piscator hat geschrieben: ↑Di 5. Jun 2018, 10:49
Mit dem Sammeln stehe ich auf Kriegsfuß. Meine erste Frau ist Messie.
Woher kommt solch eine Sammelleidenschaft, die jemanden zu einem „Messie“ macht?
Ich denke, so etwas entstand in einer Zeit, wo sammeln noch Notwendigkeit für viele Menschen machte. Zeiten, wo Material und auch die Mittel, solches zu beschaffen, knapp war.
Meine Eltern waren beide Sammler. Gemäßigt zwar, so dass nicht jede Ecke gefüllt war, aber dennoch große Sammlungen von (scheinbar) wertlosem Zeug, das andere Menschen wegwerfen würden.
Ich erinnere mich noch ziemlich gut an die Zeit meiner ersten zehn Lebensjahre – also hauptsächlich die 1950er-Jahre. Der Krieg war erst kurz vorbei, es gab viele Trümmer und wenig Material. Meine Familie war finanziell eigentlich immer, solange meine Eltern noch lebten, im unteren Niveau.
Wegwerfen von Dingen, die vielleicht irgendwo noch gebraucht werden könnten, war tabu. Wenn ein Kleidungsstück nicht mehr ansehnlich war, wurde aus dem, was noch brauchbar war, ein neues gemacht. Aus einem Kleid für Erwachsene wurde ein Rock, eine Schürze oder auch ein Nachthemd für die Kinder gemacht. Strickwaren wurden aufgeribbelt neu verstrickt. Aus alten kaputten Möbeln oder Geräte wurden alle Schrauben herausgedreht und zur Sammlung hinzugefügt, sowie alle Holzteile noch irgendwie verarbeitet. Wenn gar nicht mehr brauchbar, wurde der Ofen damit beheizt. Wenn Schuhe so kaputt waren, dass man sie nicht mehr weiter vererben konnte, wurden vorher die Schnürsenkel herausgezogen. Aus den Unterhosen die Gummibänder herausgeholt, und den Rest als Putzlappen verarbeitet. Jeder Fetzen, der vielleicht noch irgendwo brauchbar sein könnte, wurde aufbewahrt. Geräte und Klamotten wurden repariert, gestopft, geflickt, so lange es möglich war.
Später, als es Plastikbeutel gab, wurden diese solange immer wieder nach Gebrauch ausgewaschen, bis sie nicht mehr brauchbar waren. Auch sonstige Behälter von Lebensmitteln (Margarinedosen) wurden nach Verbrauch des Inhalts, ausgewaschen und weiter benutzt.
Zeitungspapier wurde zu Klopapier geschnitten. Und vor Weihnachten forderte meine Mutter uns auf, Tannenzweiglein, die evtl jemand unterwegs verloren hat, aufzuheben und mitzubringen. Durchsichtige und silberne Bobonpapiere, die vielleicht zum Basteln noch brauchbar wären, wurden von der Straße aufgehoben (falls mal welche dort lagen).
Dieser Sammlerinstinkt hat sich zwar in den folgenden Jahren etwas gelockert, aber der Grund blieb: man kann es vielleicht noch für irgendetwas gebrauchen.
Ich habe es auch übernommen und noch eine ganze Weile fortgeführt als ich schon erwachsen war, und nicht mehr zu Hause wohnte. Weil ich auch meistens im finanziellen Bereich meist näher an der unteren Grenze lag. Allerdings überkam mich dann auch immer mal eine plötzliche Aufräumwut, in der ich wieder vieles aussortierte … und verschenkte, wenn es jemand haben wollte. Durch meine häufigen Umzüge, wo ich immer mal wieder von Grund auf aussortierte, wurde mein Sammlerniveau aber immer wieder auf einen gemäßigten Stand gebracht. So ganz hat es mich allerdings noch nicht verlassen. Aber auch nicht die Aufräumwut, die mich von Zeit zu Zeit überfällt. Wer nicht so beweglich ist wie ich, immer an der gleichen Stelle wohnt, hat dann vielleicht ziemlich bald solch ein Millieu geschaffen, weshalb jemand dann „Messie“ genannt wird.