seeadler hat geschrieben:
Wie in deiner PN vor einigen Wochen erbeten, will ich mich mal zu deinen Hypothesen äußern.
Deine Dreiecks-Konstruktion ist interessant, weil sie eine gewissen Ähnlichkeit zu einer Konstruktion hat, die sich in der speziell-relativistischen Mechanik findet. Dort bilden allerdings nicht pc und mc^2 die Kathen und E die Hypotenuse eines rechtwinkligen Dreiecks, sondern pc und E die beiden Katheten und mc^2 die Hypotenuse. Was auf den ersten Blick als Widerspruch erscheinen könnte, da man vermeinen könnte, die Hypotenuse müsse länger sein als jede der beiden Katheten, wird dadurch aufgeklärt, dass das betreffende Dreieck ein Dreieck in der vierdimensionalen Raumzeit ist, die anders als der aus der alltäglichen Anschauung bekannte dreidimensionale Raum keine euklidische Metrik hat, sondern eine Minkowskische.
Um das zu verstehen, stell dir zunächst einen zweidimensionalen euklidischen Raum vor. In diesem kann man z.B. ein kartesisches Koordinatensystem mit den Koordinaten (x,y) konstruieren. Nun nimm zwei Punkte in diesem Raum, nennen wir sie P und Q. P habe die Koordinaten (x0,y0), Q die Koordinaten (x0+Δx, y0+Δy). Dann gilt für den Abstand s zwischen beiden Punkten gemäß dem Satz von Pythogoras
s^2 = Δx^2 + Δy^2
Als nächstes nimm einen dreidimensionalen euklidischen Raum, wie den aus dem Alltag bekannten Anschauungsraum. In diesem kann man ein kartesisches Koordinatensystem mit drei Koordinaten (x,y,z) konstruieren. Nimm wieder zwei Punkte in diesem Raum, P mit den Koordinaten (x0,y0,z0) und Q mit den Koordinaten (x0+Δx, y0+Δy, z0+Δz). Für den Abstand s zwischen den beiden Punkten gilt dann die dreidimensionale Erweiterung des Satzes von Pythagoras:
s^2 = Δx^2 + Δy^2 + Δz^2
In der Relativitätstheorie hat man es nun mit der vierdimensionalen Raumzeit zu tun. In der kann man ebenfalls ein kartesisches Koordinatensystem mit den vier Koordinaten (x,y,z,t) konstruieren, und zwei Punkte P und Q mit den Koordinaten (x0,y0,z0,t0) und (x0+Δx, y0+Δy, z0+Δz, t0+Δt) betrachten. Die Raumzeit hat nun aber keine euklidische Metrik, sondern eine Minkowski-Metrik, was bedeutet, dass für den Abstand zwischen den beiden Punkten nicht etwa die Beziehung
s^2 = Δx^2 + Δy^2 + Δz^2 + (c Δt)^2
gilt, sondern, je nach gewählter Konvention, entweder
s^2 = Δx^2 + Δy^2 + Δz^2 - (c Δt)^2
oder
s^2 = (c Δt)^2 - Δx^2 - Δy^2 - Δz^2 = (c Δt)^2 - (Δx^2 + Δy^2 + Δz^2)
Welche der beiden Konventionen man vorzieht, ist egal, wesentlich ist nur, dass die zeitliche Koordinatendifferenz Δt mit dem engegengesetzten Vorzeichen eingeht wie die räumlichen Koordinatendifferenzen Δx, Δy, Δz. Nach der ersten Konvention hat die Raumzeit die Signatur (-,+,+,+), nach der zweiten die Signatur (+,-,-,-).
Stell dir nun einen Körper vor, der sich in x-Richtung bewege, und zwar der der Geschwindigkeit v < c. Nimm an, die beiden Punkte P und Q liegen auf der Weltlinie des Körpers (der "Flugbahn" des Körpers durch die Raumzeit). Dann gilt, da sich der Körper nicht in y- oder z-Richtung bewegt, Δy = Δz = 0. Für Δx kommt heraus: Δx = v * Δt. Somit erhalten wir, wenn wir die Signatur (+,-,-,-) verwenden, für den Abstand s:
s^2 = (c Δt)^2 - Δx^2 = (c Δt)^2 - (v Δt)^2 = Δt * (1 - v^2/c^2)
worin man leicht die Formel für die Zeitdilatation wiedererkennt: s ist offensichtlich nichts anderes als die für den Körper selbst verstreichende Zeit, seine sog. Eigenzeit. Diese ist gleich der raumzeitlichen Länge der Weltlinie des Körpers.
