Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Politik und Weltgeschehen
closs
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#31 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von closs » Do 28. Jan 2016, 10:39

sven23 hat geschrieben:Für die Mittelschicht ist das Leistungsprinzip nach wie vor aktuell. Wer am Band in der Autoindustrie sein Normleistung nicht erfüllt, wird sich nicht lange halten können.
Davon abgesehen, dass das Unterschicht ist und nicht Mittelschicht, hast Du natürlich recht: Dort funktioniert es, weil dort Leistung nicht nur zugeordnet wird, sondern tatsächlich erbracht wird.

piscator hat geschrieben:Das Paradebeispiel für die Entkoppelung von Geld und Leistung findet man doch eher im Bereich der staatlichen Transferleistungen und hier speziell bei der Wahnvorstellung des "bedingungslosen Grundeinkommens".
Meines Wissens gehen die allermeisten Transfer-Leistungen an Menschen, die für ihre Leistungen nicht ausreichend bezahlt werden oder wurden - man denke nur an Familien und Frauen-Renten. - Menschen, die lebenslang den volkswirtschaftlichen Beruf der gesellschaftlichen Zukunftssicherung ausgeübt haben (Familie) oder noch ausüben.

Daneben wird man AUCH Menschen finden, die sich ohne Not und ohne Leistungs-Bereitschaft durchziehen lassen. - Macht man es wie bei jeder guten Statistik, dass man die oberen und unteren Prozent einer Ergebniskurve eliminiert, sind diese Menschen weg. - Es gibt davon nicht viele - wir reden hier NICHT von Millarden Euros.

Was das Grundeinkommen angeht: Hier geht es eigentlich nur um eine Umformulierung von "gesetzlicher Mindestsicherung" - ob man jemandem als Mindestsicherung incl. Mietkosten 700,- Euro p.m. gibt oder dies "Grundeinkommen" nennt, ist wurscht. - Und wenn man JEDEM, also auch Dir und mir, dieses "Grundeinkommen" gibt, wird es - das wirst Du besser berechnen können als ich - leicht Weg geben, ab da die Steuergesetze so zu ändern, dass am Ende im Bundes- oder Landes-Haushalt überm Daumen dasselbe rauskommt wie bisher.

Wahrscheinlich sind wir uns einig, dass eine Leistungs-Gerechtigkeit über Markt-Gesetze hinaus nicht machbar ist. - Gerade deshalb würde ich ja dafür plädieren, dass man Geld nicht als Maßstab für Ansehen verwendet. - Der eine strengt sich halt in einem Bereich an, der wichtig ist und wenig Geld bringt - die anderen engagieren sich da, wo Geld ist. - So ist das Leben.

Ich kenne viele Pianisten, deren Leistung eigentlich nur mit einem Olympiasieger oder einem Spitzen-Manager vergleichbar ist - die aber am Hungertuch nagen. - Umgekehrt habe ich vor meiner Vertriebszeit lange Zeit in einer Marketing-Agentur gearbeitet, in der wir zwar viel gearbeitet haben, aber auch in Saus uns Braus gelebt haben - da stand (nicht nur) ein 911er und ein Jaguar Daimler Double Six vor der Tür. - Wir haben unterm Strich keine Leistungsgesellschaft.

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#32 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von Pluto » Do 28. Jan 2016, 10:47

closs hat geschrieben:Was das Grundeinkommen angeht: Hier geht es eigentlich nur um eine Umformulierung von "gesetzlicher Mindestsicherung" - ob man jemandem als Mindestsicherung incl. Mietkosten 700,- Euro p.m. gibt oder dies "Grundeinkommen" nennt, ist wurscht. - Und wenn man JEDEM, also auch Dir und mir, dieses "Grundeinkommen" gibt, wird es - das wirst Du besser berechnen können als ich - leicht Weg geben, ab da die Steuergesetze so zu ändern, dass am Ende im Bundes- oder Landes-Haushalt überm Daumen dasselbe rauskommt wie bisher.
Eben. Da Hartz IV plus Wohngeld und Heizungskosten (in D.) in der Praxis die Regel sind, erübrigen sich die Diskussionen über ein gesetzliches Grundeinkommen —
Haben wir schon. Wo ist das Problem?

