Jeden Tag ein Gedicht

Literatur, Malerei, Bildhauerei
michaelit
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#71 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von michaelit » Di 13. Jan 2015, 10:51

was ist nur das leben wenn es doch schweigt?
ich sehe mein tun, doch es weht drin kein geist
ich bin gottes götze, zum staube geneigt
und wenn ich bete dann nur aus ängsten zumeist

starr bin ich, ein buch nur aus steinen
und die worte darauf nur vom zufallen bestimmt
denn leben ist angst vor dem jahen und neinen
vor den schmerzen im buckel wenn er sich krümmt

und gekrümmt ist der buckel doch jeden tag
es sei denn ich lach aus mein leben und licht
ich bin nur das opfer, egal was ich wag
der mörder in mir er erschlägt und ersticht

denn bin ich die liebe dann leid' ich nur härter
bin ein kreuz für gott weil die angst nicht vergeht
der arzt nennt es krankheit, doch ist er nur wärter
was soll ich nur tun damit ihr es seht...

die alternativen des lebens verblassen
wenn man einsam wird und verrückt wie ich
wär ich nur ein hund und rannt' durch die gassen
oder tief im meere ein tintenfisch

allein mensch sein ist sinnlos, zuwenig, zuviel
wir denken an gott und sind selbst nicht gewesen
denn wir verstehen nicht mehr der kreaturen ziel
und wollen lieber etwas anderes lesen

zerfallen sind wir in mensch und gott
was waren wir einst, doch irgendwie besser?
wir erfinden medizin, und das schafott
und machen aus liebe ein glänzendes messer

denn du liebst, ich weiß, denn du bist schön
und die ganze welt sehnt sich nach deinen augen
doch was ich tue hier, mit dem kamm und dem fön
will doch am ende niemals etwas taugen

ich wollte schön sein, doch war nur eitel
wollte auch gut sein, dann war ich dumm
es klingeln hier zuwenig münzen im beutel
denn ich wollte sprechen doch konnt' nur sein stumm

darum sage ich lieber ich bin schon gestorben
und richt' mich in einer gottesgruft ein
vielleicht hat mich hier mal der geist umworben
und ließ mich ein wenig göttlicher sein

doch nein, 's ist nicht gott was ich suchen will
denn gott ist da und wird niemals weichen
ich suche irgend was mich machet still
etwas das mir zum leben würd' reichen

und nicht nur so reichen wie wasser und brot
ich will auch endlich mal glücklich sein
so irgenwie spüren, ob lebendig, ob tot
daß ich irgendwann nicht mehr nur bin allein

daß der mensch im menschen mir neu erwacht
ein tag anbricht der die sehnsucht versteht
ich lieg noch im staub doch sieh wie der lacht!
er weiß wie es geht, er weiß wie es geht

erst kommt das leid und die angst und die not
am ende reicht doch ein kanten brot
gereicht von eines anderen hand
worin ich eine von gottes gesten fand

ich bin ja ein mensch, die andern sind's auch
es regt sich der gottesmut' lebenshauch
ich weiß wer ich bin und der frieden ist nah
alles lacht und flüstert, dein schicksal war da!

Lena
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#72 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von Lena » Di 13. Jan 2015, 17:46

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund und jenes heißt Haus,
und hier ist Beginn und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
sie wissen alles, was wird und war;
kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.
Rainer Maria Rilke
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

michaelit
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#73 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von michaelit » Do 15. Jan 2015, 16:52

es lebt der traum in diesem traum
der baum der einmal wurde kaum
ein baum aus seinem ursprungstraum
der flaum am bart vom jungen mann
der gott war auch so irgendwann
ein junger gott der schon so war
wie er so ist, so wunderbar
ein traum nicht nur in einem traum
dafür ein baum der wirklich kaum
einmal nur war ein traumestraum
denn real ist was man spürt
wenn gott die seelen aufgetürt
dich sehen läßt in liebesblicken
wir wollen traum in träume schicken
damit des traumes traum im leben
sich findet, als ein wahres streben
nach der wahrheit gottes hier
sie ist doch da, in dir und mir...

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Chronos
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#74 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von Chronos » Di 20. Jan 2015, 09:56

Bundeslied der Galgenbrüder

O schauerliche Lebenswirrn,
wir hängen hier am roten Zwirn!
Die Unke unkt, die Spinne spinnt,
und schiefe Scheitel kämmt der Wind.