Nun kommen wir zurück zum Dreick, das aus pc, E und mc^2 gebildet wird. So wie die vier Koordinaten (x,y,z,t) einen Positionsvektor
x^μ = (ct,x,y,z)
in der Raumzeit bilden, bilden die Energie E und der Impuls p einen Impulsvektor
p^μ = (E/c,px,py,pz)
mit der Energie als zeitlicher Komponente und den schon aus der nichtrelativistischen Newtonschen Mechanik bekannten Impulskomponenten (px,py,pz) als räumliche Komponenten. Analog zum Positionsvektor hat dieser Impulsvektor eine Länge, die gerade durch mc gegeben ist:
(mc)^2 = (E/c)^2 - px^2 - py^2 - pz^2
Bei einem in x-Richtung bewegten Körper verschwinden die y- und z-Komponente: py = pz = 0, so dass nur
(mc)^2 = (E/c)^2 - px^2
übrig bleibt. Identifiziert man den Impuls dann einfach mit seiner x-Komponente, so erhält man
(mc)^2 = (E/c)^2 - p^2 <=> (mc^2)^2 = E^2 - (pc)^2
Wichtig ist außerdem noch, wie sich die einzelnen Größen verhalten, wenn man aus dem Koordinatensystem (x,y,z,t) per Lorentz-Transformation in ein anderes Koordinatensystem (x',y',z',t') transformiert. Dann kommt heraus, dass sich die Vektorkomponenten, also (Δx,Δy,Δz,Δt) beim Positionsvektor oder (E/c,px,py,pz) beim Impulsvektor ändern, die Vektorbeträge, s beim Positionsvektor und mc beim Impulsvektor, dagegen unverändert bleiben (lorentz-invariant sind).
Kehren wir nun zu deiner Dreickskonstruktion zurück, mit E als Hypotenuse (statt mc) und mc^2 und pc als Katheten (statt E und pc). Da diese offensichtlich im Widerspruch zur Relativitätstheorie steht, formulierst du also eine Konkurrenztheorie zur Relativitätstheorie. Dann solltest du gute Gründe nennen, warum man deine Theorie der Relativitätstheorie vorziehen sollte. Z.B. solltest du erklären könenn, wie E die Hypotenuse sein kann, wenn E offensichtlich nicht lorentz-invariant ist.
seeadler hat geschrieben:
Wenn du meinst, dass dies falsch sei, dann sind die entsprechenden Formeln falsch
Diese Formel ist nicht direkt falsch, aber veraltet. Sie besagt im Grunde, dass man die Energie zusätzlich als (dynamische oder relativistische) Masse bezeichnet, und deswegen gezwungen ist, die eigentliche Masse (das, was in der Formel m0 heißt), mittels des Präfix Ruh- von dieser abzugrenzen. Zu Einsteins Lebzeiten sah man so etwas noch als sinnvoll an, weil man dachte, für den Impuls müsse die Newtonsche Beziehung p = m*v gelten. Heute weiß man aber, dass in der Relativitätstheorie die Newtonsche Beziehung durch eine entsprechende relativistische Beziehung
p^μ = m u^μ
ersetzt werden muss, wobei u^μ der Vierer-Geschwindigkeitsvektor ist, dessen Komponenten nicht über die Koordinatenzeit t, sondern über die Eigenzeit Ï„ berechnet werden, wobei Ï„ durch die raumzeitliche Länge der Weltlinie gegeben ist, Ï„ = s/c. Deswegen kann man man mit der (lorentz-invarianten) Ruhmasse m0 identifizieren, und braucht keine zusätzliche geschwindigkeitsabhängige Masse zu definieren. Die Formel bleibt also richtig, wenn man das erste mc^2 herausstreicht und bei den beiden Formulierungen mit m0 das m0 durch m ersetzt.