closs hat geschrieben:Wahrscheinlich sind wir uns einig, dass eine Leistungs-Gerechtigkeit über Markt-Gesetze hinaus nicht machbar ist. - Gerade deshalb würde ich ja dafür plädieren, dass man Geld nicht als Maßstab für Ansehen verwendet. - Der eine strengt sich halt in einem Bereich an, der wichtig ist und wenig Geld bringt - die anderen engagieren sich da, wo Geld ist. - So ist das Leben.
Wenn alle Menschen dort hin gingen wo das Geld ist und die schlecht bezhalten Jobs meiden, wäre schnell eine Sättigung erreicht, und der Preis (= Honorar) würde sinken.

Warum tun sie es nicht? Könnte es sein, dass ihnen einfach die Kompetenz dazu fehlt?

closs hat geschrieben:Wir haben unterm Strich keine Leistungsgesellschaft.
Sondern...?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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sven23
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#33 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von sven23 » Do 28. Jan 2016, 10:55

closs hat geschrieben:Davon abgesehen, dass das Unterschicht ist und nicht Mittelschicht, hast Du natürlich recht: Dort funktioniert es, weil dort Leistung nicht nur zugeordnet wird, sondern tatsächlich erbracht wird..
Nö, ein Facharbeiter bei Mercedes gehört zur Mittelschicht.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#34 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von closs » Do 28. Jan 2016, 11:02

sven23 hat geschrieben:ein Facharbeiter bei Mercedes gehört zur Mittelschicht.
OK - wenn man "Unterschicht" mit "Präkariat" und max. 1.500 Euro Netto-Einkommen gleichsetzt, hast Du recht. - Es gibt noch eine andere Einteilung, bei der man mit "Mittelschicht" den Gymnasial-Lehrer und den Prokuristen einer mittelständischen Firma meint - denn "Oberschicht" sind diese beiden nicht. - Ich weiss jetzt aber selber nicht, welche Einteilungs-Version heute die gebräuchlichere ist.

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sven23
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#35 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von sven23 » Do 28. Jan 2016, 11:15

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:ein Facharbeiter bei Mercedes gehört zur Mittelschicht.
OK - wenn man "Unterschicht" mit "Präkariat" und max. 1.500 Euro Netto-Einkommen gleichsetzt, hast Du recht. - Es gibt noch eine andere Einteilung, bei der man mit "Mittelschicht" den Gymnasial-Lehrer und den Prokuristen einer mittelständischen Firma meint - denn "Oberschicht" sind diese beiden nicht. - Ich weiss jetzt aber selber nicht, welche Einteilungs-Version heute die gebräuchlichere ist.
Man stuft die Mittelschicht noch mal ab in obere- mittlere und untere Mittelschicht, ebenso Ober- und Unterschicht, um stärker differenzieren zu können.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#36 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von ThomasM » Do 28. Jan 2016, 11:33

sven23 hat geschrieben: Man kann es nicht oft genug sagen: auch der Kapitalismus benötigt intelligente Regeln.
Das ist RICHTIG.
Aber es hat mit der Überschrift dieses threads nichts zu tun. Einkommensverteilung oder Kapitalismus oder Sozialismus hat mit Demokratie oder besser Freiheit nichts zu tun.

Freiheit benötigt Kapitalismus, das sieht man an Ländern wie Kuba oder China.
Soll es wirtschaftlich aufwärts gehen, brauchen wir das freie Spiel der Marktkräfte und eine politische Unabhängigkeit der Marktteilnehmer.
Mischt sich die Politik zu stark ein, dann geht es den Menschen schlechter.
Lässt man dem Kapitalismus vollkommen freien Raum, dann führt diese Situation dazu, dass die Armen nicht mehr politisch handeln können, es herrscht also auch keine politische Unabhängigkeit der Marktteilnehmer. Das sieht man in den USA, wo hauptsächlich die Reichen Macht ausüben.

