Reduktionismus oder Holismus

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ThomasM
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#51 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von ThomasM » Mo 2. Mär 2015, 14:36

Pluto hat geschrieben: Wenn man diese Sicht aber auf tranzendente Objekte ausweitet, dann kann ich mir auch sehr gut andere Universen im All vorstellen, auch dann wenn diese nicht einmal prinzipiell messbar oder wahrnehmbar sind, vielleicht weil sie sich zu schnell von uns entfernen.
Wie würdest du denn dann deine Sicht charakerisieren und wie würdest du die transzendenten Dinge von den Fehlwahrnehmungen unterscheiden?

Gruß
Thomas
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closs
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#52 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » Mo 2. Mär 2015, 14:54

ThomasM hat geschrieben:Daher hat ja die Geisteswissenschaft keinen Fortschritt mehr erbracht.
In der Geistes-WISSENSCHAFT hat der Reduktionismus schon immer eine große Rolle gespielt. - Wenn man eine Biografie über Goethe schreibt, muss man methodisch wie ein Naturwissenschaftler vorgehen (Wo sind eigene Schriftstücke? Wo sind zeitgenössische Texte über ihn? - da muss man manchmal 1000e an Puzzles zusammentragen) - allerdings bewerten muss man top-down (siehe A/a-b-c --- das Beispiel zur Hermeneutik).

Wo aus meiner Sicht keine Fortschritte, sondern eher Rückschritte zu beobachten sind, ist das Geist-Verständnis selbst - eben weil es nicht reduktiv greifbar ist.

ThomasM hat geschrieben:Daher war ja der Reduktionismus nötig, um Fortschritte zu erzielen.
Für materialistische Fragen eindeutig ja - AUCH für geistes-wissenschaftliche Fragen (es gibt Software-Programme, mit denen man im Gegensatz zu früher ganz neue Korrelationen entdecken kann). - Aber für Fortschritte im geistigen Erkennen selber (also auf Primär-Ebene) ist Reduktionismus nicht nötig - eher im Gegenteil.

ThomasM hat geschrieben:und du dich auf die Position des Mittelalters zurückziehst, hast du nicht genug gelernt.
Das könnte ganz anders sein.

"Mittelalter" würde ich durch "Antike" ersetzen - dort fiel der Satz "Ich weiss, dass ich nichts weiss" erstmals (?). - Und dieser Satz war kein rhetorischer Humbug, sondern toternst gemeint. - "Wissen" ist immer nur "System-Wissen". - Mein Eindruck ist, dass dies heute ver-lernt wurde, wie ich weiterhin sehr vermute, dass der geistige Bereich in den letzten Jahrhunderten verkümmert ist. - Das Problem: Man hat inzwischen "Geist" umgedeutet und appliziert ihn auf reduktive Disziplinen. - Aus meiner Sicht ein gutes Beispiel für die Brillanz der Verwirrung (dia-bolei).

Wir sind uns jedoch ganz einig, dass Naturwissenschaft reduktiv vorgehen muss und dabei zivilisatorisch sehr viel erbringt - aber eben nicht geistig (ist ja auch nicht ihre Aufgabe).

ThomasM
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#53 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von ThomasM » Mo 2. Mär 2015, 15:12

closs hat geschrieben: "Mittelalter" würde ich durch "Antike" ersetzen -
Nochmals: Du kannst dich auf den Olymp zurückziehen und dich dort dann wohlfühlen.
Aber weiterkommen kommen wir - auch und gerade in der Diskussion zum Geist oder dem ganzheitlichen Vorgehen - erst, wenn du dich da runterbewegst.
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#54 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Pluto » Mo 2. Mär 2015, 15:21

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Dur irrst.
Sorry - mein Fehler. - "ist ebenfalls Wahrnehmung".
Nein. Und das ist genau das Problem deiner Ablehnung des Reduktionismus.
Du bezeichnest das Eintreffen von Photonen auf die Retina als Wahrnehmung. Das ist ein falsches Bild.
Sehfähigkeit besteht aus vielen sehr genau definierten Einzelschritten, wovon die ersten automatisch (reflexartig) im Gehirn ablaufen. Das (verkehrte Bild) auf der Retina wird an das Sehzentrum tief im Inneren des Gehirns weitegeleitet. Bei der Varbeitung müssen viele Ungenauigkeiten ausgebügelt werden, damit das Bild sowohl scharf, als auch gerade und aufrecht erscheint. Farben entstehen nicht, sondern nur abhängig von der Art der Neuronen in der Retina, unterschiedliche Empfindungen, die es uns ermöglicht sie als Farbe einzuordnen. Mehr noch, es gibt Kompensationsschlaufen, die Farbtöne bei Sonnenschein oder Dämmerung gleich erscheinen lassen.
Im Sehzentrum entsteht schließlich nach einigen hundertstel Sekunden die eigentliche Wahrnehmung des Bildes, die man als einen holistischen Akt verstehen kann.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Genau das wird ein seriöser Wissenschaftler nicht tun.
Sorry - wir hatten hier schon so viele Fälle, in denen persönliche Gewissheit durch objektives System-Wissen runtergebürstet wurde, dass das einfach nicht stimmt.
Dass dieser Eindruck entstand tut mir Leid. Dennoch, ein "echter" Wissenschaftler tut so was nicht.

