Pluto hat geschrieben:Man kann/darf aber auch nicht hinter jeder Ecke eine Gefahr vermuten. So erstickt man jeden Fortschritt.
Möglicherweise ist unsere Denkweise auch falsch gepolt - konkret:
Das Problem sind NICHT die Ärzte und Pflegekräfte, sondern der bürokratische Aufwand bzw. juristische/wirtschaftliche Zwänge - Beispiele:
a) Das Pflegebeispiel hatten wird schon.
b) Ein anderes Beispiel: Aus der Umgebung meiner Frau weiß ich folgendes: In der ambulanten Krankenpflege gilt zum Beispiel, dass die Komplettwäsche eines alten Menschen maximal 30 Minuten dauern darf. Aus Sicht der Pflegekräfte ist das zu wenig (Ausziehen, Anziehen, zwischendrin von oben bis unten - auch im Intim-Bereich waschen). - Mit 40 Minuten käme man hin, sagen die Pflegekräfte. - Nun hat man aber nicht einmal die 30 Minuten, denn man muss dokumentieren, was man gemacht hat - das heißt: Es gehen pro Krankenbesuch ca. 10 Minuten netto drauf, um die Tätigkeiten am Patienten zu dokumentieren. Diese Dokumentationszeit ist aber nicht eigens ausgewiesen, sondern muss in die echten Zeiten irgendwie eingebaut werden. - Man hat also für die Komplettwäsche 20 Minuten. - Nun wollen Pflegekräfte ja auch motiviert sein und ihren Patienten gute Dienstleister sein - geht nicht. - Keinerlei Gespräche, mal gut Zureden, etc. möglich - einfach schnell durchschrubben, 10 min mit Dokumentation verblödeln und danach schnell weg - man bekommt ja nur Geld für 30 Minuten - und der nächste Patient wartet, weil man eng terminieren muss. - All das wird von den darüber stehenden Schlaumeiern nicht gesehen - sie sehen nur, dass bei der Dokumentation ein Feld nicht richtig ausgefüllt wurde. - Ansonsten verweist man seitens der Träger und der Krankenkassen darauf, dass laut wissenschaftlichen Studien 30 Minuten reichen würden (von den 10 min Abzug ist nicht die Rede). - Das ist die PRaxis - das ist der Fortschritt, der nicht erstickt wird, sondern im Gegenteil eine humane, gute Pflege erstickt.
c) Noch ein Beispiel: Unsere Tochter arbeitet jetzt als Krankenschwester in der Forensik - eine Einrichtung des Staats. - Da Forensik ein sensibler Bereich ist, ist dort alles doppelt besetzt. - Unsere Tochter bekommt mehr Geld und hat weniger Arbeit als auf der Somatik, wo sie vorher war. - Dort war es wie im Beispiel b): Man wäscht den Patienten in 7 (!!) Minuten, zieht die Katheder schneller raus und ist genervt, wenn der Patient schlechte Venen für eine Blutabnahme hat - geht auf Kosten des nächsten Patienten.
d) Ach so - noch ein Beispiel: Der Schwiegervater eines unsere Kinder hatte vor 2 Jahren einen ganz schrecklichen Unfall mit schweren Hirnschäden. - Als er (rein körperlich) wieder fit war, wurde er die meiste Zeit mit einer Magnet-Fessel an den Stuhl gefesselt (obwohl er ein bewegungs-gewohnter Handwerker war) und hat dort 6 Stunden aus purer Verzweiflung geschrien - und deshalb schwere Beruhigungsmittel bekommen. - Ich habe dann mal den Arzt gefragt, was da los sei - er sagte (sinngemäß): "Bewegung wäre für ihn besser, aber wir haben kein Personal, um auf ihn aufzupassen. Also müssen wir ihn fesseln und sedieren. Denn wenn er uns aus der Station entweicht, sind wir dran". - Also wieder einmal stand das Juristische über dem Richtigen.
Deshalb nochmals: Wir haben zwei Welten: Die juristisch offizielle Welt, wie sie Politikern und dem Volk gegenüber vertreten wird ("nach wissenschaftlichen Standards ok - wir können das beweisen") - und die faktische Welt - wie von mir beschrieben.