Das Ziel muss also die Entkopplung von Politik und Einkommen sein, NICHT gleiche Einkommensverteilung.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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#37 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von closs » Do 28. Jan 2016, 12:50

Pluto hat geschrieben:Warum tun sie es nicht? Könnte es sein, dass ihnen einfach die Kompetenz dazu fehlt?
Nein - das ist nicht der Grund.

Natürlich kann nicht jeder alles, aber hier geht es ja darum, dass jemand bei gleicher Intelligenz, gleichem Einsatz und vergleichbar hohem Arbeits-Anspruch einmal in einem Geld-Beruf und ein andermal in einem Nicht-Geld-Beruf landen kann.

WENN einer seine Identität nach möglichst viel Geld ausrichtet, wird sich einen Geld-Beruf aussuchen. - Oft ist es auch so, dass die Berufs-Wahl (im selbständigen Bereich) familiär vorgeprägt ist - nicht zu vergessen die Gruppen-Rituale, dass man sich frühzeitig "unter Seinesgleichen" trifft (diese Disco ja, jene nein).

Unsere damalige Agentur ging deshalb so gut (und das ist typisch), weil Kontakte da waren. - Kontakte heisst hier konkret, Budget-Verantwortliche zu kennen und sie einen mögen zu lassen :devil: , für die es wurscht ist, ob eine Aktion 40.000 oder 180.000 kostet (und die Frau dieses Verantwortlichen hat ja eine Beratungs-Agentur in der Schweiz ...). - Und schon ist richtig fett Geld für alle da.

Was anderes ist es bei selbsthaftenden (handwerklichen) Kleinunternehmern, die dumm dastehen, wenn sie mal krank sind oder wenn die Aufträge nicht richtig laufen, aber die Kosten. - Wenn sich da einer durchsetzt und richtig was übrig hat, ist das leistungs-gerecht. - Man muss also genau hinschauen.

In einem betriebswirtschaftlichen Führungsseminar wurde uns einmal eingeschärft: "Stellt nie jemanden ein, der von der Großindustrie kommt und dem deshalb nie der Arsch auf Grundeis ging". - Man unterscheidet also innerhalb der Wirtschaft schon.

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#38 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von closs » Do 28. Jan 2016, 12:54

sven23 hat geschrieben:Man stuft die Mittelschicht noch mal ab in obere- mittlere und untere Mittelschicht
O ja - das kenne ich noch aus England: "Lower Upper Middle Class" :lol:

ThomasM hat geschrieben:Das Ziel muss also die Entkopplung von Politik und Einkommen sein, NICHT gleiche Einkommensverteilung.
Schon klar - wobei das ja auch niemand vorhat. - Aber ist "Entkopplung von Politik und Einkommen" nicht gerade das " Lässt man dem Kapitalismus vollkommen freien Raum"? - Das sind doch zwei Extreme.

Und vor allem: Wo gibt es in BEIDEN Fällen eine Leistungs-Gesellschaft?

ThomasM
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#39 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von ThomasM » Do 28. Jan 2016, 13:33

closs hat geschrieben: Aber ist "Entkopplung von Politik und Einkommen" nicht gerade das " Lässt man dem Kapitalismus vollkommen freien Raum"? - Das sind doch zwei Extreme.
Nein.
Das "Böse" am Kapitalismus ist doch, dass die Reichen mehr politische Macht haben. Das war in der Vergangenheit immer so und ist in der westlichen Demokratie gegenüber früher abgeschwächt.
Das, was kritisiert wird, ist doch, wenn mächtige Firmen oder reiche gesellschaftliche Personen Einfluss auf politische Prozesse nehmen. Das ist das eigentliche Problem.

closs hat geschrieben: Und vor allem: Wo gibt es in BEIDEN Fällen eine Leistungs-Gesellschaft?
Eine Leistungsgesellschaft liegt dann vor, wenn ich
a.) Unter gleichen Voraussetzungen mit der höheren Leistung den höheren Lohn erhalte
b.) Man mit Leistung auch höhergesteckte Ziele erreichen kann.