closs hat geschrieben:Nee - ich glaube, dass man auch unbewusst wahrnimmt.
Kannst du im Fall der Brille der Kassiererin sagen, du hättest sie nicht bewusst wahrgenommen? Du hast doch vermutlich mit der Dame gesprochen, und ihr Geld gegeben. Kann man in einem Geschäft unbewusst bezahlen? - Ich vermute das geht gar nicht.

Pluto hat geschrieben:Das taten sie nicht aus Aberglaube; sie nahmen die Bibel zum Vorbild
Auch das kann Aberglaube sein.[/quote]Wie wird denn festgelegt, was in der Bibel als Aberglaube gilt?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#55 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » Mo 2. Mär 2015, 15:22

ThomasM hat geschrieben:Aber weiterkommen kommen wir - auch und gerade in der Diskussion zum Geist oder dem ganzheitlichen Vorgehen - erst, wenn du dich da runterbewegst.
Von mir hängt das nicht ab. - Die Frage ist: Wie kommt der Mensch in diesen Fragen weiter?

Und da kann ich in Bezug auf "Geist" (im transzendentellen, nicht im ver-materialisierten Sinne) keinen anderen Weg erkennen, als sich ihm hermeneutisch zu nähern. - Und das a-b-c dort ist ja durchaus reduktiv zu verstehen - aber der Geist selber: No chance - das wäre ein Oxymoron.

Verstehst Du Gott als reduktiv annäherbare Größe? - Welche Rolle spielt aus Deiner Sicht das Reduktive, wenn es um Geist/Gott geht?

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#56 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » Mo 2. Mär 2015, 15:30

Pluto hat geschrieben:Du bezeichnest das Eintreffen von Photonen auf die Retina als Wahrnehmung. Das ist ein falsches Bild.
Ich stimme dem uneingeschränkt zu, was Du begründend sagst. - Das Problem ist ein anderes: Ich verstehe physikalische Messungen als "Wahrnehmung" dessen, was man misst ("Sein"). - Da kann es natürlich Probleme geben mit volkssprachlichen Definitionen. - Wenn wir ein anderes Wort finden, das jegliche Form menschlicher Perzeption (ob mit oder ohne Hilfsmittel) umfasst, übernehme ich das gerne - aber mir fählt keines ein. - Dir?

Pluto hat geschrieben:Kannst du im Fall der Brille der Kassiererin sagen, du hättest sie nicht bewusst wahrgenommen?
Nee - "sagen" nicht - das wäre ja schon wieder bewusst. - Aber ich könnte nachts von ihr samt Brille träumen, weil ich sie am Tag so unbewusst wahrgenommen habe.

Pluto hat geschrieben: Kann man in einem Geschäft unbewusst bezahlen?
Prinzipiell geht das wohl schon. - Wahrscheinlich ist es auch Dir schon passiert, dass Du Dich fragst, wie Du die letzten 2 km gefahren bist, weil Du sonst wo mit den Gedanken warst - bei ein-trainierten Dingen (tägliche Strecke zur Arbeit) geht das imo schon.

Pluto hat geschrieben:Wie wird denn festgelegt, was in der Bibel als Aberglaube gilt?
Objektiv geht das nicht. - Es hängt vom Konzept ab, mit dem man an die Bibel herangeht. - Die einfachste Antwort wäre: Man merkt's oder man merkt's nicht.

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#57 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von ThomasM » Mo 2. Mär 2015, 15:43

closs hat geschrieben: Verstehst Du Gott als reduktiv annäherbare Größe? - Welche Rolle spielt aus Deiner Sicht das Reduktive, wenn es um Geist/Gott geht?
Ja, indem ich die Frage "existiert Gott und wie ist er" reduktiv in Teilfragen zerlege, die mich zwar insgesamt nicht zu einer Antwort bringen, aber durchaus der Antwort näher.

Solche Teilfragen sind eben z.B.
- Gibt es Dinge im Sein, die nicht objektiv wahrnehmbar sind? (Antwort ja)
- Gibt es Vorgänge, die so aussehen, als würde eine größere Macht eine Entscheidung fällen (Antwort ja)
- Beschreibt die Bibel exakt, wie Gott ist (Antwort nein)
- Welche Rolle spielt die Tatsache, dass sehr viele Menschen Gott bzw. etwas Göttliches wahrnehmen (in Diskussion)
- welche Rolle spielen subjektive Wahrnehmungen in der Realität (in Diskussion)
usw.

