Schiedsgerichte vs Rechtsstaat

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sven23
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#1 Schiedsgerichte vs Rechtsstaat

Beitrag von sven23 » Sa 24. Okt 2015, 08:14

Private Schiedsgerichte wurden seinerzeit ins Leben gerufen, um Investoren einen gewissen Schutz zu geben, wenn sie in Entwicklungsländern oder Ländern mit unterentwickelten Rechtssystemen investieren.
Das Schiedsgericht setzt sich zusammen aus einem Anwalt des klagenden Konzerns, einem Vertreter des jeweiligen Staates und einem Oberschiedsrichter.
Was sicher einmal gut gemeint war, hat sich im Laufe der Zeit zu einem Geschäftsmodell für clevere Anwälte und Investoren und damit zu einem den Rechtsstaat unterlaufenden und pervetierenden System entwickelt.
Die Verhandlungen der Schiedsgerichte sind geheim, intransparent und antidemokratisch und vor allem sind die Ergebnisse nicht anfechtbar.
Eines haben die Verfahren gemeinsam: am Ende zahlen die Staaten und damit die Steuerzahler. Prominentestes Beispiel in Deutschland ist derzeit die Klage von Vattenfall anläßlich des Atomausstieg Deutschlands. HIer geht es um Milliardenforderungen.


Auch im Zusammenhang mit TTip, dem deutsch-amerikanischen Freihandelsabkommen, spielen Schiedsgerichte eine Rolle.
Man muß sich das mal auf der Zunge zergehen lassen:
Konzerne dürfen klagen, nicht etwa weil sie Schadensersatzansprüche erheben wegen eines bereits entstandenen Schadens, sondern wegen entgangener zukünftiger, also fiktiver, Gewinne, die sie durch die Gesetzgebung des jeweiligen Landes gefährdet sehen.
Es wird höchste Zeit, daß Bürger dieses Thema nicht allein Pegida überlassen, sondern ihren Abgeordneten unmißverständlich klar machen, daß sie die privaten Schiedsgerichte ablehnen.

http://www.attac.de/ttip
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

closs
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#2 Re: Schiedsgerichte vs Rechtsstaat

Beitrag von closs » Sa 24. Okt 2015, 11:12

sven23 hat geschrieben:Es wird höchste Zeit, daß Bürger dieses Thema nicht allein Pegida überlassen, sondern ihren Abgeordneten unmißverständlich klar machen, daß sie die privaten Schiedsgerichte ablehnen.
Dieser Meinung bin ich ebenfalls. - Noch mehr: Eigentlich müsste die Judikative eingreifen, wenn derartige Ermächtigungs-Gesetze die Souveränität eines Staates aushebeln.

In der Praxis wird es meiner Ansicht KEINE Probleme geben, solange ein transatlantisches Bündnis besteht. - Aber hier geht es um Grundsätzliches.

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sven23
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#3 Re: Schiedsgerichte vs Rechtsstaat

Beitrag von sven23 » Sa 24. Okt 2015, 11:17

closs hat geschrieben:Dieser Meinung bin ich ebenfalls. - Noch mehr: Eigentlich müsste die Judikative eingreifen, wenn derartige Ermächtigungs-Gesetze die Souveränität eines Staates aushebeln.
Ich frage mich auch, warum man diese Praxis nicht schon längst mal vom Bundesverfassungsgericht hat überprüfen lassen.

closs hat geschrieben: In der Praxis wird es meiner Ansicht KEINE Probleme geben, solange ein transatlantisches Bündnis besteht. - Aber hier geht es um Grundsätzliches.
Doch, gerade die Praxis macht Probleme. Weltweit laufen derzeit über 500 Verfahren vor Schiedsgerichten mit potentiellen Milliardenansprüchen. Geheim, intransparent, undemokratisch und nicht anfechtbar. Ein Irrsinn.
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closs
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#4 Re: Schiedsgerichte vs Rechtsstaat

Beitrag von closs » Sa 24. Okt 2015, 14:41

sven23 hat geschrieben:Ich frage mich auch, warum man diese Praxis nicht schon längst mal vom Bundesverfassungsgericht hat überprüfen lassen.
Weil es erst geht, wenn ein legeslativer Akt (= Parlamentsbeschluss) da ist.

sven23 hat geschrieben: gerade die Praxis macht Probleme. Weltweit laufen derzeit über 500 Verfahren vor Schiedsgerichten mit potentiellen Milliardenansprüchen.
Kann sein - aber das trifft in aller Regel schwache Staaten. - Die Vattenfall-Geschichte ist in D momentan wahrscheinlich ein Einzelfall.

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sven23
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#5 Re: Schiedsgerichte vs Rechtsstaat

Beitrag von sven23 » Sa 24. Okt 2015, 15:47

closs hat geschrieben:Weil es erst geht, wenn ein legeslativer Akt (= Parlamentsbeschluss) da ist.
Wieso, es kann doch jeder eine Verfassungsbeschwerde einlegen. Es gibt ja schon das kanadische Abkommen, über das US-Firmen, die eine Niederlassung in Kanada haben jetzt schon klagen können, auch ohne TTip. Das Abkommen USA-Mexiko war für Mexiko extrem nachteilig.

closs hat geschrieben: Kann sein - aber das trifft in aller Regel schwache Staaten. - Die Vattenfall-Geschichte ist in D momentan wahrscheinlich ein Einzelfall.
Nö, Philipp Morris verklagt derzeit Australien wegen einer Antiraucherkampagne. Im Filmbeitrag werden weitere Beispiele genannt. Es ist für mich unbegreiflich, warum die Politik ihr ureigenes Geschäft, nämlich politisch im Wählerauftrag gestalten zu können, ohne Not aus der Hand gibt. Das grenzt schon an Kapitulation.
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#6 Re: Schiedsgerichte vs Rechtsstaat

Beitrag von closs » Sa 24. Okt 2015, 16:24

sven23 hat geschrieben:Das grenzt schon an Kapitulation.
Wenn hier Gerichte keine Grenzen setzen, wird es gefährlich - dann könnte es ein Ermächtigungs-Gesetz nationaler Souveränität für supra-nationale Gebilde geben. - Wirklich gefährlich.

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