O Greule, Greule, wüste Greule!
Du bist verflucht! so sagt die Eule.
Der Sterne Licht am Mond zerbricht.
Doch dich zerbrach's noch immer nicht.

O Greule, Greule, wüste Greule!
Hört ihr den Ruf der Silbergäule?
Es schreit der Kauz: pardauz! pardauz!
da taut's, da graut's, da braut's, da blaut's!

(C. M.)

closs
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#75 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von closs » Di 20. Jan 2015, 13:25

gadji beri bimba glandridi laula lonni cadori
gadjama gramma berida bimbala glandri galassassa laulitalomini
gadji beri bin blassa glassala laula lonni cadorsu sassala bim
gadjama tuffm i zimzalla binban gligla wowolimai bin beri ban
o katalominai rhinozerossola hopsamen laulitalomini hoooo
gadjama rhinozerossola hopsamen
bluku terullala blaulala loooo

zimzim urullala zimzim urullala zimzim zanzibar zimzalla zam
elifantolim brussala bulomen brussala bulomen tromtata
velo da bang band affalo purzamai affalo purzamai lengado tor
gadjama bimbalo glandridi glassala zingtata pimpalo ögrögöööö
viola laxato viola zimbrabim viola uli paluji malooo

tuffm im zimbrabim negramai bumbalo negramai bumbalo tuffm i zim
gadjama bimbala oo beri gadjama gaga di gadjama affalo pinx
gaga di bumbalo bumbalo gadjamen
gaga di bling blong
gaga blung

(H.B.)

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Chronos
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#76 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von Chronos » Mi 21. Jan 2015, 08:45

Das Hohelied

Des Weibes Leib ist ein Gedicht,
Das Gott der Herr geschrieben
Ins große Stammbuch der Natur,
Als ihn der Geist getrieben.

Ja, günstig war die Stunde ihm,
Der Gott war hochbegeistert;
Er hat den spröden, rebellischen Stoff
Ganz künstlerisch bemeistert.

Fürwahr, der Leib des Weibes ist
Das Hohelied der Lieder;
Gar wunderbare Strophen sind
Die schlanken, weißen Glieder.

O welche göttliche Idee
Ist dieser Hals, der blanke,
Worauf sich wiegt der kleine Kopf,
Der lockige Hauptgedanke!

Der Brüstchen Rosenknospen sind
Epigrammatisch gefeilet;
Unsäglich entzückend ist die Zäsur,
Die streng den Busen teilet.

Den plastischen Schöpfer offenbart
Der Hüften Parallele;
Der Zwischensatz mit dem Feigenblatt
Ist auch eine schöne Stelle.

Das ist kein abstraktes Begriffspoem!
Das Lied hat Fleisch und Rippen,
Hat Hand und Fuß; es lacht und küßt
Mit schöngereimten Lippen.

Hier atmet wahre Poesie!
Anmut in jeder Wendung!
Und auf der Stirne trägt das Lied
Den Stempel der Vollendung.

Lobsingen will ich dir, o Herr,
Und dich im Staub anbeten!
Wir sind nur Stümper gegen dich,
Den himmlischen Poeten.

Versenken will ich mich, o Herr,
In deines Liedes Prächten;
Ich widme seinem Studium
Den Tag mitsamt den Nächten.

Ja, Tag und Nacht studier ich dran,
Will keine Zeit verlieren;
Die Beine werden mir so dünn -
Das kommt vom vielen Studieren.
(H. H.)

Ziska_Deleted

#77 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von Ziska_Deleted » Mi 21. Jan 2015, 09:28

Belsazar

Die Mitternacht zog näher schon;
In stummer Ruh lag Babylon

Nur oben in des Königs Schloss,
Da flackert's, da lärmt des Königs Tross.

Dort oben in dem Königssaal
Belsazar hielt sein Königsmahl.

Die Knechte saßen in schimmernden Reihn
Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.

Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht;
So klang es dem störrigen Könige recht.

Des Königs Wangen leuchten Glut;
Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.

Und blindlings reißt der Mut ihn fort;
Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.

Und er brüstet sich frech, und lästert wild;
Der Knechtenschar ihm Beifall brüllt.

Der König rief mit stolzem Blick;
Der Diener eilt und kehrt zurück.

Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
Das war aus dem Tempel Jehovahs 3) geraubt.

Und der König ergriff mit frevler Hand
Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.

Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
Und rufet laut mit schäumendem Mund:

"Jehovah! dir künd ich auf ewig Hohn –
Ich bin der König von Babylon!"


Doch kaum das grause Wort verklang,
Dem König ward's heimlich im Busen bang.

Das gellende Lachen verstummte zumal;
Es wurde leichenstill im Saal.

Und sieh! und sieh! an weißer Wand
Da kam's hervor wie Menschenhand;

Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.

Der König stieren Blicks da saß,
Mit schlotternden Knien und totenblass.

Die Knechtenschar saß kalt durchgraut 4),
Und saß gar still, gab keinen Laut.

Die Magier kamen, doch keiner verstand
Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.

Belsazar ward aber in selbiger Nacht
Von seinen Knechten umgebracht.


Heinrich Heine
(entstanden zw. 1815 u. 1821)

Ziska_Deleted

#78 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von Ziska_Deleted » Mi 21. Jan 2015, 09:32

Gebet.

Es steigt meine Seele zum Boote heraus
Und kniet auf den schwellenden Wogen,
Die haben wie dröhnendes Orgelgebraus
Sie unwiderstehlich gezogen.

Jehova! der mächtig Du Meere erschufst
Und dieses Atom, meine Seele,
Von Bergen zu Meeren, bis du sie nicht rufst,
Irrt rastlos vom Fels sie zur Welle.

Jehova! Du schufst diese Erde zu schön!
Drum hat meine Seele kein Bleiben;
Sie dürstet noch schönere Welten zu seh'n,
Die ferne im Äthermeer treiben.

Jehova! o lass meine Seele bald knien
Auf goldenem, lichten Planeten;
Wenn unten die Meere vorüber dann zieh'n,
Wird jauchzend sie auf zu Dir beten.


Elisabeth von Österreich: Das poetische Tagebuch - Kapitel 166

Lena
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#79 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von Lena » So 29. Nov 2015, 16:13

Abseits

In meinem Herzen liegt ein Ort,
Der einer Insel gleicht,
Wo mich kein Blick, kein Haß, kein Wort,
Wo mich kein Mensch erreicht.

Dort floh ich hin schon manchesmal,
Wenn mich die Welt verließ;
Es ist mein stilles Tränental
Und doch mein Paradis.

Otto Promber
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

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Queequeg
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Registriert: Mi 13. Mai 2015, 14:08

#80 Re: Jeden Tag ein Gedicht

Beitrag von Queequeg » Fr 4. Dez 2015, 19:03

Das Hohelied

Des Weibes Leib ist ein Gedicht,
Das Gott der Herr geschrieben
Ins große Stammbuch der Natur,
Als ihn der Geist getrieben.

Ja, günstig war die Stunde ihm,
Der Gott war hochbegeistert;
Er hat den spröden, rebellischen Stoff
Ganz künstlerisch bemeistert.

Fürwahr, der Leib des Weibes ist
Das Hohelied der Lieder;
Gar wunderbare Strophen sind
Die schlanken, weißen Glieder.

O welche göttliche Idee
Ist dieser Hals, der blanke,
Worauf sich wiegt der kleine Kopf,
Der lockige Hauptgedanke!

Der Brüstchen Rosenknospen sind
Epigrammatisch gefeilet;
Unsäglich entzückend ist die Zäsur,
Die streng den Busen teilet.

Den plastischen Schöpfer offenbart
Der Hüften Parallele;
Der Zwischensatz mit dem Feigenblatt
Ist auch eine schöne Stelle.

Das ist kein abstraktes Begriffspoem!
Das Lied hat Fleisch und Rippen,
Hat Hand und Fuß; es lacht und küßt
Mit schöngereimten Lippen.

Hier atmet wahre Poesie!
Anmut in jeder Wendung!
Und auf der Stirne trägt das Lied
Den Stempel der Vollendung.

Lobsingen will ich dir, O Herr,
Und dich im Staub anbeten!
Wir sind nur Stümper gegen dich,
Den himmlischen Poeten.

Versenken will ich mich, o Herr,
In deines Liedes Prächten;
Ich widme seinem Studium
Den Tag mitsamt den Nächten.

Ja, Tag und Nacht studier ich dran,
Will keine Zeit verlieren;
Die Beine werden mir so dünn -
Das kommt vom vielen Studieren.

(Heinrich Heine, Nachgelesene Gedichte 1845-56)

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