Reduktionismus hilft auch, wenn ich weiß, dass ich am Ende nicht die vollständige Antwort habe.
Bei Geist weiß ich diese Schritte nicht so, da würde ich mir wünschen, wenn du Aspekte deines Verständnisses herausschneidest und darlegst.
Da du behauptest, dass das gerade der hermeneutische Weg wäre, dann sag uns doch einfach, in welchen reduktiven Schritten das Thema angegangen werden kann.

Gruß
Thomas
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#58 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Pluto » Mo 2. Mär 2015, 17:08

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Kannst du im Fall der Brille der Kassiererin sagen, du hättest sie nicht bewusst wahrgenommen?
Nee - "sagen" nicht - das wäre ja schon wieder bewusst. - Aber ich könnte nachts von ihr samt Brille träumen, weil ich sie am Tag so unbewusst wahrgenommen habe.
Das sind alles Details. Wichtig ist, nicht nur der Instinkt, sondern selbst das bewusste Wahrnehmen kann trügerisch sein.
Was bleibt da noch übrig von wahrgenommenen Seinsphänomenen, außer das sie von Ilusionen nicht zu unterscheidemn sind?
Letztlich sagen uns Bezeichnungen wie Holismus oder Plausibilität rein gar nichts von der Realität. Und das mcht die Überprüfbarkeit der Wissenschaft so enorm wichtig für die Erkenntnis.

closs hat geschrieben:bei ein-trainierten Dingen (tägliche Strecke zur Arbeit) geht das imo schon.
Das ist es gerade. Man weiß man hat irgendwie bezahlt, oder man ist irgendwie zu Hause angekommen, aber man hat keine Ahnung mehr wie. Das ist doch das trügerische am Bewusstsein weil es vermutlich gar keine so scharfe Trennung zwischen Bewusstsein und Unterbewusstsein gibt.
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#59 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von Scrypt0n » Mo 2. Mär 2015, 19:16

ThomasM hat geschrieben:Gibt es Vorgänge, die so aussehen, als würde eine größere Macht eine Entscheidung fällen (Antwort ja)
Welche denn?

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#60 Re: Reduktionismus oder Holismus

Beitrag von closs » Mo 2. Mär 2015, 19:36

ThomasM hat geschrieben:Bei Geist weiß ich diese Schritte nicht so, da würde ich mir wünschen, wenn du Aspekte deines Verständnisses herausschneidest und darlegst.
Hast Du gerade eben gemacht.

Du hast genau a/b/c gemacht im Sinne der Hermeneutik - das Entscheidende ist, dass Du damit NICHT herausfinden willst, OB es Gott (= "A") gibt, sondern den von Dir gesetzten/empfundenen/geglaubten Gott anpeilst, um ihm näher zu kommen.

Mit "holistisch" ist meinerseits nicht gemeint, dass man sich mit Details beschäftigt (das tut man auch hermeneutisch ständig), sondern dass man "Vorwissen" hat - während das Reduktive ohne eigenen Entwurf/ohne "Vorwissen" (also sozusagen "neutral") mit seinen Einzelfragen und Antworten ein Szenario entwickelt, bei dem am Ende bspw. steht: "Nach Auswertung der Fragen gibt es Gott zu 63,5%".

Mit Deiner hier vorgestellten Art konkreter Fragenstellungen ist mir übrigens irgendwann klar geworden, warum es überhaupt Jesus gibt - nicht im "geglaubten" Sinn, sondern im Hinblick auf ontologische Notwendigkeit. - Insofern sind wir uns schon einig, dass man ins Detail gehen muss.

ThomasM hat geschrieben:Reduktionismus hilft auch, wenn ich weiß, dass ich am Ende nicht die vollständige Antwort habe.
Ja - in meinen Worten hieße dies: Hermeneutische Suche Gottes führt zwar zu immer mehr Annäherung, erreicht aber zu Lebzeiten nie sein Ziel. Eben weil das Objekt "A" außerhalb des unmittelbaren Zugriffs des Subjekts ist. - Im Gegensatz dazu gibt es in üblichen physikalischen Fragestellungen die Möglichkeit des "Mission Accomplished" per Reduktionismus.

ThomasM hat geschrieben:Da du behauptest, dass das gerade der hermeneutische Weg wäre, dann sag uns doch einfach, in welchen reduktiven Schritten das Thema angegangen werden kann.
Da kann ich Dir mal einen langen, relativ alten Text schicken, wenn gewünscht. - Dort wird Geist/Gott ebenfalls gesetzt und nach und nach wahrnehmungs-mäßig qualifiziert.

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