar und holten Nachschub - auch mal einen Lutscher.
Oder sie spielten auf dem Boden.
Auf eine Weise, die ich "still-vergnügt" nennen möchte.

Sie haben echt überhaupt nicht gestört!
Sie waren im Gegenteil eins der Highlights des Gottesdienstes, wie ich schon sagte.
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#15 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Mi 18. Sep 2019, 19:28

janosch hat geschrieben:
Mi 18. Sep 2019, 16:38
Es gibt unterschiedlichen Art von Gottesdiensten, je nach dem wie Fundamental (radikal) sind!

Es ist so:
Früher gab es in unserer Stadt zwei Synagogen.
Eine orthodoxe und eine liberale.
Beide fielen der Judenverfolgung zum Opfer, leider. :(

Nun gibt es wieder eine neue Synagoge.
Und sie ist ein Kompromiss zwischen orthodox und liberal.
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#16 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Mi 18. Sep 2019, 19:29

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#17 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Mi 18. Sep 2019, 21:37

Nach dem Gottesdienst gab es dann wieder eine kleine Mahlzeit.
Wie schon am Freitag empfand ich dieses "Abendmahl" als genau die richtige Mischung von Feierlichkeit und normalem Essen.

Es gab guten Rotwein aus Israel, Brot, Fisch, Tomaten, Eier, und noch ein paar Kleinigkeiten.
Ich saß da mitten zwischen Frauen aus der Ukraine, aus Russland, und auch Deutschland.
Ich kannte niemanden, und mich kannte niemand.
Doch ich habe mich sehr gut unterhalten.

Und nun kommts: Was meint ihr, was die Leute über mich dachten?
Erst nach einer Weile habe ich das erfahren.

Sie hielten mich für einen Rabbiner!
Einen fremden Rabbiner, der wohl auf der Durchreise war - und nun hier zu Gast war.
Ich erinnere mich noch gut, wie eine Frau aus der Ukraine mir das später sagte:
"Jooo, wir hobbn gemaynt, Sie sayn ayn Rebbe!"

Es grüßt euch hiermit
Euer Rabbi Waldbaum :wave:
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#18 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Do 19. Sep 2019, 08:52

janosch hat geschrieben:
Mi 18. Sep 2019, 16:38
Munro hat geschrieben:
Di 17. Sep 2019, 18:39
*mal eine Zwischenfrage*

Wer von euch Christen war auch schon mal bei einem G'ttesdienst in einer Synagoge? :idea:

Ich schon... :yawn:


Und wie kommt's, dass du schon bei solchen G'ttesdiensten gewesen bist?
Bist du ein katholischer Jude - oder ein jüdischer Katholik - oder so?
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#19 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Do 19. Sep 2019, 23:13

Und nun die Geschichte meines Faux pas:

Zur Eröffnung des Mahls standen wir alle auf. Der Kantor sang einen feierlichen Segen, und wir tranken von dem Wein.

Wieder ein seeeeehr guter Cabernet, nebenbei!

Wir prosteten uns zu, und setzten uns dann.

Ich begann, etwas von dem Fisch zu essen.

Da hörte ich, wie man gegenüber tuschelte: "Er isst den Fisch .... er isst den Fisch!"

Freundlich erklärte mir eine Frau, der Segen eben gelte nur für den Wein!

Wir müssten erst noch den Brotsegen abwarten, bevor wir etwas essen könnten!

Und außerdem stehe noch das rituelle Händewaschen an.

Tatsächlich - es gab auch schon eine Schlange von Leuten, die sich zum Händwaschen anstellten.

Ich reihte mich ein, und auch mir wurde mit einem silbernen Schöpfer Wasser aus einem Wasergefäß geholt und über die Hände gegossen.

Nach einer Weile dann begann das Essen - mit rituell gewaschenen Händen.
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#20 Re: Als Rabbi Waldbaum in der Synagoge

Beitrag von Munro » Do 19. Sep 2019, 23:13

Spätestens bei diesem Vorfall kamen am Tisch wohl leichte Zweifel auf, ob ich denn ein echter Rabbiner sei!

Ich selbst wusste zu diesem Zeitpunkt ja noch gar nicht, dass man mich für einen Rabbiner gehalten hatte.

Sonst hätte ich vielleicht in meinem besten Jiddisch gesagt:

"No na! Ech seyn de Rebbe Waldbaum vun de argentinisch-jemenitischen Gemaynde in Chicako-Süd ...... und hebben mir de Gewonnhayt, ze essen de Fisch direggdd nooch'm Wayn-Seggen ....... aber direggdd, baruch haschem!"

Vielleicht wär ich ja damit durchgekommen? Wer weiß?
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