a ist z.B. nicht erfüllt, wenn in einem sozialistischen Land das Parteibuch über die Karriere entscheidet oder in einer Firma man nur deshalb einen Posten bekommt, weil man eine Frau ist (Frauenquote).

b ist nicht erfüllt, wenn die Gesellschaft in Schichten eingeteilt ist und man mit Leistung keine Chance hat, seiner Schicht zu entwachsen. Oder man durch seine Leistung eine Unmenge Geld macht, man aber nicht aufsteigen kann, weil der Staat einem das Geld wieder wegnimmt.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#40 Re: Ungerechte Einkommensverteilung gefährdet die Demokratie

Beitrag von closs » Do 28. Jan 2016, 14:26

ThomasM hat geschrieben:Das war in der Vergangenheit immer so und ist in der westlichen Demokratie gegenüber früher abgeschwächt.
Zustimmung.

ThomasM hat geschrieben:Das, was kritisiert wird, ist doch, wenn mächtige Firmen oder reiche gesellschaftliche Personen Einfluss auf politische Prozesse nehmen. Das ist das eigentliche Problem.
Das ist in der Tat nach wie vor der Fall. - Nimm mal die Flüchtlingskrise:

Ich habe in dieser Zeit regelmäßig die BILD gelesen, weil sich dort ablesen lässt, was hinter den Kulissen abgeht (kann ich natürlich nicht beweise - aber geh mal davon aus, dass es so ist). - Und hier ist - wie üblich - einen Konsens zwischen Massenmedien und gesellschaftlichen Kräften entstanden, wie man mit diesem Thema umgeht - in diesem Fall positiv.

Behauptung: Hätte eine rot-rot-grüne Regierung exakt dasselbe gemacht wie Merkel, hätte es in der BILD (und woanders auch) eine Shitstrom gegeben - das meine ich mit "Einfluss auf politische Prozesse".

Aber eigentlich ist es gar nicht das, was hier im Thread kritisiert wird: Hier geht es darum, dass es keine Leistungsgerechtigkeit gibt, wahrscheinlich soagr realistischerweise nicht geben KANN, ABER - und das ist das Schlimme - so getan wird, als gäbe es sie.

ThomasM hat geschrieben:a ist z.B. nicht erfüllt, wenn in einem sozialistischen Land das Parteibuch über die Karriere entscheidet oder in einer Firma man nur deshalb einen Posten bekommt, weil man eine Frau ist (Frauenquote).
Oder wenn man in sich München nur dann als Rechtanwalt niederlassen kann, wenn man in die Schickeria eingebunden ist, weil man nur so an große Aufträge kommt - unabhängig von Kompetenz-Fragen.

ThomasM hat geschrieben:b ist nicht erfüllt, wenn die Gesellschaft in Schichten eingeteilt ist und man mit Leistung keine Chance hat, seiner Schicht zu entwachsen.
Das ist bei uns sicherlich durchlässiger als im indischen Kastenwesen - trotzdem gibt es auch bei uns unsichtbare Schranken. - Es ist sicherlich kein Zufall, dass Deutschland im Bildungsbereich zu den diesbezüglich unzulässigsten Ländern gehört (stand, glaube ich, im letzten PISA-Bericht oder einem UN-Bericht - weiss es nicht mehr genau). - Der Standes-Dünkel ist bei uns noch sehr hoch - das führt dazu, dass zur Zeit mehrere Gerichtsverfahren laufen, in denen Standesbewusste Anklage erhoben haben, weil in ihrem Stadtviertel Flüchtlingslager geplant sind: Dies würde den Immobilien-Wert ihrer Häuser vermindern, wofür der Staat haftbar zu machen sei.

ThomasM hat geschrieben:Oder man durch seine Leistung eine Unmenge Geld macht, man aber nicht aufsteigen kann, weil der Staat einem das Geld wieder wegnimmt.
Die meisten, die soviel Geld verdienen, dass ihnen der Staat über den üblichen Steuersatz hinaus etwas nehmen kann, tun das nicht durch eigene Leistung, sondern aufgrund einer glücklichen Berufswahl. - Man sollte "Leistung" nicht mit "Erfolg" verwechseln.

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